JudikaturJustiz10ObS202/88

10ObS202/88 – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. September 1988

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellner (Arbeitgeber) und Karl Klein (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Nazif B***, ohne Beschäftigung, Gornja Dreznica 100, YU-88215 Dreznica, vertreten durch Dr. Erich Hermann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A*** (Landesstelle Wien),

1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. April 1988, GZ 33 Rs 80/88-75, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. Oktober 1987, GZ 2b Cgs 4/84-48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 24. August 1983 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 28. Oktober 1982 auf Invaliditätspension mangels anrechenbarer österreichischer Versicherungsmonate, also wegen Nichterfüllung der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen ab. Dagegen richtet sich die rechtzeitige Klage, in der der Kläger behauptet, die erforderlichen Versicherungszeiten aufzuweisen und aufgrund seiner Versicherungszeiten in Österreich und der Bundesrepublik Deutschland eine Invaliditätspension begehrt. Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage und wendet ein, der Kläger habe im vom 1. September 1964 bis 1. November 1982 (Stichtag) währenden, 218 Kalendermonate und keine neutralen Monate umfassenden Anrechnungszeitraum nur 73 österreichische und 19 deutsche Versicherungsmonate, im vom 1. Mai 1967 bis 1. November 1982 währenden, 184 (richtig: 1986) Kalendermonate und keine neutralen Monate umfassenden Anrechnungszeitraum nur 73 (österreichische) Versicherungsmonate erworben, die nicht anrechenbar seien, so daß die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen der Wartezeit und der Drittel- bzw Zweidritteldeckung nicht erfüllt seien.

Deshalb wies das Erstgericht die Klage im ersten Rechtsgang ab. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Sache zur Verhandlung und Ergänzung an das Erstgericht zurück, weil es im Akt Anhaltspunkte dafür gefunden hatte, daß der Kläger vom 1. November 1979 bis 1. November 1982 in Jugoslawien beschäftigt gewesen sein und auch allenfalls Versicherungszeiten erworben haben könnte. Deshalb erschien eine neuerliche Anfrage an den jugoslawischen Versicherungsträger bzw die Vorlage einer entsprechenden Versicherungsbestätigung durch den Kläger hinsichtlich jugoslawischer Versicherungszeiten zweckmäßig. Im fortgesetzten Verfahren gab der jugoslawische Versicherungsträger bekannt, der Kläger sei vom 29. März 1979 bis 29. September 1983 als "vereinigter Landwirt" in Jugoslawien versichert gewesen.

Die beklagte Partei vertrat dazu die Rechtsmeinung, daß zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien keine Vereinbarung über die Einbeziehung der Pensionsversicherung der selbständig Erwerbstätigen bestehe, weshalb die neu bekanntgegebenen Zeiten in Österreich nicht berücksichtigt werden könnten.

Der Kläger replizierte, daß die Einbeziehung dieser Zeiten im Art. 2 Abs 1 des im folgenden mit Abk abgekürzten Abkommens zwischen den genannten Staaten über Soziale Sicherheit vom 19. November 1965 BGBl. 1966/289 vorgesehen sei. Mit der jugoslawischen Verfassung, dem Gesetz über die vereinte Arbeit SFRJ und dem Gesetz über die Arbeitsverhältnisse der SRB und H seien die Versicherungszeiten des "assoziierten Landarbeiters" zur Gänze den Versicherungszeiten in irgendwelcher Tätigkeit, der individuellen oder gesellschaftlichen, gleichgestellt.

Das Erstgericht wies die Klage auch im zweiten Rechtsgang ab. Es stellte fest, daß der Kläger, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, vom 8. September 1964 bis 20. Mai 1966 in der Bundesrepublik Deutschland 19 Versicherungsmonate und vom Mai 1967 bis März 1975 in Österreich 73 Versicherungsmonate erworben hat und vom 29. März 1979 bis 29. September 1983 in Jugoslawien als "vereinigter Landwirt" 54 Monate beim jugoslawischen Versicherungsträger versichert war.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes seien die letztgenannten Versicherungszeiten vom schon zitierten Abk nicht umfaßt, und daher auf die nach der Rechtslage vor der

40. ASVGNov. BGBl. 1984/484 zu ermittelnden allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen der österreichischen Pensionsversicherung nicht anrechenbar, die daher nach wie vor nicht erfüllt seien. Das Berufungsgericht gab der wegen mangelhafter Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge.

