JudikaturJustiz10Ob35/21a

10Ob35/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Mag. Maximilian Kocher, Rechtsanwalt in Brunn am Gebirge, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in Zwettl, wegen 30.000 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. September 2021, GZ 4 R 76/21h 15, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 1. April 2021, GZ 6 Cg 118/20t 9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts in der Hauptsache und in der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.614,32 EUR (darin 435,72 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 4.349,48 EUR (darin 470,58 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist Miteigentümer einer Liegenschaft mit einem Haus. Zwischen den Parteien steht außer Streit, „dass der Kläger beim bestehenden Wohngebäude das Dachgeschoß zu einer zweiten Wohneinheit ausbauen wollte. In Zusammenhang damit hat er die beklagte Partei nur mit der Entfernung des alten Daches (Dachstuhl und Dachziegel) und der Herstellung des neuen Daches beauftragt, nicht aber mit sonstigen Arbeiten zur Herstellung einer zweiten Wohneinheit“ (Protokoll ON 7, S 1).

[2] Diesen Auftrag („Sanierungsarbeiten Dachstuhl – Zimmererarbeiten auf bauseits vorbereitetem Rost“) erteilte der Kläger der Beklagten im August 2019. Am 4. 6. 2020 unterfertigte der Kläger einen modifizierten Auftrag, in dem zusätzlich die gesamten Abbrucharbeiten des Dachstuhls durch die Beklagte inkludiert waren. Weitere Arbeiten zur Herstellung einer zweiten Wohneinheit, wie die Errichtung von Zwischenwänden, Installationen und dergleichen waren unstrittig (ON 7) nicht Inhalt des Auftrags. Der Vertragsabschluss erfolgte jeweils außerhalb der Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten. Die Beklagte informierte den Kläger nicht über die Bedingungen des Rücktrittsrechts nach dem FAGG und stellte ihm auch kein Muster Widerrufsformular zur Verfügung.

[3] Der Kläger leistete aufgrund der Rechnung der Beklagten vom 2. 8. 2019 eine Anzahlung von 30.000 EUR. Noch bevor mit den Bauarbeiten begonnen wurde, trat der Kläger, gestützt auf § 11 FAGG, am 30. 7. 2020 vom Vertrag zurück.

[4] Der Kläger begehrt die Rückzahlung von 30.000 EUR mit dem wesentlichen Vorbringen, der Vertrag sei ein Auswärtsgeschäft. Die Beklagte habe ihn nicht über die Bedingungen des Rücktrittsrechts informiert, sodass sich die Rücktrittsfrist von zwei Wochen um 12 Monate verlängert habe. Der Kläger sei daher rechtswirksam vom Vertrag zurückgetreten und habe Anspruch auf Rückzahlung des bereits geleisteten Betrags von 30.000 EUR.

[5] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass sie die äußere Hülle und damit mehr oder weniger den gesamten neu zu errichtenden Komplex zu erstellen gehabt habe. Das alte Dachgeschoß habe bis auf die Decke abgerissen und ein neues Obergeschoß mit Dach neu aufgebaut werden sollen. Sie sei daher mit erheblichen Umbauarbeiten beauftragt worden, weshalb das FAGG nicht zur Anwendung gelange. Für den Fall der Stornierung des Vertrags sei eine Stornogebühr in Höhe der geleisteten Anzahlung vereinbart worden. Der Beklagten stehe das vereinbarte Entgelt von 145.000 EUR abzüglich des ersparten Aufwands zu, der deutlich geringer als 115.000 EUR sei.

[6] Ausgehend von dem von den Parteien außer Streit gestellten Sachverhalt gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Gemäß § 1 Abs 2 Z 7 FAGG sei dieses Gesetz nicht auf – nach dem Vertragsinhalt – erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden anzuwenden. Erhebliche Umbaumaßnahmen seien solche, die dem Bau eines neuen Gebäudes vergleichbar seien, zB Baumaßnahmen, bei denen nur die Fassade eines alten Gebäudes erhalten bleibe. Eine „erhebliche Umbaumaßnahme“ in diesem Sinn liege hier nicht vor, weil sich der der Beklagten erteilte Auftrag lediglich auf die „Hülle“ des Obergeschoßes eines Hauses beziehe, nicht auf sonstige Arbeiten wie Elektro , Heizungs und Sanitärinstallationen, Bodenlegerarbeiten oder Errichtung von Zwischenwänden und dergleichen, die zur Herstellung der Bewohnbarkeit notwendig seien und erheblichen Aufwand erforderten. Daher komme es nicht darauf an, ob auch das Decken des Dachs Inhalt des Auftrags gewesen sei. Der Kläger sei gemäß § 12 Abs 1 FAGG fristgerecht vom Vertrag zurückgetreten und könne die geleistete Anzahlung gemäß § 14 Abs 1 FAGG zurückfordern.

