JudikaturJustiz10ObS11/16i

10ObS11/16i – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer und Mag. Dr. Wolfgang Höfle (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. J*****, vertreten durch ANWALTGMBH Rinner Teuchtmann in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84 86, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2015, GZ 12 Rs 116/15p 34, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der 1959 geborene Kläger begehrt den Zuspruch der Erwerbsunfähigkeitspension mit dem Vorbringen, auf Grund seiner gesundheitlichen Einschränkungen sei ihm die Weiterführung seiner bisherigen Tätigkeit als selbständiger Produkt , Grafik und Multimediadesigner, die seit vielen Jahren mit vollzeitiger Bildschirmarbeit verbunden sei, nicht mehr zumutbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte und halbzeitig mittelschwere Arbeiten mit weiteren (im Einzelnen dargestellten) Einschränkungen ausüben kann. Tätigkeiten, die im Büro am Computer zu verrichten sind, sind ihm ohne Einschränkungen zumutbar. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht vorlägen, weil der Kläger seine bisherige Berufstätigkeit weiterhin ausüben könne.

Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

1. Entscheidend für die Frage der Verweisbarkeit ist die aufgrund des ärztlichen Leistungskalküls getroffene Feststellung, in welchem Umfang der Versicherte im Hinblick auf die bestehenden Einschränkungen behindert ist bzw welche Tätigkeiten er ausführen kann (RIS Justiz RS0084399). Die Frage, ob und in welchem Umfang durch bestehende Leidenszustände die Leistungsfähigkeit der Versicherten eingeschränkt ist, stellt eine nicht revisible Tatsachenfrage dar, die von den Gerichten erster und zweiter Instanz aufgrund von Gutachten ärztlicher Sachverständiger zu klären ist (RIS Justiz RS0084399 [T5]; RS0043118 [T3]). Auch die Feststellungen, welche Tätigkeiten aufgrund des medizinischen Leistungskalküls noch verrichtet werden können und welche Berufsanforderungen bestehen, gehören ausschließlich dem Tatsachenbereich an (RIS Justiz RS0043118 [T2, T4, T5, T7]; RS0040046 [T10, T13]). Die Frage, ob die eingeholten Sachverständigengutachten die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigen, gehört ebenso in das Gebiet der nicht revisiblen Beweiswürdigung wie jene, ob die eingeholten Sachverständigengutachten erschöpfend sind (RIS Justiz RS0043163). Ein Akt der irrevisiblen Beweiswürdigung ist es auch, wenn das Gericht einem (medizinischen) Sachverständigengutachten folgt und dessen Einschätzungen seinen Feststellungen zugrundelegt (vgl RIS Justiz RS0043163 [T7]). Demgemäß haben die Tatsacheninstanzen die erforderlichen Feststellungen zur Erwerbsunfähigkeit des Klägers aufgrund freier Beweiswürdigung getroffen.

2. Auch bereits vom Berufungsgericht verneinte angebliche Verfahrensmängel erster Instanz können im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0043061).

3. Ausgehend von den im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen zeigt der Kläger in seinen Rechtsmittelausführungen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

3.1 Der Kläger verweist auf Art 35 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) betreffend den Gesundheitsschutz, wonach jeder Mensch das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten hat und bei der Festlegung und Durchführung der Politik und Maßnahmen der Union in allen Bereichen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt wird. Der Kläger meint, im Hinblick auf diese in Art 35 GRC vorgesehene Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus sei im vorliegenden Fall auch die auf selbständige Erwerbstätige an sich nicht anwendbare Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Schutz der Arbeitnehmer/innen bei Bildschirmarbeit (Bildschirm-arbeitsverordnung BS V, BGBl II 1998/124) anzuwenden und § 133 GSVG dahin auszulegen, dass dem Versicherten die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, durch die sich seine bestehenden Krankheitsbilder verschlechtern könnten, nicht mehr zumutbar sei. Dies treffe auf seine langjährige Bildschirmarbeit zu, sodass ihm die Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit nicht mehr zumutbar sei.

3.2 Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) nach ihrem Art 51 Abs 1 ausschließlich bei der Durchführung dh im Anwendungsbereich des Rechts der Union gilt. Für die Geltung der GRC bedarf es daher eines (sonstigen) Bezugs zum Unionsrecht (vgl 6 Ob 193/12v; 6 Ob 156/13d ua). Ein solcher Bezug zum Unionsrecht wird vom Kläger weder behauptet noch ist er sonst ersichtlich. Das Unionsrecht lässt vielmehr das soziale Sachrecht der Mietgliedstaaten jedenfalls grundsätzlich unberührt und der Union kommt auch keine allgemeine Rechtsetzungsbefugnis für das soziale Sachrecht zu. Die Frage, ob Invalidität oder wie im vorliegenden Fall Erwerbsunfähigkeit vorliegt, bestimmt sich daher in der Regel nach den Rechtsvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats (RIS Justiz RS0120870 [T1]). Demnach berührt der gegenständliche Fall nicht den Anwendungsbereich des Unionsrechts, sodass auch kein Anwendungsfall der Unionsgrundrechte vorliegt (vgl 10 ObS 142/11x, SSV NF 25/111 = RIS Justiz RS0127506 ua). Es erübrigt sich daher im vorliegenden Fall ein inhaltliches Eingehen auf die Ausführungen des Klägers zur GRC.

4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass eine Erwerbsunfähigkeit des Klägers iSd § 133 Abs 2 GSVG nicht vorliege, weil er seine bisherige selbständige Erwerbstätigkeit weiterhin ausüben könne, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (10 ObS 40/08t, 10 ObS 252/00g ua).

Da es dem Revisionswerber somit nicht gelingt, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Rechtssätze
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