Spruch
I403 2204811-3/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag.a Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Marokko, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2024, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.04.2025 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Zum ersten Antrag auf internationalen Schutz:
XXXX (im Folgenden als „Beschwerdeführerin“ bezeichnet), eine Staatsangehörige Marokkos, stellte am 11.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie damit begründete, von ihrer Familie wegen ihrer homosexuellen Orientierung mit einer Zwangsverheiratung und dem Tode bedroht worden zu sein.
Mit Bescheid vom 09.08.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Marokko zulässig sei, sprach aus, dass keine Frist für ihre freiwillige Ausreise bestehe und erkannte einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung ab.
Nach dem im Verwaltungsakt einliegenden Rückschein erfolgte am 14.08.2017 ein Zustellversuch betreffend diesen Bescheid und wurde eine Verständigung über die Hinterlegung in der Abgabeeinrichtung eingelegt. Als Beginn der Abholfrist wurde am Rückschein der 16.08.2017 eingetragen. Mit Schriftsatz vom 01.08.2018 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist und brachte unter einem eine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 09.08.2017 ein. Begründend brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe in einer Wohngemeinschaft gelebt und sei von ihrem Mitbewohner nicht über die Hinterlegungsanzeige informiert worden. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde vom BFA mit Bescheid vom 22.08.2028 abgewiesen.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.10.2018 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 22.08.2018 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A). Gleichzeitig wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 09.08.2017 als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt B). Der dagegen erhobenen Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof insoweit Folge gegeben, dass der Spruchpunkt A) wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde. In Bezug auf Spruchpunkt B wurde die Revision zurückgewiesen, so dass der Bescheid vom 09.08.2017, mit dem der Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, in Rechtskraft erwuchs. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde schließlich durch die Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 22.08.2018 mit Ersatzerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.09.2020 rechtskräftig abgewiesen.
I.2. Zum gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz:
Am 23.08.2023 stellte die Beschwerdeführerin einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, der mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des BFA vom 22.03.2024 hinsichtlich des Status einer Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status einer subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Marokko zulässig sei (Spruchpunkt V.) und sprach aus, dass die Frist für ihre freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Die Abweisung des Asylantrages wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Behauptung der Beschwerdeführerin, aufgrund ihrer Homosexualität bedroht zu sein, bereits Gegenstand des Vorverfahrens war. Der Abfall vom Islam ziehe keine staatliche Verfolgung nach sich.
Gegen den Bescheid wurde am 25.04.2024 Beschwerde erhoben und vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer sexuellen Orientierung im Jahr 2015 aus Marokko flüchten musste, da Homosexualität in Marokko unter Strafe stehe und sie von ihrer Familie bedroht worden sei und staatliche Verfolgung fürchte. Zudem sei die Beschwerdeführerin aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Die Beschwerdeführerin sei in Österreich seit 2017 mit XXXX (im Folgenden: H.H.) in einer langjährigen gleichgeschlechtlichen Beziehung. Die zeugenschaftliche Einvernahme von H.H. im Rahmen einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 30.04.2024 vorgelegt und am 03.02.2025 der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin zugewiesen.
Am 03.04.2025 wurde eine mündliche Verhandlung anberaumt, in welcher neben der Beschwerdeführerin H.H. als Zeugin befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die volljährige und unbescholtene Beschwerdeführerin ist marokkanische Staatsangehörige. Sie stammt aus Casablanca, wo sie im Haus der Familie lebte. Die Beschwerdeführerin entwickelte im Alter von 15/16 Jahren ein sexuelles Interesse für Frauen und führte zwischen ihrem 19. und ihrem 21. Lebensjahr eine sexuelle Beziehung mit einer Frau. Ihre Eltern erfuhren von ihrer sexuellen Orientierung, wollten sie zu einer Eheschließung zwingen und bedrohten sie mit dem Tod.
Die Beschwerdeführerin verließ Marokko 2015 und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, der mit Bescheid des BFA vom 09.08.2017 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.10.2018 als verspätet zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet. Am 23.08.2023 stellte die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Beschwerdeführerin steht seit ihrer Ankunft in Österreich offen zu ihrer Homosexualität. Sie ist in die LGBTIQ Gemeinschaft in XXXX integriert. Die Beschwerdeführerin hat sich vom Islam abgewandt und ist am 28.07.2023 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Sie ist konfessionslos.
