Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde der mj. XXXX (Erstbeschwerdeführerin), gesetzlich vertreten durch XXXX (Zweitbeschwerdeführerin) und XXXX (Drittbeschwerdeführer), diese vertreten durch Dr. Peter FRISCH, Rechtsanwalt in 4950 Altheim, Braunauer Straße 22, gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Oberösterreich vom 05.06.2025, Zl. Präs/3a-104-3/229-2024, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid behoben und XXXX , geb. XXXX , aus medizinischen Gründen vom Schulbesuch im Schuljahr 2025/26 befreit.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit E-Mail vom 04.11.2024 suchten die beschwerdeführenden Parteien für die Erstbeschwerdeführerin um Befreiung vom Schulbesuch im Schuljahr 2025/26 aus medizinischen Gründen an und legten ihrem Antrag diverse Ambulanz- und Arztbriefe sowie ärztliche Stellungnahmen und Bestätigungen bei. Mit Schreiben vom 13.02.2025 und 21.02.2025 übermittelten die beschwerdeführenden Parteien weitere Unterlagen.
2. Mit Bescheid vom 05.06.2025, Zl. Präs/3a-104-3/229-2024, zugestellt am 16.06.2025 (im Folgenden „angefochtener Bescheid“), wies die Bildungsdirektion für Oberösterreich (im Folgenden „belangte Behörde“) den Antrag ab und sprach aus, dass die Erstbeschwerde-führerin ab dem Schuljahr 2025/26 die Schulpflicht zu erfüllen hat. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die für eine Befreiung erforderliche Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit nicht vorliege, da Entwicklungsverzögerungen keinen Grund für eine Befreiung darstellen würden. Zudem sei eine Beschulung unter etwaiger Inanspruchnahme von Fördermöglichkeiten im Rahmen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs möglich.
3. Mit Schriftsatz vom 24.06.2025 erhoben die beschwerdeführenden Parteien durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachten darin auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass aus diversen vorgelegten Unterlagen hervorgehe, dass die Erstbeschwerdeführerin an einer infantilen Zerebralparese leide und ein Schulbesuch mit dieser Diagnose nicht vertretbar sei. Weiters sei im Zuge eines gegenwärtigen Reha-Aufenthaltes von den behandelnden ÄrztInnen ein zusätzliches Kindergartenjahr für sinnvoll erachtet worden. Eine Verlängerung des Kindergartenaufenthaltes der Erstbeschwerdeführerin sei auch deshalb sinnvoll, da aufgrund einer Fußlängendifferenz und dem erhöhten Risiko an Skoliose zu erkranken, die freie Bewegungsmöglichkeit im Kindergarten der beeinträchtigten Rücken- und Beinmuskulatur entgegenwirken würde. In der Schule könne hingegen auf die aktuellen körperlichen und geistigen Bedürfnisse der Erstbeschwerdeführerin nicht entsprechend eingegangen werden. Sohin würden medizinische Gründe einem Schulbesuch ab dem Schuljahr 2025/26 entgegenstehen bzw. würde dieser für die Erstbeschwerdeführerin zu einer unzumutbaren Belastung führen.
Dem Schriftsatz legten die beschwerdeführenden Parteien ärztliche Bestätigungen sowie eine Stellungnahme des Kindergartens bei.
4. Am 01.07.2025 übermittelte die Qualitätsbeauftragte für Kinderbildungs- und betreuungs-einrichtungen/Tagesmütter und Tagesväter der Abteilung Präs/7 – Elementarpädagogik, ihre pädagogische Stellungnahme per E-Mail an den Leiter des Referats Präs/3a der belangten Behörde sowie in Kopie an die Leiterin des Referats Präs/7b.
5. Mit Schreiben vom 03.07.2025, hg eingelangt am 07.07.2025, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habendem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen und gab zugleich eine Stellungnahme ab, in der sie zusammengefasst vorbrachte, dass die im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Befunde keinen medizinischen Grund belegen würden, der dem Schulbesuch entgegenstehen bzw. diesen zu einer unzumutbaren Belastung machen würde.
6. Mit Schreiben vom 29.07.2025 (vgl. OZ 2) übermittelte die belangte Behörde den Schülerbeobachtungsbogen, der im Rahmen der Schülereinschreibung am 11.02.2025 angelegt wurde.
