IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Ukraine, alias Russische Föderation gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Wien vom 30.01.2025, Zahl XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Dem Beschwerdeführer kommt ein vorläufiges Aufenthaltsrecht für Vertriebene gemäß § 62 AsylG 2005 iVm VertriebenenVO BGBl. II 92/2022 idgF. zu.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 02. Mai 2022 brachte der BF mittels E-Mail ein Anliegen zu seiner Person ein, indem er vorbrachte, dass er bei der Fremdenpolizei versuchte seine Daten richtig zu stellen und er um Ausstellung einer „Blauen Karte“ ersuche. Man habe ihm mitgeteilt, dass er sich an das BFA wenden solle, so melde er sich nun über E-Mail mit dem Ersuchen um Vorsprache. Dem BF wurde mitgeteilt, dass derzeit keine gesetzliche Regelung für seinen Fall gegeben ist und er bei Entsprechung informiert werde.
2. Am 22. Juli 2022 stellte der BF mit Unterstützung der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH einen Feststellungsantrag auf die Gewährung der Vertriebenen-Karte gemäß § 62 AsylG iVm Vertriebenen VO. Er brachte vor, dass er die ukrainische als auch die russische Staatsbürgerschaft besitze. Der gewöhnliche Aufenthalt sei bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges die Ukraine gewesen. Er habe sich nach seiner Ankunft in Österreich am 13.04.2022 beim Austria Center Vienna gemeldet und sei es hier zu einem Missverständnis gekommen, da er beide Pässe vorgelegt habe. So sei bei Aufklärung der Situation der ukrainische Pass nach einem langen Gespräch zur Registrierung zugelassen worden und ihm sei mitgeteilt worden, dass er als ukrainischer Staatsbürger registriert werde. Danach sei lange Zeit nichts geschehen und er habe immer nachgefragt, wann er die „blaue Karte“ erhalte, er sei immer vertröstet worden. Der BF sei bis zum 24.02.2022 in der Ukraine niedergelassen gewesen und habe dort seinen Wohnsitz und seine Familie, er könne nicht mehr zurück und ersuche daher um die Feststellung der Eigenschaft als Vertriebener im Sinne der Vertriebenen VO. Mitvorgelegt wurde ein Nachweis der ukrainischen Staatsbürgerschaft.
3. Mit E-Mail des BFA vom 28.11.2024 wurde dem BF Parteiengehör zu verschiedenen Punkten gewährt. Dazu gab der BF am 28.11.2024 im Wesentlichen an, dass er Staatsbürger der Ukraine sei und aufgrund der Besetzung der Krim gezwungen worden sei die russische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Seine letzte Ausreise aus der Ukraine sei der 30.08.2022 gewesen und er könne ein Foto von dieser Gegebenheit übermitteln. Er habe einen registrierten Wohnsitz auf der Krim. Der Grund der Ausreise sei der Krieg und damit einhergehend die Beschießung seiner Region, der Gefahr der Mobilisierung sowohl durch die russische als auch die ukrainische Armee gewesen. Derzeit lebe er nicht in Österreich werde aber umziehen sobald es gehe. Er habe aufgrund Widrigkeiten Österreich verlassen müssen und er hoffe nun hier bleiben zu können. In Österreich habe er keine Familienangehörige, diese seien in der Ukraine. Mitvorgelegt wurden Fotos, sowie ein Meldezettel vom 26.08.2022 bis 29.08.2022.
4. Mit E-Mail des BFA vom 29.11.2024 wurde dem BF mitgeteilt, dass nur Personen ein Aufenthaltsrecht als Vertriebene erhalten, welche nachweislich nach dem 24.02.2024 in der Ukraine aufhältig gewesen sind, die Fotos vom Grenzübergang können dies nicht nachweisen. Falls der BF erneut einreisen sollte, solle er sich bei der Registrierungsstelle für Ukraine melden, das Verfahren sei eingestellt worden.
5. Am 04.12.2024 brachte der BF per E-Mail vor, dass er in Wien angekommen sei und sich bei der Polizei gemeldet habe. Diese habe ihm mitgeteilt, dass er sich kein zweites Mal anmelden könne. Er ersuche um einen Termin um die Situation besprechen zu können.
Am 05.12.2024 teilte der BF mit, dass zu den Fotos am Grenzübergang, welche sich auch am Handy befinden ein Datumsaufnahmeverzeichnis sowie ein Standortstempel enthalten sind und er lege dies vor, zum Nachweis, dass er nach dem 24.02.2022 ausgereist sei.
6. Am 17.12.2024 erfolgte beim BFA eine niederschriftliche Befragung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Russische Sprache. Der BF gab im Wesentlichen an, dass er am XXXX auf der Krim in der Ukraine geboren worden und gesund sei. Er habe einen ukrainischen Reisepass gehabt und versucht einen neuen zu erhalten. Nach der Besetzung der Krim 2014 habe er einen russischen Reisepass erhalten. Den ukrainischen Reisepass habe er in Polen bei der Migrationsbehörde beantragt und ukrainische Dokument vorgelegt. Man habe ihm jedoch mitgeteilt, dass für den Erhalt des ukrainischen Passes er direkt in der Ukraine eine Prozedur der Identifikation durchlaufen müsse. Aus Furcht vor einer Mobilisierung habe er dies nicht gemacht. Nach einiger Zeit habe sich ergeben, dass man diese Prozedur außerhalb der Ukraine machen könne, dies habe er getan, dies sei aber nicht möglich, da er dafür eine Militärkarte benötige. Er sei ukrainischer Staatsbürger, durch die Besatzung sei er gezwungen worden die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, er hätte sonst nicht zu den Behörden können, keine Polizei, kein Krankenhaus aufsuchen können, man konnte mit den Behörden ohne russischen Reisepass nichts machen. Er habe an einem Projekt in Usbekistan gearbeitet und sei deshalb in Usbekistan aufhältig gewesen, dafür sei er am 15. oder 16. Jänner 2022 aus der Stadt Kertsch ausgereist. Er sei von Kertsch mit dem Bus nach Simferopol und mit dem Flugzeug nach Moskau. Er sei in Österreich gewesen und danach am 30.08.2022 in die Ukraine gereist. Er sei nach Shehyni gereist, habe den Grenzübergang überschritten und danach gleich wieder zurück nach Europa eingereist. Sein Jurist habe ihm empfohlen ein- und gleich wieder auszureisen. Der Inlandspass sei nicht gestempelt worden. Nach dem 30.08.2022 reiste er nach Polen und von dort nach Österreich, danach in die Schweiz, dort habe er sich als Ukraine Vertriebener registriert, jedoch keine Aufenthaltskarte bekommen, da er zwei Reisepässe habe. Er sei zwei Jahre in der Schweiz geblieben und sei am 04.12.2024 wieder nach Österreich gereist und wolle sich hier als Vertriebener registrieren lassen. Er habe von Fonds Soziales Wien erfahren, dass er als Ukraine-Vertriebener registriert sei. In der Ukraine habe er als Business Berater gearbeitet. Die Familienangehörigen seien auf der Krim. In Wien wohne er in der Schlossberggasse, er habe dort erfahren, dass man sich erst nach 2 Monaten registrieren könne. Er sei ledig und habe 11 Jahre die Grundschule besucht sowie 6 Jahre die Universität in Kiew und dies auch in Fachbereich Physik und Mathematik abgeschlossen. Er könne als Forscher arbeiten. Er werde nicht bedroht, habe aber an verschiedenen Demonstrationen teilgenommen und die Ukraine finanziell unterstützt. Eine Rückkehr auf die Krim sei für ihn gefährlich. Beim Militär sei er nicht gewesen.