Die Eltern und eine Schwester der Beschwerdeführerin leben in Marokko, es besteht aber kein Kontakt. Die Beschwerdeführerin steht nur mit einer in Burkina Faso lebenden Schwester in Kontakt.
Der Beschwerdeführerin droht wegen ihrer (homo-)sexuellen Orientierung und ihrem Abfall vom Islam eine Verfolgung in Marokko. Staatliche Behörden sind nicht schutzwillig und tritt der Staat auch selbst als Verfolger auf. Homosexualität steht in Marokko unter Strafe.
1.2. Zur Situation in Marokko:
Frauen
Die Verfassung garantiert den Frauen zwar die gleichen Rechte und den gleichen Schutz wie den Männern in zivilen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und umweltpolitischen Angelegenheiten, aber die Gesetze begünstigten die Männer bei Eigentum und Erbschaft (USDOS 23.4.2024; BS 19.3.2024). Trotz der in der Verfassung verankerten Antidiskriminierungsgesetze sehen sich Frauen stets mit rechtlichen Ungleichheiten konfrontiert. Ohne den gesetzlichen Schutz und die Durchsetzung dieser Rechte besteht die gesellschaftliche Diskriminierung fort (USDOS 23.4.2024).
Die Gleichstellung der Geschlechter wurde in Artikel 19 (BS 19.3.2024 vgl. FH 25.4.2024a) der Verfassung von 2011 anerkannt, aber Frauen werden auf gesellschaftlicher Ebene weiterhin stark diskriminiert (FH 25.4.2024a). Nach wie vor werden Frauen rechtlich und gesellschaftlich diskriminiert (BS 19.3.2024). Im September 2023 wies König Mohammed VI. den Regierungschef förmlich an, mit der Überarbeitung des Familiengesetzes von 2004, auch bekannt als Moudawana, zu beginnen. Justizminister Abdellatif Ouahbi betonte die Absicht der Regierung, die bestehenden geschlechtsspezifischen Ungleichheiten im Recht in Bezug auf Ehe, Scheidung und Vormundschaft für Kinder zu beseitigen (HRW 11.1.2024; AA 7.6.2024).
Die gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen bleibt trotz vorgesehenen Antidiskriminierungsgesetzen bestehen; es mangelt an Rechtsschutz und an der Durchsetzung dieser Rechte (USDOS 23.4.2024). Es besteht weiterhin erhebliche gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen (FH 25.4.2024a). Obwohl die Verfassung Frauen mit Männern in zivilen, politischen, ökonomischen und kulturellen Angelegenheiten rechtlich gleichstellt, werden Männer im Eigentumsrecht (USDOS 23.4.2024) bei Erbschaften (USDOS 23.4.2024; vgl. AI 24.4.2024) sowie bei Scheidungen bevorzugt (FH 25.4.2024a).
Auch in internationalen Abkommen hat sich Marokko zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen verpflichtet, aber den Vorrang des Islams geltend gemacht. Beispielsweise ratifizierte Marokko das Fakultativprotokoll zum VN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau im April 2022. Es gibt eine meinungsstarke Zivilgesellschaft, die immer wieder die vollständige Gleichstellung von Frauen, auch unter Missachtung religiöser Vorschriften, fordert. Sie erhält dabei dezente Schützenhilfe des Königs (AA 7.6.2024).
Die innerstaatliche Gesetzgebung verfestigt weiterhin die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern (AI 24.4.2024). Im Jahr 2023 erreichte Marokko in der Rangliste des Global Gender Gap Index eine Punktezahl von 0,621 und liegt auf Platz 136 von 146 untersuchten Ländern, was einen Rückgang von -0,003 im Vergleich zu früheren Rankings bedeutet (Morocco World News 3.6.2024).
Ein System reservierter Sitze für Frauen soll ihre Beteiligung am Wahlprozess auf nationaler und lokaler Ebene fördern und damit teilweise den traditionellen sozialen Druck ausgleichen, der sie davon abhält, sich zu engagieren. Die im Jahr 2021 verabschiedeten Wahlgesetze trugen dazu bei, dass bei den Kommunalwahlen mehr Frauen kandidierten: 27 % der Kandidaten waren Frauen, im Vergleich zu 12 % im Jahr 2015. Trotzdem stehen Frauen nur in 1 % der Bezirke an der Spitze. Bei den nationalen Wahlen sind 60 der 395 Sitze in der Repräsentantenkammer für Frauen reserviert, ebenso wie die Hälfte der 30 Sitze, die für Jugendliche reserviert sind. Dem im Oktober 2021 gebildeten Kabinett gehörte die Rekordzahl von sieben Frauen an (FH 25.4.2024a).