[7] Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Ginge es um den Abriss einer angebauten Garage, also einer Räumlichkeit mit bloß untergeordneter Nutzung, und um die Errichtung einer neuen Außenhülle an deren Stelle mit Eignung für Wohnzwecke, entspräche dies einer Errichtung eines neuen Gebäudetrakts und damit einer erheblichen Umbaumaßnahme im Sinn des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG. Dasselbe müsse im vorliegenden Fall gelten, in dem nach Abriss des bestehenden Dachs mit bloß untergeordneter Dachbodennutzung eine neue Außenhülle für einen nunmehr für Wohnzwecke geeigneten Dachbodenausbau errichtet werden solle. Weder aus dem FAGG noch aus der Verbraucherrechte Richtlinie lasse sich ableiten, dass die Ausnahme des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG nur für einen Werkunternehmer greife, der mit dem gesamten Bauvorhaben beauftragt sei. Betreffe der Vertrag wie hier zumindest ein „zentrales Gewerk“ für die wesentlichen Umbaumaßnahmen, die ihrerseits wieder in die bauliche Substanz des Gebäudes eingreifen (Neuaufbau eines für Wohnzwecke geeigneten Dachstuhls), so sei das FAGG nicht anzuwenden. Landesrechtliche Bauvorschriften seien für diese Beurteilung ohne Relevanz. Der Kläger habe seinen Rücktritt daher nicht mehr auf das FAGG stützen können, weshalb das Verfahren ergänzungsbedürftig sei. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs der „erheblichen Umbaumaßnahme“ nach § 1 Abs 2 Z 7 FAGG fehle.

[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Beklagten beantwortete Rekurs des Klägers, mit dem dieser die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts begehrt.

[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, er ist auch berechtigt.

[11] Der Rekurswerber führt aus, dass die Verbraucherrechte RL ein hohes Verbraucherschutzniveau anstrebe und dem Widerrufsrecht zur Sicherstellung des Verbraucherschutzes zentrales Gewicht zukomme. Nach dem maßgeblichen Vertragsinhalt lägen hier keine erheblichen Umbaumaßnahmen vor. Darunter seien nur solche zu verstehen, die das gesamte Gebäude betreffen und einer gänzlichen „Entkernung“ samt anschließendem Wiederaufbau gleichzusetzen seien. Die Arbeiten, mit denen der Beklagte beauftragt gewesen sei, hätten jedoch weder das Erdgeschoß des Hauses berührt noch den Dachboden bewohnbar gemacht. Daran hätte auch die Beauftragung des Beklagten mit der Dacheindeckung nichts geändert.

[12] Die Beklagte hält dem in der Rekursbeantwortung im Wesentlichen entgegen, dass es nicht auf die Arbeiten allein ankomme, mit denen sie beauftragt worden sei. Zu berücksichtigen seien vielmehr alle mit der Erstellung des neuen Gebäudeteils verbundenen Maßnahmen. Hier hätte der komplette, bisher nicht bewohnbare Dachstuhl entfernt werden und an dessen Stelle eine neue zweite Wohneinheit in einem neu gestalteten Dachraum errichtet werden sollen. Diese Auslegung ergebe sich auch aus Erwägungsgrund 26 der Verbraucherrechte Richtlinie, der von „Verträgen“ in der Mehrzahl spreche.

Dazu ist auszuführen:

1. Österreichisches Recht:

[13] 1.1 Das Fern und Auswärtsgeschäfte-Gesetz, BGBl I 2014/33 (FAGG) gilt ua für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (Auswärtsgeschäfte) zwischen Unternehmern und Verbrauchern im Sinn des § 1 KSchG (§ 1 Abs 1 FAGG). Diese Voraussetzung ist hier unstrittig erfüllt.

[14] 1.2 Gemäß § 1 Abs 2 Z 7 FAGG gilt dieses Gesetz nicht für Verträge „über den Bau von neuen Gebäuden, erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden oder die Vermietung von Wohnraum“ (ein Ausnahmefall des § 8 Abs 4 FAGG liegt nicht vor).

[15] 1.3 In den Gesetzesmaterialien zum Verbraucherrechte Umsetzungsgesetz (VRUG), BGBl I 2014/33, mit dem das KSchG geändert und als dessen Teil auch das FAGG erlassen wurde, finden sich dazu ua folgende Erläuterungen (ErläutRV 89 BlgNR 25. GP 21, 22 f; Hervorhebungen durch den Senat):

Zu Z 8 (§ 26d) :

§ 26d KSchG trifft Regelungen über die Form und die Vertragsurkunde für Verträge über Leistungen zur Sanierung von Wohnräumen, die in einer Haustürgeschäft Situation im Sinn des § 3 KSchG geschlossen werden. Auch für diese Bestimmung ist zur Herstellung einer richtlinienkonformen Rechtslage eine klare Grenzziehung zum Fern und Auswärtsgeschäfte Gesetz vorzunehmen. Diejenigen Wohnungsverbesserungsverträge, die dem Kapitel III der Verbraucherrechte Richtlinie und damit dem Fern und Auswärtsgeschäfte Gesetz als Umsetzungsnorm zu diesem Kapitel unterliegen, sind von den Regelungen des § 26d KSchG auszunehmen (Abs. 5), weil für diese Verträge das vollharmonisierte Regime der Richtlinie zum Tragen kommt. Zur Lösung der Frage, ob solche Verträge vom Richtlinienregime für FAV und AGV erfasst werden, ist Artikel 3 Abs. 3 Buchstabe f der Richtlinie (umgesetzt in § 1 Abs. 2 Z 7 FAGG) heranzuziehen. Demnach sind 'erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden' aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen, während 'unerhebliche' Umbaumaßnahmen der Richtlinie unterliegen. Daher sind zumindest für solche Wohnraumsanierungen, die 'unerheblich' sind, die Umsetzungsbestimmungen zur Richtlinie im FAGG anzuwenden. Für Verträge über Sanierungen unerheblichen Ausmaßes gilt somit das FAGG, für Verträge über Sanierungen erheblichen Ausmaßes hingegen § 26d KSchG.