Mitvorgelegt wurden: Kopie russischer Reisepass gültig von 17.11.2017 – 17.11.2027, Verlustanzeige Stadt Zürich, Kopie ukrainischer Inlandspass, Verlustanzeige Stadt Zürich – Inlandspass, Kopie Geburtsurkunde, original russischer Reisepass, ukrainische Dokument, Steuerbezahlung ausgestellt 02.09.2011, Studentenausweis Kiew September 2012 gültig bis Juli 2018, Familienregisterauszug, abgeschlossene Mittelschule, Zeugnisse, Aufnahmeprüfung für die Universität in Kiew.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 22.08.2022 wurde festgestellt, dass den BF gemäß § 62 Abs.1 AsylG iVm. Vertriebenen-VO kein vorläufiges Aufenthaltsrecht als Vertriebene zukommt (Spruchpunkt I.) und wurde mit Spruchpunkt II. der Antrag auf Ausstellung eines Ausweises für Vertriebene gemäß § 62 Abs.4 AsylG zurückgewiesen.
Begründend wurde im Wesentlichen dargelegt, dass der BF russischer Staatsangehöriger sei und im Besitz eines russischen Reisepasses gültig von 28.08.2024 bis 28.08.2034, somit stehe die Identität fest. Der BF könne keinen gültigen ukrainischen Reisepass vorweisen, wodurch er auch keine ukrainische Staatsbürgerschaft nachweisen könne. Daher habe auch nicht festgestellt werden können, dass er Doppelstaatsbürger sei. Er habe keine Verwandten im Bundesgebiet. Er habe vor der Ausreise einen Wohnsitz in der Ukraine und sei laut eigenen Angaben am 16.01.2022 ausgereist. Der BF habe ein Visum der tschechischen Republik bis zum 12.07.2022 besessen. Nach der Ausreise habe sich der BF ab 14.04.2022 in Österreich aufgehalten und ab 29.08.2022 für zwei Jahre in der Schweiz. Am 04.12.2024 sei der BF nochmals ins Bundesgebiet eingereist und sei am 24.02.2022 nicht im Bundesgebiet gewesen und verfügt an diesem Tag über kein Visum und keinen Aufenthaltstitel. Der BF sei weder ukrainischer Staatsbürger noch ein Familienangehörige im Sinne der VertriebenenVO, noch habe er einen Aufenthaltstitel als nicht ukrainischer Staatsbürger in der Ukraine gehabt, daher sei ihm auch die Vertriebenen VO nicht anwendbar. Er könne einen Antrag auf internationalen Schutz stellen. Der Bescheid wurde am 05.02.2025 zugestellt.
8. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist am 26.02.2025 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes infolge einer von der belangten Behörde vorgenommenen fehlerhaften Interpretation des §1 Z 1 der VertriebenenVO sowie eines mangelhaft durchgeführten Ermittlungsverfahrens Beschwerde erhoben. Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF nicht nur die russische, sondern auch die ukrainische Staatsbürgerschaft innehat, so habe er im Jahr 2022 seinen unbedenklichen ukrainischen Reisepass vorgelegt. Daher stehe der BF im Anwendungsbereich der VertriebenenVO. Der BF habe, wie festgestellt einen Hauptwohnsitz in der Ukraine und sei lediglich aus beruflichen Gründen ausgereist und habe zurückehren wollen, es werde auf die Rechtsprechung des VfGH vom 15.03.2023, E3249/2022-12 verwiesen. Die russische Staatsbürgerschaft ist dem BF aufgezwungen worden, wie aus den ACCORD Anfragen auch ersichtlich.
9. Die gegenständliche Angelegenheit langte am 07.03.2025 ein und wurde der zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
10. Das BVwG stellte eine Anfrage an die Staatendokumentation bezüglich der Zuerkennung/Aberkennung von Staatsbürgerschaften von ukrainischen Staatsbürger, welche auf der Krim wohnhaft sind.
11. Die Anfragebeantwortung wurde den Parteien zur Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von 7 Tagen ab Einlangen ermöglich. Der BF brachte mit Eingabe vom 02.07.2025 fristgerecht eine Stellungnahme ein. Die belangte Behörde, welcher am 25.06.2025 das Parteiengehör übermittelt wurde, brachte bis zum 09.07.2025 keine Stellungnahme ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Der BF ist ukrainische Staatsangehörige. Der BF ist weiters im Besitz eines russischen Reisepasses.
Der BF hat am 16.01.2022 seinen Wohnsitz in der Ukraine auf der Krim verlassen um einer beruflichen Tätigkeit im Ausland nachzugehen. Der BF ist weiterhin im Besitz eines Wohnsitzes in der Ukraine. Der BF war ab 14.04.2022 in Österreich aufhältig und bis zum 29.08.2022 behördlich gemeldet. Am 30.08.2022 reiste der BF in die Ukraine zurück und reiste am nächsten Tag wieder aus. Der BF verzog danach in die Schweiz und kehrte am 04.12.2024 in das Bundesgebiet zurück.
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Ukraine/Russische Föderation:
Ukrainische Staatsbürgerschaft auf der Krim; Staatsbürgerschaft.
1. Sind ukrainische Staatsbürger auf der Krim verpflichtet die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen? Mussten die Bewohner einen Antrag stellen oder wurde die russische Staatsbürgerschaft ex-lege verliehen?
2. Wenn ja, ab wann und welche Konsequenzen hat dies? Welche Konsequenzen gab es bei Verweigerung der Annahme (z.B. Verweigerung einer Arbeitserlaubnis, Wahlrecht usw.)?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche in deutscher und englischer Sprache mit den zur Verfügung stehenden Quellen nachfolgende Informationen zu diesen Fragen gefunden werden. Ergänzend wurden diese auch an die Österreichische Botschaft in Kyjiw weitergeleitet.
Eine Beschreibung der verwendeten Quelle kann, sofern diese nicht schon vor der Information angeführt ist, unter www.staatendokumentation.atsowie auch in der dort archivierten Methodologie der Staatendokumentation eingesehen werden. Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben.