Die Armut ist weit verbreitet. Das Lohngefälle ist nach wie vor groß. Frauen verdienen 30 % weniger als ihre männlichen Kollegen, und während nur 64 % der weiblichen Arbeitskräfte entlohnt werden, sind es bei den Männern 91 %. Laut Weltbank lag der Anteil der weiblichen Arbeitskräfte an der gesamten Erwerbsbevölkerung im Jahr 2022 bei 25,7 %. Gleichzeitig stehen acht von zehn Frauen laut der unabhängigen staatlichen Statistikbehörde HCP [Haut Commissariat au Plan] nicht auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Der Zugang von Frauen zu administrativen und wirtschaftlichen Entscheidungspositionen ist ebenfalls zurückgegangen (BS 19.3.2024).
Obwohl die Gleichstellung der Geschlechter auch in der Verfassung von 2011 anerkannt wurde, werden Frauen auf gesellschaftlicher Ebene weiterhin erheblich diskriminiert und sind in der Erwerbsbevölkerung unterrepräsentiert (FH 25.4.2024a). Das Gesetz fordert gleichen Lohn für gleiche Arbeit, was in der Praxis jedoch oft nicht der Fall ist (USDOS 23.4.2024).
Vergewaltigung steht unter Strafe. Das Strafmaß beträgt fünf bis zehn Jahre; wenn das Opfer minderjährig ist, zehn bis zwanzig Jahre (USDOS 23.4.2024). Alle außerehelichen sexuellen Aktivitäten sind illegal, was Vergewaltigungsopfer davon abschreckt, Anklage zu erheben (FH 25.4.2024a). Laut lokalen NGOs meldeten Opfer die meisten sexuellen Übergriffe nicht der Polizei, aufgrund des sozialen Drucks und der Sorge, dass die Gesellschaft die Opfer höchstwahrscheinlich eher als die Täter verantwortlich machen würde. Einige Opfer sexueller Übergriffe berichteten auch, dass Polizeibeamte sie manchmal von der Einreichung eines Polizeiberichts abgewiesen oder sie gezwungen hätten, ein Bestechungsgeld zu zahlen, um den Bericht einzureichen, indem sie drohten, sie wegen einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs außerhalb der Ehe anzuklagen, ein Verbrechen, das mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft wird (USDOS 23.4.2024).
Das marokkanische Gesetz stellt Vergewaltigung in der Ehe nicht ausdrücklich unter Strafe und diese bleibt somit straflos (HRW 11.1.2024; vgl. USDOS 23.4.2024, AA 7.6.2024). Frauen, die eine Vergewaltigung melden, können wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs strafrechtlich verfolgt werden (HRW 11.1.2024). In der Praxis gibt es jedoch Fälle, in denen die Vergewaltigung in der Ehe unter einen anderen Anklagepunkt wie „Tätlicher Angriff und Körperverletzung“ oder ein damit zusammenhängendes aufgezähltes Verbrechen subsumiert wurde und die Vergewaltigung als ein Aspekt dieses Verbrechens betrachtet wurde, was eine Strafverfolgung ermöglichte. Eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung kann zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und einer Geldstrafe führen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Generaldirektion für nationale Sicherheit - Directorate General of National Security (DGSN), die Generalstaatsanwaltschaft, das Oberste Gericht und die Ministerien für Gesundheit, Jugend und Frauen über spezialisierte Einheiten verfügen, die sich bei Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt untereinander abstimmen. Diese spezialisierten Stellen nehmen Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt auf, bearbeiten sie und bieten den Opfern psychologische Unterstützung und andere Dienstleistungen an. Mehrere NGO bieten Hotlines, Unterkünfte, Ressourcen, Beratung und rechtliche Unterstützung für Opfer von häuslicher Gewalt (USDOS 23.4.2024). Landesweit gibt es 29 Beratungszentren und 48 Einrichtungen, die Mediationen bei innerfamiliären Konflikten durchführen, sowie einige Frauenhäuser, die Zuflucht bieten (AA 7.6.2024).
Während das marokkanische Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen von 2018 einige Formen häuslicher Gewalt unter Strafe stellt, Präventionsmaßnahmen einführte und neue Schutzmaßnahmen für Opfer vorsieht, verlangt es von den diesen, Strafverfolgung zu beantragen, um Schutz zu erhalten, was nur wenige tun. Es legt auch nicht die Pflichten von Polizei, Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern in Fällen häuslicher Gewalt fest oder finanziert Frauenhäuser (HRW 11.1.2024).
