Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika GLATZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mario ZÜGER, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2025, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 29.09.2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In weiterer Folge verließ der Beschwerdeführer das österreichische Bundesgebiet und hielt sich ab 03.10.2022 in der Schweiz auf, wo er erkennungsdienstlich behandelt und am 26.01.2023 nach Österreich rücküberstellt wurde.
3. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, er habe Angst, dass ihn die Taliban aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Polizist töten würden.
4. Am 02.10.2024 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) statt. Der Beschwerdeführer gab zu seinem Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, sein Leben sei in Gefahr gewesen, weil er seit 2010 als Sanitäter für die Polizei gearbeitet habe. Er habe in verschiedenen Provinzen Erste Hilfe geleistet. Die Taliban haben seit 2017 die Vorherrschaft in seinem Heimatort und diese haben ihm von 2017 bis drei Monate vor der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 mehrmals mit dem Tod im Falle der Weiterausübung seiner beruflichen Tätigkeit gedroht. Am Tag der Machtübernahme der Taliban sei der Beschwerdeführer in der Arbeit gewesen und habe Angst gehabt, von den Taliban erwischt zu werden. Er sei mit einem Rettungswagen weggefahren, dann zu Fuß zu seinem Schwager gegangen und habe letztlich am XXXX Afghanistan velassen.
Der Beschwerdeführer legte Unterlagen zu seiner Person, seinen Familienangehörigen und seinem Fluchtvorbringen vor und erstattete am 11.11.2024 eine Stellungnahme zu seiner Versorgungslage und familiären Situation in Afghanistan.
5. Am 12.12.2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt zur Ermittlung seiner persönlichen Daten erneut einvernommen.
6. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das Bundesamt aus, der Beschwerdeführer habe keine gegen ihn gerichteten Fluchtgründe glaubhaft machen können. Aufgrund der derzeitigen schwierigen Wirtschaftslage in Afghanistan und der ungesicherten Unterstützung durch das familiäre Netzwerk sei jedoch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ein anfänglicher gesicherter Lebensunterhalt des Beschwerdeführers nicht gewährleistet, weshalb er mit großer Wahrscheinlichkeit in eine auswegslose Lage geraten würde.
7. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass ihm aufgrund unterstellter oppositioneller politischer Gesinnung Verfolgung drohe. Die belangte Behörde hätte durch geeignete Befragung des Beschwerdeführers präzise Angaben über seine Ausbildung und Verwendung im Sanitätsdienst der Polizei erlangen können und könnten Fotos und Kopien von Urkunden nicht unbesehen als ungeeignete Beweismittel verworfen werden. In Anbetracht zitierter Länderberichte im angefochtenen Bescheid hätte die belangte Behörde zudem ermitteln müssen, ob dem Beschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner vorgebrachten Tätigkeit im Polizeidienst in Zukunft eine Gefährdung drohe.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.03.2025 eine mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer als Partei einvernommen wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, sunnitischer Moslem, verheiratet und hat vier Kinder. Er spricht Dari als Muttersprache (Aktenseite = AS 3 ff, 21 ff, 67 ff; Verhandlungsprotokoll vom 06.03.2025 = OZ 5, S. 6).
1.1.2. Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Herat, geboren, wo er aufgewachsen ist und bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt hat (AS 3, 5, 23, 25, 67; OZ 5, S. 6 f). Er hat zwölf Jahre lang eine Schule besucht und kann auf Dari lesen und schreiben. Er hat keinen Beruf erlernt und ist einer Tätigkeit als Hilfsarbeiter in der familieneigenen Landwirtschaft nachgegangen (AS 3 f, 27 ff, 73; OZ 5, S. 6 f, 12).
1.1.3. Die Eltern, sechs Brüder, die Ehefrau sowie vier Kinder des Beschwerdeführers leben ebenso wie zwei Tanten und ein Onkel mütter- bzw. väterlicherseits im Iran. Zwei Tanten und zwei Onkel väterlicherseits sowie eine Tante und drei Onkel mütterlicherseits leben jeweils mit deren Familien in Afghanistan. Ein Onkel väterlicherseits ist bereits verstorben. Eine Schwester lebt in der Schweiz. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seinen Verwandten (AS 5, 27, 69 ff; OZ 5, S. 7 f).
1.1.4. Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist. Er hat am 29.09.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt. Nach Antragstellung verließ der Beschwerdeführer das österreichische Bundesgebiet und hielt sich ab 03.10.2022 in der Schweiz auf, wo er erkennungsdienstlich behandelt und am 26.01.2023 nach Österreich rücküberstellt wurde. Seither ist er im Bundesgebiet aufhältig. Er hat den Status eines subsidiär Schutzberechtigten inne (AS 3 f, 7, 131 ff, Beilage ./I.).
1.1.5. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund und arbeitsfähig (AS 6, 29; OZ 5, S. 10).
1.1.6. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I.).
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Beschwerdeführer hat weder für die ehemalige afghanische Regierung oder die ehemaligen afghanischen Sicherheitskräfte noch für NGOs oder für sonstige ausländische Unternehmen bzw. Streitkräfte gearbeitet. Er wird nicht verdächtigt, die ehemalige afghanische Regierung zu unterstützen oder mit dieser zusammengearbeitet zu haben.
Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht. Es bestand kein Kontakt zu den Taliban. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familienangehörigen werden in Afghanistan von den Taliban gesucht.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.
1.2.2. Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land, wegen seiner Wertehaltung oder aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.
Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.
1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 31.01.2025 (LIB; Beilage ./II),
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 01.04.2021 (LIB 2021; Beilage ./III),
- Bericht Landinfo, Afghanistan, „Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne“ vom 23.08.2017 (Beilage ./IV),
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan, „Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter“ vom 28.07.2016 (Beilage ./V)
1.3.1. Allgemeines:
Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Dort leben ca. 35-40 Millionen Menschen. Seit der beinahe kampflosen Einnahme Kabuls am 15.8.2021 steht Afghanistan nahezu vollständig unter der Kontrolle der Taliban. (LIB, Kap. 3f)
1.3.2. Politische Lage:
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert. Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt. Sie bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“. Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt, dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent. (LIB, Kap. 4)
1.3.3. Sicherheitslage:
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen. Es gab beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung. Es gab jedoch immer noch ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs).
Es gab zwischen 25.11.2023 und 25.11.2024 in Afghanistan insgesamt 857 sicherheitsrelevante Vorfälle (390 Kämpfe, 96 Vorfälle mit Explosionen und ferngesteuerter Gewalt, 371 Vorfälle mit Gewalt gegen Zivilisten und 396 zivile Opfer – bei einer Gesamtbevölkerung von 35-40 Millionen Menschen). Die meisten zivilen Opfer gab es in Nord Afghanistan in der Provinz Badakhshan mit 168 zivilen Opfern. Die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle gab es in Ost Afghanistan (388 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 100 zivilen Opfern – bei einer Gesamtbevölkerung von über 11,7 Millionen Einwohnern), wobei die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle auf die Provinz Kabul entfallen (113 Kämpfe, 14 Vorfälle mit Explosionen oder ferngesteuerter Gewalt und 97 Vorfälle mit Gewalt gegen Zivilisten, in denen es 100 zivile Opfer gab – bei einer Gesamtbevölkerung von über 5,7 Millionen Menschen).
Derzeit entstehen die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle in Zusammenhang mit dem Verbot des Anbaus von Betäubungsmitteln, durch Kriminalität und organisierte Kriminalität, durch Angriffe der bewaffneten Opposition und durch Angriffe durch den ISKP.
Aufgrund der Bemühungen der Taliban-Behörden, das Verbot des Mohnanbaus durchzusetzen, kam es im Jahr 2024 vermehrt zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit dem Anbau von Betäubungsmitteln und somit auch zu einem Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen.
Organisierte Verbrechergruppen sind in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Es werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion.
Die bewaffnete Opposition in Afghanistan stellt keine nennenswerte Herausforderung für die territoriale Kontrolle der Taliban dar. Die Nationale Widerstandsfront und die Afghanische Freiheitsfront gehen mit einer „Hit-and-Run“-Taktik gegen die Taliban-Sicherheitskräfte vor, greifen deren Posten und Fahrzeuge an und verübten Hinterhalte und gezielte Tötungen. Es gibt keine Region in Afghanistan, in welcher oppositionelle Gruppen offen die Kontrolle haben. In Provinzen wie Panjsher, Baghlan, Badakhshan, Kunduz und Takhar, in denen es in der Vergangenheit zu Kämpfen zwischen den Taliban und verschiedenen Gruppierungen gekommen ist, verlief der Verkehr normal und es gab keine Zwischenfälle.
Die sicherheitsrelevanten Vorfälle betreffend den ISKP gingen seit August 2021 zurück und stiegen 2024 wieder etwas an. Die Taliban führen auch weiterhin Operationen gegen den ISKP durch, unter anderem in Nangarhar. Der ISKP hat zumindest die Möglichkeit operativer Aktivitäten, wobei die Taliban immer effizienter bei der Aushebung von ISKP-Zellen werden. Dies zeigt sich in einer entspannteren Sicherheitslage in beispielsweise Kabul und Herat. Weder der ISKP noch andere Gruppierungen sind aktuell wirklich ein Problem für die Taliban. (LIB, Kap. 5)
In der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Herat – mit ca. 2,3 Millionen Einwohnern), gab es vom 25.11.2023 bis 25.11.2024 insgesamt 32 Kämpfe. In 29 Fällen kam es auch zu Gewalt gegen Zivilisten und zu 16 zivilen Opfern. (LIB Kap. 5.1)
1.3.4. Erreichbarkeit, Straßen, Flughäfen und Grenzen:
In Afghanistan sind Straßen die wichtigsten Transportwege. Die 2.300 km lange Ring-Road verbindet die vier größten Städte Afghanistans. Alle Provinzen Afghanistans sind mit Bussen oder Taxis erreichbar. Es gibt Dutzende privater Transportunternehmen, die auf den Hauptstrecken, wie z. B. Kabul-Herat, Kabul-Mazar-e Sharif und Kabul-Kandahar, tätig sind. Diese Busse verkehren in der Regel täglich oder mehrmals pro Woche, und viele Unternehmen bieten ihre Dienste auf diesen Strecken an.
Afghanistan verfügt über mehrere Flughäfen. Die Flughäfen Bost, Chaghcharan, Farah, Jalalabad, Khost, Tarinkot und Zaranj bieten Inlandsflüge innerhalb Afghanistans an. Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat sind auch mit internationalen Flügen (z. B. über die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien, die Türkei, Russland, Pakistan und Indien) erreichbar.
An den Straßen und in den Grenzregionen Afghanistans sowie am Flughafen Kabul gibt es weiterhin Kontrollpunkte der Taliban. Die Taliban überprüfen die Namen und Gesichter von Personen an den Kontrollpunkten anhand einer „Liste mit Namen und Fotos ehemaliger Armee- und Polizeiangehöriger“. Meistens handelt es sich um Routinekontrollen, es kann jedoch auch zu Durchsuchungen kommen. Die Kontrollpunkte sind über ganz Afghanistan verteilt und befinden sich häufig entlang der Hauptversorgungsrouten und in der Nähe der Zugänge zu großen Städten. Darüber hinaus werden auch bei Bedarf Kontrollpunkte und Straßensperren für Suchaktionen, Sicherheitsvorfälle und VIP-Bewegungen eingerichtet. Im Vergleich zur Zeit vor der Machtübernahme der Taliban wurden hunderte Checkpoints an Straßen und Autobahnen abgebaut, weil die Taliban nicht genügend Personal haben, um sie aufrechtzuerhalten, und weil sie in den ländlichen Dörfern, in denen ihre Kämpfer während des jahrzehntelangen Aufstands stationiert waren, keine größere Bedrohung sehen.