Zusammenfassung:
Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen kann davon ausgegangen werden, dass ukrainische Bürger gezwungen wurden, russische Pässe anzunehmen. Wer sich weigert, muss mit der Verweigerung grundlegender Dienstleistungen und medizinischer Versorgung, körperlichen Übergriffen und Einschüchterungen, der Enteignung von Eigentum und der Vertreibung aus den Regionen rechnen.
Einzelquellen:
Die ÖB in Kyjiw gibt dazu an:
Das Departement des konsularischen Dienstes des Außenministeriums der Ukraine beehrt sich, die Botschaft der Republik Österreich in der Ukraine in Beantwortung der Note der Botschaft vom 19. Mai 2025 GZ. 2025 0.385.868 betreffend die Bereitstellung von Informationen über den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft durch Bürger der Ukraine in der Autonomen Republik Krim zu informieren, beehrt sich, Ihnen Folgendes mitzuteilen.
Die in der Verbalnote aufgeworfenen Fragen fallen nicht in die Zuständigkeit der ukrainischen staatlichen Behörden, die sich mit Staatsbürgerschaftsfragen befassen.
Gemäß dem ukrainischen Gesetz „Über die Gewährleistung der Rechte und Freiheiten der Bürger und die Rechtsordnung in den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine“ sind die Autonome Republik Krim und die Stadt Sewastopol seit dem 20. Februar 2014 vorübergehend von der Russischen Föderation besetzt.
Das vorübergehend von der Russischen Föderation besetzte Gebiet der Ukraine ist ein integraler Bestandteil des ukrainischen Hoheitsgebiets und unterliegt der Verfassung und den Gesetzen der Ukraine sowie den von der Werchowna Rada der Ukraine ratifizierten internationalen Verträgen.
Der erzwungene automatische Erwerb der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation durch ukrainische Staatsbürger, die sich in dem vorübergehend besetzten Gebiet aufhalten, wird von der Ukraine nicht anerkannt und ist kein Grund für den Verlust der ukrainischen Staatsbürgerschaft.
ÖB Österreichische Botschaft in Kyjiw [Österreich] (12.6.2025): Übermittlung der Antwort des Departement des konsularischen Dienstes des Außenministeriums der Ukraine per E Mail
Amnesty International (AI) gibt in seinem Bericht vom 29.4.2025 zur Menschenrechtslage 2024 an:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte im Juni 2024, dass die russische Verwaltung der Krim zahlreiche Menschenrechte verletzt habe, indem sie die Einwohner*innen zwang, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, Häftlinge nach Russland überstellte, Personen verschwinden ließ und die Religions- und Medienfreiheit unterdrückte. AI Amnesty International (29.4.2025): Amnesty Report 2024/25: Zur Lage der Menschenrechte weltweit; Ukraine 2024, https://www.ecoi.net/de/dokument/2124771.html , Zugriff 22.5.2025
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gibt in seinen Briefing Notes vom 24.3.2025
Russisches Dekret zum Aufenthaltsstatus ukrainischer Staatsangehöriger Laut Berichterstattung erließ Präsident Putin am 20.03.25 ein Dekret, in dem er ukrainische Staatsangehörige, die „ohne Aufenthaltserlaubnis in Russland“ leben, auffordert, bis zum 10.09.25 „ihren Rechtsstatus zu regeln“. Damit werde Druck auf ukrainische Bürgerinnen und Bürger in der RF und in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine ausgeübt, damit sie die russische Staatsbürgerschaft annehmen. Ukrainische Staatsangehörige, die russische Pässe und Staatsbürgerschaften ablehnen, würden dadurch etwa zur Ausreise aus den besetzten Gebieten gezwungen. Die Ukraine habe das illegale Vorgehen dem Internationalen Strafgerichtshof gemeldet.
BAMF
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (24.3.2025): Briefing Notes, Ukraine, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anla gen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2025/briefingnotes kw13 2025.pdf?__blob=publicationFile v=4 , Zugriff 22.5.2025
Landinfo gibt in einem Bericht zur Ukraine betreffend Doppelstaatsbürgerschaft an, dass, wenn ein Bürger der Ukraine die Staatsangehörigkeit (Nationalität) eines anderen Staates oder anderer Staaten erworben hat, wird er/sie in den Rechtsbeziehungen mit der Ukraine ausschließlich als Bürger der Ukraine anerkannt.
If a citizen of Ukraine has acquired citizenship (nationality) of another state or states, then in legal relations with Ukraine, he/she is recognised solely as a citizen of Ukraine. If a foreigner has acquired citizenship of Ukraine, then in legal relations with Ukraine he/she shall be recognised solely as a citizen of Ukraine.
Landinfo –Norwegian Country of Origin Information Centre [Norwegen] (8.5.2025): Ukraina; Dobbelt statsborgerskap, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125352/Ukraina-respons-Dobbelt-statsborgerskap-08052025.pdf, Zugriff 16.5.2025
Landinfo gibt weiter an, dass gemäß Artikel 19 Absatz 1 des Gesetzes der Ukraine „Über die Staatsbürgerschaft der Ukraine“ der freiwillige Erwerb der Staatsbürgerschaft eines anderen Staates durch einen ukrainischen Staatsbürger, wenn dieser zum Zeitpunkt des Erwerbs volljährig ist, zum Verlust der ukrainischen Staatsbürgerschaft führt. Als freiwilliger Erwerb der Staatsangehörigkeit eines anderen Staates gelten alle Fälle, in denen ein ukrainischer Staatsbürger, um die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates zu erwerben, einen entsprechenden Antrag gemäß den Verfahren der nationalen Rechtsvorschriften des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er erworben hat, stellen musste. Ein ukrainischer Staatsbürger, dessen Verlust der Staatsbürgerschaft registriert wurde, genießt bis zum Erlass des Dekrets des Präsidenten der Ukraine über die Beendigung der ukrainischen Staatsbürgerschaft alle Rechte und Pflichten eines ukrainischen Staatsbürgers.
According to Clause 1 of Article 19 of the Law of Ukraine “On Citizenship of Ukraine”, the voluntary acquisition of citizenship of another state by a citizen of Ukraine, if at the time of such acquisition he has reached the age of majority, is a basis for losing citizenship of Ukraine. Voluntary acquisition of citizenship of another state is considered to be all cases when a citizen of Ukraine, in order to acquire citizenship of another state, had to apply for such acquisition in accordance with the procedure established by the national legislation of the state whose citizenship was acquired.
A citizen of Ukraine in respect of whom the loss of citizenship is registered shall, until the issuance of the decree of the President of Ukraine on thetermination of Ukrainian citizenship, enjoy all the rights and bear all the obligations of a citizen of Ukraine.