7. Mit Parteiengehör vom selben Tag (vgl. OZ 3) übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Schülerbeobachtungsbogen an die beschwerdeführenden Parteien und räumte diesen die Möglichkeit ein, dazu binnen einer Frist von einer Woche ab Zustellung des Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen.
8. Mit Schriftsatz vom 01.08.2025 (vgl. OZ 4) gaben die beschwerdeführenden Parteien durch ihre Rechtsvertretung eine Stellungnahme ab, in der sie sinngemäß und zusammengefasst ausführten, dass sich die Erstbeschwerdeführerin am 07.10.2025 einer Operation unterziehen werde müssen und nach dem vorliegenden Heilungsplan davon auszugehen sei, dass die Erstbeschwerdeführerin in Folge der Operation zumindest eineinhalb Monate am Schulunterricht nicht teilnehmen können werde. Durch diese Fehlzeiten sei davon auszugehen, dass es zu einer Verstärkung der im Aufnahmebogen im Rahmen der Schülereinschreibung geäußerten Bedenken kommen würde. Zudem würden durch die Operation die bereits geltenden gemachten medizinischen Gründe die Unmöglichkeit eines Schulbesuchs bzw. die damit verbundene Unzumutbarkeit verschärfen.
9. Mit Parteiengehör vom 04.08.2025 (vgl. OZ 5) übermittelte das Bundesverwaltungsgericht die Stellungnahme der beschwerdeführenden Parteien vom 01.08.2025 (OZ 4) an die belangte Behörde und räumte dieser die Möglichkein ein, dazu binnen einer Woche ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.
10. Mit Eingabe vom 18.08.2025 brachten die beschwerdeführenden Parteien einen weiteren Arztbrief in Vorlage (vgl. OZ 7).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Erstbeschwerdeführerin wurde am XXXX geboren und wohnt in XXXX in Oberösterreich. Seit Herbst 2023 besucht die Erstbeschwerdeführerin dort den Kindergarten.
Die Zweitbeschwerdeführerin (Mutter der Erstbeschwerdeführerin) litt im Zuge ihrer Schwangerschaft mit der Erstbeschwerdeführerin und deren eineiiger Zwillingsschwester am sog. fetofetalen Transfusionssyndrom, bei dem es sich um eine schwere pränatale Durchblutungs- und Ernährungsstörung handelt, bei der ein Zwilling mehr Blut an den anderen abgibt, als er erhält, was im Fall der Erstbeschwerdeführerin zu einer intrauterinen Wachstumsretardierung geführt hat. Die Erstbeschwerdeführerin kam in der 35. Schwangerschaftswoche als Frühgeburt zur Welt und wies bereits im Babyalter deutliche Entwicklungsverzögerungen im Gegensatz zu ihrer gesunden Zwillingsschwester auf.
Als Folge der Komplikationen im Zuge der Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin leidet die Erstbeschwerdeführerin an einer bilateralen spastischen rechts- und beinbetonten Zerebralparese entsprechend Grad I-II GMFCS („Gross Motor Functions Classification System“), Grad I BFMF („Bimanual Fine Motor Function“) sowie Grad I CFCS („Communication Function Classification System“), im Stadium des freien Gehens (ICD-Code G80.0). Zudem leidet die Erstbeschwerdeführerin an einer kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörung im Bereich der motorischen Funktionen (ICD-Code F83) sowie einer beidseitigen Polymikrogyrie (Fehlbildung der Hirnrinde). Das rechte Bein der Erstbeschwerdeführerin ist um 1,2 cm verkürzt (Differenz zunehmend), ebenso die rechte Wadenmuskulatur. Der rechte Arm weist eine Hypertonie der Muskulatur auf, die eine Einschränkung der Grobmotorik bewirkt. Die Erstbeschwerdeführerin leidet darüber hinaus an einer Rumpfhypotonie sowie einem Insuffizienzhinken im Bereich der Hüftmuskulatur. Die Erstbeschwerdeführerin weist sowohl körperliche als auch kognitive Entwicklungsverzögerungen auf. Derzeit befindet sich die kürzlich sechs Jahre alt gewordene Erstbeschwerdeführerin auf dem Stand eines 4-jährigen Kindes, insbesondere der großmotorische Entwicklungsrückstand beträgt ein bis zwei Jahre. Ihr fällt es schwer, ruhig und konzentriert zu arbeiten; im Entscheidungszeitpunkt kann sie ihre Konzentration lediglich für ca. 30 Minuten aufrechterhalten. Weiters weist sie eine milde Artikulationsproblematik auf. Die Kontinenzentwicklung ist noch nicht abgeschlossen.
