JudikaturJustiz10Os187/80

10Os187/80 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Mai 1981

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Mai 1981 eeter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Robl als Schriftführer in der Strafsache gegen Marian Eduard A uea wegen des Vergehens der Entziehung eines Minderjährigen aus der Macht des Erziehungsberechtigten nach § 195 Abs 1 StGB und anderer Delikte über die vom Angeklagten Heimo A gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 22. Oktober 1980, GZ 3 Vr 1613/80-48, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Weingartner und des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Heimo A auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ua der am 28. August 1964 geborene, also jugendliche, beschäftigungslose Heimo A der Vergehen der Entziehung eines Minderjährigen aus der Macht des Erziehungsberechtigten nach § 195 Abs 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er in Graz in der Zeit vom 28. April bis 5. Mai 1980 in einverständlichem Zusammenwirken mit seinem Bruder Marian Eduard A die am 25. März 1966 geborene, sohin minderjährige Beatrix B der Macht ihrer erziehungsberechtigten Eltern dadurch entzog, daß er ihr Unterkunft und Verpflegung gab (Punkt I des Urteilssatzes) sowie verschiedene Personen vorsätzlich am Körper (leicht) verletzte (Punkte V 1, 3 a und b), darunter laut Punkt V 1) am 3. Juni 1980 - ebenfalls gemeinsam mit Marian A und noch zwei anderen (abgesondert verfolgten) Burschen - den Rasko C durch Faustschläge in das Gesicht und einen Tritt gegen das Gesäß (mittels deren sie ihm eine Kiefersplitterung am Unterkiefer und eine Steißbeinprellung zufügten).

Lediglich diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte dem Inhalt seiner Ausführungen nach mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. In der Mängelrüge beschwert er sich zunächst zum Faktum I unter Anführung fast aller im § 281 Abs 1 Z 5