Die Taliban haben die Überquerung der Grenze nach Pakistan und Iran ohne gültige Papiere verboten und man benötigt für das Verlassen von Afghanistan einen gültigen Reisepass und eine Einreiseerlaubnis des Ziellandes. Jedoch wird dieses Verbot von Schmugglern durch Bestechung von Grenzbeamten umgangen. Teilweise kommt es an den Grenzen zu Zusammenstößen zwischen den Taliban und Grenzsoldaten der Anrainerstaaten, die auch Verletzte und Tote nach sich ziehen. Es kommt zu temporären Schließungen pakistanischer und iranischer Grenzübergänge. 2024 planten iranische Behörden den Bau einer 60 km langen Grenze, von der mittlerweile 10 km fertig gestellt sind. (LIB, Kap. 3.7)
1.3.5. Verfolgungspraxis der Taliban:
Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen, waren die Taliban nach Machtübernahme auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung. Die Taliban gingen von Tür zu Tür und haben auch Angehörige der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung bedroht. Die Taliban erstellen „schwarze Listen“, wobei Personen, die sich auf der Liste befinden in großer Gefahr sind. Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden, unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben. Die Taliban kontrollieren auch Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Berufe, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban haben solche Daten bereits benutzt, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen und Gegner auch zu eliminieren bzw. verschwinden zu lassen. Im Zuge von Abschiebungen aus dem Iran werden auch Daten von Rückkehrern vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben.
Taliban nutzen soziale Medien zu Propagandazwecken und um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren. Afghanen verüben seit der Machtübernahme durch die Taliban in sozialen Netzwerken Selbstzensur. Es gab bereits Verhaftungen von Personen, die sich in sozialen Netzwerken kritisch über die Taliban geäußert haben. Über soziale Netzwerke können Taliban auch Personen identifizieren, die mit westlichen Gruppen oder westlichen Hilfsagenturen zusammengearbeitet haben. Die Taliban bauen in afghanischen Städten ein groß angelegtes Kameraüberwachungsnetz auf. Es wird befürchtet, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen, einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen. (LIB, Kap. 5.2)
1.3.6. Zentrale Akteure:
Taliban: Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe, die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam. Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das „Islamische Emirat Afghanistan“, den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten. Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban, sich von „einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität“ zu entwickeln. (LIB, Kap. 6.1)
Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP): Der IS in Afghanistan bezeichnet sich selbst als Khorasan-Zweig des IS (ISKP). Der ISKP ist aktuell die schwerwiegendste terroristische Bedrohung in Afghanistan und der gesamten Region. Der ISKP hat ca. 4.000 bis 6.000 Mitglieder, einschließlich Familienangehöriger. Das „Kerngebiet“ des ISKP bleibt Afghanistan und Pakistan. Obwohl der ISKP zunächst als ein von Pakistan dominiertes Netzwerk auftrat, konzentrierte er sich bald auf Afghanistan. Dort hat er seine Strategie von der Kontrolle des Territoriums auf die Führung eines urbanen Krieges umgestellt. Er stellte eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung für die frühere afghanische Regierung dar und versucht nun, die Regierungsbemühungen der Taliban zu stören. Die Kernzellen des ISKP in Afghanistan befinden sich vor allem in den östlichen Provinzen Kunar, Nangarhar und Nuristan in Afghanistan, wobei eine große Zelle in Kabul und Umgebung aktiv ist. Kleinere Gruppen wurden in den nördlichen und nordöstlichen Provinzen Badakhshan, Faryab, Jawzjan, Kunduz, Takhar und Balkh entdeckt. Da Balkh eine der wirtschaftlich am weitesten entwickelten Provinzen im Norden ist, ist sie für den ISKP nach wie vor von vorrangigem Interesse in Hinblick auf die Erzielung von Einnahmen. Die Gruppe geht bei ihren Anschlägen gegen die Taliban und internationale Ziele immer raffinierter vor und konzentriert sich auf die Durchführung einer Strategie mit öffentlichkeitswirksamen Anschlägen, um die Fähigkeit der Taliban zur Gewährleistung der Sicherheit zu untergraben. Insgesamt zeigten die Angriffe des ISKP starke operative Fähigkeiten in den Bereichen Aufklärung, Koordination, Kommunikation, Planung und Ausführung. Darüber hinaus haben die Anschläge gegen hochrangige Taliban-Persönlichkeiten in den Provinzen Balkh, Badakhshan und Baghlan die Moral des ISKP gestärkt und die Rekrutierung gefördert. Die Gruppe verübte auch weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara. (LIB, Kap. 6.3)
1.3.7. Rechtsschutz und Justizwesen:
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 übernahmen sie die vollständige Kontrolle über das Justizsystem des Landes und setzten die Verfassung von 2004 außer Kraft. Bisher haben sich die Taliban noch nicht zu den Gesetzen geäußert, insbesondere nicht zu den Strafgesetzen, zur nationalen Sicherheit und zu den Gerichten. Den Taliban zufolge bildet die hanafitische Rechtsprechung die Grundlage für das Rechtssystem und derzeit verfügt das Land nicht über einen klaren und kohärenten Rechtsrahmen, ein Justizsystem oder Durchsetzungsmechanismen. Den Taliban zufolge bleiben Gesetze, die unter der Regierung vor August 2021 erlassen wurden, in Kraft, sofern sie nicht gegen die Scharia verstoßen. Die Taliban-Führer zwingen den Bürgern ihre Politik weitgehend durch Leitlinien oder Empfehlungen auf, in denen sie akzeptable Verhaltensweisen festlegen, die sie aufgrund ihrer Auslegung der Scharia und der vorherrschenden kulturellen Normen, die die Taliban für akzeptabel halten, rechtfertigen.
Die Änderungen im afghanischen Justizsystem betrafen seit der Machtübernahme der Taliban vor allem formale und administrative Bereiche, aber keine konkreten Änderungen in der Rechtsprechung der Gerichte. So wurden beispielsweise Richter und Verwaltungsangestellte der Gerichte durch Angehörige der Taliban ersetzt, von denen die meisten nicht über ausreichend juristische Kenntnisse und Erfahrungen mit der Arbeit an den Gerichten verfügten. Die meisten Richter und „Muftis“ an Taliban-Gerichten sind Studenten oder Absolventen religiöser Koranschulen, vor allem in Pakistan. Einige der derzeitigen Richter waren während des Krieges als Richter in den von den Taliban kontrollierten Gebieten tätig. Nur wenige Richter, beispielsweise in den Provinzen Herat und Panjsher, verfügen über eine formale Hochschulausbildung und haben an juristischen oder Scharia-Fakultäten von Universitäten studiert. Zudem kam es zur Absetzung von Richterinnen und Anwältinnen und es werden keine Lizenzen mehr an Strafverteidigerinnen vergeben (LIB, Kap. 7)
1.3.8. Sicherheitsbehörden:
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach die 350.000 Mann starke Armee des früheren Regimes zusammen und die Taliban haben faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Sie haben begonnen, ihre bisherigen Milizen-Strukturen in geordnete Sicherheitskräfte zu übertragen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Die Armee verfügt mit Stand März 2023 über 150.000 Taliban-Kämpfer und soll 2024 auf 170.000 vergrößert werden. Angestrebt wird eine 200.000 Mann starke Armee. Der Geheimdienst, ein Nachrichtendienst, der früher als „National Directorate of Security“ (NDS) bekannt war, wurde dem Taliban-Staatsoberhaupt direkt unterstellt. Das Innenministerium der Taliban-Regierung hat wiederholt angekündigt, Polizisten, u. a. im Bereich der Verkehrspolizei, zu übernehmen. Dies ist zumindest in Kabul teilweise erfolgt.
Es zeichnet sich ab, dass die Taliban, mit Ausnahme der Luftwaffe (hier sind fast die Hälfte der ehemaligen Soldaten zurückgekehrt), von den bisherigen Kräften nur vereinzelt Fachpersonal übernehmen. Eine breit angelegte Integration der bisherigen Angehörigen der Sicherheitskräfte hat bisher nicht stattgefunden und die Zahl der rekrutierten ehemaligen Sicherheitskräfte ist begrenzt. Bei den rekrutierten ehemaligen Sicherheitskräften handelt es sich im Allgemeinen um Spezialisten. Die Taliban verfügen über keine funktionierende Luftwaffe, die den Luftraum im Falle ausländischer Übergriffe oder inländischer Aufstände sichern könnte. Der Bestand an Hubschraubern und Fluggeräten gilt als veraltet und es gibt zumindest fünf bestätigte Unfälle in der Militärluftfahrt seit der Machtübernahme, wobei Pilotenfehler als wahrscheinlichste Ursache gelten. Die Taliban müssten in erheblichem Umfang Piloten ausbilden und Strategien für die Kommunikation und Koordination mit den Bodentruppen entwickeln, um eine funktionsfähige Luftwaffe aufzubauen. (LIB, Kap. 8)
1.3.9. Folter und unmenschliche Behandlung:
Es kommt durch die Taliban zu Folter und Misshandlungen von ehemaligen Sicherheitskräften bzw. ehemaligen Regierungsbeamten sowie zu Gewalt gegen Journalisten und Medienschaffende, gegen Frauenrechtsaktivisten und auch in Gefängnissen. Es kam beispielsweise auch zu kollektiven Strafen gegen Bewohner der Provinz Panjsher, darunter Folter und andere Misshandlungen. Der oberste Taliban-Führer begrüßte die Einführung von Scharia-Gerichten und Scharia-Praktiken, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht. Es kam zu öffentlichen Auspeitschungen durch die Taliban in mehreren Provinzen, darunter Zabul, Maidan Wardak, Kabul, Kandahar und Helmand. (LIB, Kap. 9)
1.3.10. Korruption:
Mit einer Bewertung von 20 Punkten (von 100 möglichen Punkten – 0 = highly corrupt und 100 = very clean), belegt Afghanistan auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2023 von Transparency International von 180 untersuchten Ländern den 162. Platz, sohin eine Verschlechterung um zwölf Ränge im Vergleich zum Jahr 2022 (LIB, Kap. 10)
1.3.11. NGOs und Menschenrechtsaktivisten:
Die Lage von Menschenrechtsaktivisten in Afghanistan hat sich seit der Machtübernahme durch die Taliban verschlechtert. Sie sind unter den Taliban nicht nur in ihrer Arbeit eingeschränkt, sondern müssen auch aktiv um ihr Überleben im Land kämpfen, da das Taliban-Regime und andere Akteure sie mit Gewalt, Diskriminierung und Propaganda bedrohen. Menschenrechtsverteidiger im ganzen Land sind mehrfachen Risiken und Bedrohungen ausgesetzt, wie z. B. Entführung und Inhaftierung, körperliche und psychische Gewalt, Diffamierung, Hausdurchsuchungen, willkürliche Verhaftung und Folter, Androhung von Einschüchterung und Schikanen. Es gibt Gewalt gegen Aktivisten oder Familienmitglieder durch die Taliban, einschließlich Mord.
Anfang Februar 2022 führten die Taliban beispielsweise flächendeckend Hausdurchsuchungen zunächst in Kabul, anschließend auch in angrenzenden Provinzen durch. Sie werden punktuell landesweit fortgesetzt, v. a. in Kabul und anderen Großstädten.
Einige afghanische Menschenrechtsorganisationen wollen ihre Arbeit aus dem Ausland fortsetzen und bauen zu diesem Zweck ihre oftmals zusammengebrochenen Informationsnetzwerke wieder auf. Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Menschenrechtskommission bauen ein unabhängiges Menschenrechtsinstitut im Exil auf.
Die Taliban-Behörden reagierten auch mit Gewalt auf Demonstranten und setzten scharfe Munition ein, um diese aufzulösen. Frauen wurden zusammen mit Familienmitgliedern, einschließlich kleiner Kinder, verhaftet, unter missbräuchlichen Bedingungen festgehalten und manchmal gefoltert. Wenn sie freigelassen werden, verlangen die Taliban Urkunden über den Besitz ihrer Familie und drohen, diesen zu konfiszieren, wenn die Frau ihren Aktivismus fortsetzt. Am 24.12.2022 erließen die Taliban-Behörden ein Dekret, das Frauen die Arbeit in NGOs verbietet. Fünf führende NGOs haben daraufhin ihre Arbeit in Afghanistan eingestellt. (LIB, Kap. 11)
1.3.12. Allgemeine Menschenrechtslage:
Die in der Vergangenheit von Afghanistan unterzeichneten oder ratifizierten Menschenrechtsabkommen werden von der Taliban-Regierung, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt anerkannt. Es wird ein Islamvorbehalt geltend gemacht, wonach islamisches Recht im Falle einer Normenkollision Vorrang hat.