Landinfo –Norwegian Country of Origin Information Centre [Norwegen] (8.5.2025): Ukraina; Dobbelt statsborgerskap, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125352/Ukraina-respons-Dobbelt-statsborgerskap-08052025.pdf, Zugriff 16.5.2025
Freedom House (FH) gibt in seinem Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2024 zu den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine an, dass ukrainische Bürger gezwungen wurden, russische Pässe anzunehmen. Wer sich weigert, muss mit der Verweigerung grundlegender Dienstleistungen und medizinischer Versorgung, körperlichen Übergriffen und Einschüchterungen, der Enteignung von Eigentum und der Vertreibung aus den Regionen rechnen. Im September 2023 wurde ein junges Ehepaar in dem Dorf Mali Kopani getötet; laut Familienangehörigen, weil sie sich weigerten, russische Pässe anzunehmen. Die russischen Behörden bieten den Menschen in den besetzten Gebieten auch Anreize, russische Pässe anzunehmen, sowie Anreize für russische Bürger, in die besetzten Gebiete zu ziehen. Zahlreiche Fälle von Deportationen von Kindern, einschließlich Waisen, aus den besetzten Gebieten der Region Cherson auf die besetzte Krim, nach Russland und Weißrussland wurden dokumentiert. In den Lagern werden die Kinder einer Indoktrinationskampagne unterzogen, die eine russisch-patriotische Erziehung, eine militärische Ausbildung, den Druck zur Annahme der russischen Staatsbürgerschaft und die Bestrafung von Äußerungen der ukrainischen Identität umfasst. Solche Einrichtungen gibt es auch in der besetzten Ostukraine.
Ukrainian citizens have been compelled to adopt Russian passports, with those who refuse face denial of basic services and medical care, physical assaults and intimidation, expropriation of property, and expulsion from the regions. […]
In September 2023, a young married couple were killed in the village of Mali Kopani; family members said because they refused to accept Russian passports. Russian authorities also offer incentives to people in occupied areas to accept Russian passports, as well asincentives for Russian citizens to move to the occupied areas. […]
Numerous cases of deportation of children, including orphans, from occupied areas of Kherson Region to occupied Crimea, Russia, and Belarus have been documented. In the camps, children aresubjected to an indoctrination campaign that includes Russian patriotic education, military training, pressure to assume Russian citizenship, and punishment for expressions of Ukrainian identity. Such facilities are also present in occupied eastern Ukraine.
FH -Freedom House (2025): Freedom in the World 2025 -Russian-occupied territories of Ukraine*, https://www.ecoi.net/de/dokument/2125457.html, Zugriff 22.5.2025
HRC -das UN Human Rights Council, gibt in einem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zur Menschenrechtslage in den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine, einschließlich der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol an, dass die Besatzungsbehörden Druck auf die Bewohner der vorübergehend besetzten Gebiete in den ukrainischen Regionen Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk ausübten, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Nach der Einführung des russischen Rechts-und Verwaltungssystems wurden diejenigen, die keinen russischen Pass besaßen, bei der Wahrnehmung ihrer Rechte auf Arbeit und soziale Sicherheit, ihrer Eigentumsrechte und ihres Rechts auf Freizügigkeit sowie beim Zugang zum Gesundheitswesen und zu öffentlichen Dienstleistungen diskriminiert. Anwohner berichteten, wie Sicherheitskräfte an Kontrollpunkten und Grenzübergängen Menschen ohne russischen Pass auswählten, ihre Loyalität in Frage stellten, ihre persönlichen Gegenstände und Telefone durchsuchten und ihnen manchmal die Weiterreise untersagten. Einige Personen berichteten, dass sie direkt bedroht wurden, um sie zu zwingen, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. So wurde beispielsweise Eltern gedroht, dass man ihnen ihre Kinder wegnehmen würde, wenn sie ihnen nicht die russischeStaatsbürgerschaft verschaffen würden. Viele Einwohner sahen sich daher gezwungen, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen.
The occupying authorities pressured the inhabitants of the temporarily occupied areas of the Kherson, Zaporizhzhia, Donetsk andLuhansk regions of Ukraine to obtain Russian citizenship. Following the imposition of Russian legal and administrative systems, those without Russian passports faced discrimination in the enjoyment of their rights to work and social security, their property rights and their right to freedom of movement and in their access to healthcare and public services. […]
Residents recounted how security forces at checkpoints and border crossings singled out people without Russian passports, questioning their loyalty,searching their personal belongings and phones and sometimes prohibiting them from passing. Some people reported having received direct threats aimed at compelling them to obtain Russian citizenship. For example, parents were threatened that their children would be taken away from them if they did not obtain Russian citizenship for them. Many residents thus felt compelled to obtain Russian citizenship.
HRC –UN Human Rights Council (25.11.2024): Situation of human rights in the temporarily occupied territories of Ukraine, including the Autonomous Republic of Crimea and the city of Sevastopol; Report of the Secretary-General [A/HRC/56/69], https://www.ecoi.net/en/file/local/2112085/g2410971.pdf, Zugriff 23.5.2025
HRC -das UN Human Rights Council, gibt weiters zusammengefasst an, dass Landbesitzer auf der Krim ohne russische Staatsbürgerschaft, einschließlich ukrainischer Staatsbürger, weiterhin Gefahr liefen, ihr Land zu verlieren, und zwar aufgrund eines Dekrets des Präsidenten der Russischen Föderation das den Landbesitz auf russische Bürger und russische juristische Personen in 27 Gebieten der Krim beschränkt.
Landowners in Crimea without Russian citizenship, including Ukrainian citizens, continued to be at risk of losing their land as a result of Decree No. 201 of the President of the Russian Federation, of 20 March 2020, which limits land ownership to Russian citizens and Russian legal entities in 27 territories of Crimea. Between 2020 and 31 December 2023, the number of plots owned by non-Russian citizens decreased from 13,859 to 7,003 (5,803 in the “Republic of Crimea” and 1,200 in Sevastopol).
HRC –UN Human Rights Council (25.11.2024): Situation of human rights in the temporarily occupied territories of Ukraine, including the Autonomous Republic of Crimea and the city of Sevastopol; Report of the Secretary-General [A/HRC/56/69], https://www.ecoi.net/en/file/local/2112085/g2410971.pdf, Zugriff 23.5.2025
OHCHR -UN Office of the High Commissioner for Human Rights -gibt in einem Fact Sheet zu Verstößen gegen das Besatzungsrecht zusammengefasst an, dass die Einwohner gezwungen wurden, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen sowie zunehmend russische Pässe zu erwerben, um Zugang zum Gesundheitswesen zu erhalten, Immobilien zu kaufen oder zu verkaufen, Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu erhalten und Sozialleistungen zu beziehen.
HUMAN RIGHTS VIOLATIONS IN TERRITORY OCCUPIED BY THE RUSSIAN FEDERATION
Violations of the laws of occupation:
• Imposed wholesale the systems of governance, law enforcement, judiciary, administration and education of the Russian Federation.
• Forced residents to obtain Russian citizenship.
• Residents are increasingly required to obtain Russian passports to access healthcare, buy or sell property, secure public-sector jobs, and receive social security benefits.
• Subjected residents to forced conscription and conducted propaganda.
• Compelled children to be loyal to the Russian State, including by teaching them military skills for future service.
