JudikaturJustiz10ObS135/22h

10ObS135/22h – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Hofrätin Dr. Faber als Vorsitzende, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 4. Oktober 2022, GZ 6 Rs 27/22w 34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom 3. März 2022, GZ 29 Cgs 68/21y 29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Strittig ist im Revisionsverfahren, ob die Zeiten vom 5. 8. 2015 (nach dem Versicherungsdatenauszug Beil ./D: 6. 8. 2015) bis 31. 12. 2019, in denen der Kläger als Sicherheitstechniker für Alarmanlagen geringfügig beschäftigt war und eine Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG bestand, als Zeiten einer Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG anzusehen sind.

[2] Der 1960 geborene Kläger hat den Beruf des Elektroinstallateurs erlernt, jedoch keine Lehrabschlussprüfung abgelegt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 4. 2021) war er als Elektrotechniker Servicetechniker für Alarmanlagen tätig und erwarb in diesem Zeitraum (April 2006 bis März 2021) 96 Beitragsmonate der Pflichtversicherung. Der Kläger ist aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage, als Elektrotechniker Servicetechniker für Alarmanlagen zu arbeiten. In dem auf die Berufsgruppe der Elektroniker eingeschränkten Arbeitsmarkt ist der Kläger jedoch noch in der Lage, als Prüffeldtechniker zu arbeiten. Für diese Verweisungstätigkeit existiert in Österreich eine ausreichende Anzahl an Arbeitsplätzen.

[3] Mit Bescheid vom 5. 8. 2021 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension vom 24. 3. 2021 ab, weil Berufsunfähigkeit nicht vorliege. Da Berufsunfähigkeit auch in absehbarer Zeit nicht eintreten werde, bestehe kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation.

[4] Mit seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe ab 1. 4. 2021. Zusätzlich zum Berufsschutz genieße der Kläger „Tätigkeitsschutz“ nach § 255 Abs 4 ASVG, weil auch die Zeiten der geringfügigen Beschäftigung ebenfalls als Tätigkeitszeiten nach § 255 Abs 4 ASVG zu beurteilen seien, sodass der Kläger in den letzten 180 Kalendermonaten über mehr als 120 Kalendermonate hindurch als Elektrotechniker für Alarmanlagen tätig gewesen sei.

[5] Dem hielt die Beklagte entgegen, dass Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung (hier: Zeiten einer Selbstversicherung bei geringfügiger Beschäftigung gemäß § 19a ASVG) zwar bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, mitzuberücksichtigen seien. Gleichgültig, ob oder welche Tätigkeiten in diesen Zeiträumen ausgeübt worden seien, handle es sich dabei jedoch nicht um Beitragsmonate, in denen eine die Pflichtversicherung nach dem ASVG begründende Tätigkeit ausgeübt wurde.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Zeiten der Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG seien nicht in Zeiten einer Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG einzurechnen, weil während Zeiten einer freiwilligen Versicherung kein versicherungspflichtiger Beruf ausgeübt werde. Maßgeblich für das Vorliegen einer Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG sei, dass es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung handle. Wer nicht in das Sozialversicherungssystem integriert sei, solle mit einer nicht versicherten Tätigkeit auch nicht in den Genuss des § 255 Abs 4 ASVG kommen.

[8] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung der Klage anstrebt. In der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte die Zurück , hilfsweise die Abweisung der Revision.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob auch Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung, für die gemäß § 19a ASVG eine Selbstversicherung abgeschlossen wird, die Ausübung einer „Tätigkeit“ im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG darstellen, Rechtsprechung fehlt. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

[10] 1. Der Kläger behauptet in der Revision nur mehr das Vorliegen von Berufsunfähigkeit gemäß § 273 Abs 3 iVm § 255 Abs 4 ASVG. Er macht geltend, dass er während der Zeiten der geringfügigen Beschäftigung ebenfalls eine Tätigkeit als Elektrotechniker Servicetechniker für Alarmanlagen ausgeübt habe. Infolge der von ihm während dieser Zeit abgeschlossenen Selbstversicherung bei geringfügiger Beschäftigung gemäß § 19a ASVG sei er auch in das System der Pensionsversicherung integriert gewesen. Dies ergebe sich insbesondere auch aus § 19a Abs 6 ASVG. Der Erwerb von Beitragsmonaten der Pflichtversicherung sei nach dem Wortlaut des § 255 Abs 4 ASVG nicht erforderlich, Rechtsprechung zu einer Konstellation wie der vorliegenden fehle. Dem kommt keine Berechtigung zu:

[11] 2.1 § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG lautet: „Als invalid gilt auch der (die) Versicherte, der (die) das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen.“

[12] 2.2 § 255 Abs 4 ASVG wurde in seiner für den hier gegebenen Zusammenhang im Wesentlichen auch heute noch geltenden Gestalt mit dem SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, geschaffen. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 187 BlgNR XXI. GP 4) sollte damit als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG aF) der Berufsschutz für Personen, die das (damals) 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden. Das 57. Lebensjahr wurde mit dem 2. StabG, BGBl I 2012/35, stufenweise (vgl § 666 Abs 4 ASVG) auf das 60. Lebensjahr angehoben.

[13] 2.3 Bei § 255 Abs 4 ASVG handelt es sich – wie dies auch aus den zitierten Gesetzesmaterialien hervorgeht – nicht um einen Arbeitsplatzschutz, sondern um eine – besondere – Form des Berufsschutzes (zuletzt 10 ObS 40/22p Rz 18 mwH). § 255 Abs 4 ASVG stellt nicht auf die Anforderungen an einem bestimmten Arbeitsplatz ab, sondern auf die „Tätigkeit“ mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (RS0087658 [T2]; RS0087659 [T9]).

[14] 2.4.1 Historisch wurde die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG aF mit der 35. ASVG Novelle, BGBl 1980/585, geschaffen und galt zunächst nur für ungelernte Arbeiter (umfassend dazu Weissensteiner/Warkoweil , Überlegungen zur Invaliditäts (Berufsunfähigkeits )Pension nach § 255 Abs 4 und § 273 Abs 2 ASVG, DRdA 2001, 145). Ein ungelernter Arbeiter war danach auch invalid, wenn er das 55. Lebensjahr vollendet hatte (lit a), in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hatte (lit b) und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

[15] 2.4.2 Mit der 39. ASVG Novelle, BGBl 1983/590, wurde der bessere Verweisungsschutz gemäß § 255 Abs 4 ASVG aF auf alle älteren Arbeitnehmer ausgedehnt. Erforderlich war der Erwerb von 180 Versicherungsmonaten zum Stichtag (lit b) und die Ausübung einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag.

[16] 2.4.3 Mit der 51. ASVG Novelle, BGBl 1993/335, wurde § 255 Abs 4 ASVG aF aufgehoben und die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit in § 253d ASVG als neue Leistung eingeführt. Darin wurden die Anspruchsvoraussetzungen aus § 255 Abs 4 ASVG aF im Wesentlichen übernommen. Im gegebenen Zusammenhang ist jedoch hervorzuheben, dass nach § 253d Abs 1 Z 2 ASVG der Erwerb einer bestimmten Anzahl von Beitragsmonaten der Pflichtversicherung innerhalb einer ebenso bestimmten Anzahl von Kalendermonaten erforderlich war.

[17] 2.4.4 Aus der historischen Betrachtung der geltenden Bestimmung zeigt sich, dass für den Erwerb des besonderen Verweisungsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG aF und § 253d ASVG aF immer der Erwerb von Versicherungs und Beitragsmonaten erforderlich war. Den Begriff der Kalendermonate verwendete der Gesetzgeber neben dem Begriff der Beitragsmonate der Pflichtversicherung in § 253d Abs 1 Z 2 ASVG aF.

