JudikaturJustiz12Ns75/19d

12Ns75/19d – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hauer in der Strafsache gegen Guntram L***** und andere Beschuldigte wegen des Verdachts der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 15 St 23/19w und 15 St 105/16z (nunmehr gemeinsam geführt zu AZ 15 St 105/16z) der Staatsanwaltschaft Graz, in dem zu AZ 18 HR 184/19k des Landesgerichts Krems an der Donau und zu AZ 24 HR 11/18f des Landesgerichts für Strafsachen Graz zwischen diesen Gerichten geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Für die Entscheidung über den Antrag des Beschuldigten Eduard Ü***** auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens ist das Landesgericht für Strafsachen Graz zuständig.

Text

Gründe:

Mit Verfügung vom 20. August 2019 trat die Staatsanwaltschaft Graz die Ermittlungsverfahren AZ 15 St 23/19w (vormals AZ 5 St 306/16v der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau) gegen Guntram L***** und AZ 15 St 105/16z gegen den Genannten und weitere 235 Beschuldigte, unter diesen Eduard Ü*****, je wegen des Verdachts der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen an die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau ab, wo die Akten am 27. August 2019 einlangten.

Am 4. September 2019 stellte der Beschuldigte Eduard Ü***** beim Landesgericht für Strafsachen Graz den Antrag, das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren einzustellen. Diesen übermittelte die Staatsanwaltschaft Graz im Nachhang an die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau, bei der er am 12. September 2019 einging.

Mit Verfügung vom 17. September 2019 legte die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau die Akten im Wege der Oberstaatsanwaltschaft Wien der Generalprokuratur gemäß § 28 StPO zur Entscheidung des zwischen den Staatsanwaltschaften Krems an der Donau und Graz bestehenden Zuständigkeitskonflikts vor.

Ungeachtet der erfolgten Abtretung der Ermittlungsverfahren leitete die Staatsanwaltschaft Graz am 30. September 2019 den Einstellungsantrag des Eduard Ü***** samt Stellungnahme gemäß § 108 Abs 2 StPO an das Landesgericht für Strafsachen Graz (AZ 24 HR 11/18f) weiter. Zur örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Graz führte sie aus, dass sie aufgrund der sie bindenden Rechtsansicht der Oberstaatsanwaltschaft Graz (Weisung vom 27. September 2019 zu AZ 3 OStA 621/16t) „im Zuge der Dringlichkeitskompetenz nach § 25a Abs 1 StPO zur Bearbeitung des Antrags des 54. Beschuldigten Eduard Ü***** verpflichtet“ sei. Die Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Graz ergebe sich aus der analogen Anwendung des § 36 Abs 2 StPO.

Das Landesgericht für Strafsachen Graz (AZ 24 HR 11/18f) erachtete sich mit Verfügung vom 16. Oktober 2019 für die Entscheidung über den Antrag des Eduard Ü***** auf Einstellung nicht zuständig und verwies auf die Abtretung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Graz mit Verfügung vom 20. August 2019. Zufolge der nicht mehr gegebenen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Graz ab dem Zeitpunkt der Abtretung sei das Landesgericht für Strafsachen Graz ebenfalls nicht zuständig, weshalb der Antrag an das Landesgericht Krems an der Donau zu überweisen sei.

Zwischenzeitig hatte am 4. Oktober 2019 auch die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau den Antrag des Eduard Ü***** auf Einstellung des Verfahrens dem Landesgericht Krems an der Donau mit ablehnender Stellungnahme gemäß § 108 Abs 2 StPO (unter Anschluss der von der Staatsanwaltschaft Graz erstatteten Stellungnahme an das Landesgericht für Strafsachen Graz) vorgelegt. Zur Zuständigkeit des Landesgerichts Krems an der Donau hatte sie ausgeführt, dass aufgrund der „– zwar zu Unrecht, aber dennoch –“ erfolgten Abtretung des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau diese nunmehr bis zur Entscheidung über den Zuständigkeitskonflikt durch die Generalprokuratur zur Führung des Verfahrens zuständig und daher auch zur Vorlage des Einstellungsantrags gemäß § 108 Abs 2 StPO an das Landesgericht Krems an der Donau verpflichtet sei.

Das Landesgericht Krems an der Donau erklärte sich mit Verfügung vom 17. Oktober 2019 für die Entscheidung über den Antrag des Eduard Ü***** auf Einstellung nicht zuständig und übermittelte gemäß § 38 letzter Satz StPO den (Kopien-)Akt an den Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit.

Noch vor Einlangen der Akten beim Obersten Gerichtshof am 24. Oktober 2019 hat die Generalprokuratur am 18. Oktober 2019 zu AZ Gw 311/19x gemäß § 28 Abs 1 StPO die (gemeinsam zu führenden) Ermittlungsverfahren AZ 15 St 23/19w und AZ 15 St 105/16z der Staatsanwaltschaft Graz zur Verfahrensbeschleunigung der gesetzlich zuständigen Staatsanwaltschaft Krems an der Donau abgenommen und der Staatsanwaltschaft Graz übertragen. Diese Entscheidung wurde dem Obersten Gerichtshof von der Generalprokuratur unter einem mit ihrer Stellungnahme zu dem zu entscheidenden Kompetenzkonflikt vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 36 Abs 1 StPO obliegen im Ermittlungsverfahren gerichtliche Entscheidungen dem Landesgericht, an dessen Sitz sich die Staatsanwaltschaft befindet, die das Verfahren führt. Die Zuständigkeit des Gerichts folgt in diesem Verfahrensstadium jener der Staatsanwaltschaft; diese unterliegt keiner amtswegigen Überprüfung durch das Gericht, entfaltet insoweit also Tatbestandswirkung (14 Ns 57/15s; Oshidari , WK-StPO § 36 Rz 1).