OHCHR –UN Office of the High Commissioner for Human Rights (2.2025): Three years since the full-scale invasion of Ukraine: Key facts and findings about the impact on human rights 24 February 2022 to February 2025, https://www.ecoi.net/en/file/local/2122800/Human+rights+3+years+into+Russia%27s+full-scale+invasion+of+Ukraine_factsheet+%28ENG%29.pdf, Zugriff 23.5.2025
OHCHR gibt in einem Bericht vom 1.10.2024 an, dass in den besetzten Gebieten der Ukraine die russischen Besatzungsbehörden ihre Bemühungen fortsetzten, den Einwohnern die russische Staatsbürgerschaft aufzuerlegen und Land und Privateigentum zu beschlagnahmen sowie Zivilisten deportieren. OHCHR dokumentierte auch jüngste Vorfälle von willkürlicher Inhaftierung, Folter und Misshandlung sowie fortgesetzte Bemühungen der russischen Besatzungsbehörden, die Meinungsfreiheit sowie die Religions- und Glaubensfreiheit einzuschränken.
In occupied territory of Ukraine, efforts by the Russian occupying authorities to impose Russian citizenship on residents and to seize land and private property, in apparent violation of international humanitarian law, continued, in addition to deportations of civilians. OHCHR also documented recent incidents of arbitrary detention, torture and ill-treatment, as well as continued efforts by Russian occupying authorities to restrict freedom of expression and freedom of religion and belief.
OHCHR –UN Office of the High Commissioner for Human Rights (1.10.2024): Treatment of prisoners of war; An Update on the human rights situation in Ukraine (1 June –31 August 2024), https://www.ecoi.net/en/file/local/2115967/Ukraine-OHCHR-40th-periodic-report.pdf, Zugriff 23.5.2025
3. Welche Folgen hat die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft für ukrainische Staatsbürger, welche auf der Krim wohnhaft sind, auf die ukrainische Staatsbürgerschaft?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
wie oben.
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass der erzwungene automatische Erwerb der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation durch ukrainische Staatsbürger, die sich in dem vorübergehend besetzten Gebiet aufhalten, von der Ukraine nicht anerkannt wird und kein Grund für den Verlust der ukrainischen Staatsbürgerschaft ist.
Einzelquellen:
Die ÖB in Kyjiw gibt dazu an:
Das Departement des konsularischen Dienstes des Außenministeriums der Ukraine beehrt sich, die Botschaft der Republik Österreich in der Ukraine in Beantwortung der Note der Botschaft vom 19. Mai 2025 Gz. 2025-0.385.868 betreffend die Bereitstellung von Informationen über den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft durch Bürger der Ukraine in der Autonomen Republik Krim zu informieren, beehrt sich, Ihnen Folgendes mitzuteilen.
Die in der Verbalnote aufgeworfenen Fragen fallen nicht in die Zuständigkeit der ukrainischen staatlichen Behörden, die sich mit Staatsbürgerschaftsfragen befassen.
Gemäß dem ukrainischen Gesetz „Über die Gewährleistung der Rechte und Freiheiten der Bürger und die Rechtsordnung in den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine“ sind die Autonome Republik Krim und die Stadt Sewastopol seit dem 20. Februar 2014 vorübergehend von der Russischen Föderation besetzt.
Das vorübergehend von der Russischen Föderation besetzte Gebiet der Ukraine ist ein integraler Bestandteil des ukrainischen Hoheitsgebiets und unterliegt der Verfassung und den Gesetzen der Ukraine sowie den von der Werchowna Rada der Ukraine ratifizierten internationalen Verträgen.
Der erzwungene automatische Erwerb der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation durch ukrainische Staatsbürger, die sich in dem vorübergehend besetzten Gebiet aufhalten, wird von der Ukraine nicht anerkannt und ist kein Grund für den Verlust der ukrainischen Staatsbürgerschaft.
ÖB –Österreichische Botschaft in Kyjiw [Österreich] (12.6.2025): Übermittlung der Antwort des Departement des konsularischen Dienstes des Außenministeriums der Ukraine per E-Mail
Landinfo gibt in einem Bericht zur Ukraine betreffend Doppelstaatsbürgerschaft an, dass in Bezug auf Bürger der Ukraine, die in den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine leben, anzumerken ist, dass gemäß Teil 4 des Artikels 5 des ukrainischen Gesetzes „Über die Gewährleistung der Rechte und Freiheiten der Bürger und die Rechtsordnung in den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine“ der zwangsweise automatische Erwerb der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation durch Bürger der Ukraine, die in den vorübergehend besetzten Gebieten leben, von der Ukraine nicht anerkannt wird und keinen Grund für den Verlust der ukrainischen Staatsbürgerschaft darstellt.
With regard to citizens ofUkraine residing in the temporarily occupied territory of Ukraine, it should be noted that in accordance with part four of Article 5 of the Law of Ukraine “On Ensuring the Rights and Freedoms of Citizens and the Legal Regime in the Temporarily Occupied Territory of Ukraine”, the forced automatic acquisition of Russian Federation citizenship by citizens of Ukraine residing in the temporarily occupied territory is not recognized by Ukraine and is not a basis for the loss of Ukrainian citizenship.
Landinfo –Norwegian Country of Origin Information Centre [Norwegen] (8.5.2025): Ukraina; Dobbelt statsborgerskap, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125352/Ukraina-respons-Dobbelt-statsborgerskap-08052025.pdf, Zugriff 16.5.2025
Landinfo gibt dazu weiter an, dass das ukrainische Justizministerium versichert hat, dass Bürger, die in den besetzten Gebieten zur Annahme russischer Pässe gezwungen wurden, nichtzur Rechenschaft gezogen werden. Weiters hat das ukrainische Justizministerium erklärt, dass ukrainische Staatsbürger, die in den besetzten Gebieten zur Annahme russischer Pässe gezwungen wurden, keine strafrechtliche Verantwortung für die Zusammenarbeit mit den Invasoren tragen.
The Ukrainian Ministry of Justice has assured that citizens coerced into obtaining Russian passports in occupied territories will not be held accountable. […] Ukraine’s Ministry of Justice has stated that Ukrainian citizens who were forced to obtain Russian passports in occupied territories will not bear any criminal responsibility for collaboration with invaders.