Seit dem Sturz der gewählten Regierung haben die Taliban die Menschenrechte und Grundfreiheiten der afghanischen Bevölkerung zunehmend und in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Insbesondere Frauen und Mädchen wurden in ihren Rechten massiv eingeschränkt und aus den meisten Aspekten des täglichen und öffentlichen Lebens verdrängt.
Die Taliban-Führung hat ihre Anhänger verschiedentlich dazu aufgerufen, die Bevölkerung respektvoll zu behandeln. Dennoch kommt es zu groben Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021, darunter Hausdurchsuchungen, Willkürakte und Hinrichtungen. Es kommt zu Gewalt und Diskriminierung gegenüber Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Es kommt auch zu gezielten Tötungen sowie zu Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte. Es kommt zu Rache und Willkürakten im familiären Kontext – also gegenüber Familienmitgliedern oder zwischen Stämmen/Ethnien, bei denen die Täter den Taliban nahestehen oder Taliban sind. Taliban-Vertreter weisen den Vorwurf von systematischer Gewalt jedoch zurück und verweisen wiederholt auf Auseinandersetzungen im familiären Umfeld. Eine nachprüfbare Strafverfolgung findet in der Regel nicht statt. Im Zeitraum vom 15.1.2022 bis Mitte 2023 wurde über 3.329 Menschenrechtsverletzungen berichtet, die sich auf Verletzungen des Rechts auf Leben, des Rechts auf Freiheit von Folter, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Rechte der Frauen und mehr beziehen. Im selben Zeitraum kam es auch zu Tötung und Inhaftierung ehemaliger ANDSF-Mitglieder.
Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen. Es kam zum Einsatz von scharfer Munition und zu Todesopfern bei Protesten. Die Taliban gingen im ersten Jahr nach der Machtübernahme im August 2021 hart gegen Andersdenkende vor und verhafteten Frauenrechtsaktivisten, Journalisten und Demonstranten. Im zweiten Jahr haben sich Medien und die Opposition im Land aufgrund der Restriktionen der Taliban und der Selbstzensur weitgehend zerstreut, obwohl weiterhin über Verhaftungen von Frauenrechtsaktivisten, Bildungsaktivisten und Journalisten berichtet wird. Frauen haben weiterhin gegen die Restriktionen und Erlässe der Taliban protestiert, aber die Proteste fanden größtenteils in geschlossenen Räumen statt – offenbar ein Versuch der Demonstranten, ihre Identität zu verbergen und das Risiko einer Verhaftung oder Gewalt zu verringern. Trotz dieser Drohungen sind Frauen weiterhin auf die Straße gegangen, um gegen wichtige Erlasse zu protestieren. (LIB, Kap. 13)
1.3.13. Meinungs- und Pressefreiheit:
Die Taliban haben zwar wiederholt Presse- und Meinungsfreiheit in allgemeiner Form zugesichert, jedoch hat sich die Situation der Medienlandschaft seit dem 15.8.2021 drastisch verschlechtert. Bis Dezember 2021 haben insgesamt 43 % der afghanischen Medienunternehmen ihren Betrieb eingestellt, auch aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten. 6.400 Medienschaffende hatten ihre Anstellung verloren, was vor allem Frauen betraf. Etablierte Journalisten sind zu einem großen Teil ins Ausland gegangen und berichten aus dem Exil oder halten sich versteckt. Ankündigungen der Taliban-Regierung, das bisherige Mediengesetz umzusetzen und eine Beschwerdekommission einzurichten, ist das Informations- und Kulturministerium nicht nachgekommen.
Fernsehsender wurden wiederholt durch den Taliban-Geheimdienst unter Druck gesetzt, Unterhaltungsprogramme den moralisch-religiösen Vorgaben der Taliban anzupassen. Auch für ausländische Korrespondenten gelten strenge Visabeschränkungen, wenn sie nach Afghanistan reisen, um zu berichten. Die Taliban-Behörden setzten eine umfassende Zensur durch und gingen mit unrechtmäßiger Gewalt gegen afghanische Medien und Journalisten in Kabul und den Provinzen vor. Im November 2022 berichtete ein Medienunternehmen, dass es eine vom Taliban-Informationsministerium vorformulierte Erklärung unterzeichnen musste, in der es sich u. a. zu einer Scharia-konformen Berichterstattung verpflichtete. Kritik an der Taliban-Regierung wurde untersagt. Im Falle der Nichtbeachtung wurden Konsequenzen für das Medienunternehmen sowie die dort Beschäftigten angedroht. Elf am 19.9.2021 vorgestellte Handlungsempfehlungen der Taliban-Regierung für Printmedien, TV und Radio fordern u. a. dazu auf, keine Inhalte zu veröffentlichen, die der Scharia widersprechen und ermöglichen Nachrichtenkontrolle oder gar Vorzensur. Diese Empfehlungen werden landesweit unterschiedlich umgesetzt. Menschenrechtsorganisationen beobachten insbesondere in den Provinzen eine deutlich stärkere Einschränkung der Pressefreiheit. Medienschaffende berichten über ein aktives Monitoring und werden aufgefordert, ihre Arbeit vorab mit den lokal zuständigen Behörden zu teilen.
Mancherorts müssen Medienschaffende vor Beginn ihrer Recherchen eine Erlaubnis bei den lokalen Behörden einholen. In mindestens 14 von 34 Provinzen gibt es keine weiblichen Medienschaffenden mehr, in einigen Provinzen wurde es Journalistinnen verboten, bei ihrer Arbeit in Erscheinung zu treten. Gegenüber Menschenrechtsorganisationen berichten Journalistinnen und Journalisten über einen stark eingeschränkten Zugang zu Informationen.
Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen von Medienschaffenden durch die Taliban. Die Taliban-Behörden geben selten Auskunft über die Gründe für solche Verhaftungen oder darüber, ob die Festgenommenen vor Gericht gestellt werden. Die Festgenommenen haben keinen Zugang zu Anwälten, und in den meisten Fällen dürfen Familienangehörige sie nicht besuchen. (LIB, Kap. 14)
1.3.14. Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit:
Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurde seit der Machtübernahme der Taliban entgegen allgemeiner Zusicherungen deutlich eingeschränkt. Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen und es kam zum Einsatz von scharfer Munition und Wasserwerfern. Ab Mitte Jänner 2022 wurden sukzessive Vertreterinnen der vor allem in Kabul aktiven Protestbewegung durch die Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen. Es kam zu Verhaftungen, Misshandlungen und sexuellen Übergriffen. Diese gewalttätigen Zwischenfälle und die Androhung von Verhaftungen sowie das Verschwinden in einem undurchsichtigen Gefängnissystem ohne ordnungsgemäße Verfahren haben zunächst dazu geführt, dass die großen Anti-Taliban-Proteste eingedämmt wurden, obwohl es weiterhin kleinere Versammlungen gab. Gegen Ende des Jahres 2022 kam es wieder vermehrt zu Protesten, nachdem die Taliban Frauen vom Universitätsbesuch ausgeschlossen und NGO-Mitarbeiterinnen verboten hatten, ihrer Arbeit nachzugehen. (LIB, Kap. 15)
1.3.15. Haftbedingungen:
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 wurden Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten von unterschiedlichen Organisationen verwaltet. Die Überbelegung der Gefängnisse war auch unter der ehemaligen Regierung ein ernstes und weitverbreitetes Problem. Nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban haben sich viele Gefängnisse geleert, da fast alle Gefangenen entkamen oder freigelassen wurden. Trotz anhaltender Bemühungen, die Zahl der Inhaftierten zu reduzieren, hat die Gefängnispopulation 2024 mehr als 20.000 Personen erreicht. Neben ca. 11.000 bereits verurteilten Inhaftierten (davon sind ca. 2.000 Frauen und Kinder) warten etwa 12.000 Personen in Haftanstalten auf Gerichtsurteile.
Die Situation in den Gefängnissen in Afghanistan ist sehr schlecht. Es gibt keine landesweiten Haftstandards und keinen Mechanismus, um die Haftbedingungen anzufechten. Finanzielle Engpässe und die Einstellung der Finanzierung durch Geber wirken sich weiterhin auf die Fähigkeit der Gefängnisverwaltung aus, internationale Standards zu erfüllen, einschließlich der systematischen Bereitstellung angemessener Nahrungsmittel, Hygieneartikel, der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der medizinischen Versorgung. (LIB, Kap. 16)
1.3.16. Todesstrafe:
Die Gesetze aus der Zeit vor der Machtergreifung der Taliban im August 2021 sehen die Verhängung der Todesstrafe in bestimmten Fällen vor. Zwischen 2001 und dem 15.8.2021 hat die Regierung der Islamischen Republik Afghanistan mindestens 72 Personen hingerichtet. (LIB, Kap. 17)
1.3.17. Religionsfreiheit:
Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7 % und die Schiiten auf 7 bis 15 % der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften machen weniger als 0,3 % der Bevölkerung aus. Es gibt keine zuverlässige Schätzung über die Gemeinschaft der Christen.
Mit der rigorosen Durchsetzung ihrer strengen Auslegung der Scharia gegenüber allen Afghanen verletzen die Taliban die Religions- und Glaubensfreiheit von religiösen Minderheiten.
In einigen Gebieten Afghanistans (unter anderem Kabul) haben die Taliban alle Männer zur Teilnahme an den Gebetsversammlungen in den Moscheen verpflichtet und/oder Geldstrafen gegen Einwohner verhängt, die nicht zu den Gebeten erschienen sind bzw. gedroht, dass Männer, die nicht zum Gebet in die Moschee gehen, strafrechtlich verfolgt werden könnten. (LIB, Kap. 18)
1.3.18. Apostasie, Blasphemie, Konversion:
Etwa 10.000 bis 12.000 Christen befinden sich in Afghanistan. Die Taliban arbeiten daran, das Christentum vollständig aus dem Land zu entfernen und behaupten sogar, dass es in Afghanistan keine Christen gibt. Viele Christen sind in den Untergrund gegangen, aus Angst vor den Gerichten oder Hausdurchsuchungen der Taliban.
Der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion ist nach der vor Gericht geltenden Hanafi- Rechtsschule Apostasie. Angeklagte Gotteslästerer, einschließlich Apostaten, haben drei Tage Zeit, um zu widerrufen, sonst droht ihnen der Tod, obwohl es nach der Scharia kein klares Verfahren für einen Widerruf gibt. Einige Hadithe (Aussprüche oder Überlieferungen des Propheten Muhammad, die als Quelle des islamischen Rechts dienen) empfehlen Gespräche und Verhandlungen mit einem Abtrünnigen, um ihn zum Widerruf zu bewegen. (LIB, Kap. 18.2)
1.3.19. Ethnische Gruppen:
Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht, da keine nationale Volkszählung durchgeführt wird. Keine der ethnischen Gruppen des Landes stellt eine Mehrheit. Die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung sind Schätzungen und werden oft stark politisiert. In Afghanistan leben ca. 42 % Paschtunen, ca. 27-30 % Tadschiken, ca. 9-15 % Hazara sowie 9 % Usbeken und Kutschi-Nomaden.
Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultieren weiterhin in Konflikten und Tötungen. (LIB, Kap. 19)
Tadschiken: Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan. Sie üben einen bedeutenden politischen Einfluss in Afghanistan aus und stellen den Großteil der afghanischen Elite, die über ein beträchtliches Vermögen innerhalb der Gemeinschaft verfügt. Sie leben heute in verschiedenen Gebieten im ganzen Land, allerdings hauptsächlich im Norden, Nordosten und Westen Afghanistans. Sie haben im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation. Heute werden unter dem Terminus tājik – „Tadschike“ – fast alle Dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst. (LIB, Kap. 19.2)
1.3.20. Relevante Bevölkerungsgruppe - Mitglieder der ehemaligen Regierung / Streitkräfte / ausländischer Organisationen:
Die Taliban haben offiziell eine „Generalamnestie“ für Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte angekündigt. Hochrangige Taliban haben die Taliban-Kämpfer wiederholt zur Einhaltung der Amnestie aufgefordert und angeordnet, von Vergeltungsmaßnahmen abzusehen. Außerhalb offizieller Kommunikation verbreiten jedoch Taliban-Offizielle bzw. ihnen nahestehende Kommentatoren, u. a. in den sozialen Medien, das Narrativ, dass ehemalige Regierungsmitglieder bzw. -angestellte, aber auch Personen, die mit ausländischen Regierungen gearbeitet haben, Verräter am Islam und an Afghanistan sind. Berichte über Verstöße gegen diese Amnestie wurden von den Taliban-Behörden zurückgewiesen und erklärt, dass diese Verstöße auf „persönlicher Feindschaft oder Rache“ beruhten und nicht auf einer offiziellen Anweisung zu solchen Handlungen.
Während zielgerichtete, groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte, oder die Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen, bislang nicht nachgewiesen werden konnten, kam es allerdings zu Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte. Es kann nicht verifiziert werden, ob diese Angriffe politisch angeordnet wurden. Sie wurden aber durch die Taliban-Regierung trotz gegenteiliger Aussagen mindestens toleriert bzw. nicht juristisch verfolgt. Täter können davon ausgehen, dass auch persönlich motivierte Taten gegen diesen Personenkreis nicht geahndet werden.
Für den Zeitraum vom 16.8.2021-30.5.2023 verzeichnet ACLED über 400 Gewalttaten gegen ehemalige Regierungs- und Sicherheitsbeamte, von denen 290 von den Taliban verübt wurden. UNAMA dokumentiert für den Zeitraum 15.8.2021-30.6.2023 sogar mindestens 800 Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige Regierungs- und Sicherheitsbeamte, darunter außergerichtliche Tötungen, gewaltsames Verschwinden, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen sowie Drohungen. Ehemalige Angehörige der afghanischen Nationalarmee sind am stärksten von Menschenrechtsverletzungen bedroht, gefolgt von der Polizei (sowohl der afghanischen Nationalpolizei (ANP) als auch der afghanischen Lokalpolizei (ALP)) und Beamten der National Directorate of Security (NDS). Die oben genannten Gruppen sind zwar in allen Provinzen gefährdet, doch scheint es in einigen Gegenden zu einer verstärkten gezielten Gewalt zu kommen.
Im März 2022 gründeten die Taliban die Kommission für die Verbindungsaufnahme und Rückführung afghanischer Persönlichkeiten, um mit hochrangigen ehemaligen Beamten und Spitzenmilitär über ihre Rückkehr ins Land zu verhandeln und ihnen Sicherheit und Schutz zu versprechen. Die Rückkehrer erhalten „Immunitätskarten“, um sicherzustellen, dass sie nicht aufgrund ihrer früheren Tätigkeit inhaftiert werden. Einige müssen sich die Karten nach ihrer Rückkehr besorgen, was sich als äußerst schwierig erweist, da die Taliban keine speziellen Registrierungszentren bekannt gegeben haben und der Zugang zur Kommission nach wie vor schwierig ist. Manche Rückkehrer mussten Taliban-Beamte bestechen, um zu einer Immunitätskarte zu gelangen.
Seit ihrer Gründung ist es der Kommission gelungen, eine Reihe ehemaliger Beamter, darunter hochrangige Militär- und Polizeibeamte, zur Rückkehr nach Afghanistan zu bewegen. Während einige von ihnen der Rückkehr zugestimmt haben, haben viele aus Angst vor den „falschen Versprechungen“ der Taliban beschlossen, nicht zurückzukehren. Die Taliban haben sich jedoch jeden prominenten Rückkehrer zunutze gemacht, indem sie ihn auf dem Flughafen von Kabul gefilmt und die Videos dann in den sozialen Medien als Werbematerial verbreitet haben. Die meisten Rückkehrer werden später zu Taliban-Unterstützern, befürworten ihre Ideologie und fordern weltweite Anerkennung. Manche sehen diese Rückkehr als eine Treueerklärung an die Taliban.
Einige Mitglieder der ehemaligen Streitkräfte, die nach Versprechungen der Taliban nach Afghanistan zurückgekehrt waren, wurden wie Feinde behandelt und ihre persönlichen Daten wurden über Social-Media verbreitet. Einige wurden kurzfristig verhaftet und verhört und ihre Häuser wurden durchsucht. Zusätzlich mussten Rückkehrer einen Treueid auf die Taliban leisten. (LIB, Kap. 20.3)
1.3.21. Relevante Bevölkerungsgruppe - Personen denen vorgeworfen wird, von westlichen Werten beeinflusst zu sein:
Die Taliban haben das Ziel, die afghanische Gesellschaft zu „reinigen“ und „ausländischen“ Einfluss aus Afghanistan zu vertreiben. Die afghanische Gesellschaft soll von allem „gesäubert“ werden, was die Taliban als „westliche“ Werte ansehen, einschließlich Bildung für Mädchen, Beschäftigung und Bewegungsfreiheit für Frauen sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Afghanen, die nach 2021 ausgereist sind, werden von den Taliban oft als „Verräter“ angesehen. Taliban kontrollieren Profile in den sozialen Medien. Familienangehörige von Ausgereisten können auch von Taliban-Beamten und Nachbarn schikaniert werden, unter anderem durch Vertreibungen und aggressive Verhöre.
Obwohl keine allgemeine Kleiderordnung für Männer erlassen wurde, wird Männern in einigen Gegenden geraten, Bärte nicht zu kürzen und keine westliche Kleidung zu tragen. Regierungsangestellten wurde angeordnet, sich einen Bart wachsen zu lassen und eine Kopfbedeckung zu tragen. Ein Taliban-Beamter rief dazu auf, die Krawatte nicht mehr zu tragen, da sie ein Symbol für das christliche Kreuz sei. Im Februar 2024 hielt ein hochrangiger Taliban Medienschaffende in Afghanistan dazu an, auf das Rasieren von Bärten und das Fotografieren zu verzichten. Er sagte weiter, dass der Bartwuchs im Islam obligatorisch sei und dass es eine große Sünde sei, ihn zu rasieren. Auch „dünne Kleidung“ wird als Widerspruch zur Scharia erachtet. Händler wurden aufgefordert, auf die Einfuhr solcher Kleidung zu verzichten.
Die Kleidervorschriften werden jedoch in den Provinzen unterschiedlich ausgelegt. In Kabul tragen Menschen in bestimmten Teilen der Stadt T-Shirts und westliche Kleidung mit US-Motiven, und es kann in Afghanistan praktisch auch alles gekauft werden, wenn man das Geld dazu hat. In Kabul-Stadt gibt es auch Fast-Food-Restaurants und Bodybuilding-Fitnessstudios.
Das Spielen von Musik ist in Afghanistan verboten. Taliban verbrennen öffentlich Musikinstrumente und gehen auch gegen Personen vor, die Musik in Privatfahrzeugen oder auf Telefonen abspielen. In einigen Lokalen in Kabul wird weiterhin Musik gespielt. In der Kernzone der Taliban in Kandahar sind die Taliban-Beamten strenger, das Spielen und Hören von Musik ist in der ganzen Stadt verboten. (LIB, Kap. 20.4)
1.3.22. Bewegungsfreiheit:
Afghanistan befindet sich aktuell weitgehend unter der Kontrolle der Taliban. Dauerhafte Möglichkeiten, dem Zugriff der Taliban auszuweichen, bestehen daher gegenwärtig nicht.
Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war der Reiseverkehr zwischen den Städten im Allgemeinen ungehindert möglich. Die Taliban setzen jedoch Kontrollpunkte ein, um den Verkehr innerhalb des Landes zu regeln und nach bekannten oder vermeintlichen Regimegegnern zu fahnden. Es werden auch Mobiltelefone und Social-Media-Aktivitäten der Reisenden überprüft. Taliban-Kräfte überprüfen die Namen und Gesichter von Personen an Kontrollpunkten anhand von „Listen mit Namen und Fotos ehemaliger Armee- und Polizeiangehöriger“. Meistens handelt es sich um Routinekontrollen, bei denen nur wenig kontrolliert wird. Wenn jedoch ein Kontrollpunkt aus einem bestimmten Grund eingerichtet wird, kann diese Durchsuchung darauf abzielen, bestimmte Gegenstände wie Drogen, Waffen oder Sprengstoffe aufzuspüren. Die Kontrollpunkte der Taliban sind über ganz Afghanistan verteilt. Sie befinden sich in der Regel entlang der Hauptversorgungsrouten und in der Nähe der Zugänge zu größeren Städten. Die Haltung und der Umfang der Durchsuchungen an diesen Kontrollpunkten variieren je nach Sicherheitslage. (LIB, Kap. 21)
1.3.23. IDPs und Flüchtlinge:
Jahrelange Konflikte, Naturkatastrophen und wirtschaftliche Schwierigkeiten haben im verarmten Afghanistan Millionen von Menschen zu Binnenvertriebenen gemacht. Binnenvertriebene, wie auch Rückkehrende aus dem Ausland, befinden sich in einer wirtschaftlichen Notlage und wenden negative Bewältigungsstrategien an (Einsparung von Lebensmitteln, Aufnahme von Schulden, Kinderarbeit oder -verkauf). 2023 gab es zwischen 3,25 und 3,3 Millionen Binnenvertriebene. Gründe für Vertreibung sind vor allem Konflikte und extrem wetterbedingte Ereignisse.
Im Jänner 2023 kündigten die pakistanischen Behörden an, dass alle ausländischen Staatsangehörigen, einschließlich afghanischer, ohne gültige Papiere inhaftiert und nach einem Gerichtsurteil in ihr Heimatland zurückgewiesen werden. Pakistanische Behörden kündigten außerdem an, Geld und Besitztümer von illegal aufhältigen Fremden zu konfiszieren und Strafen gegen pakistanische Bürger bzw. Vermieter zu verhängen, die ihnen Unterschlupf gewähren, sowie auch gegen Firmen, die Afghanen ohne Dokumente beschäftigen. Mit der Aussicht auf eine tatsächliche Umsetzung ab 1.11.20023 stieg die Zahl der Rückkehrer an den Grenzübergängen stark an. In den ersten beiden Oktoberwochen – vom 1. bis zum 15.10.2023 – kehrten 37.317 Afghanen selbstständig nach Afghanistan zurück.