Die Polizei handelte nur langsam in Fällen häuslicher Gewalt, und die Regierung setzte das Gesetz im Allgemeinen nicht durch und schickte manchmal Frauen gegen ihren Willen in die Haushalte zurück, in denen sie dem Missbrauch ausgesetzt waren. Die Polizei behandelt häusliche Gewalt im Allgemeinen eher als soziale denn als kriminelle Angelegenheit. Körperlicher Missbrauch ist ein rechtlicher Grund für die Scheidung, aber nur wenige Frauen meldeten solche Misshandlungen den Behörden (USDOS 23.4.2024).
Laut einem Bericht des quasi-staatlichen Conseil National des Droits de l’Homme (CNDH) vom März 2023, blieb die Straflosigkeit bei Gewalt gegen Frauen bestehen, die teilweise auf Mängel im Justizsystem zurückzuführen sind, die den Mangel an Frauen in der Justiz sowie die Kluft zwischen Berichten von Opfern von Gewalt und rechtlichen Schritten zur Rechenschaftspflicht für die Täter dieser Gewalt einschlossen (USDOS 23.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)
AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Morocco/Western Sahara 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2108009.html, Zugriff 31.5.2024
BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105931.html, Zugriff 31.5.2024
FH - Freedom House (25.4.2024a): Freedom in the World 2024 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2108054.html, Zugriff 31.5.2024
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2103231.html, Zugriff 31.5.2024
Morocco World News - Morocco World News (3.6.2024): Global Gender Gap Index: Morocco
Ranks 136th, Highlighting Persisting Inequality, https://www.moroccoworldnews.com/2023/06/356072/global-gender-gap-index-morocco-ranks-136th-highlighting-persisting-inequality, Zugriff 3.6.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html, Zugriff 13.5.2024
Homosexuelle
Homosexualität ist ein Tabu und widerspricht den traditionellen muslimischen Werten Marokkos (CGRS-CEDOCA 19.1.2024). Homosexualität, bzw. einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen, stehen unter Strafe (CGRS-CEDOCA 19.1.2024; vgl. USDOS 23.4.2024).
Mit Art. 489 des Strafgesetzes können Haftstrafen von sechs Monate bis drei Jahren bei Verurteilungen verhängt werden (CGRS-CEDOCA 19.1.2024; vgl. HRW 11.1.2024, USDOS 23.4.2024), sowie Geldstrafen (AI 24.4.2024). Restriktive Gesetze blieben eine weitverbreitete Sicherheitsgefährdung für sexuelle Minderheiten (USDOS 23.4.2024).
Marokko hat im Laufe der Jahre diese Bestimmung verwendet, um Männer zu verfolgen und zu inhaftieren, auch wenn es keine Beweise dafür gab, dass sie sich an gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen beteiligt haben (HRW 11.1.2024). Nach Angaben der Regierung verfolgte der Staat in der ersten Hälfte des Jahres 2023 441 Personen wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten (USDOS 23.4.2024). Laut Angaben der Regierung wurden im Jahr 2022 283 Personen aus diesem Grund strafrechtlich verfolgt. Im Jahr 2021 waren es 122. Homosexuelle werden selten nach Artikel 489 verfolgt, sondern aus anderen Gründen wie Unzucht, Prostitution von Minderjährigen, Förderung der Prostitution, unerlaubte Zusammenführung, Beleidigung, Terrorismus oder Verletzung der Sittlichkeit (CGRS-CEDOCA 19.1.2024).
In Marokko gibt es keine Anti-Diskriminierungsgesetze für Angehörige sexueller Minderheiten (CGRS-CEDOCA 19.1.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Experten der Zivilgesellschaft erklärten, dass der Mangel an rechtlichem Schutz und die allgegenwärtige Diskriminierung sexueller Minderheiten Bedingungen für chronische Vorurteile und Belästigungen durch marokkanische Behörden und die Öffentlichkeit geschaffen haben. Medien berichten, dass Personen innerhalb der LGBTQI+-Gemeinschaft wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität Gewalt ausgesetzt waren. Gemäß einer regionalen NGO, dienen die Gesetze auch dazu, „gesellschaftliche Vorurteile gegen sexuelle Minderheiten aufrechtzuerhalten und Belästigung, Diskriminierung und Gewalt zu schüren“ (USDOS 23.4.2024). Mehrere Quellen berichten von Gewalt der Polizei gegen homosexuelle Menschen, wenn sie festgenommen werden, aber auch wenn sie Anzeige erstatten oder während der Haft. Insbesondere effeminierte/feminine Männer oder Transmänner sind besonders anfällig für polizeiliche Übergriffe. Es kommt zu verschiedenen Formen homophober Gewalt im öffentlichen oder privaten Bereich. Die häufigsten Formen sind die Ablehnung und der Ausschluss aus der Familie. Öffentliche Übergriffe sind nicht üblich, aber es gibt sie. Mehrere Quellen berichten über eine neue Form homophober Gewalt, nämlich Demütigungen und Denunzierungen von Mitgliedern sexueller Minderheiten in sozialen Netzwerken (CGRS-CEDOCA 19.1.2024).