StPO ihrer Art nach umschriebenen Begründungsmängel darüber, daß das Urteil bloß ausspreche, die minderjährige Beatrix B habe am 28. April 1980, als sie von ihm von der Schule abgeholt worden war, nur 'an und für sich schon beschlossen gehabt', von zu Hause 'abzureißen', anstatt auf Grund der Zeugenaussage der Genannten festzustellen, daß sie an diesem Tag bereits mit dem Vorsatz von daheim weggegangen sei, nicht nach Hause zurückzukehren und sohin zum Zeitpunkt seines Eingreifens bereits 'abgerissen' war. Die gerügte Konstatierung deckt sich vollkommen mit der - in der Hauptverhandlung ausdrücklich aufrechterhaltene - Aussage der Zeugin vor dem Untersuchungsrichter (vgl S 194 und 297). Nicht nur sie, sondern auch jene spätere Formulierung der Zeugin, welche der Beschwerdeführer an deren Stelle zur Sachverhaltsfeststellung erhoben wissen will, rechtfertigt bei Bedachtnahme auf das gesamte relevante Geschehen die weitere Urteilsannahme, die Minderjährige - die selbst nicht nach Hause wollte - sei in ihrem Entschluß vom Beschwerdeführer wirksam bestärkt worden, und damit die im Urteil eindeutig zum Ausdruck gelangende, vom Schöffengericht in Übereinstimmung mit den von ihm bezogenen Ergebnissen des Beweisverfahrens gewonnene Überzeugung, daß das (bereits) unabhängig von der Einwirkung des Beschwerdeführers und dessen Bruder entstandene innere Vorhaben der Minderjährigen, nicht ins Elternhaus zurückzukehren, erst und nur durch deren Angebot, zu ihnen zu kommen, konkrete Gestalt erlangte und tatsächlich realisiert werden konnte, weil sie ihr die Durchführung dieses Vorhabens ermöglichten, indem sie ihr Quartier und Verpflegung zur Verfügung stellten. Hinzu kommt, daß die deliktische Tätigkeit des Beschwerdeführers schon zum Zeitpunkt einsetzte, in dem Beatrix B die mit Willen ihrer Eltern besuchte Schule verließ und ein dem Willen der Eltern widersprechendes Verhalten frühestens vorlag, als sie nicht den Heimweg antrat, sondern sich, (anstatt dessen) sich in Begleitung des Beschwerdeführers an einen den Eltern unbekannten Ort begab. Deshalb kann in Wahrheit außerdem überhaupt keine Rede davon sein, daß sie anläßlich des Eingreifens des Beschwerdeführers bereits von zu Hause 'abgerissen gewesen' sei und sich (dadurch) schon der elterlichen Erziehungsgewalt entzogen gehabt hätte. Inwieweit die grundsätzlich nicht rückkehrwillige minderjährige B in ihrem betreffenden Entschluß vom Beschwerdeführer in der weiteren Folge noch bestärkt wurde, ist bei der dargetanen Sachlage nicht entscheidungswesentlich, die Urteilsfeststellung, wonach dies geschah, zudem aber durch die Aussage der Zeugin (S 298) gedeckt. Ebenso wie die Mängelrüge schlägt auch die Rechtsrüge gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO nicht durch. Letztere zielt auf eine Beurteilung der Handlungsweise des Beschwerdeführers als - nicht tatbestandsmäßige - Unterstandsgewährung an eine - unabhängig von einer Einflußnahme seinerseits - nicht mehr rückkehrwillige mj. Person ab, welche das Schutzverhältnis der Erziehungsberechtigten aus eigenem (schon zur Gänze) durch Entweichen aufgehoben hatte, sodaß er die Minderjährige bloß davor bewahrt habe, sich nachts auf der Straße herumtreiben zu müssen; sein Verhalten habe (solcherart) in keiner Weise zur Schaffung oder (und) Aufrechterhaltung des durch B selbst herbeigeführten rechtswidrigen Zustandes beigetragen und sei nicht Ursache für die Unmöglichkeit der Ausübung der Muntgewalt durch die Erziehungsberechtigten gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der angerufene materielle Nichtigkeitsgrund gelangt damit überwiegend nicht zur gesetzmäßigen Darstellung, weil dem zur Dartuung des angeblich unterlaufenen Rechtsirrtums angestellten Vergleich des Tätervorgehens mit dem darauf angewendeten Strafgesetz im konkreten Fall, wie schon das bisher Gesagte eindeutig beweist, vornehmlich nicht der urteilsmäßig als erwiesen angenommene, sondern ein willkürlich behaupteter (konstruierter) Sachverhalt zugrundegelegt wird. Als gesetzmäßig kann die Rechtsrüge höchstens insofern angesehen werden, als sie die Rechtsansicht vertritt, der fehlende Wille der Minderjährigen zur Rückkehr in die Macht der Erziehungsberechtigten stehe der Tatbildlichkeit der Unterstützung ihres Fernbleibens grundsätzlich entgegen. Das trifft jedoch nicht zu. Schon das Bestärken der Minderjährigen in ihrem bezüglichen Vorhaben genügt und es ist die Zurechnung eines solchen Bestärkens als tatbestandsmäßiger Entziehungsakt nur dort ausgeschlossen, wo im Zeitpunkt des Handelns des Täters die Muntgewalt faktisch wirklich beendet war, nicht aber, wie etwa vorliegend, bereits bei dem bloßen Vorhaben der minderjährigen Person, nach dem Schulbesuch nicht zu ihren Eltern zurückzukehren.

Daß letztlich nach Erstattung der Abgängigkeitsanzeige durch die Eltern der Minderjährigen auch der Beschwerdeführer auf diese einwirkte, heimzukehren, hat das Erstgericht - entgegen dem Beschwerdevorbringen - ohnedies angenommen (vgl S 322); rechtliche Bedeutung kommt diesem Umstand allerdings angesichts dessen nicht zu, daß § 195 StGB keinen dauernden Entzug des Minderjährigen aus der Machtsphäre des familienrechtlichen Schutzbereichs verlangt. Den Schuldspruch zu V) 1) bekämpft der Beschwerdeführer lediglich mit einer Mängelrüge nach § 281 Abs 1 Z 5