Der Iran duldet viele afghanische Staatsangehörige, die sich irregulär im Land aufhalten. Ein beträchtlicher Anteil befindet sich im Rahmen der Arbeitsmigration im Iran, die ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für das Land ist. Im Rahmen verschiedener Regularisierungsinitiativen haben die iranischen Behörden einigen von ihnen einen regulären Aufenthalt bzw. eine Duldung ermöglicht. Die freiwillige Rückkehr von registrierten afghanischen Flüchtlingen findet seit August 2021 auf einem niedrigeren Niveau statt als zuvor, wobei im Jahr 2023 mit insgesamt 521 Personen mehr registrierte afghanische Flüchtlinge mit UNHCR-Unterstützung freiwillig nach Afghanistan zurückkehrten als 2022 (379 Personen). Im ersten Jahr nach der Machtübernahme der Taliban (15.8.2021-14.8.2022) gab es mit rund einer Million Rückkehrern dagegen eine höhere Anzahl als im zweiten Jahr (15.8.2022-15.8.2023), als ca. 838.000 Personen erfasst wurden, die vom Iran nach Afghanistan zurückkehrten. (LIB, Kap. 22)
1.3.24. Grundversorgung und Wirtschaft:
Nach der Machtübernahme verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage in Afghanistan durch die Einstellung vieler internationaler Hilfsgelder massiv. Nach der Machtübernahme der Taliban waren große Teile der Bevölkerung zunehmend auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Im Jahr 2024 benötigten etwa 23,7 Millionen Menschen (mehr als die Hälfte des Landes) humanitäre Hilfe aufgrund der Nachwirkungen von vierzig Jahren Krieg, der jüngsten politischen Umwälzungen und wirtschaftlicher Instabilität. Auch häufige Naturkatastrophen und der Klimawandel haben Auswirkungen auf die humanitäre Lage im Land. Während Afghanistan gute Fortschritte bei der Aufrechterhaltung von Stabilität und Sicherheit gemacht zu haben scheint, hat sich die afghanische Wirtschaft von dem erheblichen Produktionsrückgang seit 2020 nicht erholt. Dies ist größtenteils auf eingeschränkte Bankdienstleistungen und Operationen des Finanzsektors, Unterbrechungen in Handel und Gewerbe, geschwächte und isolierte wirtschaftliche Institutionen und fast keine ausländischen Direktinvestitionen oder Geberunterstützung für die produktiven Sektoren zurückzuführen.
Die Wirtschaft stabilisierte sich ab Mitte 2022 wieder und im Jahr 2023 gab es einige Anzeichen für eine leichte wirtschaftliche Verbesserung. In weiterer Folge sank die akute Ernährungsunsicherheit in der Bevölkerung zwischen April und Oktober 2023 von 40 % auf 29 %. Die Wirtschaft stagnierte in weiterer Folge jedoch und die sozioökonomische Situation in Afghanistan ist weiterhin durch Armut, Ernährungsunsicherheit und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet.
In der Periode September bis Oktober 2024 sind nach Schätzungen der IPC ca. 11,6 Millionen Menschen (25 % der Gesamtbevölkerung) von einem hohen Maß an akuter Ernährungsunsicherheit betroffen, die in IPC-Phase 3 oder höher (Krise oder schlimmer) eingestuft wird. Davon befinden sich etwa 1,8 Millionen Menschen (4 % der Gesamtbevölkerung) in IPC-Phase 4 (Notfall) und etwa 9,8 Millionen Menschen (21 % der Gesamtbevölkerung) in IPC-Phase 3 (Krise). Diese leichte Verbesserung der Ernährungssicherheit ist auf eine verbesserte landwirtschaftliche Produktion, das Ausmaß der humanitären Nahrungsmittel- und landwirtschaftlichen Nothilfe im Zeitraum 2023/2024 und eine verbesserte Kaufkraft der Haushalte zurückzuführen. Für den Zeitraum November 2024 bis März 2025, der mit der kalten Jahreszeit zusammenfällt, prognostiziert IPC, dass 14,8 Millionen Menschen (32 % der Gesamtbevölkerung) in die IPC-Phase 3 oder höher (Krise oder schlimmer) eingestuft werden. Darunter fallen 3,1 Millionen Menschen (7 % der Gesamtbevölkerung) in Phase 4 und 11,6 Millionen (25 % der Gesamtbevölkerung) in Phase 3. (LIB, Kap. 24)
1.3.25. Medizinische Versorgung:
Die drastische Kürzung der finanziellen und technischen Entwicklungshilfe für das öffentliche Gesundheitssystem Afghanistans seit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 hat das Gesundheitssystem des Landes schwer geschädigt. Der daraus resultierende Mangel an ausreichenden Gesundheitsdiensten betrifft Millionen von Afghanen. Aufgrund fehlender Mittel mussten Kliniken schließen. Es kam zu Engpässen bei Medikamenten und Ausrüstung. Während Antibiotika, Schmerzmittel und allgemeine Gesundheitsmedikamente noch eingeführt werden, sind spezifische Medikamente, z. B. jene zur Behandlung von Krebs, in Afghanistan nicht erhältlich. Menschen können auch nicht mehr so einfach wie früher in die Nachbarländer reisen, um sich behandeln zu lassen und Medikamente zu kaufen. Es gibt einen generellen Mangel an (vor allem weiblichen) Ärzten und viele sind unterqualifiziert bzw. praktizieren, ohne ihre Ausbildung abgeschlossen zu haben.
In den öffentlichen Krankenhäusern, die unter direkter Aufsicht der afghanischen Regierung stehen, sind seit dem Regimewechsel sowohl die Qualität der Versorgung als auch die Zahl der Mitarbeiter erheblich zurückgegangen. Die Kapazität des Gesundheitspersonals im öffentlichen Sektor ist gering, auch aufgrund der Einschränkungen von Frauen in Hinblick auf Beschäftigung und Bewegungsfreiheit. In den städtischen Zentren gibt es zahlreiche Gesundheitseinrichtungen, Medikamente oder Behandlungen sind für die Bevölkerung häufig zu teuer. (LIB, Kap. 25)
1.3.26. Rückkehr:
Es gibt wenig Informationen zu Rückkehrern aus Europa nach Afghanistan. Nach der Machtübernahme der Taliban kam es zur freiwilligen Rückkehr afghanischer Staatsbürger. Es kehrten auch einige Mitarbeiter der ehemaligen Regierung und internationaler NGOs nach Afghanistan zurück, darunter ein Mitarbeiter einer NGO, der mit seiner Familie nach zwei Jahren Aufenthalt in Dänemark nach Afghanistan zurückkehrte. Es gibt auch freiwillige Rückkehrer aus den USA.
Die Taliban haben am 16.3.2022 eine Kommission unter Leitung des Taliban-Ministers für Bergbau und Petroleum ins Leben gerufen, die Mitglieder der ehemaligen wirtschaftlichen und politischen Elite überzeugen soll, nach Afghanistan zurückzukehren. Im Rahmen dieser Bemühungen sollen inzwischen 200 mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten nach Afghanistan zurückgekehrt sein, darunter auch ehemalige Minister und Parlamentarier.
Am 30.8.2024 wurden erstmals seit der Machtübernahme der Taliban afghanische Staatsangehörige aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Nach Angaben der deutschen Bundesregierung handelte es sich dabei um „afghanische Straftäter, afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen“. Die insgesamt 28 abgeschobenen Afghanen wurden nach ihrer Rückkehr nach Kabul durch die Taliban angehalten und ins Gefängnis gebracht. Kurz darauf wurden sie nach Auskunft der Taliban wieder auf freien Fuß gesetzt, nach einer schriftlichen Zusicherung, dass sie keine Verbrechen in Afghanistan begehen würden. Die Taliban sind bereit, auch in Zukunft abgeschobene Afghanen aus Deutschland aufzunehmen. (LIB, Kap. 26)
1.3.27. Dokumente:
Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan wies bereits vor der Machtübernahme der Taliban gravierende Mängel auf und stellte aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden konnte nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Personenstandsurkunden wurden oft erst viele Jahre später, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen, nachträglich ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kamen sehr häufig vor. Es ist den Behörden oft nicht möglich, die Angaben der Personen, die Dokumente beantragen, zuverlässig zu verifizieren. Je nach Dokument besteht eine unterschiedliche Praxis, Geburtsdatum, Geburtsort und Nachnamen einzutragen. Deshalb kommt es vor, dass die Personalien derselben Person in verschiedenen Dokumenten unterschiedlich eingetragen sind. Besonders fälschungsanfällig sind Papier-Tazkiras. In der Regel ist es unmöglich, die Authentizität solcher Dokumente zu prüfen. Reisepässe und e-Tazkiras haben ein einheitliches Layout mit zahlreichen Sicherheitsmerkmalen und sind besser überprüfbar. Es besteht aber auch hier die Möglichkeit, dass Inhalte manipuliert sind oder dass sie an nicht berechtigte Personen ausgestellt sind.
Mit Stand Februar 2024 können Reisepässe, Tazkiras und e-Tazkiras in allen Provinzen Afghanistans beantragt werden. Die Ausstellung von Reisepässen kann jedoch bis zu einem Jahr dauern. Reisepässe sind nicht in allen Provinzen erhältlich. Das Innenministerium der Taliban hat in 15 der 34 Provinzen (Farah, Nimroz, Badghis, Paktika, Samangan, Laghman, Uruzgan, Kunar, Takhar, Zabul, Jawzjan, Bamyan, Panjsher und Baghlan) Passämter wiedereröffnet und verlangt von den Antragstellern, dass sie sich in ihrer Herkunftsprovinz einen Pass besorgen. Die Funktionsfähigkeit dieser Abteilungen ist jedoch nach wie vor unklar. (LIB, Kap. 27)
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die vorgelegten Urkunden.
Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und dem Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren in Österreich.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache und seinem Familienstand gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
2.1.2. Die Feststellung zur Geburt und zum Aufwachsen des Beschwerdeführers in seinem Heimatdorf ergibt sich aus seinen dahingehend gleichbleibenden Angaben im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens. Insoweit der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erstmals vorbrachte, nach dem Jahr 2017 nicht mehr in sein Heimatdorf zurückgekehrt zu sein (OZ 5, S. 18), ist dem entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer noch zu Beginn der mündlichen Beschwerdeverhandlung explizit angab, bis zu seiner Ausreise, konkret bis zum XXXX in seinem Heimatdorf gelebt zu haben (OZ 5, S. 7). Auch in seinen beiden niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt führte er aus, bis zur Ausreise aus Afghanistan „immer dort gelebt“ zu haben (AS 25), bzw. „von Geburt bis zur Ausreise XXXX “ (AS 67). Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat durchgehend in seinem Heimatdorf gelebt hat.
Die Feststellung zur Schulbildung des Beschwerdeführers sowie, dass er auf Dari lesen und schreiben kann, ergibt sich aus seinen dahingehend gleichbleibenden Angaben im Zuge des Verfahrens.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keinen Beruf erlernt hat, ergibt sich aus seinen Angaben in der Erstbefragung, in welcher er das Vorliegen einer Berufsausbildung ausdrücklich verneinte (AS 4) sowie aus seinen widersprüchlichen Angaben zu seiner vorgebrachten beruflichen Tätigkeit und einer damit einhergehenden Berufsausbildung im Zuge des Verfahrens, auf welche in nachstehenden beweiswürdigenden Ausführungen unter II.2.2. näher eingegangen wird. Allerdings ist aufgrund dahingehend gleichbleibender Angaben im Verfahren jedoch glaubhaft, dass der Beschwerdeführer über Berufserfahrung als Hilfsarbeiter in der familieneigenen Landwirtschaft verfügt.
2.1.3. Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten seiner Familienangehörigen ergeben sich aus den Angaben vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch gab der Beschwerdeführer durchgehend im Verfahren an, Kontakt zu seinen Familienangehörigen zu haben.
2.1.4. Die Daten der Asylantragstellung, des zwischenzeitlichen Aufenthalts in der Schweiz und der erneuten Wiedereinreise in das österreichische Bundesgebiet, sowie die Dauer des seitherigen Aufenthaltes und der Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.
2.1.5. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich aus seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung und dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges vorgebracht wurde.
2.1.6. Dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Beilage ./I.).
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtvorbringen ist nicht glaubhaft. Die Angaben des Beschwerdeführers waren vage, widersprüchlich, unplausibel und daher unglaubhaft.