Zu Artikel 4 (Fern und Auswärtsgeschäfte Gesetz) :

Dieses Gesetz dient der Umsetzung von Kapitel III der Verbraucherrechte Richtlinie. …

Zu § 1

1. § 1 umschreibt den Geltungsbereich des Fern- und Auswärtsgeschäfte Gesetzes. Der erste Absatz dieser Bestimmung enthält die grundsätzliche Geltungsanordnung, der zweite Absatz listet die vom Geltungsbereich ausgenommenen Verträge auf, der dritte Absatz sieht für Personenbeförderungsverträge einen sachlich sehr eingeschränkten Geltungsumfang vor. Dabei werden weitestgehend die Richtlinienregelungen von Artikel 3 Abs. 1 und 3 über den Geltungsbereich der Verbraucherrechte-Richtlinie insgesamt (also nicht nur über den Geltungskreis von Kapitel III der Richtlinie) abgebildet. Überdies wird von der Ausnahmeoption in Artikel 3 Abs. 4 der Richtlinie Gebrauch gemacht. Die Geltungsumrisse des Fern und Auswärtsgeschäfte Gesetzes decken sich nahezu vollständig mit jenen der Richtlinie, weil über eine substantiell erweiternde Umsetzung von Kapitel III kein Konsens erzielt werden konnte.

3. Abs. 2 nimmt zahlreiche Arten von Verträgen vom Geltungsbereich des Gesetzes aus. Diese Ausnahmen entsprechen im Wesentlichen jenen in § 5a Abs 2 Z 3 bis 15 KSchG. … .“

[16] 1.4 Mit dem VRUG, als dessen Teil das FAGG am 13. 6. 2014 in Kraft trat, wurde die RL 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher in das nationale Recht umgesetzt. Der Schwerpunkt der RL 2011/83/EU liegt im Bestreben nach einem verbesserten Verbraucherschutz für Rechtsgeschäfte, die im Fernabsatz oder – wie hier – außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden (ErläutRV 89 BlgNR 25. GP 3 ff). Für die Auslegung von Bestimmungen des FAGG ist zu beachten, dass die RL 2011/83/EU das Ziel einer – abgeschwächten – Vollharmonisierung des Verbraucherrechts verfolgt, wonach es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, ein anderes Verbraucherschutzniveau als jenes der Richtlinie aufrechtzuerhalten oder einzuführen (Art 4 RL 2011/83/EU; Dehn in Schwimann/Kodek 5 § 1 FAGG Rz 3 mwH).

2. Unionsrecht :

[17] 2.1 § 1 Abs 2 Z 7 FAGG beruht auf Art 3 Abs 3 lit f der Richtlinie 2011/83/EU („Verbraucherrechte-Richtlinie“, in der Folge: RL 2011/83/EU). Diese Bestimmung lautet:

Artikel 3

Geltungsbereich

(3) Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge

f) über den Bau von neuen Gebäuden, erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden oder die Vermietung von Wohnraum; …“

2.2 Erwägungsgrund 26 der Richtlinie lautet (Hervorhebung durch den Senat):

„(26) Verträge über die Übertragung von Immobilien oder von Rechten an Immobilien oder die Begründung oder den Erwerb solcher Immobilien oder Rechte, Verträge über den Bau von neuen Gebäuden oder über erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden sowie über die Vermietung von Wohnraum sind bereits Gegenstand einer Reihe spezifischer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften. Zu diesen Verträgen gehören beispielsweise der Verkauf noch zu bebauender Liegenschaften und der Mietkauf. Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen eignen sich nicht für diese Verträge, welche daher vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden sollten. Erhebliche Umbaumaßnahmen sind solche, die dem Bau eines neuen Gebäudes vergleichbar sind, beispielsweise Baumaßnahmen, bei denen nur die Fassade eines alten Gebäudes erhalten bleibt. Dienstleistungsverträge insbesondere im Zusammenhang mit der Errichtung von Anbauten an Gebäude (z. B. dem Anbau einer Garage oder eines Wintergartens) und im Zusammenhang mit der Instandsetzung und Renovierung von Gebäuden, die keine erheblichen Umbauarbeiten darstellen, wie auch Verträge über Dienstleistungen von Immobilienmaklern und über die Vermietung von Räumen für andere als Wohnzwecke sollten unter diese Richtlinie fallen.“

[18] Der Leitfaden der GD Justiz zur Verbraucherrechte RL (Stand Juni 2014, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/crd_guidance_de_updated.pdf) führt lediglich aus, dass die Ausnahmen eng auszulegen seien und Buchstabe f „Gebäude zum Gegenstand“ habe (S 10).