Landinfo –Norwegian Country of Origin Information Centre [Norwegen] (8.5.2025): Ukraina; Dobbelt statsborgerskap, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125352/Ukraina-respons-Dobbelt-statsborgerskap-08052025.pdf,Zugriff 16.5.2025
Aktuelle Länderinformationen der Staatendokumentation zu Ukraine aus dem COI-CMS (Country of Origin Information-Content Management System), Version 17 vom 26.06.2025;
Politische Lage
Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik (AA 19.3.2025; vgl. BS 2024). Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt. Maximal möglich sind zwei Amtsperioden (FH 2025). Staatsoberhaupt ist seit 20. Mai 2019 Präsident Wolodymyr Selensky (AA 19.3.2025; vgl. Präsident UKRA o.D.). Am 20. Mai 2024 endete die formelle Amtszeit Selenskys. Ende März 2024 hätten neue Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen, aber da das ukrainische Kriegsrecht sämtliche Wahlen verbietet, hat das Parlament diese nicht angesetzt. Laut der Verfassung der Ukraine enden die Befugnisse des Präsidenten nicht automatisch, sondern mit der Amtseinführung des neu gewählten Präsidenten, also erst nach erneuten Präsidentschaftswahlen. Somit bleibt Selensky weiter im Amt (DW 19.5.2024). Wahlbeobachtern zufolge verlief die Präsidentschaftswahl am 31. März und 21. April 2019 friedlich (OSCE/ODIHR 20.11.2019a) und ließ Wettbewerb zu. Grundfreiheiten wurden respektiert (OSCE/ODIHR 20.11.2019a; vgl. OSCE/ODIHR 22.4.2019). Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (OSCE/ODIHR 20.11.2019a). Auf der Krim und in den damals von Separatisten kontrollierten Gebieten im Donbas fanden keine Wahlen statt (FH 2025; vgl. FH 24.2.2022). Seit 4. März 2020 ist Denys Schmyhal Ministerpräsident und somit Regierungschef (AA 19.3.2025; vgl. Regierung UKRA o.D.).
Das Parlament ist ein Einkammerparlament (FH 2025). Nach der Inauguration des Präsidenten Selensky wurde das Parlament aufgelöst. Die vorgezogenen Parlamentswahlen fanden am 21. Juli 2019 statt (Zeit Online 21.5.2019; vgl. OSCE/ODIHR 20.11.2019b). Die Wahlbeteiligung betrug knapp 50 % (OSCE/ODIHR 20.11.2019b). Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Wahlkampffinanzierung, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (Standard 22.7.2019; vgl. OSCE/ODIHR 20.11.2019b). Bei den Parlamentswahlen gewann Selenskys Partei „Diener des Volkes“ 43,16 % der Stimmen bzw. 254 Sitze, die Oppositionsplattform „Für das Leben“ 13,05 % bzw. 43 Sitze, „Vaterland“ 8,18 % bzw. 26 Sitze, „Europäische Solidarität“ (Poroschenko-Block) 8,10 % bzw. 25 Sitze und die Partei „Stimme“ 5,82 % bzw. 20 Sitze (OSCE/ODIHR 20.11.2019b; vgl. FH 2025). Auf der Krim und in den damals von Separatisten kontrollierten Teilen des Donbas konnten die Wahlen nicht stattfinden (FH 24.2.2022; vgl. FH 2024). Folglich wurden nur 424 der 450 Sitze im Parlament besetzt (FH 2024; vgl. OSCE/ODIHR 20.11.2019b). Darüber hinaus war rund eine Million Bürger nicht wahlberechtigt, weil sie keine registrierte Adresse hatte (FH 2025).
Das ukrainische Parlament (Werchowna Rada) wurde bisher über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen gewählt. Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Im Dezember 2019 wurde vom Parlament ein neues Wahlgesetz beschlossen. Es sieht teils ein Verhältniswahlsystem mit offenen Parteilisten sowohl für Parlaments- als auch für Kommunalwahlen vor. Oligarchen üben einen beträchtlichen Einfluss auf die Politik aus und greifen politischen Parteien finanziell unter die Arme. Die Kommunistische Partei sowie russlandfreundliche politische Parteien sind in der Ukraine verboten. Von dem Verbot betroffen ist beispielsweise die Oppositionsplattform „Für das Leben“ (FH 2025). Das Parteiensystem ist sehr instabil und volatil (BS 2024).
Die nach der „Revolution der Würde“ auf dem Majdan in Kyjiw im Winter 2013/2014 und der Flucht des damaligen Präsidenten Janukowytsch von Präsident Poroschenko begonnene europafreundliche Reformpolitik wird durch Präsident Selensky fortgesetzt (AA 30.5.2021). Präsident Selensky erfreut sich großer Beliebtheit (BS 2024; vgl. KIIS 27.3.2025). Nachdem die Ukraine im Februar 2022 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt hatte, hat im Juni 2022 der Europäische Rat der Ukraine den Status eines Bewerberlandes zuerkannt. Am 1.9.2017 ist das Assoziierungsabkommen zur Annäherung zwischen der Ukraine und der EU in Kraft getreten (Rat der EU 9.4.2025).
2014 wurde die ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim von Russland annektiert (SWP/Fischer 8.2.2019; vgl. Russland-Analysen/Jilge 27.2.2015, UN News 27.3.2014). Der Krim-Annexion war im März 2014 ein „Referendum“ vorausgegangen, welches von den pro-russischen Machthabern durchgeführt worden war. Angeblich hatten hierbei mehr als 96 % der Wähler für eine Angliederung der Krim an Russland gestimmt. Tatsächlich war das „Referendum“ rechtswidrig gewesen, da es eine freie Willensäußerung nicht ermöglicht hatte und das in der UN-Charta verbriefte allgemeine Gewaltverbot verletzt worden war (Russland-Analysen/Jilge 27.2.2015). Die „Volksabstimmung“ und die Krim-Annexion werden international nicht anerkannt (BPB 18.3.2019; vgl. UNGA 1.4.2014, Rat der EU 20.6.2022, UN 8.9.2023). Im Februar 2022 begann Russland mit der Führung eines großflächigen Angriffskriegs gegen die Ukraine (CoE-PACE 22.6.2023; vgl. UNGA 18.3.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk sowie in den von Russland besetzten ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja „Referenden“ über eine Eingliederung in die Russische Föderation statt (Lenta 27.9.2022). Diese Scheinreferenden werden von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet (UN News 27.9.2022) und international nicht anerkannt (Standard 30.9.2022). Die „Stimmabgabe“ erfolgte unter Zwang und Zeitdruck (Rat der EU 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Im Kreml fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zur Russland-Eingliederung der ukrainischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kreml 30.9.2022).
Dokumente
Letzte Änderung 2025-06-26 07:39
Gefälschte Dokumente und echte nicht-amtliche Dokumente mit unwahrem Inhalt werden verwendet. Die Vorlage falscher Dokumente gilt verbreitet als Kavaliersdelikt. Die Ausstellung nicht-behördlicher Bescheinigungen mit unwahrem Inhalt (beispielsweise Arbeitsbescheinigungen, Kontoauszüge, Bankbescheinigungen, Immatrikulationsbescheinigungen) ist ein verbreitetes Phänomen. Die Verfälschung echter Dokumente kommt gelegentlich vor und betrifft in erster Linie Personenstandsurkunden sowie gerichtliche Beschlüsse und Urteile. Es sollte deshalb immer auf der Vorlage aktueller apostillierter Urkunden bestanden werden. Apostillen des ukrainischen Justizministeriums können über die Webseite https://apostille.minjust.gov.ua/ online geprüft werden (AA 30.5.2021).