StPO unter ähnlichen Aspekten wie jenen lt. Pkt. I. Der Sache nach hat er (am ehesten) eine Aktenwidrigkeit im Auge, wenn er dem Ausspruch des Urteils, C habe (nachdem er zunächst seine den Beschwerdeführer belastenden Angaben aus dem Vorverfahren - offenbar zufolge einer Absprache - nicht mehr aufrecht erhalten hatte, erst) über eindringlichen Vorhalt (wieder) 'zugegeben, von (Heimo) A den Faustschlag ins Gesicht erhalten zu haben', entgegenhält, die tatsächliche Aussage des Zeugen decke sich damit nicht; vom Zeugen sei lediglich deponiert worden, 'er habe angenommen, daß Heimo A ihm den Faustschlag versetzt habe, da nur er ihm gegenüberstand; da er niemand anderen gesehen habe als Heimo A, sei er der Annahme, daß Heimo A ihm den Faustschlag versetzt habe'.

Die auf diese Weise gerügte Passage des Urteils beinhaltet jedoch weder eine Wiedergabe der Bekundungen des Zeugen Rasko C noch eine (durch diese nicht begründete und darum mangelhafte) Feststellung (über einen rechtlich bedeutungsvollen Tatumstand), sondern nur eine im Rahmen der freien Beweiswürdigung - für den Beschwerdeführer unanfechtbar - vorgenommene Wertung. Denn es soll sachlich damit ersichtlich bloß zum Ausdruck gebracht werden, daß der Zeuge die in der Hauptverhandlung ursprünglich gemachten, den Angeklagten entlastenden Depositionen letztlich doch nicht aufrechterhalten habe und dies für die Richtigkeit seiner Angaben aus dem Vorverfahren spreche, die das Gericht (sohin) als erhöht glaubwürdig ansehen und dem Schuldspruch primär zugrundelegen konnte.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten gemäß §§ 28, 195 Abs 1 StGB, § 11 JGG zu drei Monaten Freiheitsstrafe. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die 'mehrfache Qualifikation', das im Urteil einleitend in dem der Person des Heimo A gewidmeten Abschnitt (B = S 314-319) ausführlich geschilderten (durch eine asoziale Einstellung sowie ua auch durch eine Verurteilung wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat gekennzeichnetes) Vorleben, den dabei noch zusätzlich besonders hervorgehobenen Umstand, daß 'weder die angeordnete Fürsorgeerziehung noch die Bewährungshilfe auch nur irgendwie einen Einfluß' hatten und 'die Tatsache, daß es sich ..... bei dem Angeklagten A Heimo .... um eine Person handle, die kriminell bereits so weit abgeglitten sei, daß sie Straßenpassanten grundlos körperlich mißhandle ...';

als mildernd nahm es hingegen die vernachlässigte Erziehung sowie ein Teilgeständnis und den sonst noch durch seine Angaben geleisteten Beitrag zur Aufklärung einer (ihm nicht angelasteten) Straftat an.

Die Berufung, mit welcher der Angeklagte eine Herabsetzung der Strafe und bedingten Strafnachsicht anstrebt, ist nicht berechtigt. Wiewohl von einer 'mehrfachen Qualifikation' der Straftaten oder auch nur einer davon keine Rede sein kann, ferner ein erschwerendes Moment in mehrere aufgespalten wird und schließlich die Erfolglosigkeit behördlicher Maßnahmen wie Fürsorgeerziehung und Bewährungshilfe entgegen der Ansicht des Erstgerichtes keinen Erschwerungsumstand begründet, ist die über Heimo A verhängte Strafe nach Lage des Falles nicht überhöht.

Bedingte Strafnachsicht wurde diesem Angeklagten schon einmal gewährt, doch ist er innerhalb der Probezeit - auch einschlägig - rückfällig geworden; unter diesen Umständen fehlt es an Gründen, welche die Annahme rechtfertigen, die bloße Androhung der Strafe werde genügen, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Es war daher (insgesamt) spruchgemäß zu entscheiden.