[19] 2.3 Die RL 2011/83/EU hat ihre Rechtsgrundlage in den Art 169 Abs 1 und Abs 2 lit a sowie 114 AEUV (vgl ErwGr 3). Das Ziel der RL 2011/83/EU ist es, durch Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarktes beizutragen (ErwGr 65).

3. Rechtsprechung

3.1 Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH):

[20] 3.1.1 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des primären Unionsrechts zu beurteilen (C 205/07, ECLI:EU:C:2008:730, Gysbrechts und Santurel Inter , Rn 33). Darüber hinaus ist das Sekundärrecht – hier die RL 2011/83/EU – am Maßstab des Primärrechts zu prüfen, hier daher insbesondere an Art 38 GRC, wonach die Union ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherstellt (EuGH C 568/15, ECLI:EU:C:2017:154, Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main , Rn 28; EuGH C 681/17, ECLI:EU:C:2019:255, slewo , Rn 32 mwH; vgl auch 6 Ob 36/20t mwH zum besonderen Stellenwert des Widerrufsrechts nach Art 9 Abs 1 RL 2011/83/EU, nach österreichischer Terminologie: Rücktrittsrecht gemäß § 11 Abs 1 FAGG).

[21] 3.1.2 Zu Art 3 Abs 3 lit f RL 2011/83/EU nahm der EuGH in der Entscheidung C 208/19, ECLI:EU:C:2020:382, NK (Planung eines Einfamilienhauses) , Stellung. In dieser Entscheidung ging es nicht um erhebliche Umbauarbeiten im Sinn des Art 3 Abs 3 lit f RL 2011/83/EU. Der EuGH sprach aus, dass ein zwischen einer Architektin und zwei Verbrauchern geschlossener Vertrag, nach dem die Architektin den Verbrauchern nur die Planung eines neu zu errichtenden Einfamilienhauses und in diesem Zusammenhang die Herstellung von Plänen schuldete, kein Vertrag über den Bau eines neuen Gebäudes im Sinn dieser Bestimmung ist. Der EuGH führte aus, dass Begriffe, die eine Ausnahme von einem allgemeinen Grundsatz oder von unionsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellen, eng auszulegen sind, was auch für Art 3 Abs 3 lit f RL 2011/83/EU gilt (C 208/19, Rn 39–41).

3.2 Oberster Gerichtshof (OGH):

[22] Der Oberste Gerichtshof sprach aus, dass ein Immobilienmaklervertrag nicht unter die Ausnahmen des § 1 Abs 2 FAGG, insbesondere nicht unter jene des § 1 Abs 2 Z 6 und 7 FAGG falle (8 Ob 122/17z), ebenso wenig Verträge über den Vertrieb der Digitalen Vignette und der Digitalen Streckenmaut (4 Ob 96/19z), hatte sich aber im Übrigen mit § 1 Abs 2 Z 7 FAGG bisher nicht zu befassen (vgl 4 Ob 28/18y).

3.3 Deutsche Rechtsprechung :

[23] 3.3.1 In Deutschland erfolgte die Umsetzung der RL 2011/83/EU mit den Regelungen über den Verbraucherschutz in den §§ 312 ff BGB. Diese Bestimmungen sind – abgesehen von den hier nicht relevanten Ausnahmen des § 312a Abs 1, 3, 4 und 6 BGB – auf Verbraucher bau verträge im Sinn des § 650i Abs 1 BGB nicht anzuwenden (§ 312 Abs 2 Z 3 BGB). § 650i Abs 1 BGB trägt die Überschrift „Verbraucherbauvertrag“ und lautet:

„(1) Verbraucherbauverträge sind Verträge, durch die der Unternehmer von einem Verbraucher zum Bau eines neuen Gebäudes oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude verpflichtet wird.“

[24] 3.3.2 Im Zusammenhang mit der Frage der Anwendbarkeit von Werkvertragsrecht beim Erwerb von Altbauten hat der BGH ausgeführt: Übernimmt der Veräußerer eines Altbaus vertraglich Bauleistungen, die insgesamt nach Umfang und Bedeutung Neubauarbeiten vergleichbar sind, haftet er nicht nur für die ausgeführten Umbauarbeiten, sondern auch für die Altbausubstanz nach den Gewährleistungsregeln des Werkvertrags. Eine solche umfassende Sanierungstätigkeit („Kernsanierung“), die einer Neuherstellung gleichkomme, bejahte der BGH in einem Fall, in dem der Veräußerer die Boden und Wandbeläge, den Außenputz sowie den Anstrich erneuerte, die Wasser und Elektroleitungen austauschte, eine Gasheizung einbaute, neue Innentreppen und Türen anfertigen ließ sowie einen Teil der Fenster und der Dacheindeckung erneuern ließ (BGH 16. 12. 2004, VII ZR 257/03, NJW 2005, 1115).

[25] Noch zur früheren Rechtslage nach § 312 Abs 2 Z 3 BGB aF hat der BGH die Rechtsmeinung des OLG Stuttgart als Rechtsmittelgericht gebilligt, dass es sich bei einem Vertrag über die Errichtung einer Aufzugsanlage an der Außenfassade eines Hauses lediglich um einen Anbau handle, der keine erhebliche Umbaumaßnahme darstelle, weshalb dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zugebilligt wurde (BGH 30. 8. 2018, VII ZR 243/17 [Rn 16], NJW 2018, 3380).