Um einen Reisepass (sakordonny pasport) zu erhalten, ist das Passservice aufzusuchen und der Inlandsreisepass sowie andere einzureichende Dokumente mitzunehmen. An Ort und Stelle ist ein Antragsformular auszufüllen, eine Gebühr zu bezahlen und ein Passfoto anzufertigen. Nach Erhalt eines SMS ist der Reisepass beim Passservice abzuholen (Passservice UKRA o.D.). Es gilt ein zeitlich befristetes (provisorisches) Reisepassverlängerungsverfahren, welches für die Dauer des Kriegsrechts zuzüglich 1 Jahr nach Beendigung des Kriegsrechts eingeführt wurde. Das Einreichen von Dokumenten zur Reisepassverlängerung ist nicht früher als zwei Monate vor Ablauf der Gültigkeit des Reisepasses möglich. Der Verlängerungsantrag ist vom Reisepassbesitzer persönlich einzureichen, wenn dieser ein Alter von mindestens 18 Jahren erreicht hat. Um einen Reisepass zu verlängern, müssen Personen, die älter als 16 Jahre sind, folgende Dokumente bzw. Unterlagen vorlegen: das ausgefüllte Antragsformular; den zu verlängernden Reisepass; ein Dokument, welches die Identität und die ukrainische Staatsbürgerschaft der Person bezeugt (so vorhanden) (Außenministerium UKRA 23.2.2023).
Gemäß dem Mobilisierungsgesetz können Ukrainer im Ausland konsularische Dienstleistungen nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie einen Militärausweis besitzen und ihre Daten beim Kreiswehramt aktualisiert haben (BBC 25.4.2024; vgl. ÖB Kyjiw 3.6.2025).
2. Beweiswürdigung
2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage in Verbindung mit dem Antrags- und Beschwerdeschriftsatz der BF fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
Die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus seinen Aussagen und den vorgelegten Dokumenten. Der BF gab stringent im bisherigen Verfahren an, dass er ukrainischer Staatsbürger ist und auch im Besitz eines russischen Reisepasses. Der BF stellte bereits im Jahr 2022 einen Antrag auf Feststellung als Ukraine-Vertriebener gemäß der Vertriebenenverordnung. Er legte zu seinen Angaben auch die Kopie eines ukrainischen Passes vor (AS 181 – 185) aber auch weitere Dokumente die belegen, dass er ukrainischer Staatsbürger ist (Studentenausweis, Familienregisterauszug, Zeugnisse, Aufnahmeprüfung für die Universität in Kiew). Es wird nicht übersehen, dass der BF jedoch auch einen russischen Reisepass vorlegte, kann jedoch daraus nicht geschlossen werden, dass er nunmehr kein ukrainischer Staatsbürger ist. Wie auch in seinen Dokumenten ersichtlich und von ihm auch vorgebracht, wurde der BF in der Ukraine geboren und lebte auf der Krim, welche seit 2014 völkerrechtswidrig von der Russischen Föderation besetzt wird. Aus der eingeholten Anfrage bei der Staatendokumentation ist ersichtlich und wurde vom BF auch so vorgebracht (Seite 3 des Einvernahmeprotokolls), dass er verpflichtet war, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen bzw. auch einen russischen Reisepass zu beantragen. Die russische Besatzungsmacht verpflichtete alle Bürger der Krim einen solchen Antrag zu stellen, wie auch aus der Staatendokumentation ersichtlich, ansonsten es für den BF schwerwiegende Konsequenzen gegeben hätte, so wäre es ihm auch nicht möglich gewesen Behörden in Anspruch zu nehmen oder sogar Gesundheitseinrichtungen wären ihm verwehrt gewesen. Das Verwaltungsgericht übersieht nicht, dass der BF nunmehr keinen gültigen ukrainischen Reisepass innehat, kann aber der belangten Behörde nicht gefolgt werden, dass dies mit einem Entzug der ukrainischen Staatsbürgerschaft gleichzustellen ist. Wie in der Staatendokumentation zur Ukraine (Dokumente) und vom BF vorgebracht ist es ihm auch nicht möglich außerhalb der Ukraine einen ukrainischen Reisepass zu erlangen ohne zunächst in die Ukraine zurückzureisen und einen Militärausweis zu erhalten, dies würde möglicherweise dazu führen, dass der BF einberufen wird und in den Krieg gegen die Russische Föderation eingesetzt wird, gerade dies will er verhindern und weder an der Seite der Ukraine noch an der Seite der Russischen Föderation am Krieg teilnehmen. So ist festgehalten, dass „Gemäß dem Mobilisierungsgesetz können Ukrainer im Ausland konsularische Dienstleistungen nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie einen Militärausweis besitzen und ihre Daten beim Kreiswehramt aktualisiert haben (BBC 25.4.2024; vgl. ÖB Kyjiw 3.6.2025).“
Aus den Angaben der ÖB Kiew ist ersichtlich, „dass der erzwungene automatische Erwerb der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation durch ukrainische Staatsbürger, die sich in dem vorübergehend besetzten Gebiet aufhalten, wird von der Ukraine nicht anerkannt und ist kein Grund für den Verlust der ukrainischen Staatsbürgerschaft.“
Es wird nicht übersehen, dass der BF nunmehr auch außerhalb der Krim einen russischen Reisepass beantragt und erhalten hat, wird dies jedoch notwendig sein, da er ansonsten zu keinen gültigen Identitätsdokumenten kommt und dies für ihn auch für eine Rückreise in seinen Wohnort der Krim notwendig sein wird und kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass er damit auch die ukrainische Staatsbürgerschaft verloren und freiwillig die russische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Weiters ist auch darauf zu verweisen, dass die Anfragebeantwortung angibt, „Ein ukrainischer Staatsbürger, dessen Verlust der Staatsbürgerschaft registriert wurde, genießt bis zum Erlass des Dekrets des Präsidenten der Ukraine über die Beendigung der ukrainischen Staatsbürgerschaft alle Rechte und Pflichten eines ukrainischen Staatsbürgers.“ Ein entsprechender Erlass kann weder seitens der Behörde noch seitens des Verwaltungsgerichtes festgestellt werden. Daher ist festzustellen, dass der BF noch ukrainischer Staatsbürger ist und im Besitz eines gültigen russischen Reisepasses.
Der BF konnte für das Verwaltungsgericht glaubhaft darlegen, dass er die Krim verlassen habe, am 15. oder 16. Jänner 2022, da er beruflich nach Usbekistan wollte, nicht konnte jedoch festgestellt werden, weder durch die belangte Behörde noch durch das Verwaltungsgericht, dass der BF beabsichtigte mit dieser Ausreise seinen Wohnsitz in der Ukraine endgültig aufzugeben. Seine Einreise am 30.08.2022 brachte der BF glaubhaft mit den Fotos und Datenstempel vor (AS 59), sodass auch hier die Anwesenheit des BF in der Ukraine am 30.08.2022 und 01.09.2022 glaubhaft war.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A I.:
3.1.1. Mit Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 v 4. 3. 2022 wurde erstmals ein Massenzustrom von Vertriebenen in die Union festgestellt und damit die MassenzustromRL 2001/55/EG für Personen, "die infolge eines bewaffneten Konflikts die Ukraine verlassen mussten", aktiviert.