[18] 3.1 In Lehre und Schrifttum wird ausgeführt, dass der Begriff der Kalendermonate in § 255 Abs 4 ASVG nicht irrtümlich gewählt worden und eigentlich Beitragsmonate gemeint gewesen seien. Ganz bewusst habe der Gesetzgeber diese Voraussetzung gewählt ( Födermayr , Geminderte Arbeitsfähigkeit [2009] 101 f; Hinterobermaier , Die Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG: Voraussetzungen und Verweisbarkeit, RdW 2004, 164 [165]). Der berufskundliche Sachverständige Christian Hampel hat im Auftrag des (damaligen) Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger ein berufskundliches Gutachten erstattet, in dem auch verschiedene in § 255 Abs 4 ASVG verwendete Begriffe unter Verwendung der Gesetzesmaterialien interpretiert werden, darunter der Begriff „hindurch“ in § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG. Hampel führt dazu aus: „Unter dem Begriff 'hindurch' ist zu verstehen, dass in den letzten 180 Monaten vor dem Stichtag 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung im Rahmen dieser Tätigkeit erworben worden sein müssen, wobei dieses 'Erwerben' nicht in einem durch erfolgen muss, zumal ja sonst für Saisonarbeitskräfte oder bei vorübergehender Arbeitslosigkeit diese Bestimmung nie zum Tragen kommen könnte.“ ( Christian Hampel , Berufskundliches Sachverständigengutachten, 5. August 2000, abgedruckt bei Rudda , Neuer Berufsschutz in der Pensionsversicherung, SozSi 2000, 852 [858]).

[19] 3.2 Dem ist Schrammel (Der Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 [888]) entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass nach der Neuregelung nicht mehr die Beitragsmonate in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag entscheidend seien, sondern das Ausüben einer Tätigkeit. Auch Röhrenbacher argumentiert, dass es einen wesentlichen Unterschied mache, würde man entweder nur volle Monate der Tätigkeit als „Kalendermonat“ im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG berücksichtigen, oder – in Analogie zur Praxis der Sozialversicherungsträger zu § 253a ASVG (aF) – Kalendertage einer Beschäftigung zu Kalendermonaten umrechnen. Offen bleibe, wie ein Fall zu lösen sei, bei dem der Kläger ausreichend versicherungspflichtige Beschäftigungstage habe, um 120 Kalendermonate zu erwerben, aber in einzelnen Monaten weniger als 15 Versicherungstage vorlägen, sodass diese Monate nicht zu Resttagesmonaten werden (Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 [849]).

[20] 3.3 Überwiegend wird vertreten, dass eine wirksame Beitragsentrichtung nicht Voraussetzung dafür sei, dass die Monate der Ausübung einer Tätigkeit berücksichtigt werden. Maßgeblich sei jedoch, dass es sich um eine versicherungs pflichtige Beschäftigung handle. Es reiche nicht aus, dass die eine Tätigkeit zuvor außerhalb der Versicherungspflicht ausgeübt worden sei, weil im gesamten Sozialversicherungsrecht, insbesondere in der Pensionsversicherung maßgeblich auf das Vorliegen von Versicherungszeiten abgestellt werde ( Födermayr in SV Komm [252. Lfg] § 255 ASVG Rz 183 f; ebenso unter Bezugnahme auf § 4 Abs 4 ASVG Bergauer/Urbanek , Pensionsrechtliche Fragen bei flexiblen Arbeitsverhältnissen, ZAS 2004/19, 105 [110]). Von der Notwendigkeit des Vorliegens einer versicherungspflichtigen Beschäftigung geht erkennbar auch Röhrenbacher (SozSi 2001, 850) aus, wenn er sich die Frage stellt, wie jemand zu beurteilen sein wird, der nur aufgrund mehrfach geringfügiger Beschäftigung der Pflichtversicherung unterliegt, und sich damit auseinandersetzt, ob in einem solchen Fall auf jede geringfügige Beschäftigung abzustellen und zumindest eine dieser Tätigkeiten 120 Monate ausgeübt worden sei, oder ob eine „gleiche Tätigkeit“ vorliege, wenn die Summe der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die zur Pflichtversicherung geführt haben, über die Dauer von 120 Monaten vorliege.