Erachtet sich eine Staatsanwaltschaft als unzuständig, so hat sie die keinen Aufschub duldenden Anordnungen zu treffen und sodann das Ermittlungsverfahren der zuständigen Staatsanwaltschaft abzutreten (§ 25a Abs 1 StPO). Die Abtretung an eine andere Staatsanwaltschaft hat keine Auswirkung auf die Zuständigkeit des Gerichts, über im Zeitpunkt der Abtretung offene Anträge, Einsprüche und Beschwerden zu entscheiden (§ 36 Abs 2 StPO; Nordmeyer , WK-StPO § 25a Rz 3).

Der dieser Bestimmung zugrundeliegende Gedanke der Prozessökonomie führt auch im Fall der Entscheidung eines Zuständigkeitskonflikts durch die Oberstaatsanwaltschaft oder Generalprokuratur (§ 28 vierter Satz StPO) zur analogen Anwendung des § 36 Abs 2 StPO (14 Ns 57/17s; Nordmeyer , WK-StPO §§ 28, 28a Rz 21; Oshidari , WK StPO § 36 Rz 2/1).

In Ansehung einer Delegierung von Verfahren nach § 28 erster Satz StPO, bei der es nicht um die Feststellung der gesetzlichen Zuständigkeit, sondern um deren Änderung durch Behördenakt infolge Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder aus anderem wichtigen Grund (vgl dazu Nordmeyer , WK-StPO §§ 28, 28a Rz 8 ff) geht, ist hingegen eine – Voraussetzung richterlicher Rechtsfindung außerhalb des möglichen Wortsinns bildende ( F. Bydlinski , Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 2 467 f; Larenz , Methodenlehre und Rechtswissenschaft 6 426) – Gesetzeslücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts (zu den Voraussetzungen der Annahme einer solchen F. Bydlinski ,

Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 2 473, 500) nicht zu erkennen (vgl zu § 28 zweiter Satz StPO 14 Ns 57/15s).

§ 36 Abs 2 StPO ist in der vorliegenden Konstellation daher nicht analog anzuwenden, sodass die Übertragung des Ermittlungsverfahrens durch die Generalprokuratur von unaufschiebbaren Verfahrenshandlungen abgesehen (vgl §§ 38 zweiter Satz, 44 Abs 1 zweiter Satz StPO; Nordmeyer , WK-StPO § 25a Rz 2) auf die gerichtliche Zuständigkeit durchschlägt.

Demgemäß hat das Landesgericht für Strafsachen Graz über den Einstellungsantrag des Eduard Ü***** im nunmehr bei der Staatsanwaltschaft Graz zu AZ 15 St 105/16z geführten Ermittlungsverfahren zu entscheiden.

Hinzugefügt sei, dass das Vorliegen einer durch analoge Anwendung des § 25a Abs 1 StPO zu schließenden planwidrigen Lücke (vgl dazu erneut F. Bydlinski ,

Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 2 473), die eine Zuständigkeit auch nach der Abtretung des Ermittlungsverfahrens – hier also eine Zuständigkeit (auch) der Staatsanwaltschaft Graz – zur Prüfung des Antrags gemäß § 108 Abs 2 StPO erfordert, entgegen der Ansicht der Oberstaatsanwaltschaft Graz nicht auszumachen ist.

Rechtssätze
1
  • RS0132990OGH Rechtssatz

    20. Januar 2020·1 Entscheidung

    Gemäß § 36 Abs 1 StPO obliegen im Ermittlungsverfahren gerichtliche Entscheidungen dem Landesgericht, an dessen Sitz sich die Staatsanwaltschaft befindet, die das Verfahren führt. Erachtet sich eine Staatsanwaltschaft als unzuständig, so hat sie die keinen Aufschub duldenden Anordnungen zu treffen und sodann das Ermittlungsverfahren der zuständigen Staatsanwaltschaft abzutreten (§ 25a Abs 1 StPO). Die Abtretung an eine andere Staatsanwaltschaft hat keine Auswirkung auf die Zuständigkeit des Gerichts, über im Zeitpunkt der Abtretung offene Anträge, Einsprüche und Beschwerden zu entscheiden (§ 36 Abs 2 StPO). Der dieser Bestimmung zugrundeliegende Gedanke der Prozessökonomie führt auch im Fall der Entscheidung eines Zuständigkeitskonflikts durch die Oberstaatsanwaltschaft oder Generalprokuratur (§ 28 vierter Satz StPO) zur analogen Anwendung des § 36 Abs 2 StPO. In Ansehung einer Delegierung von Verfahren nach § 28 erster Satz StPO, bei der es nicht um die Feststellung der gesetzlichen Zuständigkeit, sondern um deren Änderung durch Behördenakt infolge Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder aus anderem wichtigen Grund geht, ist hingegen eine planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts nicht zu erkennen. § 36 Abs 2 StPO ist in dieser Konstellation daher nicht analog anzuwenden, sodass die Übertragung des Ermittlungsverfahrens durch die Generalprokuratur – von unaufschiebbaren Verfahrenshandlungen abgesehen (vgl §§ 38 zweiter Satz, 44 Abs 1 zweiter Satz StPO) – auf die gerichtliche Zuständigkeit durchschlägt.