Diese Richtlinien bilden die unionsrechtlichen Rahmenakte für die am 11.3.2022 mit BGBl II 92/2022 kundgemachte „Verordnung der Bundesregierung über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine Vertriebene (Vertriebenen-Verordnung - VertriebenenVO)“, deren gesetzliche Grundlage §62 AsylG bildet.
Artikel 2 des Durchführungsbeschlusses lautet:
(1) Dieser Beschluss gilt für die folgenden Gruppen von Personen, die am oder nach dem 24. Februar 2022 infolge der militärischen Invasion der russischen Streitkräfte, die an diesem Tag begann, aus der Ukraine vertrieben wurden:
[…]
Für das Bundesgebiet wurde dieser Ratsbeschluss durch die VertriebenenVO umgesetzt und lauten die relevanten Bestimmungen dazu wie folgt:
§ 1. Folgende Personengruppen haben nach ihrer Einreise ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet:
1. Staatsangehörige der Ukraine mit Wohnsitz in der Ukraine, die aus dieser aufgrund des bewaffneten Konfliktes ab dem 24. Februar 2022 vertrieben wurden,
…
3.1.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Erkenntnis vom 05.10.2022, die Zulässigkeit der ordentlichen Revision ausgesprochen, da es zur Rechtsfrage, ob sich Staatsangehörige der Ukraine, die sich am 24.02.2022 – etwa zu Urlaubszwecken – außerhalb der Ukraine befanden, auf die Vertriebenen-Verordnung berufen können, - noch – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt.
Diese Rechtsfrage wurde durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 15.03.2023, E 238/2023-11, geklärt, worauf sich nunmehr auch der Verwaltungsgerichtshof in der gegenständlichen Entscheidung bezog. Der Verfassungsgerichtshof verwies darauf, dass gemäß § 1 Z 1 Vertriebenenverordnung Staatsangehörige der Ukraine „mit Wohnsitz“ in der Ukraine ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet haben, wenn sie aufgrund des bewaffneten Konflikts ab dem 24.02.2022 vertrieben wurden. Da unter Wohnsitz jener Ort zu verstehen ist, an dem sich eine Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort einen Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen, erfasse § 1 Z 1 Vertriebenenverordnung auch Staatsangehörige der Ukraine, welche die Ukraine „nicht lange“ vor dem 24.02.2022 verlassen haben, weil diese am 24.02.2022 nach wie vor einen Wohnsitz in der Ukraine hatten und durch den Ausbruch des bewaffneten Konflikts aus der Ukraine vertrieben wurden.
Die Vertriebenenverordnung stellt demnach nicht darauf ab, ob eine Person im Einzelfall Schutz in einem anderen Staat bzw. einem Drittstaat finden könnte, sondern auf den Wohnsitz.
3.1.3. Die belangte Behörde legt - neben dem Umstand das sie dem BF die ukrainische Staatsbürgerschaft nicht feststellte - § 1 Z 1 Vertriebenenverordnung dahingehend aus, dass nur jene Staatsangehörige der Ukraine ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet hätten, die am oder nach dem 24.02.2022 in der Ukraine anwesend waren und erst am oder nach diesem Stichtag die Ukraine verlassen haben. Damit verkennt die belangte Behörde jedoch die Rechtslage in einem entscheidenden Punkt. § 1 Z 1 Vertriebenenverordnung gewährt Staatsangehörigen der Ukraine mit Wohnsitz in der Ukraine, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes vertrieben wurden, die also nicht an ihrem Wohnsitz bleiben können bzw. die nicht an diesen Wohnsitz zurückkehren können, Schutz in Form eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet.
Ob nunmehr eine Person wie die konkreten Beschwerdeführer am oder nach dem 24.02.2022 in der Ukraine anwesend waren, ist für die Frage des Wohnsitzes in der Ukraine nicht entscheidend. Ein ukrainischer Staatsangehöriger hatte den Wohnsitz auch dann in der Ukraine, wenn er diesen Ort kurzzeitig verlässt, um zum Beispiel einen Urlaub im Ausland oder beruflich zu verbringen. Der Beschwerdeführer hat somit die Ukraine „nicht lange vor dem 24.02.2022“ verlassen und ist demzufolge auf Grund des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Wohnsitzes in der Ukraine von § 1 Z 1 Vertriebenenverordnung erfasst und durch den Ausbruch des bewaffneten Konfliktes aus der Ukraine vertrieben worden. Weiters ist der BF am 30.08.2022 eingereist und wiederum am 01.09.2022 ausgereist und hatte noch keinen weiteren Wohnsitz zu diesem Zeitpunkt als jenen in der Ukraine, wie auch von der belangten Behörde festgestellt und reiste daher auch nach dem 24.02.2022 aus der Ukraine aus.
Dem Beschwerdeführer kommt somit ein vorläufiges Aufenthaltsrecht für Vertriebene gemäß der Vertriebenenverordnung, BGBl. II 92/2022 zu und wird die belangte Behörde demzufolge einen Ausweis für Vertriebene auszustellen haben.
Entfall einer mündlichen Verhandlung
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt es zum Entfall der Verhandlungspflicht, wenn Verfahrensgegenstand nur die Lösung einer Rechtsfrage ist, weil
Gegenstand des Verfahrens nicht die Klärung einer Tatfrage, sondern eine Rechtsfrage ist. Der EGMR hat die Auffassung vertreten, dass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann (VwGH 26.01.2023, Ro 2021/01/0001; vgl. VwGH 30.12.2020, Ra 2018/07/0385-0407, Rn. 20; 29.1.2018, Ra 2017/04/0153, Rn. 21, jeweils mwN). Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wird nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs dann als rechtmäßig beurteilt, wenn die beschwerdeführenden Parteien entscheidungsrelevante Tatsachenannahmen nicht substantiiert bestritten und keinen neuen maßgeblichen Sachverhalt behauptet haben, somit für das Verwaltungsgericht insoweit keine Fragen der Beweiswürdigung aufgetreten sind und es keine neuen Sachverhaltsfeststellungen getroffen hat (vgl. etwa VwGH 11.12.2020, Ra 2018/06/0247 bis 0249, mwN). Da im gegenständlichen Fall die Lösung einer Rechtsfrage entscheidend war, die der Verfassungsgerichtshof mit o.g. Erkenntnis klarstellte, und darüber hinaus keine Tatsachenannahmen bestritten wurden und keine Fragen der Beweiswürdigen auftraten, konnte eine mündliche Beschwerdeverhandlung entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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