JudikaturJustiz11Os158/03

11Os158/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Februar 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Februar 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Loewe als Schriftführerin, in der Auslieferungssache gegen Attila K*****, AZ 241 Ur 286/03g des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Attila K***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 7. November 2003, AZ 22 Bs 270/03, (= ON 47 des Ur-Aktes) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Attila K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Der ungarische Staatsangehörige Attila K***** wurde am 17. Juli 2003 in Wien aufgrund eines internationalen Haftbefehls, ausgestellt von der Staatsanwaltschaft in Budapest am 17. Juli 2003 zum AZ Nr. 14239/2003/9, festgenommen. Am 18. Juli 2003 wurde über ihn vom Landesgericht für Strafsachen Wien über Antrag der Staatsanwaltschaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StPO iVm § 29 Abs 1 ARHG die Auslieferungshaft verhängt und mehrfach verlängert, zuletzt mit dem angefochtenen Beschluss, mit welchem das Oberlandesgericht Wien einer Haftbeschwerde nicht Folge gab. Die Möglichkeit einer Haftbefreiung gegen Leistung einer Kaution in der Höhe von 44 Mio EUR (§§ 180 Abs 5 Z 7, 190 f StPO) wurde nicht wahrgenommen.

Mit Note vom 23. Juli 2003 stellte das Ministerium der Justiz der Republik Ungarn unter Anschluss des Haftbefehls Nr. 9. B. 570/2003/4 des Hauptstädtischen Gerichtes in Budapest vom 18. Juli 2003 das Ersuchen um Auslieferung des Attila K***** zur Verfolgung der im Haftbefehl näher bezeichneten Straftaten. Darnach wird ihm zu Punkt 1 zur Last gelegt, in seiner Eigenschaft als einer der verantwortlichen Leiter der ungarischen Brokerfirma K***** Bank (Handels- und Kreditbank) der K ***** (Hungary) Aktiengesellschaft über das von ihm betreute Geld der Bankkunden wie über sein eigenes verfügt zu haben, indem er seit ca 2001 Geld- und Bankgeschäfte zu Lasten der Betroffenen jedoch ohne ihr Wissen und Zustimmung abgewickelt hatte, wobei der Wert der begangenen Handlungen derzeit nicht genau bestimmt

werden könne, jedoch mindestens 11,000.000.000 HUF (= ca 41,770.000

EUR) und höchstens 23,207.508.528 HUF (= ca 88,130.000 EUR) betrage.

Attila K***** habe hiedurch eine Unterschlagung in Bezug auf einen besonders erheblichen - nämlich den Betrag von fünfhundert Millionen HUF übersteigenden - Wert nach § 317 Abs 1 und Abs 7 Punkt a sowie § 138/A Punkt a des IV. Gesetzes über das Strafgesetzbuch der Republik Ungarn aus dem Jahre 1978 begangen, welche mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu zehn Jahren bedroht ist. Nach österreichischem Recht begründen die inkriminierten Tathandlungen jedenfalls den Vorwurf eines mit mindestens einem Jahr pönalisierten Verbrechens: In Betracht kommt sowohl (wie vom Oberlandesgericht angenommen) Veruntreuung nach § 133 Abs 2 zweiter Strafsatz StGB wie auch Untreue nach § 153 Abs 2 zweiter Strafsatz StGB mit einer (jeweiligen) Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren.

Unter Punkt 4 wird ihm weiters angelastet, eine Privaturkundenfälschung nach § 276 des ungarischen Strafgesetzbuches dadurch begangen zu haben, dass er zur Begehung der angeführten Straftaten mehrmals falsche oder verfälschte Privaturkunden beziehungsweise Privaturkunden mit unwahrem Inhalt benutzte, womit er jedenfalls auch des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 und Abs 2 StGB verdächtig ist.

Rechtliche Beurteilung

Die im Haftbefehl unter 2 und 3 angeführten Handlungen wurden vom Oberlandesgericht als nicht auslieferungsfähig bezeichnet und sind somit nicht Beschwerdegegenstand.

Nach dem Vorbringen in seiner rechtzeitig erhobenen Grundrechtsbeschwerde sieht sich K***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit insoweit verletzt, als er über die nach Art 16 des EuAlÜbk höchstzulässige Dauer von 40 Tagen hinaus in (vorläufiger) Auslieferungshaft angehalten wird, welche vorliegend deshalb zu beachten sei, weil bis zum 26. August 2003, dem Ende dieser Frist, die für eine Auslieferung erforderlichen Unterlagen nicht beigebracht worden seien, jene aber, welche dem Auslieferungsersuchen vom 23. Juli 2003 angeschlossen waren, weder formell noch inhaltlich den in Art 12 EuAlÜbk normierten Voraussetzungen genügen. Er ist damit nicht im Recht.