[26] 3.3.3 Das OLG Hamm hat in einem Fall der Neuerrichtung eines Gebäudes (Mehrzweck Industriehalle) ausgeführt, dass ein Verbraucherbauvertrag im Sinn des § 650i Abs 1 1. Alternative BGB auch bei gewerkeweiser Vergabe vorliegen kann, wenn die Beauftragung zeitgleich oder in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Erstellung eines neuen Gebäudes erfolgt, die Erstellung eines neuen Gebäudes für den Unternehmer ersichtlich ist und die Gewerke zum Bau des neuen Gebäudes selbst beitragen (27. 4. 2021, 24 U 198/20 ZfBR 2021, 745).

[27] 3.3.4 Erst jüngst hat das Kammergericht (Berlin) zu einem Fall Stellung genommen, in dem ein Unternehmer von einem Verbraucher beauftragt worden war, im Obergeschoß eines Wohnhauses die Sanierung der Böden und der Türen zu übernehmen sowie eine Untersparrendämmung unter den Dachschrägen des Hauses herzustellen (KG 16. 11. 2021, 21 U 41/21 BeckRS 2021, 39589). Das Kammergericht formulierte – unter Bezugnahme auf die oben zitierte Rechtsprechung des BGH und des OLG Hamm –folgenden Leitsatz: „Ein Verbraucherbauvertrag über erhebliche Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude (§ 650i Abs. 1 BGB) setzt voraus, dass das Auftragsvolumen dem eines Vertrags über die Errichtung eines Neubaus gleichkommt sowie dass der Verbraucher grundsätzlich mit sämtlichen der von ihm geplanten Baumaßnahmen nur einen einzigen Unternehmer beauftragt hat.“ Die gebotene enge Auslegung des Begriffs „Verbraucherbauvertrag“ führe dazu, dass der Anwendungsbereich des Verbraucherschutzes aus den §§ 312 ff BGB vergrößert werde (Rn 22). Umbaumaßnahmen in einem Gebäude könnten erst dann als „erheblich“ angesehen werden, wenn sie in ihrem Umfang einem Neubau gleichkommen und daher mehrere Gewerke umfassen, die der Verbraucher im Rahmen seines Vorhabens einem Unternehmer übertragen wolle (Rn 23). Im konkreten Fall belaufe sich das Gesamtvolumen der Vergütung zwar auf mehr als 10.000 EUR, es handle sich aber nur um einzelne Maßnahmen des Innenausbaus im Obergeschoß eines Einfamilienhauses; darüber hinaus sei der beklagte Werkunternehmer nicht einmal mit sämtlichen Bauleistungen beauftragt worden, die Elektrikerleistungen seien anderweitig vergeben worden (Rn 24).

4. Lehre und Schrifttum in Österreich :

[28] 4.1 Einhellig wird in der österreichischen Literatur davon ausgegangen, dass der Ausnahmetatbestand der „erheblichen Umbaumaßnahmen“ im Sinn des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG eng auszulegen bzw ein strenger Maßstab anzuwenden ist ( Dehn in Schwimann/Kodek , ABGB 5 § 1 FAGG Rz 59; Docekal/Ecker/Kogelmann/Kolba in Deixler Hübner/Kolba , Handbuch Verbraucherrecht [2015; Pkt IV. C. Rücktrittsrechte] 109; Kolba/Leupold , Das neue Verbraucherrecht [2014] Rz 55; Kohlhaupt , Zum sachlichen Anwendungsbereich des FAGG [2020] 85 f).

[29] 4.2 Zur Frage der Grenze der „Erheblichkeit“ einer Umbaumaßnahme wird im Wesentlichen auf den Erwägungsgrund 26 der RL 2011/83/EU und die „Zusammenschau“ von § 1 Abs 2 Z 7 FAGG zu § 26d KSchG verwiesen ( Dehn in Schwimann/Kodek 5 § 1 FAGG Rz 60; Cap , Umsetzung der Verbraucherrechte Richtlinie, ÖJZ 2014, 707 [708]; Riss in Keiler/Klauser , Verbraucherrecht [2. EL 2016] § 26d KSchG Rz 1 und 4; Apathy in Schwimann/Kodek 5 § 26d KSchG Rz 1; Kathrein/Schoditsch in KBB 6 § 26d KSchG Rz 2; Kohlhaupt , Zum sachlichen Anwendungsbereich des FAGG [2020] 85 f). Erhebliche Umbauarbeiten sind demnach nur solche, welche der Neuaufführung eines Gebäudes gleichkommen. Als nicht erhebliche Umbauarbeiten, die in den Anwendungsbereich des FAGG fallen, werden zB Verträge über Instandsetzungs und Renovierungsarbeiten – auch größeren Ausmaßes, zB Dachdeckerleistungen, Einbau einer neuen Heizanlage, Wintergärten, Austausch von Türen und Fenstern, Schornsteine –, genannt, aber auch die Errichtung von Anbauten an bestehende Gebäude wie zB einer Garage oder eines Wintergartens ( Leupold in Kosesnik Wehrle , KSchG und FAGG 4 [2015] § 1 FAGG Rz 28).