2.2.1. Der Beschwerdeführer präsentierte zu seinen Fluchtgründen in der mündlichen Verhandlung eine grobe Rahmengeschichte ohne lebensnahe Details. Obwohl der Beschwerdeführer in der Verhandlung mehrfach aufgefordert wurde, seine Fluchtgründe umfassend und detailliert darzulegen, machte er nur ausweichende und vage Angaben. Diese machen nicht den Eindruck, als würde es sich um tatsächlich erlebte Ereignisse handeln. Der Beschwerdeführer machte zu seinen Fluchtgründen in der Verhandlung nachstehende Angaben (OZ 5, S. 11):
„BP: Ich habe für die afghanische Regierung Dienst geleistet. Ein Grund, warum ich das Land verlassen habe, war der Sturz der afghanischen Regierung. Ich wurde von Männern einer mächtigen Person namens Gholam Haidar Khan mehrmals bedroht, habe Drohbriefe erhalten, wurde telefonisch bedroht und auch persönlich bedroht. Aus unterschiedlichen Gründen habe ich weitergearbeitet. Erstens wollte ich weiterarbeiten und zweitens brauchte ich die Arbeit. Leute, die mich bedroht haben, haben unsere Ortschaft gut gekannt. Ich habe wie gesagt bis zum Sturz der Regierung gearbeitet. Nach dem Sturz der Regierung hatte ich keine andere Wahl als das Land zu verlassen, weil diese Menschen, die mich bedroht haben, waren schon an der Macht. Das war eine sehr chaotische Situation, viele waren unter Angst und Panik. Für die Taliban waren alle Feinde, die in irgendeiner Art und Weise für die Regierung gearbeitet haben oder in irgendeiner Art und Weise den Polizisten geholfen habe. Für die Taliban waren alle Feinde. Wir hatten keine andere Wahl, deswegen haben wir, 3 Brüder von mir und auch meine Eltern das Land verlassen. Wir haben alle gemeinsam das Land verlassen.“
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen waren vage, ausweichend und nicht glaubhaft. Insoweit der Beschwerdeführer detailliertere Angaben tätigte, bezogen sich diese auf den Sturz der ehemaligen afghanischen Regierung, und nicht auf die vorgebrachten Bedrohungen des Beschwerdeführers. Selbst auf konkrete Auffordernug, möglichst detaillierte Angaben zu den vorgebrachten Bedrohungen zu schildern, tätigte der Beschwerdeführer – insbesondere zu den vorgebrachten Drohbriefen – in der Beschwerdeverhandlung bloß vage Angaben (OZ 5, S. 14):
„R: Sagen Sie mir möglichst detailliert und genau, wann Sie welche Bedrohungen bekommen haben.
BP: Die Bedrohungen haben 2017 angefangen. Ich wurde mehrmals telefonisch durch Männer von Gholam Haidar Khan bedroht und die Bedrohungen bis zu meiner Ausreise angedauert. Ich wurde auch nochmal 2 oder 3 Monate vor dem Sturz der Regierung ebenfalls bedroht. Leute, die in irgendeiner Art und Weise für die Regierung gearbeitet haben, wurden von solchen Leuten bedroht. Als sie meine Brüder oder meinen Vater gesehen haben, haben sie ihm gesagt, dass ich aufhören muss, für die Regierung zu arbeiten. Sie haben mehrmals meinen Vater bedroht. Mir wurden Drohbriefe über kleine Kinder geschickt. So war damals die Bedrohung.
R: Wir wurden Ihnen Drohbriefe über kleine Kinder geschickt?
BP: Jugendliche oder Kleinkinder, die sie dort auf der Straße gesehen haben, über diese haben sie mir Drohbriefe geschickt. Manchmal haben sie in der Nacht vor meinem Haus die Drohbriefe hingeworfen.
R: Wie oft war das?
BP: Ich weiß es nicht genau, vielleicht über 20 Mal ist das passiert. Ich habe jedes Mal meine Einheit darüber informiert und mir wurde gesagt, sie sind nicht in der Lage, jedem einen Personenschutz zur Verfügung zu stellen.“
Hierbei fällt zudem auf, dass der Beschwerdeführer erstmals vor BVwG angab, ihm seien Drohbriefe auch über kleine Kinder geschickt worden, sowie, dass man ihm manchmal in der Nacht Drohbriefe vor sein Haus hingeworfen habe (OZ 5, S. 14).
Der Beschwerdeführer machte bereits beim Bundesamt vage und ausweichende Angaben zu den ihm gegenüber erfolgten Bedrohungen (AS 33, AS 35):
„LA: Hat es irgendwelche persönliche Bedrohungen oder Verfolgungen in Afghanistan gegeben?
VP: 2017 sind ein paar Leute von Gholam Haidar Khan gekommen und haben mich aufgefordert meine Tätigkeit zu beenden. Sie haben mich bedroht und gesagt, dass Sie mich töten werden, wenn ich meine Tätigkeit weiter mache.
LA: Hat es noch andere Bedrohung außer die jetzt vorgebrachte Bedrohung gegeben?
VP: Sie sind mehrmals ins Dorf XXXX gekommen und haben gesagt, dass alle die beim Staat tätig sind dieses beenden sollen. Die Leute von Gholam Haidar Khan haben mich telefonisch auch bedroht.
LA: Wem gehören die Leute von Gholam Haidar Khan an?
VP: Er ist ein Talibankommandant.
LA: Hat es außer den Leuten von Gholam Haidar Khan irgendwelche Bedrohungen gegeben?
VP: Ich wurde nur von Gholam Haidar Khan bedroht. […]
LA: Sie haben angegeben, dass die Leute von Gholam Haidar Khan Sie im Jahre 2017 bedroht hätten. Sie haben Sie auch nachfolgend bedroht. Wann waren diese Bedrohungen?
VP: Ich kann keine konkreten Daten nennen. Sie haben sich alle zwei oder drei Monate gemeldet und gefragt, ob ich noch immer beim Staat tätig bin. Sie haben mich telefonisch bedroht, dass Sie mich töten werden, wenn ich weiterhin meiner Tätigkeit vom Staat nachgehe.
LA: Hat es diese Bedrohungen bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan?
VP: Die letzte Bedrohung habe ich drei Monate vor dem Fall der Republik erhalten.“
Der Beschwerdeführer schilderte sohin bereits vor dem Bundesamt die behaupteten Bedrohungen sehr vage. Erst auf Nachfrage ergänzte er diese mit wenigen Details, wobei auffällt, dass der Beschwerdeführer dadurch kontinuierlich sein Vorbringen steigerte. Während der Beschwerdeführer sohin zunächst anführte, Leute von „Gholam Haidar Khan“ seien zu ihm gekommen und haben ihn bedroht, fügte er in weiterer Folge hinzu, auch telefonisch bedroht worden zu sein. Erst auf spätere Nachfrage, ob diese Bedrohungen immer telefonisch gewesen seien, brachte der Beschwerdeführer vor, es habe auch Drohbriefe gegeben. Der Beschwerdeführer konnte vor dem Bundesamt jedoch auch zu den vorgebrachten Drohbriefen keine genauen Daten nennen und führte lediglich an, man habe „allgemeine“ Drohbriefe in den Moscheen gefunden (AS 35).
Es wird nicht verkannt, dass Angaben zu Geschehnissen, die bereits einen längeren Zeitraum zurückliegen, unter Umständen mit etwaigen Unschärfen behaftet sein könnten. Zumal die vorgebrachten Bedrohungen durch die Taliban aber für die Flucht des Beschwerdeführers ausschlaggebend waren (OZ 5, S. 11), würde es sich bei diesen um besonders einprägsame Ereignisse handeln, die jedenfalls in Erinnerung bleiben würden. Insbesondere wäre zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer zumindest die zuletzt erfolgten Bedrohungen vor seiner Ausreise aus Afghanistan im Jahr XXXX klar und stringent hätte widergeben können, hätten sich diese tatsächlich zugetragen (OZ 5, S. 15 ff).
Auffallend ist zudem, dass es dem Beschwerdeführer in Hinblick auf den geschilderten Angriff der Taliban auf einen Bezirk in der Provinz Farah im Jahr XXXX sehr wohl möglich gewesen ist, konkrete Zahlen zu Verletzten, Getöteten oder Gefangenen des geschilderten Vorfalles zu nennen (OZ 5, S. 13). Hingegen war der Beschwerdeführer zu ihn individuell treffenden Drohhandlungen, insbesondere zur Anzahl und zum Datum der ihm gegenüber behaupteten Bedrohungen, nicht einmal in der Lage, annähernd konkrete oder nachvollziehbare Angaben zu tätigen. Es ist daher nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer durch die Taliban bedroht wurde.
Darüber hinaus tätigte der Beschwerdeführer zu seiner vorgebrachten beruflichen Tätigkeit bei der Polizei wenig detaillierte Angaben. So wurde der Beschwerdeführer unter anderem zu seinem Dienstgeber befragt, wobei er vage und ausweichende Angaben tätigte, die er selbst auf Nachfrage kaum konkretisierte:
„R: Wer genau war Ihr Dienstgeber?
BP: Ich habe für die Polizei gearbeitet, mein Arbeitsgeber war die Polizei der Stadt Herat.
R: Haben Sie für die Nationalpolizei gearbeitet, eine Lokalpolizei, die Grenzpolizei oder beim Militär?
BP: Für die normale Polizei.
R: Wer ist aus Ihrer Sicht die normale Polizei?
BP: Das gehört zum Bundesministerium für Inneres.
R: War es die Local Police, Afgan National Police, Afgan Border Police oder das Militär?
BP: Es war die Nationalpolizei. Am Ende waren wir unter Befehl der afghanischen Nationalarmee. Weil wir haben Aufgaben bekommen, die außerhalb der Provinz waren.
R: Aber wenn Sie bei der afghanischen Nationalpolizei waren, sind Sie ja an die Provinzgrenzen nicht gebunden. Warum muss man Sie dann dem Militär unterstellen?
BP: Das Bundesministerium für Inneres hatte zwei unterschiedliche Bereiche. Ein Bereich war zuständig für die Sicherheit in der Provinz. Der zweite Teil war sowohl für die Sicherheit innerhalb der Provinz als auch außerhalb der Provinz zuständig.“
Der Beschwerdeführer wurde auch zu einem Logo bzw. Wappen seiner Arbeit befragt. Auch hier blieben seine Angaben vage und ausweichend. Während der Beschwerdeführer noch in seiner ersten Einvernahme beim Bundesamt vermeinte, seine Einheit habe kein Wappen gehabt (AS 41), ergänzte er in der zweiten Einvernahme vor dem Bundesamt, sie haben auf ihrer Kleidung „und anderen Gegenständen“ jedoch schon ein Logo gehabt (AS 65). Auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung tätigte der Beschwerdeführer diesbezüglich sehr vage Angaben (OZ 5, S. 6):
„R: Möchten Sie etwas in den Protokollen richtigstellen oder ergänzen, weil etwas das Sie gesagt haben anders oder überhaupt nicht aufgeschrieben wurde, oder steht in den Protokollen genau das drinnen, das Sie bei den Befragungen angegeben haben?
BP: Damals habe ich eine Frage bekommen, ob unsere Einheit ein Logo hatte. Ich sagte damals kein bestimmtes Logo, aber man könnte davon, was auf den Fahrzeugen oder auf der Uniform gezeichnet ist, herausfinden welche Einheit es war.“
Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich für die afghanische Nationalpolizei gearbeitet, müsste er detailreichere und konkretere Angaben sowohl zu seinem Dienstgeber als auch zum Logo der ehemaligen Afghanischen Nationalpolizei machen können. Diese Angaben machen nicht den Eindruck, als hätte der Beschwerdeführer tatsächlich für die ehemaligen afghanischen Sicherheitskräfte gearbeitet.