Ferner gibt es Berichte über Diskriminierung bei der Beschäftigung, beim Wohnen und bei der Gesundheit (USDOS 23.4.2024 vgl. CGRS-CEDOCA 19.1.2024). Die Teilnahme am öffentlichen Leben ist für sexuelle Minderheiten begrenzt. Selbstzensur und vorsichtiges Verhalten an öffentlichen Orten scheinen für sexuelle Minderheiten ein Mittel zu sein, um der Bedrohung durch homophobe Gewalt zu entgehen (CGRS-CEDOCA 19.1.2024).
LGBT-Vereinigungen sind illegal. Sie operieren als nicht registrierte Organisationen und erhalten daher keine finanzielle Unterstützung. Das Hauptziel dieser Gruppen besteht darin, die Familien von Homosexuellen zu ersetzen, die aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Es werden Maßnahmen zur vorübergehenden Unterbringung ergriffen (CGRS-CEDOCA 19.1.2024).
Quellen
AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Morocco/Western
Sahara 2023, https://www.ecoi.net/en/document/2108009.html, Zugriff 31.5.2024
CGRS-CEDOCA - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien]
(19.1.2024): Minoriteés sexuelles, https://www.cgrs.be/en/country-information/minorites-sex
uelles, Zugriff 5.6.2024
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2103231.html, Zugriff 31.5.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human
Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107779.html, Zugriff 13.5.2024
(USDOS 23.4.2024).
Religionsfreiheit
Mehr als 99 % der Bevölkerung sind sunnitische Muslime und weniger als 0,1 % der Bevölkerung sind schiitische Muslime (USDOS 30.6.2024). Die restlichen religiösen Gruppen (Christen, Juden, schiitische Moslems und Baha’i) machen weniger als 1 % der Bevölkerung aus (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 30.6.2024, BS 19.3.2024).
Der sunnitische Islam malikitischer Rechtsschule ist Staatsreligion. Die verfassungsmäßige Stellung des Königs als Führer der Gläubigen und Vorsitzender des Ulema-Rats (Möglichkeit des Erlassens religiös verbindlicher Fatwas) ist weithin akzeptiert. Das Ministerium für Stiftungen und islamische Angelegenheiten (MEIA) kontrolliert strikt alle religiösen Einrichtungen und Aktivitäten und gibt das wöchentliche Freitagsgebet vor (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 30.6.2024, BS 19.3.2024). Zur Prävention von Radikalisierung überwachen die Sicherheitsorgane islamistische Aktivitäten in Moscheen und Schulen (AA 7.6.2024).
Art. 3 der Verfassung garantiert Religionsfreiheit (AA 7.6.2024; vgl. USDOS 30.6.2024). Der Artikel zielt auf die Ausübung der Staatsreligion ab, schützt aber auch die Ausübung anderer anerkannter traditioneller Schriftreligionen wie Judentum und Christentum. In Marokko existieren neben einer schiitischen Minderheit (ca. 3.000 bis 8.000 Personen) auch eine christliche (15.000 bis 25.000 Personen, inzwischen v. a. Einwanderer aus Westafrika) und eine jüdische (2.000 bis 3.000 Personen) sowie einige hundert Baha’i. Fälle staatlicher Verfolgung aufgrund der Ausübung einer anderen als den anerkannten Religionen sind nicht bekannt (AA 7.6.2024).