[30] 4.2.1 Pesek (Auswirkungen des VRUG auf das Wohn und Immobilienrecht, wobl 2014, 185 [200 f]) sieht die Intensität der Sanierungsleistung als entscheidend für die Beurteilung der Frage an, ob eine erhebliche Umbaumaßnahme vorliegt. Im Zusammenhang mit dem Bauträgervertragsgesetz, BGBl I 1997/7 (BTVG), vertritt Friedl (in Illedits/Reich Rohrwig , Wohnrecht 3 § 2 BTVG Rz 68), dass der Begriff der „durchgreifend zu erneuernden“ Gebäude, Wohnungen oder Geschäftsräume in § 2 Abs 1 BTVG in der Regel nicht die Schwelle der „erheblichen Umbaumaßnahme“ erreiche, auch weil der Bauträgervertrag als typengemischter Vertrag richtlinienkonform – beide Verträge seien in Erwägungsgrund 26 genannt – als Immobilienvertrag anzusehen sei, der vom reinen Werkvertrag über Umbaumaßnahmen unterschieden werden müsse.

[31] 4.2.2 Den an das Kriterium der Erheblichkeit der Umbaumaßnahme anzulegenden strengen Maßstab will Dehn (in Schwimann/Kodek 5 § 1 FAGG Rz 59) auch auf An und Zubauten an bestehende Gebäude oder für Instandsetzungs- und Renovierungsarbeiten anwenden, sodass etwa die Errichtung eines neuen Gebäudetrakts von der Ausnahme des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG erfasst sei, der Anbau einer Garage oder eines Wintergartens hingegen nicht. Demgegenüber sind nach der Ansicht von Illibauer (in Keiler/Klauser , Verbraucherrecht [5. Lfg 2019] § 1 FAGG Rz 16) Verträge über An oder Zubauten sowie Instandsetzungsarbeiten oder Renovierungen nicht unter diese Ausnahme zu subsumieren (ebenso Wiesinger , Der Bauvertrag im Konsumentenschutzrecht, ZVB 2015/38, 124 [125]).

[32] 4.2.3 Wendehorst (Verlängerte Rücktritts-möglichkeit, VbR 2014, 176 [177]) führt als Beispiel einen Vertrag über die Sanierung einer von einer Rechtsanwältin bewohnten Villenetage um 120.000 EUR an. Dabei handle es sich nicht um eine „erhebliche Umbaumaßnahme“ im Sinn des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG. Dem stimmt Dehn (in Leupold , Forum Verbraucherrecht 2015, Praxisprobleme des FAGG 1 [20]) zu.

[33] 4.2.4 Zur bereits zitierten Entscheidung 4 Ob 28/18y – in der diese Frage offen gelassen werden konnte – nahm Dehn Stellung (Aktuelle Rechtsprechung zum FAGG, VbR 2019/52, 93 [95]): In dieser Entscheidung ging es um die Sanierung einer Wohnung. Das Angebot der Werkunternehmerin bezog sich auf „Baumeisterarbeiten, Boden und Wandbeschichtung, Regiearbeiten, Rauchfangsanierung, Elektroinstallation und Installationsarbeiten“. Später wurden zusätzliche Aufträge erteilt, die Arbeiten an Türen einschließlich der Balkon und Hauseingangstür, eine geänderte Sanitärinstallation mit einer anderen Badewanne und anderen Armaturen sowie zusätzliche Elektroinstallationen betraf, wobei zusätzliche Leitungen verlegt, Schaltergruppen versetzt und zusätzliche Schalter eingebaut wurden. Weitere Zusatzkosten ergaben sich durch die Sanierung der Decke im Bad. Dazu vertrat Dehn die Ansicht, dass diese Renovierungsarbeiten die Dimension einer „erheblichen Umbaumaßnahme“ im Sinn des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG nicht erreicht hätten.

[34] 4.2.5 Auf einen wesentlichen Aspekt des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG weist ua Stabentheiner hin (Die miet und wohnrechtlich relevanten Teile des Verbraucherrechte-Richtlinie-Umsetzungsgesetzes, immolex 2014, 170 [171 f]; ebenso: Das Verbraucherrechte-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, VbR 2014, 68 [77]), nämlich auf das bereits angesprochene Verhältnis dieser Bestimmung zu § 26d KSchG. § 26d KSchG gelte nur mehr für Wohnraumsanierungen sehr großen Ausmaßes, nämlich für solche, die zugleich als „erhebliche Umbaumaßnahmen“ im Sinn des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG zu qualifizieren seien. Damit bleibe nur ein schmaler Anwendungsbereich für diese Bestimmung. Für das sehr viel breitere „Band“ an Wohnungsverbesserungen unterhalb dieser so hoch anzusetzenden Erheblichkeitsschwelle seien die Regelungen des FAGG anzuwenden. Cap (ÖJZ 2014, 707 [708]) weist in diesem Zusammenhang zutreffend auf die Gefahr hin, dass die unrichtige Einordnung eines Vertrags in die eine (§ 26d KSchG) oder andere (§ 1 Abs 2 Z 7 FAGG) Kategorie gravierende Folgen für den Unternehmer nach sich ziehen könne. Ob der durch § 26d KSchG angeordnete, über § 1 Abs 2 Z 7 FAGG hinausgehende Verbraucherschutz vor dem Hintergrund der Vollharmonisierung unionsrechtskonform sein mag (zweifelnd: Riss in Keiler/Klauser , § 26d KSchG Rz 4) braucht hier nicht beurteilt zu werden.