[21] 4.1 Der Oberste Gerichtshof führte in der Entscheidung 10 ObS 264/02z, SSV NF 18/15, in der es darum ging, dass der Begriff der „Kalendermonate“ in § 255 Abs 4 ASVG kein Redaktionsversehen war, begründend aus, dass im Hinblick auf die inhaltliche Nähe der Regelung des § 133 Abs 3 GSVG zu jener über den Berufsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG für die Prüfung des Tatbestandselements des § 255 Abs 4 ASVG, dass der Versicherte innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch eine Tätigkeit ausgeübt hat, auf die für den Bereich des GSVG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Dies betreffe auch den zur 60 monatigen Erwerbstätigkeitsdauer des § 133 Abs 2 GSVG entwickelten Grundsatz, dass es sich dabei um Zeiten handeln muss, die die Versicherungspflicht nach dem GSVG begründen (vgl RS0086452).

[22] 4.2.1 In der Entscheidung 10 ObS 264/02z führte der Oberste Gerichtshof weiter aus, dass auch Zeiten eines Urlaubs und Zeiten der Krankheit eines Arbeitnehmers, soweit während dieser Zeiten noch eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers besteht als Zeiten einer „Tätigkeit“ im Sinn des § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG anzusehen sind, weil es sich dabei um Zeiten handelt, die der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegen (betreffend Zeiten des Krankengeldbezugs vgl nunmehr die seit dem BBG 2011, BGBl I 2010/111, bestehende Regelung des § 255 Abs 4 Z 2 ASVG).

[23] 4.2.2 Hingegen wurden Zeiten einer saisonal bedingten Unterbrechung der Tätigkeit (RS0117787), Zeiten des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung (10 ObS 62/04x SSV NF 18/70) sowie Zeiten des Bezugs einer Kündigungsentschädigung (10 ObS 91/07s SSV NF 21/60) nicht als Zeiten der Ausübung der unselbständigen Erwerbstätigkeit gewertet, weil – unabhängig von der Verlängerung einer Pflichtversicherung (§ 11 Abs 2 Satz 2 ASVG) – von einer faktischen „Ausübung“ einer konkreten Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG nicht gesprochen werden kann. § 255 Abs 4 ASVG stellt nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (RS0118621; RS0122063; RS0122455) nicht auf das Vorliegen von 120 „Beitragsmonaten“ in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag ab, sondern darauf, dass die Ausübung „einer“ Tätigkeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch erfolgte. Dabei sind in analoger Anwendung des § 133 Abs 2 letzter Satz GSVG jeweils 30 Kalendertage zu einem Monat zusammenzufassen (10 ObS 17/12s SSV NF 26/18).

[24] 4.3 Im Verfahren 10 ObS 4/05v SSV NF 19/22 entschied der Oberste Gerichtshof, dass für die Erfüllung des im § 255 Abs 4 ASVG vorgesehenen Tätigkeitszeitraums von mindestens 120 Kalendermonaten in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag auch gleichartige, nach dem GSVG versicherte selbständige Tätigkeiten zu berücksichtigen sind. Begründend führte der Gerichtshof ua aus, dass bei der Beurteilung der Frage, was als „eine“ Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG anzusehen ist, auch inhaltlich zumindest teilweise als selbständig anzusehende Tätigkeiten herangezogen werden können. Zweifellos könnten nämlich Beitragsmonate aufgrund eines freien Dienstvertrags gemäß § 4 Abs 4 ASVG für § 255 Abs 4 ASVG herangezogen werden, weil durch sie die Pflichtversicherung im leistungszuständigen ASVG System begründet wird (ebenso 10 ObS 54/05x ua; RS0119740).

[25] 4.4 Ebenso seien bei der Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Landwirt zu berücksichtigen, für die in Österreich eine Pflichtversicherung nach dem BSVG besteht. Ein Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG komme jedoch nur dann in Betracht, wenn im maßgebenden Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag auch Zeiten einer unselbständigen Beschäftigung nach dem ASVG vorliegen. Diese Voraussetzung erweise sich auch deshalb als unabdingbar, weil nach § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG zumutbare Änderungen „dieser“ Tätigkeit zu berücksichtigen sind und dafür nur eine nach dem ASVG versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit maßgebend ist (10 ObS 99/05i SSV NF 20/6).