Die Erstbeschwerdeführerin erhält seit einigen Jahren eine physiotherapeutische Behandlung, derzeit alle zwei Wochen. Weiters erhält sie jeweils wöchentlich Ergotherapie, Hippotherapie, allgemeine Frühförderung sowie eine logopädische Therapie. Seit zumindest Jänner 2022 macht die Erstbeschwerdeführerin stetig Entwicklungsfortschritte.
Die Erstbeschwerdeführerin wird sich voraussichtlich im Oktober einer Myofasziotomie unterziehen. Nach diesem operativen Eingriff ist in den ersten drei Monaten die körperliche Schonung erforderlich. Die oben angeführten Therapien darf die Erstbeschwerdeführerin erst nach zirka eineinhalb Monaten wiederaufnehmen.
Die Befreiung vom Schulbesuch im kommenden Schuljahr wird von mehreren Ärzten verschiedener Fachrichtungen sowie Ergo- und Physiotherapeuten dringend angeraten. Aus medizinischer Sicht ist die Einschulung der Erstbeschwerdeführerin sowohl kognitiv als auch körperlich nicht vertretbar. Der Schulbesuch würde sich aufgrund der bestehenden Rumpfhypotonie aus (neuro-)orthopädischer Sicht sogar negativ auf die motorische Entwicklung der Erstbeschwerdeführerin auswirken.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Verlauf der Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin, der Frühgeburt und der bei der Erstbeschwerdeführerin breites im Babyalter vorliegenden Entwicklungsverzögerung gründen auf dem Ambulanzbrief des Ordensklinikums XXXX vom 02.06.2021.
Die Feststellungen zu den verschiedenen bei der Erstbeschwerdeführerin (in Folge der komplikationsbehafteten Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin) diagnostizierten Krankheiten, den körperlichen Fehlbildungen und –stellungen, den Hypotonien, den Entwicklungsverzögerungen, der Artikulations- und Konzentrationsproblematik sowie der mangelnden Kontinenzentwicklung gründen auf den diversen im Rahmen des behördlichen Verfahrens vorgelegten Ambulanz- und Arztbriefen des Ordensklinikums XXXX und des Krankenhauses XXXX in einem Zeitraum vom 02.06.2021 bis 12.12.2024, den Arztbriefen des Facharztes für Orthopädie, Dr. XXXX , vom 13.06.2023, 16.01.2024, 21.10.2024, 17.06.2025 und 13.08.2025, einem ergotherapeutischen Bericht vom 09.10.2024, einer physiotherapeutischen Stellungnahme vom 16.10.2024, sowie einem neuro-orthopädischen Befund vom 23.06.2025.
Auch die Feststellungen zu den verschiedenen therapeutischen Behandlungen gründen auf einem Ambulanzbrief des Krankenhauses XXXX , konkret jenem vom Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, Ambulanz Entwicklung und Neuropädiatrie, Prim. Dr. XXXX und dem von der Oberärztin Dr. XXXX ausgestellten Ambulanzbrief vom 21.12.2024. Dass die Erstbeschwerdeführerin seit zumindest Jänner 2022 Entwicklungsfortschritte macht, gründet ebenfalls auf den vorgelegten Ambulanz- und Arztbriefen des Ordensklinikums XXXX und des Krankenhauses XXXX . Aufgrund der kontinuierlichen Dokumentation seit Juni 2021 lässt sich die Entwicklung der Erstbeschwerdeführerin anhand der Befunde gut nachverfolgen und geht bspw. aus dem Ambulanzbrief vom 24.01.2022 erstmals hervor, dass die Erstbeschwerdeführerin kontinuierlich Entwicklungsfortschritte macht.
Die Feststellungen zur geplanten Operation der Erstbeschwerdeführerin sowie dem vorgesehenen postoperativen Heilungsplan gründen auf den von den beschwerdeführenden Parteien im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 01.08.2025 vorgelegten Unterlagen (OZ 4) sowie den Ausführungen in ihrer Eingabe vom 18.08.2025 (OZ 7), in der sie bekanntgaben, dass lediglich offen sei, in welcher Klinik der Eingriff vorgenommen werden wird. Auch der Facharzt für Orthopädie, Dr. XXXX , prognostiziert in seinem Arztbrief vom 18.08.2025 einen Ausfall der Erstbeschwerdeführerin im Ausmaß von zwei bis drei Monaten nach Durchführung der Operation.