5. Lehre und Schrifttum in Deutschland :

[35] 5.1 Wie in Österreich geht auch in Deutschland die Lehre von einer grundsätzlichen engen Auslegung des Begriffs der „erheblichen Umbaumaßnahmen“ aus ( Thüsing in Staudinger , BGB [2019] § 312 Rn 29; Schulte Nölke in Schulze , HK BGB 11 [2022] § 312 Rn 17; Scheuch in Schulze , HK BGB 11 [2022] § 650i Rn 2; Busche in Henssler , MünchKomm BGB 8 [2020] § 650i Rn 4; Martens in Bamberger/Roth/Hau/Poseck , BGB 4 [2019] § 312 Rz 23; Koch in Erman , BGB 16 [2020] § 312 Rn 31).

[36] 5.2 Zur Frage der Grenze der „Erheblichkeit“ einer Umbaumaßnahme wird vertreten, dass neben den Kriterien des Erwägungsgrundes 26 der RL 2011/83/EU für die Abgrenzung Umfang und Komplexität des Eingriffs sowie das Ausmaß des Eingriffs in die bauliche Substanz des Gebäudes maßgeblich seien ( Thüsing in Staudinger , BGB Buch 2 [2019] § 312 Rn 29; Mansel in Jauernig , BGB 18 [2021] § 650i Rn 8; Wendehorst in Krüger , MünchKomm BGB 8 § 312 Rn 60; Martens in Bamberger/Roth/Hau/Poseck , BGB 4 § 312 Rn 23; Schwenker/Rodemann in Erman , BGB 16 § 650i Rn 3 f; Rehbein in Merl/Glöckner , Handbuch des privaten Baurechts 6 [2019] I Rn 113 mH auf die Rechtsprechung des BGH zur „Kernsanierung“ [VII ZR 257/03 ua]; Tamm in Tamm/Tonner/Brönneke , Verbraucherrecht 3 [2020] § 20 Rn 18).

[37] Mansel (in Jauernig , BGB 18 § 650i Rn 8) stellt etwa auf die Erheblichkeit der Umbaumaßnahme für das Gesamtgebäude ab. Erhebliche Umbaumaßnahmen sollen vorliegen, wenn diese erhebliche finanzielle Aufwendungen erfordern, funktional eigenständig sind und eine nicht unerhebliche technische Komplexität aufweisen ( Voit in Bamberger/Roth/Hau/Poseck , BGB 4 § 650i Rn 4). Erhebliche Umbaumaßnahmen seien solche, die dem Bau eines neuen Gebäudes vergleichbar seien wie beispielsweise die „Entkernung“ eines Gebäudes ( Föhlisch in Bittner/Clausnitzer/Föhlisch , Das neue Verbrauchervertragsrecht [2014] Rn 51).

[38] 5.3 Zu Anbauten wird in Deutschland vertreten, dass diese grundsätzlich keine erheblichen Umbaumaßnahmen darstellen ( Stadler in Jauernig , BGB 18 § 312 Rn 8; Schulte Nölke in Schulze , HK BGB 11 § 312 Rn 17; Scheuch in Schulze , HK-BGB 11 § 650i Rn 2; Martens in Bamberger/Roth/Hau/Poseck , BGB 4 § 312 Rn 23); dies wird auch zu Verträgen über Auf , Ab und Einbauarbeiten ausgeführt ( Koch in Erman , BGB 16 § 312 Rn 30). Mehrere Autorinnen und Autoren nennen als Beispiel, dass die Neueindeckung des Dachs keine erhebliche Umbaumaßnahme ist ( Thüsing in Staudinger , BGB [2019] § 312 Rn 30; Schulte Nölke in Schulze , HK BGB 11 § 312 Rn 17; Wendehorst in Krüger , MünchKomm BGB 8 § 312 Rn 60 FN 59; Busche in Henssler , MünchKomm BGB 8 § 650i Rn 7; Martens in Bamberger/Roth/Hau/Poseck , BGB 4 § 312 Rn 23; Koch in Erman , BGB 16 § 312 Rn 30).

[39] 5.4 Vertreten wird in Deutschland, dass von der Ausnahmebestimmung nur Verträge erfasst sind, die den gesamten Bau bzw Umbau durch einen Unternehmer beinhalten, und nicht nur Teile davon. Spalte der Verbraucher die erhebliche Umbaumaßnahme in mehrere Verträge, die er mit mehreren Unternehmern isoliert schließe, seien diese Verträge keine Verbraucherbauverträge im Sinn des § 650i BGB ( Mansel in Jauernig , BGB 18 § 650i Rn 5; Busche in Henssler , MünchKomm zum BGB 8 § 650i Rn 3; Schwenker/Rodemann in Erman , BGB 16 § 650i Rn 3; aA Voit in Bamberger/Roth/Hau/Poseck , BGB 4 § 650i Rn 4 f, der auch Einzelgewerke, die sich auf einen Beitrag zur Errichtung des Gebäudes beziehen, dem Verbraucherbauvertragsrecht unterstellen will). Keine erheblichen Umbaumaßnahmen seien Abrissarbeiten, weil diese nicht der „Errichtung“ eines Gebäudes dienten ( Tamm in Tamm/Tonner/Brönneke , Verbraucherrecht 3 § 20 Rn 20).