[26] 4.5 Daran hielt der Oberste Gerichtshof – entgegen den Ausführungen in der Revision – in den Entscheidungen 10 ObS 30/07w SSV NF 21/26 und 10 ObS 42/07k SSV NF 21/33 fest, wo er ausführt: „Nun ist dem Berufungsgericht zweifellos insoweit zu folgen, als das Abstellen auf die Person eines/einer Versicherten in § 255 Abs 4 ASVG einen gewissen Bezug zur Sozialversicherung nahe legt: Für die Beurteilung des Tätigkeitsschutzes (oder des 'besonderen Berufsschutzes') können nur Monate einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit berücksichtigt werden (10 ObS 8/97t = SSV NF 11/10). Wer nicht in das Pensionsversicherungssystem integriert ist (etwa eine Hausfrau oder ein Hausmann), soll mit einer nicht versicherten Tätigkeit auch nicht in den Genuss des § 255 Abs 4 ASVG kommen, selbst wenn die gleiche Tätigkeit zu einem anderen Zeitpunkt in einem der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Dienstverhältnis ausgeführt wird (als Haushälterin oder Haushälter).“ In der Entscheidung 10 ObS 30/07w ergänzte der Oberste Gerichtshof, dass die wirksame Beitragsentrichtung keine Voraussetzung für die Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG sei: maßgeblich sei, dass die vom Kläger ausgeübte selbständige Tätigkeit eine Versicherungspflicht nach dem GSVG ausgelöst hat. In der Entscheidung 10 ObS 42/07k hielt der Oberste Gerichtshof – über das Zitat aus 10 ObS 30/07w hinaus – ausdrücklich fest, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nur Monate einer „die Pflichtversicherung begründenden Tätigkeit“ berücksichtigt werden können (ebenso 10 ObS 99/14b SSV NF 28/75).

[27] 4.6 Auch in der Entscheidung 10 ObS 44/21z SSV NF 35/42, in der es um die Frage ging, ob Zeiten der Kindererziehung sowie Zeiten der Selbstversicherung für die Pflege eines behinderten Kindes nach § 18a ASVG einen Anspruch auf Invaliditätspension oder Berufsunfähigkeits-pension begründen können, wenn die versicherte Person nie ins Erwerbsleben eingetreten ist, führte der Oberste Gerichtshof im gleichen Sinn zu § 255 ASVG aus (Rz 30; Hervorhebungen durch den Senat): „§ 255 Abs 3 und § 273 Abs 2 ASVG fordern zwar – anders als § 255 Abs 2, Abs 3a oder § 255 Abs 7 ASVG – weder den Erwerb einer bestimmten Mindestanzahl von Beitragsmonaten der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit noch die Ausübung 'einer Tätigkeit' in einer bestimmten Anzahl von Kalendermonaten (§ 255 Abs 4 ASVG). § 255 ASVG regelt (iVm § 273 ASVG) jedoch in seiner Gesamtheit das System des Zugangs zu einer Pensionsleistung aus der Verminderung der Arbeitsfähigkeit in Form von ausbildungs und altersabhängigen Konstellationen. Dabei setzt der Gesetzgeber – wie die oben zitierten Formulierungen zum Ausdruck bringen – das Vorliegen einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit auch dann als selbstverständlich voraus, wenn er keine bestimmte Art oder Dauer einer Beschäftigung verlangt.“

[28] 4.7 In der Entscheidung 10 ObS 116/22i hielt der Oberste Gerichtshof an dieser Rechtsansicht fest und führte aus, dass das Vorliegen einer Invalidität nach § 255 Abs 1 bis 4 ASVG der Feststellung bedürfe, dass tatsächlich eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG begründende Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts aufgenommen wurde. Im Fall der damaligen Klägerin, die (lediglich) eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt hatte, wurde daher deren Eintritt in das Erwerbsleben verneint, sodass ein Versicherungsfall im Sinn des § 255 Abs 1 bis 4 ASVG nicht eingetreten sein konnte (Rz 6).

