JudikaturJustiz11Os98/20a

11Os98/20a – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. November 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. November 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Bernhard L***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 34 Hv 119/17y des Landesgerichts Leoben, über die Anträge des Bernhard L***** auf Erneuerung des Verfahrens und auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Der Strafsache gegen (ursprünglich) Johannes W***** und weitere Angeklagte, AZ 34 Hv 119/17y des Landesgerichts Leoben, liegen mehrere Strafanträge ua gegen Bernhard L***** wegen Verbrechen der Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 15 StGB sowie Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, der Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB zugrunde.

Rechtliche Beurteilung

[2] Mit Erneuerungsantrag vom 17. September 2020 wendet sich der Angeklagte gegen die angenommene örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts Leoben, die Anberaumung der Hauptverhandlung für 27. Februar 2020 und die „Gutachtensauftragserteilung“ vom 4. März 2020.

[3] Vora uszuschicken ist, dass für – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützte Erneuerungsanträge (RIS Justiz RS0122228), bei denen es sich um subsidiäre Rechtsbehelfe handelt, alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und Art 35 MRK sinngemäß gelten (RIS-Justiz RS0122737, RS0128394). Es sind daher (unter anderem) die zeitlichen Schranken des Art 35 Abs 1 MRK zu beachten, der die Einhaltung einer sechsmonatigen Frist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung verlangt (RIS-Justiz RS0122736).

[4] Außerdem hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 16) – auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]).

[5] Mit erneuten Einwänden gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts Leoben, die vermeintlich unterlassene Prüfung der Strafanträge und die Anordnung der Hauptverhandlung für 27. Februar 2020 ist der Antragsteller auf die zu 11 Os 85/20i, 86/20m ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs seines inhaltlich identen Antrags auf Erneuerung des Verfahrens zu verweisen (RIS-Justiz RS0123231).

[6] Soweit sich der gegenständliche Erneuerungsantrag gegen den „Beschluss“ des Einzelrichters des Landesgerichts Leoben vom 4. März 2020, mit welchem ein medizinischer Sachverständiger bestellt und mit der Beantwortung verschiedener Fragen zu r Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten beauftragt wurde, richtet, ist er verspätet eingebracht worden.

[7] Den Beginn der sechsmonatigen Frist des Art 35 Abs 1 MRK verzögern nämlich nur jene Rechtsbehelfe, die der Angeklagte ergreifen muss, um dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs genüge zu tun (vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 22, 39).

[8] Dies aber trifft nur auf effektive (wirksame, aussichtsreiche) Rechtsbehelfe zu; also solche, die nach innerstaatlichem Recht verfügbar sowie geeignet und ausreichend sind, um das (übergeordnete) Gericht in die Lage zu versetzen, die behauptete Konventionsverletzung (wenigstens im Kern) zu prüfen und gerade im Hinblick darauf Abhilfe zu schaffen. Andernfalls könnte die Frist des Art 35 Abs 1 MRK durch unzulässige Prozesshandlungen beliebig hinausgezögert werden (neuerlich 11 Os 85/20i, 86/20m mwN).

[9] Im Hinblick darauf, dass es sich bei der angefochtenen Entscheidung des Einzelrichters der Sache nach um eine prozessleitende Verfügung handelt, gegen die ein gesondertes Rechtsmittel nicht vorgesehen ist (vgl Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 20. April 2020, AZ 8 Bs 131/20f), und die (wie hier) im Hauptverfahren erfolgte Bestellung eines Sachverständigen dem Angeklagten nicht zugestellt werden muss ( Danek/Mann , WK StPO § 221 Rz 23/3), begann diese Frist mit der Ausfertigung dieser Entscheidung am 4. März 2020 zu laufen (zum Fristbeginn Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 40; vgl auch §§ 238 Abs 3; 254 Abs 1, Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0125728).

[10] Mit der Kritik an der trotz von der Verteidigung gestellter Anträge auf Ausschluss der Öffentlichkeit „öffentlich“ erfolgten Diskussion über den Gesundheitszustand des Angeklagten, bezieht sich der Erneuerungsantrag ersichtlich auf die Hauptverhandlungstermine 21. Jänner 2020 und 27. Februar 2020, weshalb er ebenfalls verfristet ist. Im Übrigen ist der Angeklagte darauf zu verweisen, dass der Einzelrichter, wie aus dem Register Verfahrensautomation Justiz hervorgeht, bereits angeordnet hat, dass „die im Akt befindlichen Aktenstücke betreffend den Gesundheitszustand der Angeklagten von der Akteneinsicht durch Dritte ausgenommen“ sind.

[11] Gegen die befürchtete Verlesung des zum Thema der Dringlichkeit medizinischer Behandlungen des Angeklagten L***** eingeholten Sachverständigengutachtens in der kommenden Hauptverhandlung kann sich dieser durch dortigen Widerspruch zur Wehr setzen.

[12] Im Übrigen wird im Gesamten trotz weitwendiger Klagen gegen die als bedrückend empfundene Verfahrensführung weder dargetan, weswegen durch eine Konventionsverletzung eine sinnvolle Verteidigung verunmöglicht worden noch worin ein nachteiliger Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung gelegen sein könnte (Art 35 Abs 3 lit b MRK; Reindl-Krauskopf , WK StPO § 363a Rz 6; Meyer-Ladewig/Peters in Meyer-Ladewig/Nettesheim/Raumer , EMRK Handkommentar 4 , Art 35 Rz 55). Subjektive Unzufriedenheit eines Angeklagten vermag eine Grundrechtsverletzung nicht herzustellen. Gesetz und verhältnismäßige Rechtsgutsbeeinträchtigung ist einem zweckorientierten Strafprozess (§ 1 Abs 1 StPO) vielmehr in der Regel immanent (§ 5 Abs 1, Abs 2 StPO; hier auch § 232 Abs 2 StPO – RIS Justiz RS0125728 [T1, T2]); ihre Wahrscheinlichkeit steigt mit dem Aufwand sich rechtmäßiger Verfolgung zu entziehen.

Abschließend ist dem Erneuerungswerber erneut zu erwidern:

[13] Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens können auch im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO – dessen Wortlaut folgend – nur wegen einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden (vgl RIS-Justiz RS0132365). Auf die gegenständliche Behauptung der Verletzung von sonst statuierten Grundrechten wird daher nicht eingegangen.

[14] D er Gesetzgeber hat mit der seit 1. Jänner 2015 geltenden Rechtslage ein subjektives Recht auf Normanfechtung durch die Strafgerichte ausdrücklich verneint (RIS-Justiz RS0130514).

[15] Soweit der Antragsteller Kritik an der medialen Berichterstattung über den Verlauf des gegenständlichen Strafverfahrens („Causa S*****“) übt, ist auf die Instrumente des Medienrechts zu verweisen.

[16] Mit Blick auf die Kompetenznorm des § 362 Abs 5 StPO, wonach dann, wenn es dem Obersten Gerichtshof zukommt, ein Urteil aufzuheben, diesem die Hemmung des Strafvollzugs zusteht, kann zwar seine Befugnis zu einer solchen Entscheidung auch im Fall eines auf § 363a StPO gestützten Antrags aus dem Gesetz abgeleitet werden, nicht aber ein darauf gerichtetes Antragsrecht (RIS-Justiz RS0125705; vgl § 357 Abs 3 StPO).

Die Anträge waren demnach zurückzuweisen.