Es erachtete die Feststellung des Erstgerichtes, daß der Kläger vom 29. März 1979 und bis 23. September 1983 als "vereinigter Landwirt" selbständig erwerbstätig war, als unbedenklich. Diese in der in Jugoslawien ab 1. Jänner 1980 geltenden Bauerninvaliden- oder Altersversicherung erworbenen Versicherungszeiten seien in einem Zweig der jugoslawischen Versicherung erworben worden, der nicht Gegenstand einer das Abk ergänzenden Vereinbarung der Vertragsstaaten sei. Sie seien daher den in der deutschen und österreichischen Sozialversicherung erworbenen

92 Versicherungsmonaten nicht zuzurechnen, weshalb diese nicht anrechenbar seien.

Dagegen richtet sich die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt, weil nach Inhalt der Prozeßakten dem Revisionsgericht erheblich scheinende Tatsachen von den Vorinstanzen weder ausreichend erörtert noch festgestellt wurden. Die Prüfung, ob die vom Kläger in Jugoslawien als "vereinigter Landwirt" bis zum Stichtag, also nur vom 29. März 1979 bis 31. Oktober 1982, nicht aber bis 29. September 1983 erworbenen Versicherungszeiten nach dem Abk in Österreich zu berücksichtigen sind, erfordert vor allem die genaue Ermittlung der jugoslawischen, möglicherweise bosnisch-hercegowinischen Rechtsgrundlagen dieser Versicherungszeiten.

Nach Art. 2 Abs 1 des Abk bezieht sich dieses in Österreich auf die Rechtsvorschriften über die Pensionsversicherung der Arbeiter, die Pensionsversicherung der Angestellten und die knappschaftliche Pensionsversicherung (Z 1 lit b), also nur auf die Pensionsversicherung unselbständig Erwerbstätiger, in Jugoslawien auf die Rechtsvorschriften über die Pensionsversicherung (Alters- und Hinterbliebenenversicherung) (Z 2 lit b) und die Invalidenversicherung einschließlich der Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (Z 2 lit c). Nach Abs 2 des zitierten Artikels bezieht sich das Abkommen, soweit die Absätze 3 und 4 nichts anderes bestimmen, auch auf alle Rechtsvorschriften, welche die in Abs 1 bezeichneten Rechtsvorschriften zusammenfassen, ändern oder ergänzen. Nach Abs 3 des zitierten Artikels bezieht sich das Abk auch auf Rechtsvorschriften über ein neues System oder einen neuen Zweig der Sozialversicherung sowie auf Rechtsvorschriften, die das bestehende Recht auf neue Personengruppen ausdehnen, wenn die Vertragsstaaten dies vereinbaren. Nach Abs 4 dieses Artikels findet dieses Abk auf die Änderungen der in Abs 1 bezeichneten Rechtsvorschriften, die sich aus zwischenstaatlichen Abkommen im Bereiche der Sozialen Sicherheit ergeben, nur Anwendung, wenn beide Vertragsstaaten dies vereinbaren. Der Wortlaut des Art. 2 Abs 1 Z 2 lit b und c, der keine Einschränkungen enthält, steht daher der Anwendung des Abk auf alle jugoslawischen Zweige der Pensionsversicherung nicht entgegen. Art. VI Abs 17 32. ASVGNov. BGBl. 1976/704, wonach die Bestimmungen des § 251a Abs 7 Z 1 ASVG idF dieser Novelle gegenüber einem Staate, mit dem ein Abkommen über Soziale Sicherheit ohne Einschluß des GSPVG und des B-PVG besteht (worunter auch Jugoslawien fällt), nicht anzuwenden ist, zeigt, daß es im innerstaatlichen Rechtsbereich einer positiv-gesetzlichen Regelung bedurfte, um eine Berücksichtigung solcher Zeiten im zwischenstaatlichen Bereich durch ausländische Sozialversicherungsträger auszuschließen. Wie in Jugoslawien erworbene Zeiten dieser Art in Österreich zu behandeln sind, ergibt sich daraus aber nicht.

