JudikaturJustiz10ObS21/02i

10ObS21/02i – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Johannes Zahrl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rade J*****, Bundesrepublik Jugoslawien, vertreten durch Mag. Peter Zivic, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, über Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. September 2001, GZ 9 Rs 292/01d-12, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 8. Mai 2001, GZ 12 Cgs 48/01p-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10. 4. 1939 geborene und in der Bundesrepublik Jugoslawien wohnhafte Kläger hat in der Zeit von 1971 bis 1979 in Österreich insgesamt 103 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben. In der Zeit von 1. 7. 1980 bis 31. 7. 2000 scheinen in der Bundesrepublik Jugoslawien 120 Monate und 22 Tage der Versicherung auf. Mit Bescheid vom 15. 2. 2001 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 2. 8. 2000 auf Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer mangels Erfüllung der Wartezeit ab.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer gerichtete Klagebegehren ab. Da zwischen der Republik Österreich und Jugoslawien ein vertragsloser Zustand bestehe, könnten jugoslawische Versicherungszeiten nicht herangezogen werden, weshalb der Kläger die Wartezeit nicht erfülle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass das zwischen der Republik Österreich und den jugoslawischen Nachfolgestaaten vorerst weiter angewendete Abkommen über soziale Sicherheit vom 19. November 1965 (BGBl 1966/289) in der Fassung des Zusatzabkommens vom 19. März 1979 (BGBl 1980/81) und des zweiten Zusatzabkommens vom 11. Mai 1988 (BGBl 1989/269) von der Republik Österreich gemäß seinem Art 48 zum 30. September 1996 gekündigt worden sei. Dies habe zur Folge gehabt, dass im Verhältnis zur Bundesrepublik Jugoslawien seit 1. Oktober 1996 im Bereich der sozialen Sicherheit keine bilateralen Beziehungen mehr bestünden. Ein neues Abkommen über Soziale Sicherheit mit der Bundesrepublik Jugoslawien sei bisher nicht ratifiziert worden. Die Frage, ob und in welcher Fassung ein Sozialversicherungsabkommen auf einen konkreten Fall Anwendung zu finden habe, sei ausgehend von der Rechtslage am Stichtag zu prüfen. Da der für einen Leistungsanspruch des Klägers in Betracht kommende Stichtag 1. 9. 2000 bereits nach dem Außerkrafttreten des AbkSozSi-Jugoslawien liege, könne sich der Kläger zur Erfüllung der Wartezeit nicht mit Erfolg auf die Bestimmungen des Abkommens berufen. Die vom Kläger angestrebte Zusammenrechnung der von ihm in Österreich erworbenen Versicherungszeiten mit jenen in Jugoslawien scheitere am (Nicht )Bestehen einer entsprechenden positiv-rechtlichen Regelung im Verhältnis zur Bundesrepublik Jugoslawien. Die Zusammenrechnung der beiderseitigen Versicherungszeiten zur Erfüllung der Wartezeit für den Erwerb eines Leistungsanspruchs komme daher derzeit nicht in Betracht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist zutreffend, weshalb es ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Sie steht in Einklang mit der höchstgerichtlichen Judikatur, wonach im Hinblick auf das Außerkrafttreten des AbkSozSi-Jugoslawien mit Ablauf des 30. 9. 1996 (BGBl 1996/345) die vom Kläger im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zurückgelegten Versicherungszeiten für die Beurteilung der Erfüllung der Wartezeit nicht herangezogen werden können (10 ObS 20/00i = SSV-NF 14/22 mwN; RIS-Justiz RS010568).

Soweit der Revisionswerber einen Anspruch auf Berücksichtigung von in Jugoslawien erworbenen Verbesserungszeiten daraus ableitet, dass in Art 49 des AbkSozSi-Jugoslawien eine Regelung für den Fall des Außerkrafttretens dieses Abkommens getroffen worden sei, nach der während der Geltung des Abkommens erworbene Anwartschaften und Beitragsmonate in Jugoslawien auch nach der Kündigung des Abkommens anzurechnen seien, kann ihm nicht beigepflichtet werden.