Während der Beschwerdeführer somit insgesamt sehr vage Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit schilderte, so fällt – wie bereits oben ausgeführt – auf, dass er zu einem Vorfall in der Provinz Farah, welcher sich vor XXXX Jahren zugetragen haben soll, äußerst detaillierte Angaben tätigen konnte (OZ 5, S. 13):
„ XXXX ist es zu einem massiven Angriff seitens der Taliban auf einen Bezirk in der Provinz Farah gekommen. Dieser Bezirk hat Balah Boluk geheißen. Über XXXX Mitglieder der Taliban haben XXXX Stützpunkte der afghanischen Regierung angegriffen. XXXX Männer auf unserer Seite sind ums Leben gekommen. XXXX sind in Gefangenschaft der Taliban gefallen. Über XXXX Männer wurden verletzt. Unsere Aufgabe war es, den Menschen Erstehilfe zu leisten, die verletzt waren damit sie in das Spital verlegt werden können.“
Diese Angaben erschöpfen sich allerdings in einer rein faktenbasierten Erzählung des Vorfalles ohne lebensnahe Details, als würde ein schriftlicher Bericht verlesen werden. Diese machen nicht den Eindruck von tatsächlich erlebten Ereignissen. Auch die – erst auf Nachfrage getätigten – näheren Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner Tätigkeit beliefen sich lediglich auf folgende:
„ XXXX Kameraden von mir wurden stark verletzt. Ich habe ihnen geholfen, dass sie nicht viel Blut verlieren. Ich musste zuerst die Verletzungen saubermachen, danach habe ich Erstehilfe geleistet. Ich habe sie für den Weitertransport ins Spital vorbereitet.“ (OZ 5, S 13)
Angesichts eines derart einprägsamen Ereignisses und vor dem Hintergrund seiner vorgebrachten elfjährigen Tätigkeit als Sanitäter bei der Polizei wäre jedoch zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer eingehendere Angaben zu seiner konkreten Tätigkeit vor Ort hätte tätigen können. Hingegen fällt auf, dass ihm dies bezogen auf quantitative Angaben zu den von ihm aufgelisteten Verletzten, Getöteten oder Gefangenen des geschilderten Vorfalles durchaus möglich gewesen ist. Es entsteht daher gesamtbetrachtend nicht der Eindruck eines selbsterlebten Ereignisses, sondern einer Wiedergabe von Fakten eines Berichts.
Bereits aus diesen Überlegungen geht das Gericht davon aus, dass der Beschwerdeführer weder als Polizist noch als Sanitäter bei den ehemaligen afghanischen Sicherheitskräften gearbeitet hat, sondern ausschließlich in der familieneigenen Landwirtschaft.
2.2.2. Zudem ergaben sich folgende erhebliche Widersprüche zur beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers, sodass davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer tatsächlich weder für die ehemalige afghanische Regierung oder die ehemaligen afghanischen Sicherheitskräfte noch für NGOs oder für sonstige ausländische Unternehmen bzw. Streitkräfte gearbeitet hat:
Allem voran fällt auf, dass die Angaben des Beschwerdeführers sowohl zu seiner vorgebrachten Berufsausbildung als auch beruflichen Tätigkeit im Zuge des Verfahrens maßgeblich divergieren. Auch steigerte der Beschwerdeführer seine dahingehenden Angaben fortwährend im Verfahren:
Während der Beschwerdeführer in der Erstbefragung noch angab, keine Berufsausbildung in Afghanistan erhalten zu haben (AS 4), brachte er demgegenüber in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt erstmals vor, eine Ausbildung als Sanitäter (AS 33) erhalten zu haben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer darüber hinaus an, zusätzlich auch ein Militärtraining absolviert zu haben (OZ 5, S. 12).
Der Beschwerdeführer widersprach sich auch dahingehend, als er vor dem Bundesamt noch vermeinte, eine zweimonatige Ausbildung als Sanitäter erhalten und fortan durchgehend als Sanitäter gearbeitet zu haben (AS 33). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er hingegen an, auch eine zwölfwöchige Militärausbildung erhalten zu haben. Erst danach habe er begonnen zu arbeiten (OZ 5, S. 12).
Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich eine Ausbildung als Polizist absolviert, wäre anzunehmen, dass er dies bereits in der Erstbefragung und nicht erst vor dem Bundesverwaltungsgericht erwähnt hätte. Auch wäre anzunehmen, dass der Beschwerdeführer eine Ausbildung als Sanitäter bereits in der Erstbefragung vorgebracht hätte, hätte er tatsächlich eine solche absolviert.
Widersprüchlich waren auch die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner beruflichen Tätigkeit an sich: So gab der Beschwerdeführer zunächst in seiner Erstbefragung zwar an, als Polizist gearbeitet zu haben (AS 4, AS 8). Vor dem Bundesamt führte er aber aus, durchgehend als Sanitäter bei der Polizei tätig gewesen zu sein und an keinen Kampfhandlungen teilgenommen zu haben (AS 33, AS 35). Demgegenüber widesprach sich der Beschwerdeführer allerdings wieder, als er vor dem Bundesverwaltungsgericht anführte, von 2010 bis zum Sturz der afghanischen Regierung als Polizist Dienst geleistet zu haben (OZ 5, S. 7, 11 ff).
Da der Beruf des Beschwerdeführers zur Flucht aus Afghanistan geführt hätte, wäre davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sowohl zu seiner beruflichen Ausbildung als auch zu seinem Beruf an sich widerspruchsfreie Angaben machen können müsste. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Tätigkeit als Polizist bzw. als Sanitäter bei der Polizei sind daher nicht glaubhaft.
Darüber hinaus widersprach sich der Beschwerdeführer erheblich hinsichtlich seines bisherigen Aufenthaltes in Afghanistan. Der Beschwerdeführer führte bereits in der Erstbefragung als Wohnsitzadresse in Afghanistan sein Heimatdorf an (AS 5). Auch in seinen beiden niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt führte er aus, bis zur Ausreise aus Afghanistan „immer dort gelebt“ zu haben (AS 25), bzw. „von Geburt bis zur Ausreise XXXX “ (AS 67). Demgegenüber brachte der Beschwerdeführer widersprüchlich und erstmals in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor, nach dem Jahr 2017 nicht mehr in sein Heimatdorf zurückgekehrt zu sein, da sein Heimatdorf ab 2017 unter der Kontrolle der Taliban gestanden sei und der Beschwerdeführer „die Bedrohungen dann ernstgenommen“ habe (OZ 5, S. 18). Noch zu Beginn der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab der Beschwerdeführer allerdings auf dahingehende Frage dezidiert an, bis zu seiner Ausreise, konkret bis zum XXXX , in seinem Heimatdorf gelebt zu haben (OZ 5, S. 7). Auch wurde im Beschwerdevorbringen vorgebracht, der Beschwerdeführer habe sich trotz angeblicher Bedrohungen durch die Taliban im Heimatdorf aufhalten können, zumal die Taliban zum damaligen Zeitpunkt – vor der Machtübernahme im Jahr 2021 – nicht die Gebietsherrschaft innegehabt haben (AS 271). Diese Angaben sind nicht miteinander in Einklang zu bringen, sodass auch aus diesem Grund erhebliche Zweifel an den vorgebrachten Fluchtgründen des Beschwerdeführers bestehen. Insbesondere ergeben sich aufgrund dieser widersprüchlicher Angaben Zweifel an einer tatsächlich erfolgten Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Taliban.
Wie bereits unter II.2.2.1. ausgeführt, war der Beschwerdeführer zudem wiederholt nicht in der Lage, detaillierte Angaben zu etwaigen Bedrohungen zu machen. Er verstrickte sich in den wenigen Details in Widersprüche, die auch durch nähere Befragung in der mündlichen Verhandlung nicht aufzulösen waren:
So brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, von Männern einer mächtigen Person namens „Gholam Haidar Khan“ mehrmals bedroht worden zu sein. Er habe Drohbriefe erhalten, sei telefonisch und auch persönlich bedroht worden (OZ 5, S. 11).
Eine persönliche Bedrohung seitens der Taliban erwähnte der Beschwerdeführer allerdings in weiterer Folge nicht mehr. Vielmehr verneinte er auf konkretes Nachfragen zum Schluss der Beschwerdeverhandlung, dass die Taliban jemals zu ihm gekommen wären und ihn persönlich bedroht hätten (OZ 5, S. 22).
Der Beschwerdeführer schilderte weiters in der Beschwerdeverhandlung, ab dem Jahr 2017 bis zu seiner Ausreise mehrmals telefonisch durch Männer von „Gholam Haidar Khan“ bedroht worden zu sein (OZ 5, S. 14). Das Gericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer zwar auch vor dem Bundesamt anführte, es seien „ein paar Leute von Gholam Haidar Khan“ gekommen und haben ihn telefonisch bedroht (AS 33).
Allerdings fallen in seinen näheren Ausführungen zur Anzahl und zum Datum der Drohanrufe vermehrt Widersprüche auf:
Während der Beschwerdeführer zunächst vor dem Bundesamt angab, diese Leute hätten sich „alle zwei oder drei Monate“ bei ihm gemeldet, und hätte es somit ca. vier Bedrohungen jedes Jahr von 2017 bis 2021 gegeben (AS 35) – sohin insgesamt zwölf Drohanrufe –, vermeinte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, insgesamt „5 oder 6 Mal“ telefonisch kontaktiert worden zu sein (OZ 5, S. 15).
Auch widersprach sich der Beschwerdeführer in seinen weiteren Ausführungen in der Beschwerdeverhandlung, er sei „am meisten“ im Jahr 2018 telefonisch bedroht worden. So gab er zunächst an, zwei Mal im Jahr 2018 telefonisch bedroht worden zu sein, führte jedoch in weiterer Folge aus, im Jahr 2021 drei Mal telefonisch bedroht worden zu sein (OZ 5, S. 15).
Die Angaben des Beschwerdeführers zu den ihm gegenüber erfolgten Bedrohungen sind widersprüchlich und nicht glaubhaft. Wäre der Beschwerdeführer in Afghanistan tatsächlich durch die Taliban bedroht worden, müsste er auch stringente und widerspruchsfreie Angaben hierzu tätigen können. Da diese Bedrohungen letztlich zur Ausreise des Beschwerdeführers geführt haben sollen, wäre auch, insbesondere vor dem Hintergrund seiner abgeschlossenen, zwölfjährigen Schulausbildung, zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer den zeitlichen Ablauf der Drohanrufe und Drohbriefe widerspruchsfrei hätte widergeben können (OZ 5, S. 15 ff).
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind daher nicht glaubhaft.
2.2.3. Die Angaben des Beschwerdeführers sind zudem auch unplausibel:
Der Beschwerdeführer gab zunächst bei seiner Erstbefragung an, als Polizist gearbeitet zu haben (AS 4, AS 8). Vor dem Bundesamt führte er demgegenüber jedoch aus, durchgehend Sanitäter bei der Polizei gewesen zu sein und an keinen Kampfhandlungen teilgenommen zu haben (AS 33, AS 35). Dass der Beschwerdeführer schließlich vor dem Bundesverwaltungsgericht ausführte, für die afghanische Regierung Dienst geleistet, ca. einmal pro Woche auf Checkpoints Autos gestoppt und Menschen durchsucht sowie „manchmal alle zwei Monate“ auch Hausdurchsuchungen durchgeführt zu haben (OZ 5, S. 11, 19), ist vor dem Hintergrund seiner zuvor behaupteten, bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan durchgehenden, Tätigkeit als Sanitäter jedenfalls nicht nachvollziehbar. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht plausibel und nicht in Einklang zu bringen. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht für afghanische Sicherheitskräfte gearbeitet hat.
Ebenso ist es nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer beim Bundesamt das Logo seiner Einheit offenbar nicht kannte (AS 41: „Meine Einheit hatte kein Wappen.“). Hingegen konnte er sich in seiner zweiten Einvernahme vor dem Bundesamt sehr wohl an ein Logo erinnern und jenes sogar vor dem Bundesverwaltungsgericht aufzeichnen (Beilage ./A). Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich – und über elf Jahre hindurch – für die afghanische Nationalpolizei gearbeitet, wäre aber zu erwarten gewesen, dass er das Logo bzw. Wappen bereits in seiner ersten Einvernahme vor dem Bundesamt hätte kennen müssen. Folglich ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer einer beruflichen Tätigkeit für die afghanischen Sicherheitskräfte nachgegangen ist.