[29] 5.1 Die Selbstversicherung nach dem ASVG ist eine freiwillige Versicherung (§§ 16 ff ASVG). Die freiwillige Versicherung stellt eine Ergänzung zur Pflichtversicherung dar, um Lücken zu schließen oder das Leistungsausmaß zu erhöhen. Sie entsteht kraft Gesetzes durch den Beitritt eines dazu Berechtigten und bedarf keiner Annahme durch den Sozialversicherungsträger ( Tomandl , Sozialrecht 7 [2019] Rz 75). In der Pensionsversicherung können sich alle Personen selbstversichern, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und nicht in einer gesetzlichen Pensionsversicherung pflicht oder weiterversichert sind (§ 16a Abs 1 ASVG). § 19a ASVG ermöglicht unter den dort genannten Voraussetzungen die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung bei geringfügiger Beschäftigung. Die monatliche Beitragsgrundlage für die in der Kranken und Pensionsversicherung gemäß § 19a ASVG Selbstversicherten ist der Betrag gemäß § 5 Abs 2 ASVG (§ 76b Abs 2 ASVG). Der Beitrag für Selbstversicherte in der Kranken und Pensionsversicherung gemäß § 19a ASVG betrug gemäß § 77 Abs 2a ASVG beispielsweise für das Jahr 2022 monatlich 68,59 EUR, wovon auf die Krankenversicherung 27,3 % und auf die Pensionsversicherung 72,7 % entfallen (vgl Art I § 2 Z 19 VO veränderliche Werte BGBl II 2021/590). Dieser sehr niedrige Beitrag ist die günstigste Möglichkeit, Beitragsmonate für die Wartezeit in der Pensionsversicherung zu erwerben ( Pfeil in SV Komm [216. Lfg] § 19a ASVG Rz 2).

[30] 5.2 § 19a ASVG lautet idgF BGBl I 31/2007 auszugsweise (Hervorhebung durch den Senat):

„§ 19a (1) Personen, die von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs 1 Z 2 oder Teilversicherung nach § 7 Z 4 ausgenommen und auch sonst weder in der Krankenversicherung noch in der Pensionsversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz pflichtversichert sind, können sich, solange sie ihren Wohnsitz im Inland haben, auf Antrag in der Kranken und Pensionsversicherung selbstversichern. Die Pensionsversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g dieses Bundesgesetzes […] gilt nicht als Pflichtversicherung im Sinne des ersten Satzes. […]

[…]

(6) Bezüglich der Gewährung von Leistungen sowohl nach diesem Bundesgesetz als auch nach dem Mutterschutzgesetz 1979 hat die Selbstversicherung in der Krankenversicherung die gleichen Rechtswirkungen wie eine Pflichtversicherung. Dies gilt auch hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung.“

[31] 5.3 Mit dem ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, wurde einerseits ab 1. 1. 1998 eine Pflichtversicherung bei mehrfach geringfügiger Beschäftigung geschaffen (für die bis dahin nur die Möglichkeit der Selbstversicherung in der Kranken und Pensionsversicherung nach § 19a ASVG aF bestanden hatte), andererseits wurde für Menschen, die nur unter der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigt sind, mit der Neufassung des § 19a ASVG eine Selbstversicherung in der Kranken und Pensionsversicherung eingerichtet ( Pöltner , Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung, zuvo 2007/4, 4 [7]). Mit der 55. ASVG Novelle, BGBl I 1998/138, wurde in § 19a Abs 1 ASVG die oben unterstrichen wiedergegebene Ergänzung angefügt, die die Subsidiarität der Selbstversicherung gegenüber der Pflichtversicherung normierte. In den Gesetzesmaterialien heißt es dazu (ErläutRV 1234 BlgNR 20. GP 29): „Durch Ergänzungen des § 19a Abs 1 ASVG soll normiert werden, dass die Selbstversicherung in der Kranken und Pensionsversicherung bei geringfügiger Beschäftigung einer Pflichtversicherung in der Kranken oder Pensionsversicherung subsidiär ist, dh sie tritt nur dann ein, wenn eine solche Pflichtversicherung nicht vorliegt. Damit soll einer missbräuchlichen Inanspruchnahme dieser Versicherungsvariante vorgebeugt werden.“ Die freiwillige Versicherung steht der Pflichtversicherung daher nicht gleichrangig zur Seite, sofern nicht das Gesetz – wie etwa in § 19a Abs 1 Satz 2 ASVG – das an sich umfassende Prinzip der Subsidiarität durchbricht ( Pfeil in SV Komm [216. Lfg] § 19a ASVG Rz 5; 10 ObS 102/22f).