Missionierung ist in Marokko nur Muslimen (de facto ausschließlich den Sunniten der malikitischen Rechtsschule) erlaubt. Mit Strafe bedroht ist es, Gottesdienste jeder Art zu behindern, den Glauben eines (sunnitischen) Muslim „zu erschüttern“ und zu missionieren (Art 220 Abs. 2 des marokkanischen Strafgesetzbuches). Dies schließt das Verteilen nicht-islamischer religiöser Schriften ein. Bibeln sind frei verkäuflich, werden jedoch bei Verdacht auf Missionarstätigkeit beschlagnahmt. Ausländische Missionare können unverzüglich des Landes verwiesen werden, wovon die marokkanischen Behörden in Einzelfällen Gebrauch machen (AA 7.6.2024).
Laizismus und Säkularismus sind gesellschaftlich negativ besetzt, der Abfall vom Islam (Apostasie) gilt als eine Art Todsünde, ist aber nicht strafbewehrt (AA 7.6.2024; vgl. BS 19.3.2024).
Beleidigung des Islam wird kriminalisiert und kann mit einer Haftstrafe geahndet werden (USDOS 30.6.2024; vgl. BS 19.3.2024). Grundsätzlich ist der freiwillige Religionswechsel Marokkanern nicht verboten, wird aber in allen Gesellschaftsschichten stark geächtet. Staatliche Stellen behandeln Konvertiten insbesondere familienrechtlich weiter als Muslime (AA 7.6.2024). Nicht-Muslime müssen offiziell zum Islam konvertieren, um die Pflegschaft für ein muslimisches Kind übernehmen zu können. Ein muslimischer Mann darf nach marokkanischem muslimischem Recht eine nicht-muslimische Frau heiraten, eine muslimische Frau kann dagegen in keinem Fall einen nicht-muslimischen Mann heiraten (USDOS 30.6.2024; vgl. AA 7.6.2024).
Die Behörden verweigern weiterhin christlichen Gruppen die Freiheit, in Kirchen ihren Glauben auszuüben, das Recht auf christliche Heirat sowie Begräbnis und das Recht, Kirchen zu errichten (USDOS 30.6.2024). Schiitische Quellen berichteten, sie hätten Ashura privat beobachtet, um gesellschaftliche Belästigungen zu vermeiden. Schiitische Muslime sagten, dass viele es in Gebieten, in denen ihre Zahl geringer sei, versäumen, ihre Religionszugehörigkeit offenzulegen.
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.6.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2023)
BS - Bertelsmann Stiftung (19.3.2024): BTI 2024 Country Report Morocco, https://www.ecoi.net/d
e/dokument/2105931.html, Zugriff 31.5.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (30.6.2024): 2023 Report on International
Religious Freedom: Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2111925.html, Zugriff 25.9.2024
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor diesem und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes samt vorgelegten Unterlagen, in den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz, in das Länderinformationsblatt zu Marokko, einer Stellungnahme vom 01.04.2025 sowie durch persönliche Einvernahme der Beschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister und dem Betreuungsinformationssystem wurden ergänzend eingeholt.
Zum Fluchtvorbringen gelangte das Bundesverwaltungsgericht nach Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zum Schluss, dass die homosexuelle Orientierung der Beschwerdeführerin und die daraus resultierende Verfolgungsgefahr in Marokko glaubhaft sind. Bereits ab dem Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung im Jahr 2015 hat die Beschwerdeführerin widerspruchsfreie und schlüssige Angaben hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung getätigt und war dazu in der Lage, den Weg zu ihrer eigenen sexuellen Identität nachvollziehbar zu beschreiben, was insbesondere in der Beschwerdeverhandlung hervorgekommen ist.
In der Verhandlung wurde auch H.H. als Zeugin einvernommen, wie in der Beschwerde beantragt wurde. Die Beschwerdeführerin gab in der Verhandlung an, bis vor einem Monat eine Beziehung mit H.H. geführt zu haben; H.H. sei allerdings bisexuell und führe eine Beziehung mit einem Mann, von dem sie Kinder habe. Dieser Mann sei gegen die sexuelle Beziehung von H.H. zur Beschwerdeführerin gewesen und habe dies auch zur Trennung geführt. H.H. hatte eine Einvernahme per Zoom beantragt, da sie aufgrund einer Erkrankung ihres Sohnes der Ladung nicht habe Folge leisten können. Es konnte im Rahmen der Zoom-Übertragung nicht festgestellt werden, ob sich H.H. alleine im Raum bzw. der Wohnung befand oder ob – neben ihrem Sohn – etwa auch der Vater ihrer Kinder anwesend war, auch wenn H.H. dies verneinte. H.H. wollte zunächst die Aussage verweigern und gab – nach einem Verweis auf die Aussageverweigerungsrechte und deren Umfang - dann zu Protokoll: „Es war keine sexuelle Beziehung. Wir haben uns einmal oder zwei Mal nur geküsst, mehr war es nicht. lch habe einen Partner und wir leben zusammen. (…) Mein Partner weiß, dass sie nur eine Freundin von mir ist.“ Sie versuchte der Frage nach der sexuellen Orientierung der Beschwerdeführerin auszuweichen:
„Rl: Aus lhrer Sicht, ist die BF homosexuell oder nicht?
