JudikaturJustiz11Os141/90

11Os141/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 1991

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1991 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Paulin als Schriftführerin in der Strafsache gegen Thomas B***** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 31.Mai 1990, GZ 20 b Vr 5.751/89-60, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben; der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil werden aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem bekämpften, auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde Thomas B***** des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Schuldspruch erhobenen, auf die Gründe des § 345 Abs. 1 Z 1, 6, 8 und 11 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kann Berechtigung nicht versagt werden, soweit sie eine nicht gehörige Besetzung der Geschwornenbank (Z 1) rügt.

Nach dem Inhalt des Protokolls über die Hauptverhandlung vom 31. Mai 1990, das von der Vorsitzenden und der Schriftführerin unterschrieben (§ 271 Abs. 1 StPO) und für die darin beurkundeten Vorgänge in dieser Form dem Rechtsmittelverfahren zugrunde zu legen ist (Mayerhofer/Rieder, StPO2, E 49 zu § 271), wurden neun - in alphabetischer Reihenfolge angeführte - Geschworne herangezogen, jedoch kein Ersatzgeschworner; die entsprechende Zeile des für die Anführung des Ersatzgeschwornen im hier verwendeten StPO-Form Prot 12 wurde vielmehr mit einem Strich versehen (S 365/II). Nach den Schlußvorträgen wurde der in der alphabetischen Reihenfolge zuletzt angeführte "Geschworne" Heinrich S***** entlassen, ohne daß selbst hiebei kenntlich gemacht worden wäre, daß es sich allenfalls um einen Ersatzgeschwornen gehandelt haben könnte (S 385/II).

Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu dieser - erst in jüngerer Zeit relevierten - Frage muß bereits bei Beginn der Hauptverhandlung klargestellt sein, welche Laienrichter als Hauptgeschworne und welche als Ersatzgeschworne an der Hauptverhandlung teilnehmen; ein Ersatzgeschworner darf nur im Fall einer (später eintretenden) Verhinderung eines Hauptgeschwornen dessen Stelle einnehmen (SSt 54/51 = EvBl 1984/94 = ÖJZ-LSK 1983/183 und seither mehrere weitere nichtveröffentlichte Entscheidungen). Nur bei strikter Beachtung dieses das verfassungsgesetzlich verbürgte Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art 83 Abs. 2 B-VG) wahrenden Prinzips ist das Geschwornengericht gehörig besetzt; bei einer erst später vorgenommenen Trennung in Haupt- und Ersatzgeschworne ist die Geschwornenbank zunächst - weil undifferenziert - zahlenmäßig überbesetzt.

Eben dies war aber vorliegend der Fall, in

dem - ununterschieden - neun Geschworne und kein Ersatzgeschworner amtierten und einer dieser Geschwornen erst nach den Schlußvorträgen der Parteien ausgeschieden wurde.

Sofern diese Ausscheidung nach der alphabetischen Reihenfolge der Familiennamen der Geschwornen vorgenommen worden sein sollte, fände eine solche Vorgangsweise im übrigen im Gesetz keine Deckung. Diese Reihenfolge ist nämlich ausschließlich für die Sitzordnung der Hauptgeschwornen einerseits und jene der Ersatzgeschwornen andererseits von Bedeutung (§ 304 StPO), nicht aber für die - bereits vor Beginn der Hauptverhandlung zu verfügende - Beiziehung von Ersatzgeschwornen (§ 300 Abs. 3 StPO).

Schon wegen der vom Beschwerdeführer zutreffend aufgezeigten Nichtigkeit nach dem § 345 Abs. 1 Z 1 StPO mußten der Wahrspruch und das erstgerichtliche Urteil der Aufhebung verfallen, ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf die weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe einzugehen.

Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte waren mit ihren Berufungen auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.