JudikaturJustiz10ObS198/04x

10ObS198/04x – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Februar 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hans Peter K*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeiststraße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 6. Oktober 2004, GZ 8 Rs 73/04y 9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom 14. Juni 2004, GZ 41 Cgs 75/04s 5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 2. 4. 1962 geborene Kläger erwarb im Zeitraum von Juni 1978 bis Juni 2003 insgesamt 118 Versicherungsmonate, davon 73 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und 45 Monate Ersatzzeiten. Darüber hinaus liegen beim Kläger im genannten Zeitraum 183 neutrale Monate vor, wobei davon wiederum 102 Monate auf den Zeitraum vom 1. 7. 1993 bis 30. 6. 2003 und 81 Monate auf den Zeitraum von Juni 1978 bis 30. 6. 1993 entfallen.

Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 23. 1. 2004 den Antrag des Klägers vom 10. 6. 2003 auf Gewährung der Invaliditätspension ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei und Invalidität nicht vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1. 7. 2003 gerichtete Klage.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Es führte rechtlich aus, der Kläger hätte die Wartezeit gemäß § 236 ASVG erfüllt, wenn er im Zeitraum vom 1. 1. 1985 bis 30. 6. 2003 (= Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag, verlängert um die darin enthaltenen 102 neutralen Monate) mindestens 60 Versicherungsmonate (§ 236 Abs 1 Z 1 lit a iVm Abs 2 Z 1 und Abs 3 ASVG) oder bis zum Stichtag mindestens 180 Beitragsmonate oder Beitragsmonate und/oder nach dem 31. 12. 1955 zurückgelegte sonstige Versicherungsmonate in einem Mindestausmaß von 300 Monaten (§ 236 Abs 4 ASVG) erworben hätte. Der Kläger habe insgesamt nur 118 Versicherungsmonate, davon 73 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und 45 Ersatzmonate erworben. Im Zeitraum vom 1. 7. 1993 bis 30. 6. 2003, also in dem gemäß § 236 Abs 2 Z 1 ASVG festgesetzten Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag, seien 102 neutrale Monate gelegen. In dem um diese 102 neutralen Monate verlängerten Rahmenzeitraum (1. 1. 1985 bis 30. 6. 2003) habe der Kläger 50 - anstatt der geforderten 60 - Versicherungsmonate erworben. Der Kläger erfülle daher nicht die Wartezeit. Entgegen der Ansicht des Klägers könnten die vor dem Zeitraum der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegenden weiteren 81 neutralen Monate nicht zu einer weiteren Verlängerung des Rahmenzeitraumes führen, da nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut die für die Erfüllung der Wartezeit für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit im Falle des Klägers erforderliche Mindestanzahl von 60 Versicherungsmonaten innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen müsse.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und verwies darauf, dass die vom Kläger angestrebte Interpretation des § 236 Abs 3 ASVG im Sinne der zu § 15 Abs 1 AlVG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf Grund des unterschiedlichen Regelungsinhaltes nicht in Betracht komme.

Die Revision sei zulässig, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage der Auslegung der Bestimmung des § 236 Abs 3 ASVG keine Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Revisionswerber wiederholt in seinem Rechtsmittel seine bereits in der Berufung vertretene Ansicht, bei richtiger Anwendung der Bestimmung des § 236 Abs 3 ASVG müssten auch die im verlängerten Rahmenzeitraum vom 1. 1. 1985 bis 30. 6. 1993 gelegenen 69 neutralen Monate wiederum zu einer Verlängerung des maßgeblichen Zeitraumes um diese in den Verlängerungszeitraum hineinragenden neutralen Monate führen. Der Kläger habe in diesem abermals verlängerten Rahmenzeitraum die erforderlichen 60 Versicherungsmonate erworben und erfülle daher die Wartezeit für die begehrte Invaliditätspension.

Diesen Ausführungen ist folgenden entgegenzuhalten:

Nach § 236 Abs 1 Z 1 lit a iVm Abs 2 Z 1 ASVG - die anderen Fälle der Erfüllung der Wartezeit nach § 236 Abs 4 ASVG kommen nach den bindenden Feststellungen von vornherein nicht in Betracht - ist die Wartezeit für die vom Kläger aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit begehrte Invaliditätspension dann erfüllt, wenn am Stichtag 60 Versicherungsmonate vorliegen (§ 236 Abs 1 Z 1 lit a ASVG) und diese Versicherungsmonate innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen (§ 236 Abs 2 Z 1 ASVG). Fallen in die Zeiträume gemäß Abs 2 neutrale Monate (§ 234), so verlängern sich die Zeiträume um diese Monate (§ 236 Abs 3 ASVG).

Nach dieser Gesetzeslage ist zunächst der Rahmenzeitraum nach § 236 Abs 2 ASVG unter Berücksichtigung allfälliger neutraler Monate zu ermitteln. Der Rahmenzeitraum nach § 236 Abs 2 Z 1 ASVG von 120 Kalendermonaten liegt zwischen 1. 7. 1993 und 30. 6. 2003 (Stichtag: 1. 7. 2003). In diesen Zeitraum fallen 102 Monate, die nach § 234 ASVG neutrale Zeiten sind. Diese 102 neutralen Monate verlängern den Zeitraum nach § 236 Abs 2 Z 1 ASVG um diese Monate (§ 236 Abs 3 ASVG). Es liegt daher ein Rahmenzeitraum vom 1. 1. 1985 bis 30. 6. 2003 vor, in dem 60 Versicherungsmonate liegen müssen, aber tatsächlich nur 50 Versicherungsmonate vorliegen.