Z: lch sage ehrlich, ich habe Freunde, die auch homosexuell sind. Wir hatten keinen Sex zusammen.
Rl: Haben Sie irgendwelche Wahrnehmungen zur sexuellen Orientierung der BF? Hatte die BF je eine Beziehung zu einem Mann oder einer Frau? Sie kennen sie seit 10 Jahren.
Z: lch kann nichts sagen, weil ich nichts gesehen habe. Sie ging mit Mädchen und Jungs raus, ob es um was Sexuelles ging, weiß ich nicht.“
Im weiteren Verlauf der Befragung gab H.H. dann aber an, dass die Beschwerdeführerin ihr bereits 2015 oder 2016, kurz nach der ersten Begegnung in der Flüchtlingsunterkunft, von ihrer Homosexualität erzählt habe. Insgesamt erschien die Zeugin vollkommen unglaubwürdig; die Rechtsvertreterin berichtete zudem in der Verhandlung, dass H.H. ihr in einem Telefongespräch wenige Tage vor der Verhandlung bestätigt habe, eine Beziehung mit der Beschwerdeführerin bis etwa einen Monat zuvor geführt zu haben. Darüber hinaus legte die Beschwerdeführerin nach der Verhandlung drei Fotos vor, welche sie in Momenten körperlicher Nähe mit H.H. zeigen. Zusammengefasst konnte die Zeugenaussage von H.H. die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin nicht erschüttern und geht das Gericht davon aus, dass beide eine sexuelle Beziehung geführt haben. Letztlich bestritt H.H. auch nicht die Homosexualität der Beschwerdeführerin und wird diese auch durch ein Bestätigungsschreiben von „Queerbase - Welcome and Support for LGBTIQ (Lesbian, Gay, Bisexual,Transgender, Intersex and Queer) Refugees“ vom 16.04.2025 und durch Fotos, welche die Beschwerdeführerin gemeinsam mit anderen in den Räumlichkeiten von Queer Base zeigen, belegt.
Auch in Hinblick auf ihre Abwendung vom islamischem Glauben, den sie – auch in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung – als Einschränkung empfindet, hinterließ die Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht einen glaubwürdigen Eindruck. Die Feststellung zum Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ergibt sich zudem aus der vorgelegten Austrittsbestätigung des Magistrats der Stadt XXXX vom 28.07.2023. Soweit im angefochtenen Bescheid ausgeführt wurde, dass Personen aufgrund einer Abwendung vom muslimischen Glauben keine staatliche Verfolgung drohe, wird eine Auseinandersetzung damit unterlassen, dass der Abfall vom Islam als Todsünde gilt (so die Länderfeststellungen) und eine Verfolgung auch durch Privatpersonen erfolgen kann. In einer Zusammenschau der sexuellen Orientierung der Beschwerdeführerin und ihrer Konfessionslosigkeit ergibt sich für die die erhöhte Gefahr einer Verfolgung in Marokko.
Die Feststellungen zu Frauen, Homosexuellen und Religion in Marokko ergeben sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Version 9 vom 25.11.2024).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abs. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (Vergleiche auch die Verfolgungsdefinition im § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates verweist).
Im gegenständlichen Fall brachte die Beschwerdeführerin vor, aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung und ihrer Abwendung vom Islam in Marokko der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt zu sein.
Verfolgung aufgrund der sexuellen Ausrichtung (Homosexualität) ist schon nach den eindeutigen ErläutRV zum AsylG 1991 unter den Tatbestand der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu subsumieren. (270 Blg Nr.18. GP11, Putzer-Rohrböck, Asylrecht, S. 43).