[32] 5.4.1 Nach der Rechtsprechung sind Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung (hier: Zeiten einer Selbstversicherung bei geringfügiger Beschäftigung gemäß § 19a ASVG) zwar bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, mitzuberücksichtigen, sie können aber nicht als Beitragsmonate gewertet werden, in denen eine (die Pflichtversicherung nach dem ASVG begründende) Tätigkeit ausgeübt wurde, und zwar gleichgültig, ob eine und allenfalls welche Tätigkeit in dieser Zeit tatsächlich ausgeübt wurde. Zeiten einer freiwilligen Versicherung können daher nicht als Zeiten einer Berufsausübung in einem erlernten oder angelernten Beruf gewertet werden, weil während einer freiwilligen Versicherung überhaupt kein versicherungspflichtiger Beruf ausgeübt wird; daran ändert auch eine geringfügige Beschäftigung im betreffenden Beruf nichts (10 ObS 418/02x SSV NF 17/27 mwH; RS0085116 mwH; Pfeil in SV Komm [216. Lfg] § 19a ASVG Rz 3).

[33] 5.4.2 In der Entscheidung 10 ObS 133/09w SSV NF 23/65 hatte der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 85 Beitragsmonate nach dem ASVG erworben, und zwar 32 Beitragsmonate der Pflichtversicherung (31 Monate als Kfz Mechaniker und ein Monat für eine Umschulung im Rahmen des AMFG) sowie 53 Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung gemäß § 19a ASVG. Im Hinblick darauf war der Kläger nicht in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag im von ihm erlernten Beruf als Kfz Mechaniker tätig. Daran änderte der Umstand, dass der Kläger während der Zeit der Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG eine Beschäftigung als Reinigungskraft ausgeübt hat, nichts, weil es sich dabei um keine versicherungspflichtige Beschäftigung handelte. Der Oberste Gerichtshof führte weiter aus, dass der Erwerb weiterer Versicherungszeiten (auch durch Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung) in der Regel dazu führe, dass die Versicherungsleistung überhaupt erst ermöglicht oder der Höhe nach verbessert wird. Der Kläger habe erst durch den Erwerb der Beitragsmonate in der freiwilligen Versicherung die Wartezeit für die von ihm begehrte Invaliditätspension erfüllt. Für die von ihm begehrte Berücksichtigung der von ihm erworbenen freiwilligen Versicherungszeiten nur bei der Erfüllung der Wartezeit, nicht jedoch bei der Frage der überwiegenden Ausübung einer erlernten Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 2 letzter Satz ASVG (aF) biete das Gesetz jedoch keine Grundlage.

[34] 5.4.3 Auch zu § 255 Abs 2 ASVG idF des BBG 2011, BGBl I 2010/111, führte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 85/14v SSV NF 28/49 aus, dass Zeiten einer freiwilligen Versicherung – daher auch Zeiten einer Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG – bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts nicht als Zeiten der Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit zu berücksichtigen seien (Pkt 1.4; Födermayr in SV Komm [252. Lfg] § 255 ASVG Rz 118). In dieser Entscheidung wies der Oberste Gerichtshof zwar auf die Unterschiedlichkeit der Bestimmungen des § 255 Abs 2 und Abs 4 ASVG hin (Pkt 4.5), dies allerdings nur vor dem Hintergrund der vorrangig zu beurteilenden Rechtsfrage der Dauer eines Versicherungsmonats nach § 232 Abs 1 ASVG, die von der Frage der tatsächlichen Ausübung einer Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG zu unterscheiden sei.

[35] 6.1 Der Revisionswerber bezieht sich mit seinem Standpunkt, es genüge, im Wege der Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG in das Sozialversicherungssystem „integriert“ zu sein, erkennbar auf den die zitierten Entscheidungen 10 ObS 42/07k und 10 ObS 99/14b umfassenden Rechtssatz RS0122171 (s dazu oben Pkt 4.5).

