JudikaturJustiz11Os52/99

11Os52/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. August 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. August 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lokay als Schriftführer, in der Strafsache gegen Tuc V***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 2. Februar 1999, GZ 26 Vr 1834/98-36, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und eines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der von den Punkten 1 und 2 des Schuldspruches erfaßten Taten nur unter § 202 Abs 1 StGB (Punkt 1) bzw § 201 Abs 2 StGB (Punkt 2) sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Tuc V***** unter anderem der Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (Punkt 1 des Schuldspruches) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (Punkt 2) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Pierbach die 14-jährige Aida H*****

(zu 1) von April bis Mitte August 1998 in mehrfachen Angriffen dadurch, daß er sie festhielt, zur Wand drückte, auf das Bett drückte und seine körperliche Überlegenheit ausnützte, im Brust- und Genitalbereich betastete, ihr die Kleidung auszog, ihre Hand gewaltsam zu seinem Penis führte und sie zu einem Handverkehr verleitete sowie versuchte, einen Finger in ihre Scheide einzuführen, mit Gewalt zur Vornahme und Duldung von geschlechtlichen Handlungen genötigt, und

(zu 2) am 17.August 1998 dadurch, daß er sie mit beiden Händen aufs Bett drückte, ihre Hände über ihrem Kopf festhielt, sich auf sie legte, ihre Beine auseinanderdrückte, das T-Shirt hochschob und die Unterhose hinunterzog, und sie danach im Scheidenbereich küßte, einen Finger in ihre Scheide einführte und sie gewaltsam zu einem Handverkehr verleitete, außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt.

Diese Teile des Schuldspruches bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, weil das Erstgericht trotz der Feststellung, daß Aida H***** durch die Straftaten schwere psychische Schäden erlitten hat, rechtsirrig das Vorliegen einer schweren Körperverletzung im Sinn des § 84 Abs 1 StGB verneint habe. Demzufolge habe das Erstgericht zu Unrecht die Annahme der strafsatzerhöhenden Qualifikationen nach § 202 Abs 2 erster Fall StGB (in Ansehung von Punkt 1 des Schuldspruches) und nach § 201 Abs 3 erster Fall StGB (in Ansehung von Punkt 2 des Schuldspruches) unterlassen.

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu:

Wörtlich hat das Erstgericht die psychischen Folgewirkungen der Taten wie folgt beschrieben: "Aida H***** leidet psychisch sehr unter diesen Vorfällen und hat sich daher auch in psychotherapeutische Behandlung begeben. Sie ist aufgrund dieser Übergriffe in ihrer gesamtpsychischen Entwicklung stark erschüttert, wobei auch suizidale Absichten nicht auszuschließen sind. Sie leidet an massiven Schuldgefühlen, weil sie einerseits die Beziehung zum Angeklagten erwidert hat, etwa auch durch Austauschen von Geschenken und es daher für sie umso schwerer und schmerzlicher empfunden wird, etwas zu erfahren, was sie entwicklungsmäßig überfordert. Dazu kommt, daß sich die Übergriffe quasi hinter dem Rücken der Mutter ereignet haben, was für das Mädchen sehr schmerzhaft ist und was sie auch in die sehr prekäre psychische Situation hineingedrückt hat. Das Hauptproblem des Mädchens ist aber, mit dem Vertrauensbruch durch den Angeklagten fertig zu werden. Bei Aida H***** sind derzeit daher schwere psychische Schäden vorhanden" (US 6).

Diese Feststellungen beruhen ausschließlich auf dem Gutachten des Fachpsychologen Dr. Rudolf I***** (S 304 ff; US 9). Ein ärztliches Gutachten über den psycho-somatischen Gesundheitszustand der Aida H***** liegt nicht vor.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht die Tatfolgen dahin, daß "die bei Aida H***** festgestellten psychischen Störungen keine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) darstellen" (US 10). Eine Begründung hiefür unterblieb, obgleich die Feststellungen durchaus - wie von der Beschwerdeführerin zutreffend aufgezeigt wird - Anhaltspunkte für eine entgegengesetzte rechtliche Beurteilung bieten.

Rechtliche Beurteilung

Schwerere qualifizierende Tatfolgen können nämlich auch im psychischen Bereich liegen, sofern sie den Gesamtzustand des Tatopfers in einem den §§ 84 Abs 1 und 85 StGB entsprechenden Ausmaß beeinträchtigen (SSt 57/56; vgl auch 11 Os 46/95). Die Urteilsgründe lassen in ihrer Gesamtheit jedoch erkennen, daß das Erstgericht von der irrigen Rechtsansicht ausgeht, auch schwere psychische Schäden, selbst wenn sie mit massiven Schuldgefühlen verbunden sind und zu Selbstmordgedanken Anlaß geben, ließen in keinem Fall eine rechtliche Beurteilung als schwere Körperverletzung im Sinn des § 84 Abs 1 StGB zu. Demzufolge hat es den psychischen Zustand des Opfers nur unscharf umschrieben, jedoch die nach der Aktenlage gebotene Feststellung unterlassen, ob die "schweren psychischen Schäden" des Tatopfers eine Störung von Krankheitswert sind, bejahendenfalls in welchem Umfang sie den Gesamtzustand des Opfers beeinträchtigen. Aufgrund dieser Feststellungsmängel können nach der derzeitigen Aktenlage die psychischen Tatfolgen daher nicht sogleich - wie dies die Staatsanwaltschaft anstrebt - vom Obersten Gerichtshof rechtlich als schwere Körperverletzung im Sinn des § 84 Abs 1 StGB bewertet werden.

Einer Annahme der von der Beschwerdeführerin vermißten Qualifikationen steht zudem derzeit auch noch das gleichfalls durch die irrige Rechtsansicht veranlaßte Fehlen von Feststellungen entgegen, ob der Angeklagte die allenfalls als schwer im Sinne des § 84 StGB zu beurteilende, strafsatzerhöhende Tatfolge wenigstens fahrlässig herbeige- führt hat (§ 7 Abs 2 StGB).

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.