Die Feststellungen zur medizinischen Notwendigkeit des Verbleibs der Erstbeschwerdeführerin im Kindergarten bzw. dass der Schulbesuch sowohl in kognitiver als auch in körperlicher Hinsicht medizinisch nicht vertretbar und sich sogar negativ auf die Entwicklung der Erstbeschwerdeführerin auswirken würde, gründet, ebenso wie die Feststellung, dass die Befreiung vom Schulbesuch im kommenden Schuljahr 2025/26 von mehreren ÄrztInnen verschiedener Fachrichtungen sowie Ergo- und PhysiotherapeutInnen dringend empfohlen wird, auf den bereits oben angeführten Ambulanz- und Arztbriefen, Berichten, Stellungnahmen und Befunden. Im Einzelnen wird hierzu näher ausgeführt:
Die Ergotherapeutin der Erstbeschwerdeführerin, XXXX , gibt in ihrem Bericht vom 09.10.2024 auf S. 4 f an, dass aufgrund der bei der Erstbeschwerdeführerin vorliegenden Händigkeitsproblematik, der fein- und grafomotorischen Schwäche sowie der zu fördernden Rumpfstabilität ein weiteres Kindergartenjahr von großem Vorteil wäre. Damit in Einklang stehend gibt auch der Physiotherapeut der Erstbeschwerdeführerin, XXXX , in seiner Stellungnahme vom 16.10.2024 an, dass für die Entwicklung der Erstbeschwerdeführerin ein weiteres Jahr im Kindergarten elementar wichtig ist, da sie sich dort aufgrund des vielfältigen, täglichen, motorischen Angebots wesentlich besser entwickeln kann; hingegen wäre ein Schulbesuch mit längeren Sitzphasen verbunden, die sich negativ auf die motorische Entwicklung der Erstbeschwerdeführerin auswirken würden, weshalb er einen Schulbesuch ab September 2025 nicht für sinnvoll erachtet. Auch Dr. XXXX , Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde in der Ambulanz für Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie am Ordensklinikum XXXX , die die Erstbeschwerdeführerin seit 2021 regelmäßig untersucht (vgl. hierzu den ersten vorgelegten Ambulanzbrief vom 17.06.2021), führt in ihrer Stellungnahme vom 10.10.2024 aus, dass die Erstbeschwerdeführerin von einem weiteren Kindergartenjahr profitieren würde, da sie diesfalls die Zeit hätte, ihre motorischen Fähigkeiten sowie ihre Ausdauer und Konzentration auszubauen, die Sprache und das Sprechen zu verbessern und die Kontinenzentwicklung abzuschließen. Schließlich führt auch Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, bei dem die Erstbeschwerdeführerin ebenfalls seit über zwei Jahren in Behandlung ist (vgl. hierzu den ersten vorgelegten Arztbrief vom 13.06.2023) bereits in seinem Arztbrief vom 21.10.2024 an, dass eine Einschulung mit den bei der Erstbeschwerdeführerin vorliegenden Diagnosen medizinisch nicht vertretbar und ein weiteres Jahr im Kindergarten mehr als empfehlenswert ist. In seinem Arztbrief vom 17.06.2025 wiederholt er diese Einschätzung, betont die medizinisch dringliche Notwendigkeit der Befreiung vom Schulbesuch im Schuljahr 2025/26 und führt aus wie folgt (Fehler im Original): „Aufgrund der aktuell bestehenden Entwicklung, welche vergleichbar mit einer etwa 4-jährigen Patientin ist, ist das lange Sitzen sowie eine Aufmerksamkeit für die Dauer einer Schulstunde sowohl kognitiv als auch körperlich medizinisch nicht vertretbar. Bei nach wie vor bestehender Rumpfhypotonie […] ist das Regelschul-Programm nicht sinnvoll […].“ Damit übereinstimmend spricht sich auch die behandelnde Ärztin der Erstbeschwerdeführerin am XXXX , einem Zentrum für Gesundheit und Rehabilitation, Dr.in XXXX , in ihrem Befund vom 23.06.2025 für eine Befreiung vom Schulbesuch im kommenden Schuljahr aus.
