JudikaturJustiz11Ns42/20w

11Ns42/20w – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. August 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. August 2020 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als Vorsitzende sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Günther P***** wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen in dem zu AZ 33 Hv 81/20i des Landesgerichts Salzburg zwischen diesem und dem Landesgericht St. Pölten geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Landesgericht Salzburg zuständig.

Text

Gründe:

Mit beim Landesgericht Salzburg eingebrachtem Strafantrag vom 29. April 2020 (ON 3 in AZ 33 Hv 81/20i des genannten Gerichts) legte die Staatsanwaltschaft Günther P***** eine als Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG beurteilte Tat zur Last, die dieser im Sprengel jenes Gerichts begangen haben soll. Am 9. Mai 2020 verfügte die Einzelrichterin des Landesgerichts Salzburg die Zustellung des Strafantrags an den Angeklagten (§ 484 zweiter Satz StPO). Als sich dessen Aufenthalt als unbekannt erwies, Letztere somit scheiterte, verfügte die Einzelrichterin am 23. Juni 2020 die Ausschreibung des Angeklagten zur Ermittlung seines Aufenthalts und die Abbrechung des Verfahrens (§ 427 Abs 2 zweiter Satz iVm § 197 Abs 1 StPO; ON 1 S 1 verso f in AZ 33 Hv 81/20i des Landesgerichts Salzburg).

Demselben Angeklagten werden mit beim Landesgericht St. Pölten eingebrachtem Strafantrag vom 7. Juli 2020 (ON 9 in AZ 13 Hv 56/20b des genannten Gerichts) im Sprengel jenes Gerichts gesetzte, als mehrere Vergehen der Nötigung nach (teils § 15 iVm) § 105 Abs 1 StGB und ein Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB beurteilte Verhaltensweisen angelastet. Am 8. Juli 2020 hielt die Einzelrichterin des Landesgerichts St. Pölten in einem Amtsvermerk fest, dass der Strafantrag „im Sinne des § 485 Abs 1 StPO geprüft“ worden sei. Mit „Beschluss“ (richtig: Verfügung) vom selben Tag übermittelte sie die Akten dem Landesgericht Salzburg „zur gemeinsamen Führung mit dem dg. Akt AZ 33 Hv 81/20i gemäß § 37 Abs 1, Abs 3 StPO“ (ON 1 S 9 in AZ 13 Hv 56/20b des Landesgerichts St. Pölten).

Nach Einlangen der betreffenden Akten beim Landesgericht Salzburg verfügte dieses am 13. Juli 2020 „gem. § 37 StPO“ die Verbindung beider Verfahren sowie die „Rückabtretung“ des (verbundenen) Verfahrens an das Landesgericht St. Pölten mit dem Hinweis, dass der bei ihm selbst eingebrachte Strafantrag vom 29. April 2020 „nicht rechtswirksam“ sei (ON 1 [S 3a] in AZ 33 Hv 81/20i des Landesgerichts Salzburg).

Das Landesgericht St. Pölten bezweifelte mit dem Argument, der beim Landesgericht Salzburg eingebrachte Strafantrag sei gar wohl – und zwar zuerst (§ 37 Abs 3 StPO) – rechtswirksam geworden, ebenfalls seine örtliche Zuständigkeit und verfügte gemäß § 38 dritter Satz StPO die Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof (ON 16 in AZ 13 Hv 56/20b des Landesgerichts St. Pölten).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im – hier vorliegenden – Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde.

Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage durch den positiven (die eigene Zuständigkeit bejahenden) Ausgang einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags durch das Gericht ein. Sie zeigt sich dort in einem (Real-)Akt, der als Anordnung der Hauptverhandlung (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO) im Sinn eines – das Hauptverfahren einleitenden (§ 4 Abs 2 StPO) – contrarius actus zur Ablehnung der Entscheidung über den Strafantrag (§ 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO) zu begreifen ist (dazu näher Oshidari , WK-StPO § 37 Rz 7/1 f; RIS-Justiz RS0132157).

