JudikaturJustiz10ObS74/16d

10ObS74/16d – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Juli 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Janezic Schmidt Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert- Stifter Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung einer Berufskrankheit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 29. März 2016, GZ 9 Rs 26/16h 18, womit das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 11. Jänner 2016, GZ 1 Cgs 67/15x 14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Hubschrauberpilot. Er war vom 29. 9. 2011 bis 5. 10. 2011 zu einem siebentägigen Dienst eingeteilt und versah an diesen Tagen von 6:00 Uhr bis ca 21:30 Uhr Dienst. Am 5. 10. 2011 bemerkte er beim Wechseln der Dienstkleidung unter seiner linken Achsel eine Zecke, die entfernt wurde. Erst im Jahr 2012 traten extreme Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Sehprobleme, Lichtempfindlichkeit und Gelenkschmerzen auf. Dazu kamen Gleichgewichtsstörungen. Klinisch gesehen erlitt der Kläger eine Borrelieninfektion.

Der Dienst des Klägers als Pilot eines Rettungshubschraubers des C***** umfasst durchschnittlich 50 Einsätze im Monat. Er macht dabei immer wieder Außenlandungen auf einem geeigneten Platz, meistens einer Wiese. Er steigt dann aus, da er kontrollieren muss, ob die Landung geglückt ist, um die Sicherheit des Abflugvorgangs zu gewährleisten. Nach Beendigung dieser Tätigkeit hilft er dem Notarzt und dem Sanitäter beim Bergen der Patienten. Dazu muss er in das Gelände, wo sich der Unfall ereignet hat. Das dauert durchschnittlich 40 min pro Einsatz.

Der Kläger wie auch die anderen Hubschrauberpiloten im Flugrettungsdienst halten sich daher sehr viel im Grünen auf. Hier besteht die Gefahr eines Zeckenbisses. Der Kläger trägt eine Uniform (Einsatzhose, Polo, Pullover, Softshelljacke oder Regenjacke) und hohe Sicherheitsstiefel.

Mit Bescheid vom 25. 3. 2015 sprach die Beklagte aus, die Erkrankung des Klägers werde nicht als Berufskrankheit anerkannt und es bestehe kein Anspruch auf eine Leistung aus der Unfallversicherung.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren, bei der Krankheit des Klägers (Borreliose) handle es sich um eine Berufskrankheit im Sinn des § 177 Abs 1 ASVG, ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich führte es aus, die Borrelioseerkrankung des Klägers sei keine Berufskrankheit im Sinn der lfd Nr 46 der Anlage 1 der Liste der Berufskrankheiten zu § 177 ASVG, halte sich doch der Kläger monatlich im Schnitt bloß 33 Stunden im Freien auf.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass es das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die beim Kläger bestehende Borreliose Folge einer Berufskrankheit im Sinn des § 177 Abs 1 ASVG sei, abwies. Grundsätzlich seien all jene Berufsgruppen, die ihre Arbeit ausschließlich oder fast ausschließlich im Freien verrichteten, Zecken( stichen) mit bestimmten Erregern besonders ausgesetzt, zB Wald und Forstarbeiter, Jäger, Landwirte und übriges landwirtschaftliches Personal, Militärpersonal, Naturforscher. Der Kläger übe seine Arbeit nicht ausschließlich oder fast ausschließlich im Freiland aus. Daher zähle er nicht zu der bei der lfd Nr 46 der Anlage 1 zum ASVG angeführten Berufsgruppe. Vielmehr verbringe er nicht einmal 20 % der Normalarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten im Freien.