Die von der belangten Behörde eingeholte pädagogische Stellungnahme der zuständigen Qualitätsbeauftragten für Kinderbildungs- und betreuungseinrichtungen/Tagesmütter und Tagesväter der Abteilung Präs/7 – Elementarpädagogik, XXXX , vom 01.07.2025 war aus folgenden Gründen nicht geeignet, diese Einschätzungen zu widerlegen:
Zunächst stützt die Sachverständige ihre Einschätzung auf die Tatsache, dass die Erstbeschwerdeführerin seit geraumer Zeit gute Fortschritte in ihrer Entwicklung gemacht hat und ihr auch ein Kindergartenbesuch mit Fördermaßnahmen möglich war. Aus diesem Grund sei nicht begründbar, weshalb mit einer Weiterführung von Fördermaßnahmen ein Schulbesuch nicht möglich sein sollte. Zwar wird die Möglichkeit eines Schulbesuch mit begleitenden Fördermaßnahmen vom erkennenden Gericht nicht übersehen, jedoch ist das Argument der Sachverständigen nicht geeignet, die oben angeführten Einschätzungen diverser FachärztInnen und TherapeutInnen zu entkräften, zumal die genannten Umstände von diesen bereits berücksichtigt wurden. Wenn die Sachverständige daher in der Folge äußert, dass ein weiterer Verbleib im Kindergarten nicht zielführend sei, wird auf die Inhalte der zahlreichen oben angeführten Arztbriefe, Stellungnahmen und Befunde der die Erstbeschwerdeführerin teilweise seit mehreren Jahren betreuenden FachärztInnen und TherapeutInnen verwiesen, aus denen übereinstimmend das Gegenteil hervorgeht.
Wenn die Sachverständige sodann ausführt, dass sie aufgrund der Tatsache, dass der Entwicklungsrückstand bei der Erstbeschwerdeführerin wohl ihr gesamtes Lebens vorliegen werde, keine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit des Schulbesuchs als gegeben erachte, ist festzuhalten, dass es sich bei der Beurteilung, ob medizinische Gründe vorliegen, die einen Schulbesuch zu einer unzumutbaren Belastung machen, um eine Rechtsfrage handelt, deren Beantwortung dem Verwaltungsgericht vorbehalten ist (siehe hierzu ausführlich Punkt 3.2., wobei vom erkennenden Gericht nicht angezweifelt wird, dass es sich um bleibende Beeinträchtigungen handelt). Zudem lässt sich aus dieser Argumentation allein keinerlei Rückschluss auf die medizinische Vertretbarkeit eines Schulbesuchs schließen, die von den FachärztInnen und TherapeutInnen einhellig verneint wurde.
Insoweit die Sachverständige schließlich annimmt, dass ein von den Eltern und der Leiterin des Kindergartens XXXX geäußerter Unterstützungsbedarf auch im schulischen Bereich gegeben wäre und dieser einem Schulbesuch der Erstbeschwerdeführerin nicht entgegenstehen würde, wird dies vom erkennenden Gericht zwar nicht in Zweifel gezogen, jedoch ist auch diese Maßnahme nicht geeignet, die Einschätzungen der FachärztInnen und TherapeutInnen zu entkräften, zumal die Unterstützung der Erstbeschwerdeführerin im Sinne des geäußerten Bedarfs (zB beim An- und Ausziehen) nichts daran zu ändern vermag, dass ein Schulbesuch der Erstbeschwerdeführerin im kommenden Schuljahr 2024/25 aus medizinischer und therapeutischer Sicht für nicht vertretbar gehalten wird.
Die übrigen Feststellungen gründen auf dem unbedenklichen Verwaltungs- und Gerichtsakt und sind unstrittig.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu den für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Rechtsvorschriften:
Die für das gegenständliche Verfahren relevanten Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985), StF: BGBl. Nr. 76/1985 (WV), idgF, lauten auszugsweise wie folgt:
Personenkreis
§ 1. (1) Für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, besteht allgemeine Schulpflicht nach Maßgabe dieses Abschnittes.
(2) Unter Kindern im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Minderjährige zu verstehen, die nach Maßgabe dieses Abschnittes schulpflichtig oder zum Besuch einer allgemeinbildenden Pflichtschule berechtigt sind.
Beginn der allgemeinen Schulpflicht
§ 2. (1) Die allgemeine Schulpflicht beginnt mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September.
(2) […]
Befreiung schulpflichtiger Kinder vom Schulbesuch
§ 15. (1) Sofern medizinische Gründe dem Besuch der Schule entgegenstehen oder dieser dadurch zu einer für den Schüler unzumutbaren Belastung würde, ist der Schüler für die unumgänglich notwendige Dauer vom Besuch der Schule zu befreien.
