JudikaturJustiz11Os147/23m

11Os147/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. De Rijk als Schriftführerin in der Strafsache gegen * T* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 31. August 2023, GZ 25 Hv 69/23w 29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * T* (anklagedifform) der Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 [zu ergänzen: Abs 1 Z 1] StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er „von 2019 bis 2020“ (US 2 f : zu nicht näher bekannten Tatzeitpunkten 2019 und 2020, wobei die Vorfälle spätestens am 30. Dezember 2020 endeten) in S* die am 27. Dezember 2006 geborene (US 2) * S* wiederholt (US 3) durch eine geschlechtliche Handlung an ihr „sexuell belästigt“, indem er jeweils auf deren bereits entwickelte Brust griff und diese drückte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[4] Die Subsumtionsrüge (Z 10) strebt zum Nachteil des Angeklagten eine Unterstellung der Taten ausschließlich unter § 207 Abs 1 StGB sowie (damit idealkonkurrierend) unter § 212 Abs 1 Z 2 StGB an.

[5] Eine Subsumtionsrüge ist allerdings nur dann prozessordnungsgemäß ausgeführt, wenn sie am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt festhält (RIS Justiz RS0099810) und die geforderte rechtliche Konsequenz methodisch vertretbar aus dem Gesetz ableitet (RIS Justiz RS0116569, RS0116565).

[6] Die Staatsanwaltschaft legt jedoch nicht dar, weshalb fallkonkret für den gesamten Tatzeitraum ein Schuldspruch wegen einer unbestimmten Mehrzahl an Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB zu ergehen hätte , obwohl das Tatopfer die Mündigkeit bereits mit Ablauf jenes Tages, an dem es das 14. Lebensjahr vollendet hatte, nämlich des 27. Dezember 2020 (vgl § 68 StGB sowie zur vergleichbaren Frage des Beginns der Strafmündigkeit RIS Justiz RS0103987), erreicht hatte und der Z eitraum, in welchem die sexuellen Übergriffe erfolgten, nach den Feststellungen erst am 30. Dezember 2020 endeten (vgl auch RIS Justiz RS0095119) .

[7] Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass hinsichtlich einer unbestimmten Anzahl gleichartiger, untereinander nicht abgrenzbarer, sondern bloß pauschal individualisierter (zu einer sogenannten gleichartigen Verbrechensmenge zusammengefasster; vgl RIS Justiz RS0119552 und RS0098659; Ratz , WK StPO § 281 Rz 33, 291 f, 576 ff) Taten eine genaue Konkretisierung und Differenzierung der Tatzeit( räume) dann erforderlich ist, wenn dies faktisch oder rechtlich entscheidend ist (vgl RIS Justiz RS0090722, RS0098557 [T10, T11, T14, T16]; zur Anwendung des Zweifelsgrundsatzes in diesem Zusammenhang RS0131758, RS0098693 [T6]).

[8] Indem die Staatsanwaltschaft nicht zwischen rechtlich entscheidenden Zeiträumen differenziert, sondern nach dem klaren Anfechtungsziel unterschiedslos sämtliche Taten § 207 Abs 1 StGB – und damit ideal konkurrierend § 212 Abs 1 Z 2 StGB (vgl 13 Os 91/21p [Rz 79 f]) – unterstellt wissen will, verfehlt sie ihr Ziel. Soweit eine Nichtigkeitsbeschwerde nämlich zum Nachteil des Angeklagten erhoben wurde, muss sich der Oberste Gerichtshof auch bei Mängeln der rechtlichen Beurteilung auf die Überprüfung beschränken, ob der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund in der in der Beschwerde ausgeführten Richtung vorliegt, ohne in anderer Richtung vorliegende Mängel der rechtlichen Beurteilung aufgreifen zu können (RIS Justiz RS0100226, 17 Os 15/16h, Ratz , WK StPO § 281 Rz 586 und § 290 Rz 1 f). Dass (nur) ein Teil der vom Schuldspruch umfassten Taten, nämlich jener von 2019 bis zum Ablauf des 27. Dezember 2020, nach den Urteilskonstatierungen (nicht § 212 Abs 1 Z 2 StGB, aber immerhin) den Tatbestand des § 207 Abs 1 StGB erfüllt, hat somit – zum Vorteil des Angeklagten – auf sich zu beruhen.

[9] Nach den weiteren Urteilsfeststellungen oblag im vom Schuldspruch umfassten Zeitraum der Großmutter mütterlicherseits die Obsorge für * S*. Ab 2016 b is zum 30. Dezember 2020 führte diese Großmutter mit dem Angeklagten eine Beziehung, während welcher Genannter auch zeitweise von einigen Tagen bis über eine Woche in deren Wohnung übernachtete (US 2). Durch die „Lebensgemeinschaft“ (vgl aber RIS Justiz RS0092256, RS0092236) zur Großmutter entwickelte sich ein „ Nahe und Vertrauensverhältnis “ zwischen dem Angeklagten und * S* (US 3). Es kam „daher“ zu einigen Vorfällen, bei welchen der Angeklagte auf die entwickelte Brust des Mädchens griff und diese nicht bloß flüchtig berührte und zum Teil auch drückte.

[10] Auf Basis dieses Urteilssachverhalts (vgl auch US 5 zur rechtlichen Beurteilung) ist für den Obersten Gerichtshof nicht (hinreichend deutlich; vgl RIS Justiz RS0133376; Ratz , WK StPO § 281 Rz 570) zu erkennen, dass der Angeklagte damit (auch) eine Autoritätsstellung (in „Aufsicht und Erziehung“) ausnützte oder ausnützen wollte (so aber ohne Sachverhaltsubstrat US 3).

[11] Einen entsprechenden Feststellungsmangel – worauf schon die Generalprokuratur zutreffend in ihrer Stellungnahme hinweist – macht die Beschwerde (als Feststellungsmangel; vgl RIS Justiz RS0118580, RS0127315) nicht geltend. Weshalb ausgehend von den Urteilsfeststellungen zu einem (bloßen) „Nahe und Vertrauensverhältnis“ zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer der Tatbestand des § 212 Abs 1 Z 2 StGB dennoch erf ü llt sein soll, erklärt sie ebenso wenig.

[12] Bleibt – gleichfalls im Einklang mit der Generalprokuratur – anzumerken, dass die Ausnützung des Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB ein gezieltes, für den Erfolg kausales Täterverhalten im Sinne eines Einsatzes dieser Autorität zur Tatbegehung voraussetzt; die bloße Ausnützung einer sich lediglich im Zusammenhang mit der Stellung des Täters bietenden Gelegenheit reicht nicht, vielmehr bedarf es eines dem Täter wie dem Opfer bewussten schlüssigen Einsatzes des Abhängigkeitsverhältnisses (vgl RIS Justiz RS0095185, RS0095266).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).