Gemäß § 484 zweiter Satz StPO hat der Einzelrichter des Landesgerichts den bei ihm eingebrachten (§ 210 Abs 2 StPO) Strafantrag dem Angeklagten „unverzüglich zuzustellen“ (vgl § 71 Abs 4 erster Satz StPO für das Verfahren über eine Privatanklage und § 451 Abs 1 letzter Halbsatz StPO für das Verfahren vor dem Bezirksgericht). Dieser Gesetzesbefehl gilt unabhängig von einer (idR gleichzeitigen) Vorgangsweise nach § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 oder Z 4 StPO. Geht die betreffende Verfügung – wie hier – nicht (ohnedies) mit der „Ausschreibung“ der Hauptverhandlung (vgl § 221 Abs 1 StPO) einher (vgl RIS Justiz RS0132157 [T2]), ist sie daher nicht eo ipso als deren Anordnung (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO) aufzufassen.

Umgekehrt ist aber die (wirksame) Zustellung des Strafantrags an den Angeklagten – anders als dies dem Landesgericht Salzburg offenbar vorschwebt – nach dem oben Dargelegten keineswegs Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit der Anklage im einzelrichterlichen Verfahren (vgl demgegenüber § 213 Abs 1 bis 5 StPO für das Verfahren vor dem Schöffengericht).

Ein Akt des Landesgerichts Salzburg, der die Bejahung der eigenen Zuständigkeit – unmissverständlich (vgl 13 Ns 44/09p; 14 Ns 56/14t; 12 Ns 85/14t; 15 Ns 3/15g) – erkennen ließ, ist hier die (ohne Letztere infrage zu stellen vorgenommene) Ausschreibung des Angeklagten zur Ermittlung seines Aufenthalts (§ 427 Abs 2 zweiter Satz iVm § 197 Abs 1 StPO) am 23. Juni 2020. Damit hat es (die Rechtswirksamkeit des bei ihm eingebrachten Strafantrags zum Ausdruck gebracht, maW) die Hauptverhandlung angeordnet (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO).

Da der beim Landesgericht St. Pölten eingebrachte Strafantrag später, nämlich (durch aktenmäßig dokumentierte Verneinung von Gründen nach § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO) am 8. Juli 2020, rechtswirksam wurde, hat dies – nach dem oben Gesagten – die Zuständigkeit des Landesgerichts Salzburg zur Führung des (verbundenen) Verfahrens über beide Strafanträge zur Folge.

Hinzugefügt sei, dass die vom Landesgericht Salzburg verfügte Verfahrensverbindung nach § 37 Abs 3 StPO unzulässig gewesen wäre, wenn die Rechtswirksamkeit des bei ihm eingebrachten Strafantrags – wie es rechtsirrig vermeint – noch gar nicht eingetreten wäre (RIS-Justiz RS0123444, RS0123445 [T7]).

Rechtssätze
1
  • RS0132157OGH Rechtssatz

    31. Januar 2024·3 Entscheidungen

    1. Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts oder dem Bezirksgericht – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde. 2. Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Sie findet dort jedoch – anders als im kollegialgerichtlichen Verfahren – keinen beschlussförmigen Ausdruck, sondern zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens. 3. Die Einleitung des Hauptverfahrens (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im einzelrichterlichen Verfahren durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 und § 485 Abs 1 Z 4 StPO). Unter dieser Anordnung wird (keineswegs nur das "Ausschreiben" einer Hauptverhandlung, sondern) jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung) unmissverständlich erkennen lässt. Dies trifft auf jede Entscheidung zu, deren Ergebnis keines nach (im landesgerichtlichen Verfahren:) § 485 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren:) § 450 erster Satz StPO (beschlussförmiger Ausspruch sachlicher Unzuständigkeit), § 451 Abs 2 StPO (beschlussförmige Verfahrenseinstellung) oder § 38 StPO (Wahrnehmung eigener Unzuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) ist, also jeder contrarius actus dazu. 4. Bei der amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags (noch) außer Betracht zu bleiben hat die Anhängigkeit eines im Sinn des § 37 Abs 3 StPO konnexen Hauptverfahrens bei (irgend-)einem Gericht. Vielmehr hat sich die Vorprüfung – isoliert – auf jenes (Haupt-)Verfahren zu beziehen, das durch die Einbringung dieses (einen) Strafantrags begonnen hat.