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung der lfd Nr 46 der Anlage 1 zum ASVG fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei beantwortete Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Kläger vertritt die Auffassung, im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Pilot eines Rettungshubschraubers unterliege er einer „ähnlichen Gefährdung“ wie Beschäftigte in der Land und Forstwirtschaft. Bei den Einsätzen komme es naturgemäß immer wieder auch zur Bergung und Versorgung von land und forstwirtschaftlichem Personal, etwa nach Arbeitsunfällen. Die Piloten und die übrigen Besatzungsmitglieder des Hubschraubers seien dabei derselben Gefährdung für einen Zeckenstich ausgesetzt, wie es das land und forstwirtschaftliche Personal im Rahmen der jeweiligen beruflichen Tätigkeit sei, bewegten sie sich doch bei den Einsätzen in deren Arbeitsumfeld. Das Berufungsgericht verkenne, dass auch Beschäftigte in der Land und Forstwirtschaft nicht während ihrer gesamten Beschäftigungsdauer entsprechend exponiert seien, sondern bestenfalls die Hälfte ihrer Arbeitszeit (die andere Hälfte entfalle auf Tätigkeiten wie zB Traktorfahren, Bürotätigkeit usw). Letztlich komme man daher in einer Monatsbetrachtung auf eine kalkulatorische Expositionsdauer des Revisionswerbers von 33 Stunden, Mitarbeiter in der Land und Forstwirtschaft hätten eine Expositionsdauer von 82,78 Stunden vorzuweisen (38,5 Stunden x 4,33 Wochen x 0,5). Es resultiere daher ein Verhältnis von knapp weniger als 1:2. Die Intensität der Gefährdung sei aufgrund des gleichen Arbeitsbereichs dabei identisch. Der Revisionswerber unterliege im Rahmen einer Gesamtbetrachtung von Frequenz, Dauer und Intensität der Exposition einer „ähnlichen Gefährdung“. Das Berufungsgericht verkenne, dass die Einschränkung auf Berufsgruppen, die ihrerseits ihre Arbeit ausschließlich oder fast ausschließlich im Freien verrichteten, keine Deckung im Gesetzeswortlaut finde, sei doch dort von ähnlicher Gefährdung gegenüber einer Berufsgruppe die Rede, die ihrerseits ihre Arbeit nicht ausschließlich oder fast ausschließlich im Freien verrichte. So fielen zB offenbar Verwaltungsmitarbeiter land und forstwirtschaftlicher Unternehmen aufgrund der Branchenzugehörigkeit des Dienstgebers unter diese Bestimmung, die ihre gesamte berufliche Tätigkeit nur im Büro verrichteten.

Hiezu wurde erwogen:

Als Berufskrankheiten gelten die in der Anlage 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind (§ 177 Abs 1 Satz 1 ASVG).

Gemäß lfd Nr 46 dieser Liste der Berufskrankheiten (Anhang 1 zum ASVG) sind Berufskrankheiten durch Zeckenbiss übertragbare Krankheiten (zB Frühsommermeningoencephalitis [FSME] oder Borreliose) beschränkt auf (Spalte 3) „Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft sowie auf Tätigkeiten in Unternehmen, bei denen eine ähnliche Gefährdung besteht“.

Zu dieser durch die 50. ASVG Novelle, BGBl 1996/411, eingefügten Berufskrankheit führen die ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 38 f aus:

„Sowohl die Frühsommermeningoenzephalitis (FSME) als auch die Borreliose (lyme-disease) werden durch Zeckenbisse übertragen, wobei solche Übertragungen im Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit nicht nur im Bereich der Land und Forstwirtschaft, sondern praktisch in allen Bereichen denkbar sind, in denen aufgrund einer die Versicherung begründenden Beschäftigung zeckengefährdete Gebiete aufgesucht werden müssen. Diese Erkrankungen könnten zwar grundsätzlich auch als Folge eines Arbeitsunfalls (Unfall = Zeckenbiss) gewertet werden. Da es sich dabei letztlich um Infektionskrankheiten handelt, ist die Aufnahme in die Liste der Berufskrankheiten schon deshalb wünschenswert, weil ... . Es sollte dies zweckmäßigerweise durch Schaffung einer neuen Position in der Berufskrankheitenliste geschehen, da eine an sich mögliche Subsumierung unter die Berufskrankheiten Nr 38 oder 39 schon wegen des bei diesen Berufskrankheiten eingeschränkten Unternehmensbegriffs kaum zielführend wäre.“