Für die Beurteilung der hier strittigen Frage, ob sich der Rahmenzeitraum noch einmal verlängert, wenn auch in die Verlängerung des Rahmenzeitraumes neutrale Zeiten fallen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die neutralen Zeiten keine Versicherungszeiten und daher nicht leistungswirksam sind. Der Gesetzgeber hat Zeiten als neutrale Zeiten anerkannt, wenn dafür berücksichtigungswürdige Gründe vorlagen, die nicht so gravierend erschienen, dass eine Zuordnung zu den Ersatzzeiten erforderlich gewesen wäre. Als neutral erklärte Zeiten verlängern insbesondere den Rahmenzeitraum, innerhalb dessen die Wartezeit erfüllt sein muss und führen damit zu einer Erleichterung bei der Erfüllung dieser Voraussetzung (Teschner in Tomandl, SV System 16. Erg Lfg 386). Das Leistungsrecht der Pensionsversicherung kennt nämlich neben den Versicherungsfällen Leistungsvoraussetzungen, deren Erfüllung bei Inanspruchnahme sämtlicher Leistungen grundsätzlich erforderlich ist (sekundäre Leistungsvoraussetzungen). Sie sollen den Standort des Leistungswerbers innerhalb der Versichertengemeinschaft, von der er die Leistung begehrt, abstecken. Einerseits wollen sie etwa durch die Wartezeit (§ 236 ASVG) sicherstellen, dass nur solche Leistungswerber in den Genuss von Leistungen kommen, die der Versichertengemeinschaft seit einer bestimmten Zeit angehören und durch Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben. Andererseits wollen sie etwa durch Rahmenzeiträume für die Erfüllung der Wartezeit gewährleisten, dass nur solche Leistungswerber anspruchsberechtigt werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung in einem - zeitlichen - Naheverhältnis zu dieser Versichertengemeinschaft stehen (SSV NF 14/81 mwN ua). Durch den Rahmenzeitraum werden die Bestimmungen über die Wartezeit verschärft. Er führt zum Ergebnis, dass nicht alle erworbenen Versicherungszeiten auf die Erfüllung der Wartezeit angerechnet werden, sondern nur jene, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes liegen. Außerhalb des Rahmenzeitraumes liegende Zeiten bleiben außer Betracht. Die Regelungen über den Rahmenzeitraum wollen verhindern, dass Personen in den Genuss von Leistungen kommen, die längst versicherungsfremd geworden sind, weil sie nur in länger zurückliegenden Zeiträumen in geringem Umfang Versicherungszeiten erworben haben. Nur dann, wenn bereits durch den Erwerb eines bestimmten Mindestmaßes an Versicherungszeiten (§ 236 Abs 4 ASVG) ein qualifiziertes Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt wurde, soll sich der Umstand, dass diese nicht in dem in § 236 Abs 2 ASVG festgelegten Ausmaß in den dort bestimmten Rahmenzeitraum fallen, nicht nachteilig auswirken (SSV NF 9/4 mwN ua).

Zutreffend hat daher bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die vom Revisionswerber vertretene Auslegung der Bestimmung des § 236 Abs 3 ASVG nicht nur im Gesetzeswortlaut ["Fallen in die Zeiträume gemäß Abs 2 neutrale Monate (§ 234), so verlängern sich die Zeiträume um diese Monate"] keine Stütze findet, sondern auch dem dargestellten Zweck der Regelung des § 236 Abs 2 ASVG, nämlich der Sicherstellung eines gewissen zeitlichen - Naheverhältnisses des Antragstellers zur Versichertengemeinschaft zuwiderlaufen würde. Daran vermag auch der Hinweis des Revisionswerbers auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 15 AlVG nichts zu ändern, weil sich das Arbeitslosengeld sowohl in seinen Voraussetzungen als auch in seiner Funktion von einer Pensionsleistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit unterscheidet. Die Unterschiedlichkeit der beiden Regelungen zeigt sich vor allem auch darin, dass die Rahmenfristen (Anwartschaftszeiten) des § 14 AlVG von einem bzw zwei Jahren nach § 15 AlVG insgesamt grundsätzlich nur um drei Jahre verlängert werden können, während § 236 Abs 2 Z 1 ASVG bereits von vornherein eine Rahmenfrist von 120 Kalendermonaten für die Erfüllung der Wartezeit vorsieht.

Der erkennende Senat teilt daher die Ansicht der Vorinstanzen, dass keine nochmalige Verlängerung des Rahmenzeitraumes nach § 236 Abs 2 Z 1 ASVG eintritt, wenn auch in die Verlängerung des Rahmenzeitraumes neutrale Zeiten fallen (in diesem Sinne auch Teschner/Widlar, MGA BSVG 54. Erg Lfg Anm 10 zu § 111; dies, MGA GSVG 62. Erg Lfg Anm 11 zu § 120 zu den vergleichbaren Bestimmungen der §§ 111 BSVG und 120 GSVG; vgl auch SSV NF 12/42).

Da der Anspruch des Klägers auf die begehrte Leistung nach § 235 Abs 1 ASVG an die allgemeine Voraussetzung geknüpft ist, dass die Wartezeit durch Versicherungsmonate erfüllt ist - dass die Wartezeit im Sinne des § 235 Abs 3 ASVG entfallen würde, wurde weder behauptet, noch gibt es dafür irgendeinen Hinweis , wurde das Klagebegehren von den Vorinstanzen zutreffend abgewiesen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Rechtssätze
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