Wie sich aus Art. 2 Abs 3 ergibt, sollte das Abk nur die Versicherungszweige und die Gruppen von Versicherten erfassen, die bei seinem Zustandekommen bereits bestanden bzw schon damals in die Versicherung einbezogen waren.

Im vorliegenden Fall ist daher entscheidungswesentlich, ob der Versicherungszweig, in dem der Kläger seine Versicherungszeiten in Jugoslawien erworben hat, zur Zeit des Zustandekommens des Abk bereits bestand. Wäre diese zu bejahen, dann böte Art. 2 Abs 1 Z 2 lit b und c des Abk jedenfalls die Grundlage, die in Jugoslawien erworbenen Versicherungszeiten auch in Österreich zu berücksichtigen.

Es wird daher zu klären sein, wann das System der Pensionsversicherung und Invalidenversicherung, in dem der Kläger als "vereinigter Landwirt" die Versicherungszeiten vom 29. März 1979 bis 31. Oktober 1982 erworben hat, in Jugoslawien, bei partikulärer Regelung in Bosnien und Hercegowina geschaffen wurde, und, wenn dies nach dem Zustandekommen des Abk gewesen sein sollte, wie dieser neue Versicherungszweig im System der jugoslawischen Sozialversicherung eingegliedert wurde bzw welche Vorbehalte dabei allenfalls für den zwischenstaatlichen Bereich getroffen wurden (so auch 9. Februar 1988 10 Ob S 159/87).

Das in Jugoslawien und Bosnien und Hercegowina geltende Recht wird im Sinn des § 271 ZPO zu ermitteln sein (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 647 und 836).

Die nicht näher belegte, von der erstgerichtlichen Feststellung abweichende diesbezügliche Annahme des Berufungsgerichtes, daß der Kläger als "selbständiger Landwirt - Bauer" in einer neuen, in Jugoslawien ab 1. Jänner 1980 geltenden Bauerninvaliden- oder Altersversicherung Versicherungszeiten erworben habe, ist aktenmäßig nicht gedeckt, und überdies unzureichend.

Gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß es sich um Versicherungszeiten nach dem in Jugoslawien angeblich ab 1. Jänner 1980 geltenden Bauerninvaliden- oder Altersversicherungsgesetz handle, spricht auch die erstgerichtliche Feststellung, daß der Kläger schon vom 29. März 1979 an in Jugoslawien als "vereinigter Landwirt" beim jugoslawischen Versicherungsträger versichert war.

Nach Svetek, Das System der sozialen Sicherheit in Jugoslawien SozSi 1980, 358 soll die Alterspension der Landwirte außer in Slowenien erst im Aufbau und die Invalidenversicherung der Landwirte erst für die Periode 1981 bis 1985 vorgesehen sein. Zur Zeit der Verfassung des erwähnten Artikels soll es jedoch möglich gewesen sein, daß sich Landwirte freiwillig in der Invalidenversicherung der Arbeiter versichern ließen. Möglicherweise unterlief dem Berufungsgericht in diesem Zusammenhang eine Verwechslung zwischen "vereinigten Landwirten" und privaten Bauern, für die verschiedene sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen gelten dürften. Für den Fall, daß die allgemeinen Voraussetzungen für den Anspruch auf die eingeklagte Leistung erfüllt wären, wäre auch die besondere Voraussetzung der Invalidität zu klären.

Der Revision war daher Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen waren aufzuheben und die Sozialrechtssache war zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, da Kosten im Rechtsmittelverfahren nicht verzeichnet wurden.