2.2.4. Darüber hinaus erscheint der Erhalt einer dermaßen hohen Anzahl an Drohbriefen und -anrufen unter Berücksichtigung vorliegender Länderberichte sehr unwahrscheinlich:
Laut dem Länderbericht Landinfo Afghanistan „Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne“ vom 23.08.2017 (Beilage ./IV) ergibt sich, dass die Taliban ein konkretes Verfahren für das Vorgehen gegen einen bestimmten Kollaborateur vorsehen. So wird die Person zunächst identifiziert und deren Kontaktdaten werden herausgefunden. Daraufhin wird die Person mindestens zweimal gewarnt, bevor sie verhört und vor Taliban-Gerichte gestellt wird. Wenn sich die Person weigert, den Anordnungen der Taliban Folge zu leisten, wird diese auf die „schwarze Liste“ gesetzt und eine günstige Gelegenheit abgewartet, um zuzuschlagen. Dieses Prozedere hängt grundsätzlich von den Fähigkeiten des lokalen Verfolgungsteams ab, dessen Arbeitsauslastung und dem mit der Vollstreckung des „Urteils“ verbundenen Risiko. So könnte eine weniger wichtige Zielperson, die in einem leicht zugänglichen Gebiet mit guten Fluchtmöglichkeiten wohnt, von den Taliban eher liquidiert werden, als eine bedeutendere, die besser geschützt ist. Im Falle einer Liquidierung einer geschützten Zielperson bzw. einer in einem Gebiet, das von den Behörden stark bewacht wird, bestünde hingegen für die Taliban ein hohes Risiko, dass das Mordkommando die Operation nicht überlebt.
Vor dem Hintergrund dieses Länderberichtes zeichnet sich der Erhalt einer derart hohen Anzahl an Drohbriefen und Drohanrufen des Beschwerdeführers durch die Taliban – nämlich „über 20“ (OZ 5, S. 14) Drohbriefe und zwölf (AS 35) bzw. „5 oder 6“ (OZ 5, S. 15) Drohanrufe – als sehr ungewöhnlich ab.
Angesichts dieses Länderberichtes vermag das Vorbringen des Beschwerdeführers, ab dem Jahr 2017 und dem Beginn der Bedrohungen nicht mehr in seinem Heimatdorf gewesen zu sein, da dieses unter der Kontrolle der Taliban gestanden hätte, zwar plausibel erscheinen. Wie bereits beweiswürdigend ausgeführt, war bereits aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers jedoch nicht glaubhaft, dass er ab dem Jahr 2017 nicht mehr in seinem Heimatdorf gewesen ist. Darüber hinaus ist dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 01.04.2021 (LIB 2021; Beilage ./III), zu entnehmen, dass die Taliban Ende November 2020 keinen Distrikt von Herat vollständig kontrollierten. Mehrere Distrikte wie Adraskan, Ghoryan, Gulran, Kushk, Kushk-i-Kuhna, Obe und Shindand waren zwar umstritten, jedoch standen die Distrikte um die Stadt Herat – somit auch der Distrikt des Beschwerdeführers – unter der Kontrolle der Regierung (Beilage ./III, S. 101). Unter Berücksichtigung der angeführten Länderberichte ist die Angabe des Beschwerdeführers, sich ab 2017 nicht mehr in seinem Heimatdorf aufgehalten zu haben, da dort Taliban gewesen wären, somit auch nicht nachvollziehbar.
Schließlich ist der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan „Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter“ vom 28.07.2016 (Beilage ./V) zu entnehmen, dass die Taliban die Praxis der Versendung von Drohbriefen aufgegeben haben und diese selbst sagen, dass die meisten Drohbriefe gefälscht sind. Auch behaupten diese, „nur sehr selten“ das Telefon zu verwenden. Im Fall der Vermutung einer Zusammenarbeit mit der Regierung oder den Sicherheitskräften wird vielmehr die Familie desjenigen kontaktiert und gefordert, diese Tätigkeit einzustellen (Beilage ./V, S. 2 f).
Das Gericht verkennt nicht, dass sich diese Praxis im Laufe der Zeit gewandelt haben mag. Der Beschwerdeführer hat jedoch behauptet, ab dem Jahr 2017 – unter anderem mehrmals telefonisch (AS 35, OZ 5, S. 14) – von den Taliban bedroht worden zu sein. Es steht daher jedenfalls der Beginn der vorgebrachten Bedrohungen in einem zeitlichen Naheverhältnis zur angeführten Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2016. Dass der Beschwerdeführer daher ab dem Jahr 2017 „alle zwei oder drei Monate“ telefonisch bedroht worden sei (AS 35) und darüber hinaus auch mehrere Drohbriefe erhalten habe, erscheint unter Berücksichtigung dieser Anfragebeantwortung somit nicht glaubhaft.
Auch wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht ausführte, dass die Taliban mehrmals seinen Vater bedroht haben (OZ 5, S. 14: „Als sie meine Brüder oder meinen Vater gesehen haben, haben sie ihm gesagt, dass ich aufhören muss, für die Regierung zu arbeiten. Sie haben mehrmals meinen Vater bedroht.“). Der Beschwerdeführer gab zwar auch beim Bundesamt an, die Taliban haben auch über Verwandte ausgerichtet, dass er die Tätigkeit nicht mehr ausüben soll (AS 35). Allerdings relativierte der Beschwerdeführer diese Angaben in weitere Folge, indem auf Nachfrage ausführte, dass die Taliban kommen und „allen“ dann bekannt geben, „dass die Leute nicht für den Staat arbeiten sollen“. Sein Name sei bei diesen Treffen nicht dezidiert genannt worden (AS 37). Die Angaben des Beschwerdeführers, die Taliban haben seine Familienangehörigen bedroht, sind daher nicht glaubhaft.
Das Gericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer Fotos und eine Kopie einer Arbeitsanstellungbestätigung zu seiner vorgebrachten beruflichen Tätigkeit vorlegte. Bereits in Anbetracht der widersprüchlichen und unplausiblen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen des Verfahrens konnte der Beschwerdeführer aber eine Tätigkeit als Polizist bzw. als Sanitäter bei der Polizei nicht glaubhaft machen. Die vorgelegten Fotos sind nicht geeignet, die angeführten unglaubhaften Angaben des Beschwerdeführers zu seiner beruflichen Tätigkeit zu entkräften. Diese belegen lediglich, dass sich jeweils in unterschiedlichen Uniformen gekleidete Personen haben ablichten lassen. Es ist den Fotos jedoch nicht zu entnehmen, in welchem Kontext oder zu welchem Zeitpunkt diese entstanden seien. Aufgrund der mangelnden Schärfe der vorgelegten Fotos kann zudem nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei tatsächlich um den Beschwerdeführer handelt. Dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 31.01.2025 (LIB; Beilage ./II) ist außerdem zu entnehmen, dass der Korruptionswahrnehmungsindex für Afghanistan sehr hoch ist. Bereits vor der Machtübernahme der Taliban wies das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan gravierende Mängel auf und stellte aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden konnte nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Auch nach der Machtübernahme gab es zahlreiche Berichte über Korruption durch die Taliban, beispielsweise in den Passämtern der Taliban (siehe II.1.3.). So ergibt auch ein Vergleich der Bewertungen von Afghanistan auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International aus den Jahren vor und nach der Machtübernahme der Taliban einen Unterschied von lediglich einem Punkt (siehe LIB 2021, S. 249: 19 Punkte im Jahr 2020; siehe aktuelles LIB unter II.1.3.10.: 20 Punkte im Jahr 2023). Dass es für afghanische Bürger sohin (weiterhin) möglich ist, Dokumente jeglicher Art – auch unrichtigen Inhalts – käuflich zu erwerben bzw. sich zu beschaffen, kann folglich nicht ausgeschlossen werden. Vor dem Hintergrund der Länderberichte und aufgrund der widersprüchlichen und unglaubhaften Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Beschäftigung geht das Gericht folglich davon aus, dass den vorgelegten Fotos, sowie der Kopie über eine Arbeitsanstellung des Beschwerdeführers kein Glaube zu schenken ist.
Unter Berücksichtigung der Länderberichte zu Afghanistan sowie der vagen, widersprüchlichen und unplausiblen Angaben des Beschwerdeführers war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer weder für die ehemalige afghanische Regierung oder die ehemaligen afghanischen Sicherheitskräfte noch für NGOs oder für sonstige ausländische Unternehmen bzw. Streitkräfte gearbeitet hat. Er wurde insbesondere nicht von den Taliban bedroht und wird auch nicht verdächtigt, die ehemalige afghanische Regierung zu unterstützen oder mit dieser zusammenzuarbeiten.
2.2.5. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan als verwestlicht wahrgenommen würde.
Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass der Beschwerdeführer in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.
Der Beschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse. Er geht keiner beruflichen Tätigkeit nach, verbringt die meiste Zeit zu Hause und lernt Deutsch auf YouTube. Der Beschwerdeführer spielt Fußball, geht spazieren, kocht und trifft sich mit Freunden. Seine engere Bezugsperson in Österreich ist ein Afghane, mit dem er gut befreundet ist (OZ 5, S. 10 f).
Eine besondere Ausübung der Grundrechte und insbesondere eine Verinnerlichung einer Lebensweise, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, liegt beim Beschwerdeführer nicht vor. Eine solche Lebensweise würde dem Beschwerdeführer auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht unterstellt werden. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgung aufgrund einer angenommenen westlichen Lebenseinstellung oder als Rückkehrer, weder in der Erstbefragung, noch beim Bundesamt angegeben hat. Auch auf die Aufforderung der Richterin in der Verhandlung seine Fluchtgründe detailliert darzulegen, machte er diesbezügliche Befürchtungen nicht konkret und substantiiert geltend – und zwar auch nicht auf anschließende Nachfrage durch die Richterin hinsichtlich seiner konkreten Rückkehrbefürchtungen.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 29.02.2024, Ra 2023/18/0298).
3.1.3. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan weder für die afghanischen Sicherheitsbehörden noch für sonstige ausländische Streitkräfte gearbeitet. Er wird nicht verdächtigt, die Regierung zu unterstützen oder mit dieser zusammenzuarbeiten. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familienangehörigen wurden in Afghanistan von den Taliban oder von anderen Personen bedroht oder aufgesucht. Der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen werden von diesen auch nicht gesucht. Es droht dem Beschwerdeführer aus diesem Grund auch keine Gefahr durch die Taliban bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Es liegt beim Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund vor.
3.1.4. Wie den Feststellungen zu entnehmen ist, liegt beim Beschwerdeführer keine europäische oder "westliche" Lebenseinstellung seiner Person, die zu einer Gefährdung in Afghanistan führen könnte, vor. Es haben sich auch keine Anhaltspunkte dahin ergeben, dass dem Beschwerdeführer, aufgrund seines Merkmals als Rückkehrer, individuell eine asylrelevante Verfolgung drohen würde.
Hinsichtlich einer Gruppenverfolgung für Rückkehrer ist auszuführen, dass nach den zitierten Länderinformationen keine Fälle bekannt sind, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Rückkehrern in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle Rückkehrer gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals als Rückkehrer und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein.
Es ist daher eine individuelle Verfolgungsgefahr den Beschwerdeführer betreffend weder hinsichtlich seiner Lebenseinstellung noch als Rückkehrer erkennbar.
3.1.5. Aus den UNHCR Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen (Februar 2023), kann sich ein erhöhter Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz für Angehörige der ehemaligen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft, für ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte oder der internationalen Streitkräfte, für Journalisten und Medienwirkende, für Aktivisten, Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten und Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität ergeben.
Aus den EUAA Leitlinien (Mai 2024) kann sich zudem auch für Personen, denen unislamisches Verhalten, Blasphemie oder der Abfall vom Islam vorgeworfen wird, für Personen mit anderen Moralvorstellungen oder sozialen Werten, Personen mit westlicher Orientierung, sowie für Frauen und Mädchen ein erhöhter internationaler Schutzbedarf ergeben.
Ein solcher Risikozusammenhang konnte jedoch beim Beschwerdeführer nicht festgestellt werden, sodass auch diesbezüglich keine asylrelevante Verfolgung vorliegt.
3.1.6. Im Ergebnis droht dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.
Aufgrund der getroffenen Feststellungen zur Lage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers ist auch sonst nicht darauf zu schließen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der Gründe nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen.
Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG liegen sohin nicht vor.
3.1.7. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.