JudikaturJustiz10Ob2/17t

10Ob2/17t – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Januar 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des 1. D*, geboren am * 1998, *, und 2. mj S*, geboren am * 2001, in Pflege und Erziehung ihrer Mutter S*, im Unterhaltsverfahren vertreten durch das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Amstetten, Fachgebiet Rechtsvertretung Minderjähriger, 3300 Amstetten, Preinsbacher Straße 11), Vater: W*, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 1. September 2016, GZ 23 R 370/16h 105, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Amstetten vom 7. Juli 2016, GZ 1 Pu 30/12g 100, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Sohn D* befand sich im Laufe des bisherigen Verfahrens ebenso wie seine Schwester in Pflege und Erziehung der Mutter. Diese erteilte als gesetzliche Vertreterin gemäß ex – § 212 Abs 2 ABGB (nun § 208 Abs 2 ABGB) die Zustimmung zur Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs auch des Sohns durch den einschreitenden Träger der Kinder und Jugendhilfe. Der Sohn erreichte nach Einbringung des vorliegenden Revisionsrekurses die Volljährigkeit, sodass die bis dahin bestehende Vertretungsbefugnis des Trägers der Kinder und Jugendhilfe endete (RIS Justiz RS0125790).

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels einer iSd § 62 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass der Unterhaltspflichtige alle Kräfte anzuspannen hat, um seiner Verpflichtung zur angemessenen Unterhaltsleistung nachkommen zu können. Er muss alle seine persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einsetzen und seine Leistungskraft unter Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Könnens ausschöpfen (RIS Justiz RS0047686 [T4, T12]). Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit erzielen könnte (RIS Justiz RS0047686). Eine Anspannung eines Unterhaltsschuldners auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf aber nur dann erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er kein Erwerbseinkommen hat oder ihm die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zugemutet werden kann (vgl RIS Justiz RS0047495).

2. Ob die Voraussetzungen für eine Anspannung im konkreten Fall gegeben sind oder nicht, richtet sich nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Die in diesem Zusammenhang zu beantwortenden Rechtsfragen sind regelmäßig nicht von der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität (RIS Justiz RS0113751; RS0007096). Auch die Frage, ob den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er keine Erwerbstätigkeit ausübt, ist in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG (RIS Justiz RS0007096 [T5]).

3. Das Rekursgericht hat diese Rechtsprechung bei seiner Entscheidung beachtet. Im vorliegenden Verfahren hat der Vater seine Bewerbungen dargelegt. Das AMS bescheinigte gegenüber dem Erstgericht, dass der Vater ernsthaft bemüht um Arbeit ist. Seine Vermittelbarkeit war zunächst durch das Fehlen eines Führerscheins erschwert. Dennoch war der Vater immer wieder kurzfristig als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Ende November 2015 gelang es dem Vater dann, wieder einen Führerschein zu erlangen und in weiterer Folge, ab Ende März 2016, einen dauerhaften Arbeitsplatz zu erhalten. Die Ansicht des Rekursgerichts, dass dem Vater vor diesem Hintergrund im konkreten Fall nicht vorwerfbar sei, dass er kein oder kein höheres Erwerbseinkommen erzielen konnte, ist vertretbar.

4.1 Die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen. Es bedarf zum Einen konkreter Feststellungen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage erzielen könnte (RIS Justiz RS0047579). Zum anderen müssen auch ausreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die es erlauben, dem Vater ein Außerachtlassen des pflichtgemäßen Verhaltens anzulasten. Richtig ist, dass der Unterhaltsschuldner darzutun hat, dass und wie er seine Verpflichtungen, nach Kräften zum Unterhalt beizutragen, nachgekommen ist (RIS Justiz RS0047536).

4.2 Die von den Revisionsrekurswerbern für ihren Standpunkt ins Treffen geführte Entscheidung 1 Ob 65/16i ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Der damalige Unterhaltsschuldner legte nämlich (umfangreiche) Bewerbungsunterlagen vor. Da das Erstgericht aber zu Unrecht allein aus diesen Unterlagen den Schluss zog, dass seine Bewerbungsbemühungen nicht zielstrebig gewesen wären, erachtete der Oberste Gerichtshof das Verfahren zur Schaffung einer ausreichenden Tatsachengrundlage als ergänzungsbedürftig. Demgegenüber hat das Erstgericht im vorliegenden Fall im Rahmen seiner gesamten Entscheidungsbegründung die tatsächlichen Beschäftigungen des Klägers, die Zeiten seiner Arbeitslosigkeit und die Umstände, aus denen er nicht in der Lage war, mehr und höhere Einkünfte zu erzielen, festgestellt. Der Vater war danach bemüht, eine Arbeit zu finden, was ihm letztendlich auch gelungen ist. Das Erstgericht hat damit eine ausreichende Tatsachengrundlage zur Beurteilung der Frage, ob dem Vater (vorwerfbare) Versäumnisse in der Ernsthaftigkeit bei der Arbeitsplatzsuche angelastet werden können, geschaffen.

4.3 Entgegen der Ansicht der Revisionswerber ergibt sich aus der Entscheidung 1 Ob 65/16i keineswegs, dass es zum Beweis ausreichender Arbeitsplatzsuche erforderlich wäre, Bewerbungen schriftlich vorzulegen. Eine solche Ansicht stünde im Widerspruch zum auch das Außerstreitverfahren beherrschenden Grundgedanken der freien Beweiswürdigung (§ 32 AußStrG).

4.4 Auch mit ihren weiteren Ausführungen, der Vater habe aus eigenem Verschulden bereits zweimal eine Arbeitsstelle verloren, es habe ausreichend freie Arbeitsstellen gegeben, die der Vater auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit von den Arbeitgebern zur Verfügung gestellten Transportmöglichkeiten von seinem Wohnort erreichen hätte können, und es wären die Gründe für das Fehlen des Führerscheins zu erfragen gewesen, bekämpfen die Revisionsrekurswerber in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen (RIS Justiz RS0007236 [T4]; RS0069246 [T1] ua).

Der Revisionsrekurs war daher als unzulässig zurückzuweisen.