[40] 6.1 Das vom Unionsrecht angestrebte hohe Verbraucherschutzniveau und die in diesem Zusammenhang gebotene enge Auslegung der Ausnahmen vom Anwendungsbereich des FAGG einerseits sowie die für beide Vertragsparteien erforderliche Rechtssicherheit andererseits führen im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die von der Beklagten vertraglich übernommenen Arbeiten, nämlich die Entfernung des alten Dachs (Dachstuhl und ziegel) samt Herstellung des neuen Dachs, nicht als „erhebliche Umbaumaßnahmen“ im Sinn des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG anzusehen sind.

[41] 6.2 Ein Fall, der dem Bau eines neuen Gebäudes vergleichbar wäre, weil etwa nur die Fassade eines alten Gebäudes erhalten bliebe, liegt nicht vor. Die Errichtung eines neuen Dachs stellt vielmehr eine Baumaßnahme dar, die einem bloßen An oder Zubau vergleichbar ist, sodass bei Anlegung des zur Wahrung des hohen Verbraucherschutzniveaus erforderlichen strengen Maßstabs keine Ausnahme vom Anwendungsbereich des FAGG vorliegt. Daran würde – worauf das Erstgericht hingewiesen hat – auch nichts ändern, wenn der Auftrag an die Beklagte auch die Neueindeckung des Dachs umfasste. Denn das Auftragsvolumen ist sicherlich erheblich, kommt jedoch jenem eines Vertrags über die Errichtung eines Neubaus nicht gleich. Insbesondere umfasste der der Beklagten erteilte Auftrag auch nicht mehrere Gewerke und erreicht schon aus diesem Grund nicht jenen Umfang und jene Komplexität des Eingriffs, der einer Neubaumaßnahme – etwa bei vollständiger „Entkernung“ des Gebäudes – vergleichbar wäre.

[42] 6.3 Darauf, dass der Kläger die Herstellung einer zweiten Wohneinheit anstrebte, kommt es nicht an. Ein dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall vergleichbarer Sachverhalt liegt schon deshalb nicht vor, weil der Kläger nicht den Bau eines neuen Gebäudes (§ 1 Abs 2 Z 7 1. Fall FAGG) anstrebte. Selbst wenn man die Errichtung einer neuen Wohneinheit im früher unbewohnbaren Dachstuhl des Hauses insgesamt als „erhebliche Umbaumaßnahme“ in einem bestehenden Gebäude ansehen wollte, hat der Kläger die Beklagte nur mit einem von mehreren dafür erforderlichen Gewerken beauftragt, was auch für die Beklagte klar erkennbar war. Spaltet der Verbraucher eine erhebliche Umbaumaßnahme in mehrere, isoliert voneinander abgeschlossene Verträge mit verschiedenen Unternehmern, so ist jeder dieser Verträge gesondert zu beurteilen. In aller Regel werden einzelne Gewerke keine „erhebliche Umbaumaßnahme“ im Sinn des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG darstellen, weil der mit ihnen verbundene Auftrag nicht die Komplexität und den Umfang eines Eingriffs hat, der der Errichtung eines neuen Gebäudes vergleichbar ist.

[43] Nur bei dieser Auslegung besteht die erforderliche Rechtssicherheit für beide Vertragsparteien: Insbesondere auch für den Werkunternehmer ist es erforderlich, zweifelsfrei beurteilen zu können, in welchen Fällen er seinen Informationspflichten nach den §§ 4 ff FAGG nachkommen muss, um für ihn erhebliche Nachteile bei deren Verletzung – wie insbesondere die bedeutende Verlängerung der Rücktrittsfrist für den Verbraucher und drohende Verwaltungsstrafen (vgl § 19 FAGG) – zu vermeiden. Diese Rechtssicherheit kann in aller Regel weder für den Verbraucher noch für den Werkunternehmer erreicht werden, wenn sich die Frage der Anwendbarkeit des FAGG bereits bei der Vergabe von Einzelgewerken stellte, die – wie im vorliegenden Fall – Baumaßnahmen umfassen, welche weder an Komplexität noch an Umfang dem Bau eines neuen Gebäudes gleichkommen (ErwGr 26 der RL 2011/83/EU).

[44] 6.4 Der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag über die Entfernung des alten und Herstellung eines neuen Dachs am vom Kläger bewohnten Wohnhaus ist daher nicht als „erhebliche Umbaumaßnahme“ im Sinn des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG zu qualifizieren. Dies ergibt sich bereits aus der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts, sodass die vom Kläger angeregte Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht erforderlich war.

[45] 7. Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall, weil der Kläger nach den Verfahrensergebnissen den Rücktritt vom Vertrag noch innerhalb der ihm offen stehenden Frist des § 12 Abs 1 FAGG erklärte, sodass er die geleistete Anzahlung gemäß § 14 Abs 1 FAGG zurückfordern kann. Dem Rekurs war daher Folge zu geben und die klagestattgebende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[46] Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.