(2) Bei einer voraussichtlich über die Dauer eines Semesters hinausgehenden Zeit der Befreiung gemäß Abs. 1 hat die Bildungsdirektion die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes darüber zu beraten, welche Fördermöglichkeiten außerhalb der Schule bestehen.
(3) Befreiungen gemäß Abs. 1 sind von der Bildungsdirektion mit Bescheid auszusprechen. Gemäß § 15 in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 20/2006 erfolgte Befreiungen von der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit gelten für die festgestellte Dauer der Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht als Befreiungen im Sinne des Abs. 1.
3.2. Bei der Beurteilung, ob medizinische Gründe vorliegen, die einem Schulbesuch entgegenstehen, handelt es sich um eine Rechtsfrage, deren Beantwortung dem Verwaltungsgericht vorbehalten ist (vgl. VwGH 31.07.2018, Ra 2017/08/0129, wonach ein ärztlicher Sachverständiger zur Beurteilung des Leidenszustands und der daraus resultierenden Fähigkeit, Arbeitstätigkeiten auszuüben befugt ist, nicht jedoch zur Beurteilung, ob daraus eine dauernde Invalidität iSd § 255 Abs. 3 ASVG resultiert).
Sowohl aus dem Gesetzeswortlaut (vgl. die Wortfolge „für die unumgänglich notwendige Dauer“ in § 15 Abs. 1 SchPflG), als auch aus dem den Gesetzesmaterialien zu entnehmenden Willen des Gesetzgebers ergibt sich, dass eine Befreiung nach § 15 SchPflG nur restriktiv zur Anwendung gelangen soll. So führt die einschlägige Regierungsvorlage aus: „[…] die Befreiung vom Besuch des Unterrichtes in der Schule darf nur auf die unumgänglich notwendige Dauer erfolgen (restriktive Handhabung).“ (vgl. RV 1166 BlgNR XXII. GP, Erl. Bem. zu § 15 SchPflG).
Für eine restriktive Anwendung des § 15 Abs. 1 SchPflG im Sinne einer ultima ratio, also nur dann, wenn keine anderen Maßnahmen mehr greifen, spricht auch der Umstand, dass die davon betroffenen Kinder im Gegensatz zur Konstellation „Teilnahme an häuslichem Unterricht“ jeder weiteren behördlichen Überprüfungsmöglichkeit entzogen sind.
Eine Befreiung vom Schulbesuch kommt daher nur dann in Betracht, wenn derart gravierende physische oder psychische Beeinträchtigungen beim Kind vorliegen, dass selbst Fördermaßnahmen nicht ausreichen, um diesem einen Schulbesuch zu ermöglichen.
3.3. Daraus folgt für den vorliegenden Fall:
Die im Entscheidungszeitpunkt sechs Jahre alte und in Oberösterreich wohnhafte Erstbeschwerdeführerin unterliegt gemäß § 1 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 SchPflG im Schuljahr 2025/26 der allgemeinen Schulpflicht. Zu prüfen ist im gegenständlichen Fall, ob die Erstbeschwerdeführerin im Schuljahr 2025/26 aus medizinischen Gründen oder einer aus diesen resultierenden Unzumutbarkeit vom Schulbesuch zu befreien ist.
Den Feststellungen zufolge leidet die Erstbeschwerdeführerin an einer bilateralen spastischen rechts- und beinbetonten Zerebralparese, einer kombinierten umschriebenen Entwicklungs-störung im Bereich der motorischen Funktionen, einer beidseitigen Polymikrogyrie, weiteren körperlichen Fehlbildungen und Hypotonien, einer körperlichen als auch kognitiven Entwicklungsverzögerung sowie Artikulations-, Konzentrations- und Kontinenzproblematiken.
Die belangte Behörde wies den Antrag auf Befreiung vom Schulbesuch im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass keine medizinischen Gründe vorliegen würden, die einen Schulbesuch für die Erstbeschwerdeführerin unmöglich oder unzumutbar machen würden, zumal die Entwicklungsverzögerung keinen Grund für eine Befreiung darstelle. Zudem sei eine Beschulung unter Inanspruchnahme etwaiger Fördermöglichkeiten im Rahmen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs möglich.
