JudikaturJustiz11Os35/98

11Os35/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. April 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.April 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Habl, Dr.Zehetner und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramts- anwärterin Mag.Poech als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dkfm.Leopold H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 9.Oktober 1996, GZ 19 U 872/94 33, und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 3.Februar 1997, AZ 13 c Bl 16/97, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Tiegs, und des Verteidigers Dr.Josef Olischar jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.

Text

Gründe :

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 9.Oktober 1996, GZ 19 U 872/94 33, wurde Dkfm.Leopold H***** des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 2.Juni 1994 als "Besitzer" und Verwalter des Gebäudes Rauscherstraße 10, 1020 Wien, durch Außerachtlassung der Bestimmung des § 106 (zu ergänzen: Abs 11) der Wiener Bauordnung, wonach Stiegenläufe mit mehr als 3 Stufen bei einer Stiegenbreite von 1,20 m und mehr mit Handläufen an beiden Seiten zu versehen sind, wodurch Johann K***** aufgrund des Fehlens der Geländer auf dem Treppenlauf zwischen Tür 13 und Tür 14 zu Sturz kam und aufgrund der Folgen der dabei erlittenen Verletzungen, nämlich eines Bruchs des rechten Oberschenkels im Bereich des Rollhöckermassivs und einer rund 2 cm langen Rißquetschwunde im Hinterhauptsbereich rechts, am 12.September 1994 verstarb, fahrlässig den Tod des Genannten herbeigeführt.

Das Gericht stellte ausdrücklich die zufolge (vorwerfbaren) Irrtums zustandegekommene Unkenntnis des Beschuldigten von der oben angeführten Bestimmung der Wiener Bauordnung fest und warf dem Beschuldigten vor, diejenige Sorgfalt außer acht gelassen zu haben, zu der er nach den Umständen verpflichtet war, weil ein einsichtiger und besonnener Hausverwalter sich die erforderliche Rechtskenntnis hinsichtlich der Bestimmungen der Wiener Bauordnung verschafft und dementsprechend gehandelt hätte.

Der gegen dieses Urteil (auch) wegen Nichtigkeit erhobenen Berufung wurde vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 3.Februar 1997, AZ 13 c Bl 16/97 (= GZ 19 U 872/94 42 des Bezirksgerichtes Floridsdorf) der Erfolg versagt. Das Berufungsgericht traf zusätzlich (in Übereinstimmung mit der Aktenlage, wenn auch ohne förmliche Ergänzung des Beweisverfahrens) die Feststellung, die "Baubewilligung" (richtig: Benützungsbewilligung) sei 1898 "offensichtlich ohne Handlauf" erteilt worden und teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Sein rechtlicher Hinweis in diesem Zusammenhang, daß nach "der Bauordnung vom Jahr 1893 (richtig: 1883) bei Stiegen Anhaltestangen angebracht werden mußten", ist allerdings keine vollständige Wiedergabe der insoweit relevanten Bestimmungen des § 39 dieses Gesetzes (vom 17.Jänner 1883, Landes- Gesetz- und Verordnungsblatt für das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns Nr. 35), ist doch in dieser Gesetzesstelle ein Absehen von der Anbringung der Anhaltestangen (ua) in besonderen Fällen vorgesehen gewesen.

Nach Ansicht des Generalprokurators stehen die erwähnten Urteile mit dem Gesetz nicht im Einklang. In seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde wird diesbezüglich ausgeführt:

"Gemäß § 6 Abs 1 StGB handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er den Umständen nach verpflichtet ist. Es kommt demnach auf jene Sorgfalt an, die in der konkreten Tatsituation zur Vermeidung der Verwirklichung eines Tatbildes erwartet werden kann. Dabei ist auf jenes Sorgfaltsmaß abzustellen, das ein einsichtiger, besonnener rechtstreuer Mensch in der konkreten Situation zum Schutz des gefährdeten Rechtsguts aufgewendet hätte. Ob der Täter diese Sorgfalt aufgewendet hat, ist strikt ex ante nach dem Urteil eines am Standort des Handelnden vorgestellten sachkundigen Beobachters zu prüfen (Burgstaller WK Rz 36 zu § 6).

Da im vorliegenden Fall für den betreffenden Lebensbereich Schutzvorschriften, durch welche die Grenze des erlaubten Risikos gezogen wird, nämlich Bauvorschriften, bestehen, ergibt sich für diesen Bereich der allgemeine Sorgfaltsmaßstab aus jenen Rechtsvorschriften bzw den darauf beruhenden individuellen Verwaltungsakten (Leukauf/Steininger Komm3 § 6 RN 8).

Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht gingen davon aus, daß der nunmehrige Hauseigentümer die nach der geltenden Bauordnung vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen (Anbringen zweier Handläufe) jedenfalls hätte treffen müssen. Der Bestand einer solchen Verpflichtung auch im Falle eines dem Konsens zur Zeit der Gebäudeerrichtung noch entsprechenden Zustandes läßt sich den Wiener Bauvorschriften jedoch nicht entnehmen. Er kann auch nicht interpretativ auf die Regelung des § 129 Abs 2 der Wiener Bauordnung gestützt werden, wonach der jeweilige Eigentümer bzw Miteigentümer dafür Sorge zu tragen hat, daß die Gebäude und baulichen Anlagen in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften der Wiener Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten werden. Besteht doch eine solche Verpflichtung nur in Ansehung der Behebung von Baugebrechen , nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl insbesondere E 2.4. zu § 129 Abs 2 und 4 in Geuder Hauer, Wiener Bauvorschriften3) mithin nur dann, wenn sich der (seinerzeit konsensgemäße) Zustand einer Baulichkeit derart verschlechtert, sohin geändert hat, daß hiedurch öffentliche Interessen berührt werden (etwa im Fall einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit), nicht aber bereits dann, wenn die Baulichkeit den strengeren Anforderungen neuer gesetzlicher Vorschriften nicht genügt (vgl auch Geuder Hauer aaO, 81). Nur wenn Handläufe am gegenständlichen Stiegenlauf konsensmäßig vorgeschrieben oder tatsächlich angebracht gewesen sein sollten, könnte deren Fehlen zum Unfallszeitpunkt ein Baugebrechen darstellen. Feststellungen in dieser Richtung wurden aber nicht getroffen und können nach der Aktenlage auch nicht in einem weiteren Rechtsgang nachgeholt werden."

Demgemäß beantragt die Generalprokuratur zum einen die Feststellung, daß durch die verfahrensgegenständlichen Urteile das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 80 und 6 Abs 1 StGB verletzt sei und zum anderen, Dkfm.H***** von dem wider ihn erhobenen Strafantrag freizusprechen.

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Bei dem zu beurteilenden Verhalten des Angeklagten handelt es sich um ein unechtes Unterlassungsdelikt, das gemäß § 2 StGB nur dann strafbar ist, wenn der Täter es unterlassen hat, einen Erfolg abzuwenden, obwohl er zufolge einer ihn im besonderen treffenden Verpflichtung durch die Rechtsordnung dazu verhalten und die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun gleichzuhalten ist.

Es trifft zu, daß die Bestimmung des § 129 Abs 2 der geltenden Wiener Bauordnung primär auf die Behebung von Baugebrechen abzielt und den Eigentümer verpflichtet, sein Gebäude in gutem und den Vorschriften der Bauordnung entsprechendem Zustand zu erhalten. Da davon auszugehen ist, daß die Benützungsbewilligung aus dem Jahre 1898 dem Bauwerber die Anbringung von Haltestangen im Bereich der verfahrensgegenständlichen Stiegen nicht auferlegt hat, demnach das Haus seinerzeit diesbezüglich konsensgemäß errichtet worden ist und auch in Art III Abs 6 der Wiener Bauordnung des § 106 Abs 11 als rückwirkende Bestimmung nicht genannt ist, kann dem Angeklagten eine Verletzung einer Bestimmung der Wiener Bauordnung nicht angelastet werden.

Ungeachtet dessen ist aber jeder Eigentümer eines Hauses verpflichtet, alle Gänge, Treppen und Teile des Hauses, die zu dessen ordnungsgemäßer Benützung erforderlich sind, in einem für Dritte verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand zu erhalten (EvBl 1974/248). Diese Verkehrssicherungspflicht gilt insbesondere für Vermieter, die durch Abschluß des Mietvertrages (oder dessen Übernahme bei Erwerb des Objektes) das Haus für vom Eigentümer verschiedene Personen öffnen. Sie trifft eine besondere Verpflichtung, für eine gefahrlose Benützung des Hauses Sorge zu tragen. Damit hat der Hauseigentümer, aber auch dessen Verwalter Garantenstellung insbesondere gegenüber den Mietern, und haftet nicht nur für einen von ihm aktiv herbeigeführten Erfolg, sondern auch für die Unterlassung der Erfolgsabwendung.

Der Angeklagte ist sowohl Eigentümer als auch Verwalter des Hauses 1020 Wien, Rauscherstraße 10. Demzufolge hätte er sich laufend vom Zustand der Baulichkeit überzeugen und sich von den geltenden Rechtsvorschriften Kenntnis verschaffen müssen, wie es im gegenständlichen Fall jeder mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnener und einsichtiger Mensch in der Lage des Täters getan hätte, um die Gefahr einer Rechtsgutbeeinträchtigung zu erkennen und hintanzuhalten (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 6 RN 12).

Dabei wäre er auf die entgegen der derzeit geltenden Bauordnung nicht durch einen Handlauf gesicherte Stiege gestoßen und wäre - zumal ihm bekannt war, daß auch ältere Personen im Haus wohnen - bei pflichtgemäßer und ihm zumutbarer Sorgfalt verpflichtet gewesen, die fragliche Stiege mit einem Handlauf zu versehen oder versehen zu lassen, um deren gefahrlose Begehung zu gewährleisten.

Weil er dies nicht getan hat und der Tod des Johann K***** nach den Feststellungen der Untergerichte unter anderem auf das Fehlen der Handläufe zurückzuführen war, hat sich im eingetretenen Erfolg eine jener Gefahren verwirklicht, die durch das in der Verkehrssicherungspflicht enthaltene Gebot der Anbringung von Handläufen hintangehalten werden soll.

Das Erstgericht und auch das Berufungsgericht haben daher das Verhalten des Dkfm.H***** zu Recht als Vergehen der fahrlässigen Tötung beurteilt, sodaß der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes kein Erfolg beschieden sein konnte.