Durch die Einführung der Berufskrankheiten sollten Gesundheitsschädigungen als Folge einer Erwerbstätigkeit geschützt werden. Um die Unfallversicherung nicht mit den Unsicherheiten der medizinischen Ätiologie zu belasten, hat sich der Gesetzgeber vorbehalten, im einzelnen festzulegen, welche Krankheiten unter welchen Voraussetzungen als Berufskrankheiten gelten und hiezu eine taxative Liste erstellt. Da eine Gesundheitsstörung verschiedene Ursachen haben kann, anerkannte der Gesetzgeber häufig eine bestimmte Gesundheitsstörung nicht schon als solche als Berufskrankheit, sondern nur dann, wenn sie bestimmte Ursachen hat und in einer bestimmten Umgebung aufgetreten ist. So stellt er zB im Fall der Infektionskrankheiten (Nr 38 der Anlage 1 zum ASVG) wegen der bei solchen Krankheiten besonderen Schwierigkeit des Nachweises der Kausalität mit der beruflichen Tätigkeit auf besondere Unternehmen ab (wie zB Krankenhäuser, Apotheken, Schulen, Kindergärten, Justizanstalten und „Unternehmen, in denen eine vergleichbare Gefährdung besteht“), weil die dort beschäftigten Personen nach durchschnittlicher Betrachtung und im Regelfall in einem ganz besonderen Ausmaß der Gefahr von Ansteckungen ausgesetzt sind (10 ObS 159/88, SSV-NF 2/88; 10 ObS 175/88). Da im Regelfall Zollwachebeamte und Sicherheitswachebeamte überwiegend mit gesunden Personen zu tun haben und der Kontakt mit allenfalls Infizierten sich jedenfalls auf eine kurz eingegrenzte Zeit beschränkt, konnte die Hepatitis B eines Zollwachebeamten und die Tuberkulose eines Sicherheitswachebeamten nicht als Berufskrankheit anerkannt werden. Denn dem Risiko, mit allenfalls Infizierten kurz in Kontakt zu kommen, sind alle Erwerbstätigen ausgesetzt, die in intensivem ständigem Kontakt mit Menschen stehen (10 ObS 159/88, SSV-NF 2/88; 10 ObS 175/88).

Durch das Abstellen in der Spalte 3 der lfd Nr 46 der Liste der Berufskrankheiten auf „Unternehmen der Land und Forstwirtschaft“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass in der Land und Forstwirtschaft tätige Personen eine Gruppe bilden, bei der die Ausübung der Berufstätigkeit im Freiland (wo Zecken leben) mit einer – gegenüber einem Infektionsrisiko im privaten Bereich – besonders erhöhten Gefahr, von einer Zecke gebissen zu werden, verbunden ist. Ein gegenüber dem Risiko, sich im privaten Bereich (zB bei einem Ausflug ins Grüne, Spaziergängen mit dem Hund, Sport, Picknicken) eine FMSE oder eine Borrelieninfektion zuzuziehen, signifikant höheres Risiko, im Rahmen der Berufsausübung mit Zecken in Kontakt zu kommen, besteht bei einer Tätigkeit besonderen zeitlichen Ausmaßes im Freiland.

Zu einer aufgrund der Berufstätigkeit vergleichbaren Risikogruppe zählt der Kläger nach der zu billigenden Auffassung des Berufungsgerichts nicht. Er ist bei seiner Berufstätigkeit selbst nach eigener Berechnung zeitlich in einem bedeutend geringeren Ausmaß einem Infektionsrisiko ausgesetzt als in der Land- und Forstwirtschaft im Freiland tätige Personen.

Der Revision des Klägers musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.