JudikaturJustiz11Os153/03

11Os153/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Nihat K***** und andere wegen des Verbrechens nach § 104 Abs 1 und Abs 3 FrG über die Grundrechtsbeschwerde des Siegfried Sch***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 30. Oktober 2003, AZ 23 Bs 290/03 = GZ 403 Ur 194/03h-53 des Landesgerichtes Korneuburg, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Siegfried Sch***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen den österreichischen Staatsbürger Siegfried Sch***** wird beim Landesgericht Korneuburg eine Voruntersuchung wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs 1 und Abs 3 FrG geführt. Danach ist er dringend verdächtig, seit Juni 2003 gewerbsmäßig im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Nihat K***** und Hüseyin S***** als Mittäter dadurch, dass sie in zumindest 47 Fällen für einreisewillige Fremde (vorwiegend Türken) unter der Vorspiegelung, diese seien Künstler, beim Arbeitsmarktservice in Wien Einzelsicherungsbescheinigungen besorgten, diese in die Türkei vermittelten, wo die Türken dann aufgrund dieser Arbeitsbewilligungen Visa erhielten und nach Österreich einreisen konnten, wobei sie dies für eine Bezahlung zwischen je 1.400 Euro und 5.000 Euro, somit für einen nicht bloß geringen Vermögensvorteil taten, die rechtswidrige Einreise von Fremden nach Österreich gefördert zu haben; Siegfried Sch***** soll pro Person 250 Euro erhalten haben.

Gegen den am 23. September 2003 festgenommenen Beschuldigten Siegfried Sch***** wurde am 26. September 2003 die Untersuchungshaft aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 2, Z 3 lit a und lit b StPO verhängt. Nach Durchführung einer Haftverhandlung beschloss der Untersuchungsrichter am 7. Oktober 2003 die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den oben erwähnten Haftgründen. Das Oberlandesgericht Wien gab der gegen diesen Beschluss des Untersuchungsrichters erhobenen Beschwerde des Beschuldigten nicht Folge und ordnete die weitere Fortsetzung der Haft bis zum 30. Dezember 2003 an.

Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Siegfried Sch*****, in welcher der des Tatsächlichen Geständige die Tatbestandsmäßigkeit nach § 104 Abs 1 und 3 FrG sowie das Vorliegen der Haftgründe der Verabredungsgefahr und der Tatbegehungsgefahr bestreitet und überdies die Unverhältnismäßigkeit der Dauer der bisherigen Untersuchungshaft sowie eine Verletzung des § 194 Abs 1 StPO behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Soweit zu einem Teil der Fremden bereits vorliegender Aufenthalt in Österreich eingewandt wird, fehlt es mangels Relevierung dieses Umstandes im ordentlichen Rechtsmittelverfahren an der Legitimation zur Geltendmachung im Grundrechtsbeschwerdeverfahren. Die "Rechtswidrigkeit" der Einreise eines Fremden, die vom Schlepper gefördert wird, stellt der Beschwerdeführer mit dem Hinweis in Abrede, die durch ihn geförderten Fremden hätten bei der Einreise nach Österreich formell gültige Aufenthaltsvisa besessen, sodass ihre Einreise rechtmäßig gewesen sei.

Dem ist zu erwidern, dass aus § 16 Abs 1 FrG, wonach ein Einreisetitel für ungültig zu erklären ist, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die eine Versagung rechtfertigen würden (§ 10 f FrG), nicht abgeleitet werden kann, die Einreise eines Fremden mit einem Versagungsgründe aufweisenden, aber noch nicht für ungültig erklärten Einreisetitel wäre rechtmäßig. Rechtswidrig im Sinn des § 104 Abs 1 FrG ist vielmehr jede Einreise, die gegen eine (verwaltungsbehördliche) Rechtsvorschrift verstößt. Die solcherart (bewusst weit) normierte Strafbarkeit erfährt ein Korrektiv durch das Abstellen auf die Leistung eines Vermögensvorteils.