Zwar ist der belangten Behörde insofern zuzustimmen, als die bei der Erstbeschwerdeführerin vorliegenden Entwicklungsverzögerungen allein keine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit darstellen, jedoch ergibt sich für das erkennende Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, dass der Schulbesuch für die Erstbeschwerdeführerin im Schuljahr 2025/26 vor dem Hintergrund der bei ihr vorliegenden zahlreichen Diagnosen zu einer unzumutbaren Belastung führen würde:
Unzweifelhaft stellt jede der obengenannten Erkrankungen, Entwicklungsstörungen bzw. verzögerungen sowie Fehlbildungen und –stellungen für sich alleine bereits eine grundsätzliche Belastung dar, sodass beim simultanen Vorliegen von Zerebralparese, Entwicklungsstörungen bzw. –verzögerungen, körperlichen Fehlbildungen, Hypotonien sowie Artikulations-, Konzentrations- und Kontinenzproblematiken umso mehr von einer Belastung ausgegangen werden muss. Zudem wird – wie festgestellt – die Befreiung vom Schulbesuch von mehreren ÄrztInnen verschiedener Fachrichtungen sowie Ergo- und PhysiotherapeutInnen dringend empfohlen und eine Einschulung der Erstbeschwerdeführerin im Schuljahr 2025/26 aus medizinischer Sicht für nicht vertretbar erachtet. Hinzutritt der Umstand, dass sich die Erstbeschwerdeführerin voraussichtlich im Oktober einem Eingriff unterziehen wird, infolgedessen sie einen bestimmten Heilungsplan befolgen und sich über einen längeren Zeitraum körperlich schonen muss, womit ihr schon aus diesem Grund der Schulbesuch für zumindest drei Monate nicht möglich ist. Zu berücksichtigen ist zudem, dass sich das lange Sitzen im Rahmen des Schulunterrichts aufgrund der bestehenden Rumpfhypotonie sogar negativ auf die Entwicklung der Erstbeschwerdeführerin auswirken würde, weshalb in einer Gesamtbetrachtung von einer Unzumutbarkeit des Schulbesuchs im Schuljahr 2025/26 auszugehen ist.
Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weiters ausführt, dass eine Beschulung unter Inanspruchnahme etwaiger Fördermöglichkeiten im Rahmen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs möglich sei, ist festzuhalten, dass der sonderpädagogische Förderbedarf immer dann festzustellen ist, wenn ein Kind infolge einer Behinderung dem Unterricht ohne diesen nicht zu folgen vermag, wobei unter Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen ist, die geeignet ist, die Teilhabe am Unterricht zu erschweren (vgl. § 8 SchPlfG).
Zwar mag im Rahmen des sonderpädagogischen Förderbedarfs auf die Entwicklungsrückstände der Erstbeschwerdeführerin und die bei ihr vorliegenden körperlichen – insbesondere motorischen – Funktionsbeeinträchtigungen eingegangen werden, jedoch wäre der sonderpädagogische Förderbedarf im konkreten Fall nicht geeignet, der Erstbeschwerdeführerin die Teilhabe am Unterricht zu erleichtern, da mit diesem nicht das Auslangen gefunden werden kann (monatelange Schonung nach einer Myofasziotomie im Oktober 2025), insofern auch davon auszugehen ist, dass die Befreiung nach § 15 SchPflG die ultima ratio darstellt.
Diese Einordnung steht einer restriktiven Handhabung des § 15 SchPflG auch insofern nicht entgegen, als damit die Befreiung vom Besuch des Unterrichtes in der Schule nur auf die unumgänglich notwendige Dauer, nämlich konkret das Schuljahr 2025/26 erfolgt und die Einschulung der Erstbeschwerdeführerin im darauffolgenden Schuljahr erfolgen wird, zumal den vorgelegten ärztlichen Bestätigungen keine Einwände hinsichtlich eines Schulbesuchs ab dem Schuljahr 2026/27 zu entnehmen waren.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles war daher der angefochtene Bescheid zu beheben und die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 15 SchPflG aus medizinischen Gründen vom Schulbesuch im Schuljahr 2025/26 zu befreien.
3.4. Zur Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung:
Im gegenständlichen Fall konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 4 VwGVG entfallen, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes erwarten lässt (vgl. etwa Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 13 mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie VfGH 18.06.2012, B 155/12; EGMR Tusnovics v. Austria, 07.03.2017, 24.719/12). Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (vgl. VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127).
3.5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Punkt 3.2. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.