JudikaturJustiz10ObS48/07t

10ObS48/07t – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Dr. Gabriele Griehsel (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dipl. Dolmetsch Dr. Brigitta L*****, Pensionistin, *****, vertreten durch DDr. René Laurer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 94-96, 1051 Wien, wegen Witwenpension, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2006, GZ 10 Rs 161/06d-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 28. Juni 2006, GZ 14 Cgs 31/06k-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 14. 12. 2005 hat die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft die Höhe der Witwenpension der Klägerin ab 24. 8. 2005 mit monatlich EUR 110,58 festgestellt.

Das Erstgericht wiederholte den Inhalt des Bescheides vom 14. 12. 2005 und wies das (sinngemäß) auf Gewährung einer höheren Pensionsleistung gerichtete Begehren im Hinblick auf die richtige Berechnung der Pensionshöhe durch die beklagte Partei ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die Revision im Hinblick auf die Judikatur zu der mit § 145 Abs 3 und 4 GSVG vergleichbaren Regelung des § 264 Abs 3 und 4 ASVG idF des 2. SVÄG 2004 nicht zulässig sei. Ein Abstellen auf die letzten zwei Kalenderjahre vor dem Todeszeitpunkt sei werde auch in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes als verfassungskonform angesehen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, da es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage fehlt, wie der Begriff „Kalenderjahr" in § 145 Abs 3 und 4 GSVG auszulegen ist; sie ist jedoch nicht berechtigt. Ihrer Revision legt die Klägerin zugrunde, dass bisher keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 145 Abs 3 und 4 GSVG vorliege. Der Ausdruck „Kalenderjahr" in § 145 Abs 3 und 4 GSVG sei jedenfalls als „Jahr" zu verstehen, sodass der zweijährige Vergleichszeitraum im hier zu beurteilenden Fall von 24. 8. 2003 bis 24. (23.?) 8. 2005 laufe. Andernfalls würden völlig unsachliche Ergebnisse erzielt, die nicht mit der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes konform gingen, wonach es Ziel des § 264 Abs 2 - 5 ASVG sei, eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahe kommende Versorgung des überlebenden Ehegatten zu sichern. Gerade im vorliegenden Fall ergebe sich bei Einbeziehung der im Jahr 2005 liegenden Monate eine Witwenpension in Höhe von 43,9 % der Pension des Verstorbenen, während der Witwenpensionsanspruch bei Abstellen auf den Zeitraum von 1. 1. 2003 bis 31. 12. 2004 lediglich 0,936 % der Pension des Verstorbenen betrage. Würde nicht auf einen zweijährigen, vom Todestag aus gerechneten Zeitraum abgestellt, liege der Widerspruch zu Art 7 B-VG auf der Hand, weil dann eben nicht eine dem zuletzt erworbenen Lebensstandard nahe kommende Versorgung gesichert werde. Die Ungleichbehandlung sei umso gravierender, weil das Ereignis des Todes, das zufällig am Beginn oder am Ende eines Kalenderjahres eintrete, zu einer vollkommen unterschiedlichen Bildung der Bemessungsgrundlagen führen müsse (einmal kürzer, einmal länger vom tatsächlichen Todeszeitpunkt entfernt).

Richtig ist, dass die vom Berufungsgericht zitierte Judikatur zur Höhe der Witwenpension (10 ObS 132/05t = ARD 5743/6/2007 uva; RIS-Justiz RS0121071) zu § 264 Abs 3 und 4 ASVG idF des 2. SVÄG 2004 ergangen ist. Die hier anzuwendende Regelung des § 145 Abs 3 und 4 GSVG ist aber mit dem 2. SVÄG 2004, BGBl I 2004/78, wortgleich mit der korrespondierenden Regelung des ASVG in das GSVG eingefügt worden. Auch nach den Gesetzesmaterialien (469 BlgNR 22. GP 2) sollten parallele Bestimmungen in das ASVG, das GSVG und das BSVG aufgenommen werden.

Betreffend das Abstellen auf „Kalenderjahre" ist der Gesetzeswortlaut eindeutig. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet „Jahr" allgemein einen Zeitraum von zwölf Monaten, während sich „Kalenderjahr" auf ein Jahr von 1. Jänner bis 31. Dezember bezieht (anstatt vieler Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache2 [1994] 1748 f, 1781).

Auch aus den schon zitierten Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber bewusst den Begriff der Kalenderjahre gewählt hat („Durch die Heranziehung des Einkommens der letzten zwei Kalenderjahre vor dem Todeszeitpunkt soll – in Entsprechung der Judikatur des VfGH – die Versorgungslage zum Todeszeitpunkt besser wiedergegeben werden als dies nach bisherigem Recht, nämlich bei Abstellen auf die Bemessungsgrundlage, der Fall war. Insbesondere wird durch die Berücksichtigung auch des dem Todeszeitpunkt zweitvorangegangenen Kalenderjahres dem Umstand Rechnung getragen, dass im letzten Kalenderjahr vor dem Todeszeitpunkt das Einkommen des/der Verstorbenen vielfach durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit sinkt, sodass das alleinige Abstellen auf dieses letzte Kalenderjahr eine gewisse Verzerrung des Lebensstandards mit sich brächte."). Erst recht müsste daher die Einbeziehung auch gewisser Zeiträume im Kalenderjahr des Todes zu solchen - vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten - Verzerrungen führen, die sich im Fall der Klägerin zu ihren Gunsten auswirken, aber auch den genau gegenteiligen Effekt haben können - nach den gesetzgeberischen Vorstellungen sollte dieser zweite Fall sogar häufiger eintreten. Der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis G 300/02 (VfSlg 16.923) genannte „Lebensstandard" hängt nicht zwingend mit dem Familieneinkommen in den letzten zwei Jahren vor dem Tod eines Ehepartners zusammen, sondern kann im Rahmen des gestzgeberischen Spielraums durchaus auch durch das Einkommen in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod determiniert werden.

Den Sozialversicherungsgesetzen ist die Unterscheidung zwischen „Jahr" (zB §§ 134, 136 GSVG) und „Kalenderjahr" (zB §§ 141, 143 GSVG) auch nicht fremd, wie auch die hier anzuwendende Bestimmung des § 145 GSVG augenscheinlich zeigt, in dem einerseits in den Abs 3 und 4 auf „Kalenderjahre" abgestellt wird, in Abs 5a und 9 auf „Jahre". Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Unterscheidung ist auch nachvollziehbar, wird doch dann, wenn es auf Einkünfte (zB § 122 Abs 1 Satz 1 GSVG) oder deren Vergleich ankommt, naheliegender Weise (wegen der leichteren Administrierbarkeit) auf „Kalenderjahre" abgestellt, und dann, wenn der Ablauf von Fristen gefordert wird, auf „Jahre". Dass mit einem Abstellen auf die letzten beiden Kalenderjahre (statt Jahre) in § 145 Abs 3 und 4 GSVG der gesetzgeberische Spielraum in unvertretbarer Weise überschritten worden wäre ist somit nicht erkennbar. Der Oberste Gerichtshof sieht daher keinen Anlass für einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof. Damit muss die Revision der Klägerin erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.