Aus dieser deliktsbezogenen weiten Sicht ist die Einreise eines Fremden nur dann rechtmäßig, wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des zweiten Hauptstücks des Fremdengesetzes 1997 und ohne Umgehung der Grenzkontrollen bewirkt wird (§ 31 Abs 1 Z 1 FrG). Eine Einreise ist daher unter anderem dann "rechtswidrig", wenn sie sich auf einen Aufenthaltstitel stützt, der nach Falschbehauptung eines gemeinsamen Familienlebens erteilt wurde, weil ihr eine Verletzung des § 8 Abs 4 FrG zugrunde liegt (14 Os 79/03). Im gleichen Sinn verstoßen die (in den an das Arbeitsmarktservice gerichteten Anträgen auf Ausstellung einer Einzelsicherungsbewilligung aufscheinenden) unrichtigen Behauptungen des Beschwerdeführers, der Fremde werde in seiner Firma "V*****" als Artist etc beschäftigt werden - was zur Ausstellung von Arbeitsbewilligungen (Einzelsicherungsbewilligungen des Arbeitsmarktservices) und auf dieser Grundlage zur Ausstellung von Aufenthaltstiteln als "unselbständig kurzfristig Kunstausübende" nach §§ 12 Abs 2, 90 Abs 4 FrG führte (vgl S 51/II) - gegen § 12 Abs 2 FrG. Darnach ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die eine dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unterliegende Erwerbstätigkeit zulässt, zu versagen. Ausnahmen sind nur für bestimmte Erwerbstätige, darunter für "kurzfristig Kunstausübende" vorgesehen. Ist die Einreise eines Fremden grundsätzlich untersagt (dazu zählt auch das Aufenthaltsvisum = Visum D; § 6 Abs 1 Z 4 FrG), aber durch Falschangaben im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens zur Erlangung des Einreisetitels erschlichen, so ist die mit dem erschlichenen Einreisetitel bewirkte Einreise "rechtswidrig". Die Annahme eines dringenden Tatverdachts nach § 104 Abs 1 (und Abs 3 erster Fall) FrG erfolgte somit zu Recht.

Damit ist aber auch der Beschwerdebehauptung der Unangemessenheit der Dauer der bisherigen Untersuchungshaft der Boden entzogen, wird sie vom Beschuldigten Sch***** doch ausschließlich damit begründet, dass mangels Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens nach § 104 FrG ihm nur mehr das in die bezirksgerichtliche Zuständigkeit fallende Delikt nach § 228 Abs 1 StGB anzulasten ist. Unter Zugrundelegung der Strafdrohung des § 104 Abs 3 FrG (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) ist die vom Beschwerdeführer bis zur Fassung des angefochtenen Beschlusses in Untersuchungshaft verbrachte Zeit von etwas mehr als einem Monat keineswegs unangemessen lang.

Dahin gestellt kann bleiben, ob der Gerichtshof zweiter Instanz den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr zutreffend angenommen hat. Denn das Oberlandesgericht durfte im Hinblick auf die intensive Einbindung des gewerbsmäßig handelnden Beschwerdeführers in ein internationales Schleppernetz ohne Verstoß gegen die Grundsätze der Logik und empirische Erfahrungen mängelfrei davon ausgehen, dass dieser ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens neuerlich einschlägig delinquieren würde und dass die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung als Inhaber einer Künstleragentur dagegen keine ausreichende Sicherung bieten würde, weil eine Mitwirkung an Schlepperaktivitäten doch auch auf andere Weise möglich ist. Zu Unrecht erachtet der Angeklagte die Bestimmung des § 194 Abs 1 StPO deshalb verletzt, weil bei Ablauf der im angefochtenen Beschluss bestimmten Haftfrist (30. Dezember 2003) die für den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 194 Abs 1 StPO festgesetzte Höchstdauer von zwei Monaten bereits überschritten sein wird. Der Beschwerdeführer übersieht nämlich, dass die Haftfrist nur jenen Zeitraum bezeichnet, für den Beschlüsse auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft längstens wirksam sind und vor deren Ablauf eine Haftverhandlung zur Überprüfung der Berechtigung einer weiteren Haft durchzuführen ist (§ 181 Abs 1 StPO; vgl auch Hager/Holzweber GRBG § 2 E 80, 82). Dem Beschwerdeführer konnte aus der Bezeichnung der Haftfrist keinesfalls ein Nachteil erwachsen, weil nach Wegfall des Haftgrunds der Verdunkelungsgefahr infolge Überschreitens der Höchstfrist des § 194 Abs 1 StPO die Haft noch aufgrund eines anderen Haftgrunds (hier: der Tatbegehungsgefahr) aufrecht erhalten werden kann.

Der Beschuldigte Siegfried Sch***** wurde daher in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt. Seine Beschwerde war somit - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators - ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.