[36] 6.2 Allerdings ordnet der vom Revisionswerber für seinen Standpunkt ins Treffen geführte § 19a Abs 6 Satz 1 ASVG nur für die Krankenversicherung an, dass die Selbstversicherung bezüglich der Gewährung von Leistungen sowohl nach dem ASVG als auch nach dem Mutterschutzgesetz 1979 die gleichen Rechtswirkungen wie die Pflichtversicherung entfaltet. Nach § 19a Abs 6 Satz 2 ASVG gilt dies in der Pensionsversicherung lediglich hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung (§ 17 ASVG; vgl auch § 18a Abs 7, § 18b Abs 5 ASVG, wonach das Ende der Selbstversicherung hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinn des § 17 Abs 1 Z 1 lit a ASVG gleich steht). Eine Gleichstellung der Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG bezüglich der Gewährung von Leistungen sieht § 19a Abs 6 ASVG für die Pensionsversicherung nicht vor.

[37] 6.3 Dem Argument des Revisionswerbers, dass § 255 Abs 4 ASVG – anders als § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG („Pflichtversicherungsmonate“), § 255 Abs 3a Z 3 ASVG („Versicherungsmonate“, „Beitragsmonate“) oder § 255 Abs 7 ASVG („Beitragsmonate“) – lediglich von der Ausübung einer „Tätigkeit“ spricht, ist die bereits zitierte Rechtsprechung (insbesondere 10 ObS 44/21z; 10 ObS 116/22i) entgegenzu-halten, wonach § 255 ASVG in seiner Gesamtheit das System des Zugangs zu einer Pensionsleistung aus der Verminderung der Arbeitsfähigkeit in Form von Ausbildungs und altersabhängigen Konstellationen regelt. Der Gesetzgeber setzt auch im Anwendungsbereich des § 255 Abs 4 ASVG – wie in jenem des § 255 Abs 3 ASVG – das Vorliegen einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit als selbstverständlich voraus (10 ObS 44/21z Rz 30; in diesem Zusammenhang erkennbar auch zustimmend Panhölzl , Muss man erwerbstätig gewesen sein, um Anspruch auf eine Invaliditätspension zu haben? DRdA 2022, 305 [308]). Dies wird in Lehre und Schrifttum wie dargestellt bejaht und zeigt auch die oben dargestellte historische Entwicklung dieser Bestimmung. Eine Veranlassung, § 255 Abs 4 ASVG im hier gegebenen Zusammenhang anders als § 255 Abs 2 ASVG zu behandeln, besteht auch deshalb nicht, weil es sich bei beiden Bestimmungen um einen Berufsschutz handelt. Wäre tatsächlich lediglich die Ausübung einer „Tätigkeit“ im Sinn der Argumentation des Revisionswerbers Voraussetzung für den Erwerb des besonderen Berufsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG, so genügte allein deren Ausübung in geringfügigem Umfang, weil der Abschluss einer Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG ja freiwillig erfolgt. In einem solchen Fall fehlte jedoch jegliche Einbindung in das System der Pensionsversicherung.

[38] 6.4 Auch im Anwendungsbereich des § 255 Abs 4 ASVG ist daher an der oben dargestellten Rechtsprechung zu § 255 Abs 2 ASVG festzuhalten, wonach Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung (hier: der Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG), die nicht die Pflichtversicherung nach dem ASVG begründen, nicht als Monate gewertet werden können, in denen die versicherte Person eine „Tätigkeit“ im Sinn des § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG ausgeübt hat.

[39] 7. Für den vorliegenden Fall folgt daraus, dass die vom Kläger erworbenen Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung zwischen dem 6. 8. 2015 und dem 31. 12. 2019 nicht nach § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG zu berücksichtigen sind, weil der Kläger in diesen Monaten keine eine Pflichtversicherung nach dem ASVG (GSVG, BSVG) begründende Tätigkeit ausübte. Der in diesem Zusammenhang behauptete Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[40] Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[41] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage (RS0085829 [T1]).

Rechtssätze
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