Art 49 AbkSozSi-Jugoslawien lautet:

"(1) Im Falle des Außerkrafttretens dieses Abkommens bleiben alle in Anwendung seiner Bestimmungen erworbenen Leistungsansprüche aufrecht.

(2) Die Anwartschaften aus den Zeiten, die vor dem Außerkrafttreten zurückgelegt worden sind, werden durch das Außerkrafttreten nicht berührt; ihre Wahrung für den späteren Zeitraum wird durch Vereinbarung oder mangels einer solchen Vereinbarung durch die für den beteiligten Versicherungsträger geltenden Rechtsvorschriften bestimmt."

Hieraus lässt sich für den Standpunkt des Klägers nichts ableiten. Denn weder hat er bereits Leistungsansprüche in Anwendung der Bestimmungen des AbkSozSi-Jugoslawien erworben, die gemäß Art 49 Abs 1 AbkSozSi-Jugoslawien aufrecht bleiben könnten, noch ist ihm (derzeit) damit gedient, dass die Anwartschaften aus den Zeiten, die vor dem Außerkrafttreten zurückgelegt worden sind, durch das Außerkrafttreten des Abkommens per 30. September 1996 nicht berührt werden (Art 49 Abs 2 erster Halbsatz AbkSozSi-Jugoslawien). Ihre Wahrung für den späteren Zeitraum hängt nämlich von einer entsprechenden Vereinbarung ab (Art 49 Abs 2 zweiter Halbsatz AbkSozSi-Jugoslawien). Eine solche Vereinbarung liegt nicht vor. Soweit der Kläger eine solche Vereinbarung in dem am 5. 6. 1998 von der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien unterzeichneten "neuen" Abkommen über Soziale Sicherheit (RV 750 BlgNR 21. GP) sieht, ist ihm zu entgegnen, dass dieses mangels der in in seinem Art 37 Abs 1 geforderten Ratifizierung noch nicht zustande gekommen ist, weshalb es derzeit weder in Bezug auf die bis zum 30. 9. 1996 noch auf die danach erworbenen Versicherungszeiten angewendet werden kann. Insofern kann trotz seiner Unterzeichnung keinesfalls von einer geltenden Vereinbarung gesprochen werden, weil erst die Ratifikation völkerrechtlich und innerstaatlich den entscheidenden Akt des Abschlusses eines Staatsvertrags darstellt (Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 [2000], Rz 231), wenn das Abkommen iSd Art 14 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge unter dem Vorbehalt der Ratifikation steht.

Das Revisionsgericht teilt auch nicht die vom Kläger dargestellten (verfassungs-)rechtlichen Bedenken gegen die Nichtberücksichtigung von Versicherungszeiten, die im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien erworben wurden.

Das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand einer bestimmten Rechtslage genießt als solches - im Hinblick auf das Demokratieprinzip - keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (Walzel v. Wiesentreu, Vertrauensschutz und generelle Norm, ÖJZ 2000, 1 ff). Namentlich sieht Art 49 Abs 1 B-VG sogar die Möglichkeit der Erlassung rückwirkender Normen vor (vgl Thienel, Art 49 B-VG und die Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs von Bundesgesetzen, ÖJZ 1990, 161). Grundsätzlich muss sich auch jeder Normunterworfene auf Rechtsänderungen einstellen - im konkreten Fall nicht zuletzt deshalb, weil das AbkSozSi-Jugoslawien eine ausdrückliche Kündigungsmöglichkeit vorsah.

Das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand einer einmal gegebenen Rechtslage ist nur unter besonderen Umständen zu berücksichtigen (Walzel v. Wiesentreu aaO 3, 10 mwN; Tomandl, Gedanken zum Vertrauensschutz im Sozialrecht, ZAS 2000, 129 [133]). Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des VfGH können gesetzliche Vorschriften mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Konflikt geraten, weil und insoweit sie die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage handelnden Normunterworfenen nachträglich belasten. Dies kann bei schwerwiegenden und plötzlich eintretenden Eingriffen in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Normunterworfene mit guten Gründen vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffs führen.