Nach dem hier zur Anwendung gelangenden Europäischen Auslieferungsübereinkommen können die zuständigen Behörden des ersuchenden Staates in dringenden Fällen um vorläufige Verhaftung des Verfolgten ersuchen, wobei zugleich anzuführen ist, dass eine der in Art 12 Z 2 lit a erwähnten Urkunden (Urschrift oder beglaubigte Abschrift eines vollstreckbaren verurteilenden Erkenntnisses, eines Haftbefehls oder jeder anderen, nach den Formvorschriften des ersuchenden Staates ausgestellten Urkunde mit gleicher Rechtswirkung) vorhanden ist und die Absicht besteht, ein Auslieferungsbegehren zu stellen (Art 16 Abs 1 und Abs 2 EuAlÜbk). Die vorläufige Haft kann aufgehoben werden, wenn das Auslieferungsersuchen und die in Art 12 erwähnten Urkunden dem ersuchten Staat nicht innerhalb von 18 Tagen nach der Verhaftung vorliegen; sie darf in keinem Fall 40 Tage vom Zeitpunkt der Verhaftung an überschreiten (Art 16 Abs 4 EuAlÜbk). Für den hier zu beurteilenden Sachverhalt hat diese Bestimmung indes, worauf bereits das Oberlandesgericht zutreffend hinwies, keinerlei Bedeutung, weil das Ministerium der Justiz der Republik Ungarn nicht um vorläufige Verhaftung zur Sicherung einer beabsichtigten Auslieferung ersuchte, sondern am 23. Juli 2003 einen formellen Auslieferungsantrag stellte, dem es die nach Art 12 Abs 2 lit a erforderlichen Unterlagen beifügte, nämlich die Urschrift eines Haftbefehls mit einer Darstellung der Handlungen, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, und einer Abschrift der anwendbaren Gesetzesbestimmungen.

Mit seiner Behauptung, dem Auslieferungsersuchen sei lediglich eine (nicht beglaubigte) Kopie des Haftbefehls, nicht aber das Original beigelegen, welches, wie sich aus dem Schreiben des Ministeriums der Justiz der Republik Ungarn vom 31. Oktober 2003 ergebe, erst mit diesem Datum dem (österreichischen) Bundesministerium für Justiz übersandt worden sei, übergeht der Beschwerdeführer die ausdrückliche Bestätigung des Bundesministeriums für Justiz vom 21. Oktober 2003 (GZ 22 Bs 270/03-6 des OLG Wien), wonach die Republik Ungarn mit ihrer am 29. Juli 2003 eingelangten Note vom 23. Juli 2003 urschriftliche Auslieferungsunterlagen vorgelegt hat, sowie, dass das zitierte Schreiben die Antwort auf die Note des Bundesministeriums für Justiz vom 23. Oktober 2003 war, in welchem das ungarische Justizministerium um eine neuerliche Übermittlung des Originals des Haftbefehls und des Gesetzeszeugnisses deshalb ersucht wurde, weil "die Originalunterlagen beim Landesgericht für Strafsachen Wien offensichtlich in Verstoß geraten" seien und nur mehr Kopien vorlägen (GZ 22 Bs 270/03-18 des OLG Wien).

Aber auch der Einwand, das Auslieferungsersuchen und der in Rede stehende Haftbefehl entsprächen mangels Angaben über die vorgeworfenen Handlungen sowie über Zeit und Ort ihrer Begehung auch inhaltlich nicht den Erfordernissen des Art 12 des Übereinkommens, geht fehl. Nach Art 12 Abs 2 lit b EuAlÜbk ist dem Ersuchen eine Darstellung der Handlungen, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, beizufügen und Zeit und Ort ihrer Begehung sowie ihre rechtliche Würdigung unter Bezugnahme auf die anwendbaren Gesetzesbestimmungen so genau wie möglich anzugeben. Damit wird nicht eine erschöpfende Tatbeschreibung nach allen Einzelheiten verlangt, sondern nur die Anführung von Umständen, die die Tat derart bestimmen, dass sie einerseits die Beurteilung ermöglichen, ob sie sowohl nach dem Recht des ersuchenden wie nach dem des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder einer schwereren Strafe bedroht ist (vgl Art 2 Abs 1 EuAlÜbk) und andererseits von jeder anderen unterschieden werden kann und hiedurch eine wiederholte Verfolgung oder Verurteilung wegen derselben Tat ausgeschlossen wird. Diesem auch unter dem Aspekt des Grundsatzes der Spezialität (Art 14 EuAlÜbk) notwendigen Erfordernis der Individualisierung (vgl § 260 Abs 1 Z 1 StPO) wird die im Haftbefehl vorgenommene Tatbeschreibung vollends gerecht. Entgegen der Beschwerdeansicht ist die Begehungszeit durch die Angabe eines Zeitraumes, innerhalb dessen die deliktischen Angriffe erfolgt sein sollen, ausreichend determiniert. Ebensowenig bedarf es fallbezogen näherer Angaben zu den Geschädigten, sofern die Tat in anderer Weise, etwa wie hier durch die Art ihrer unverwechselbaren Ausführung gekennzeichnet wird. Daran ändert auch nichts, dass in dem (über Ersuchen des Oberlandesgerichtes um Bekanntgabe mittlerweiliger Ermittlungsergebnisse nachgereichten) ergänzenden Haftbefehl Nr. 9. B. 570/2003/6 des Hauptstädtischen Gerichtes in Budapest vom 29. Oktober 2003 gegenüber dem Haftbefehl vom 18. Juli 2003 detailliertere Tatangaben enthalten sind, stellen sie doch nur eine Spezialisierung der ursprünglichen, iSd Art 12 Abs 2 lit b des Übereinkommens bereits ausreichend konkretisierten Tatvorwürfe dar. Der Beschwerdeeinwand des Fehlens eines den Voraussetzungen des Art 12 EuAlÜbk entsprechenden Auslieferungsersuchens ist somit widerlegt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch abzuweisen war.