Nach dem tragenden Gedanken des Vertrauensschutzes muss also verhindert werden, dass sich durch das positive Recht veranlasste langfristige Dispositionen letztlich als Fehldispositionen herausstellen (Tomandl aaO 134). Speziell bezogen auf das Sozialrecht ist jedoch dessen "dynamischer Charakter" zu bedenken. Außerdem wurde bereits auf die vorgesehene Möglichkeit der Kündigung des AbkSozSi-Jugoslawien hingewiesen, die als eine realistische Möglichkeit in Betracht gezogen werden musste, was die Berufung auf ein schutzwürdiges Vertrauen erheblich einschränkt, da niemand verlangen kann, einen Schutz für seine Dispositionen zu erhalten, wenn diese auf Hoffnungen und nicht auf begründeten Erwartungen beruhen.

Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen österreichischen Staatsangehörigen und Staatsbürgern der Bundesrepublik Jugoslawien ist nicht erkennbar. Für beide gilt in gleichem Maße das Erfordernis der Erfüllung der Wartezeit. Eine wechselseitige Berücksichtigung von Versicherungszeiten bedürfte einer ausdrücklichen Anordnung, die aber im vorliegenden Fall - unter Bedachtnahme auf das Außerkrafttreten des AbkSozSi-Jugoslawien - fehlt.

Es besteht somit kein Anlass, einen Antrag gemäß Art 140 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Zusammengefasst haben die Vorinstanzen - ausgehend von der derzeit bestehenden Rechtslage - zu Recht die Voraussetzungen für die Erlangung der begehrten Pensionsleistung verneint, da sich in den für den beteiligten (österreichischen) Versicherungsträger geltenden Rechtsvorschriften derzeit keine Grundlage für die Berücksichtigung der jugoslawischen Versicherungszeiten des Klägers bei der Beurteilung der Wartezeit findet (10 ObS 58/00b, 10 ObS 318/01i; vgl auch Siedl/Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Allgemeiner Teil - Pensionsversicherung 81) und allein mit den in Österreich erworbenen Versicherungszeiten die erforderliche Wartezeit nicht erfüllt wird.

Bei den mit der Bundesrepublik Jugoslawien geführten Regierungsverhandlungen (s RV 750 BlgNR 21. GP) wurde aber Einvernehmen darüber erzielt, dass - mit Ausnahme der Familienbeihilfe - durch den umgehenden Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens ein lückenloser sozialversicherungsrechtlicher Schutz der Versicherten zu gewährleisten ist. Es ist daher in dem neuen Abkommen vorgesehen, dass dieses rückwirkend mit 1. Oktober 1996 wirksam wird, soweit es sich auf den Erwerb und die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Sicherheit bezieht (Art 37 Abs 3; vgl auch Linka, Kündigung einiger Abkommen über Soziale Sicherheit durch die Republik Österreich in SozSi 1996, 763; BMAS 24.930/3-4/97 vom 4. 3. 1997 in ARD 4825/9/97; SozSi 1999, 635 f; 10 ObS 20/00i = SSV-NF 14/22 mwN). Aus den angeführten Gründen muss die Revision erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Soweit der Revisionswerber auf seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verweist, ist darauf hinzuweisen, dass bei der Frage, ob ein Kostenersatzanspruch aus Billigkeit besteht, nach der zitierten Gesetzesstelle nicht nur dieser Umstand, sondern auch die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Falles zu beachten sind. Tatsächliche Schwierigkeiten scheiden im Revisionsverfahren schon deshalb aus, weil der Tatsachenbereich in diesem Verfahrensstadium nicht überprüft werden kann. Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen im Hinblick auf die zitierte ständige Rechtsprechung jedenfalls nicht vor. Ein Kostenersatz aus Billigkeit hat daher nicht stattzufinden.

Rechtssätze
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