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte in seinem Urteil vom 7. November 2013, C-199/12 bis C-201/12, klar, dass Homosexuelle eine bestimmte soziale Gruppe gemäß Art. 10 Abs. 1 lit d der Statusrichtlinie darstellen. Der EuGH wies darauf hin, dass die sexuelle Ausrichtung ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für die Identität ist, dass die Betreffenden nicht gezwungen werden können, darauf zu verzichten. Das erste Kriterium der Definition einer sozialen Gruppe sei daher bei Homosexuellen grundsätzlich erfüllt. Das zweite Kriterium, die wahrgenommene Andersartigkeit und abgegrenzte Identität, sei zu bejahen, wenn Homosexualität im Herkunftsland durch strafrechtliche Bestimmungen kriminalisiert sei. Das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen erfülle jedoch für sich genommen nicht die von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen. Eine Verfolgungshandlung sei vielmehr erst dann zu bejahen, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt werde und sie dadurch zu einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung gemäß Art. 9 Abs. 2 lit c der Statusrichtlinie werde. Es sei allerdings unerheblich, ob ein Antragsteller die Gefahr der Verfolgung dadurch vermeiden könnte, dass er seine Homosexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung übt.
Es steht unbestritten fest, dass homosexuelle Kontakte in Marokko strafrechtlich verboten sind. Laut EuGH erfüllt das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen für sich genommen nicht die von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen – dies ist erst der Fall, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt wird. Wenngleich dies auch nicht systematisch geschieht, werden in Marokko LGBTI-Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität durch die Behörden auch in der Praxis verfolgt und verhaftet, sodass von einer Verfolgung Homosexueller in Marokko auszugehen ist. Nach Angaben der Regierung verfolgte der Staat in der ersten Hälfte des Jahres 2023 441 Personen wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten
Art. 9 der Statusrichtlinie definiert Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention. Entscheidend für das Vorliegen einer Verfolgung ist die Schwere der Handlung, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein muss, dass sie eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellt. Alternativ kann die geforderte Schwere durch eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden. Verfolgungshandlungen sind etwa die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung.
Für das Bundesverwaltungsgericht steht aufgrund der Länderberichte fest, dass Homosexuelle in Marokko – neben den strafrechtlichen Bestimmungen – mit verschiedenen Eingriffen konfrontiert sind: So wird offen gelebte Homosexualität in Marokko gesellschaftlich nicht toleriert, Anti-Diskriminierungsgesetze gelten nicht für Angehörige sexueller Minderheiten und es wird über offensichtliche Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität in Beschäftigung, Wohnung, Zugang zu Bildung oder Gesundheitsversorgung berichtet. Gruppen, welche sich für Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten einsetzen, müssen mit Strafverfolgung rechnen und halten sich daher in der Öffentlichkeit sehr bedeckt.
Da homosexuelle Handlungen ein gesellschaftliches Tabu sind, muss davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der Übergriffe sehr hoch ist. Es muss daher aufgrund der Kumulierung verschiedener Übergriffe davon ausgegangen werden, dass in Marokko eine Verfolgung homosexueller Personen, welche ihre sexuelle Orientierung nicht verbergen, erfolgt.
Bei einer Rückkehr nach Marokko wäre die Beschwerdeführerin zu ihrem eigenen Schutz gezwungen, ihre sexuelle Orientierung im Geheimen zu leben. Wie bereits ausgeführt, kann nach der Judikatur des EuGH nicht verlangt werden, dass eine Person die Gefahr der Verfolgung dadurch vermeiden könnte, dass er/sie seine/ihre Homosexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung übt.
In diesem Sinne wies (in Bezug auf einen Asylwerber aus dem Iran) auch der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.06.2017, Zl. 3074/2016-9 darauf hin, dass eine Rückkehr des homosexuellen Asylwerbers – hier in den Iran - im Ergebnis dazu führen würde, dass der Beschwerdeführer gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung weiterhin im Geheimen – unter ständiger Angst entdeckt zu werden – zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen. Dies sei mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 07.11.2013 in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 (zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG), Minister voor Immigratie en Asiel gegen X ua., nicht vereinbar.
Zudem könnte die Beschwerdeführerin nicht zu ihrer Familie zurückkehren, da sie von dieser bereits vor ihrer Ausreise bedroht wurde und in Gefahr war, gegen ihren Willen verheiratet zu werden.
Soweit die belangte Behörde sich im angefochtenen Bescheid auf das Argument zurückzog, dass die Frage einer Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung der Beschwerdeführerin aufgrund des rechtskräftigen Bescheides vom 09.08.2017 nicht mehr zu prüfen wäre, ist dem entgegenzuhalten, dass sich die Umstände dadurch geändert haben, das die Beschwerdeführerin inzwischen aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten ist. Der Abfall vom islamischen Glauben stellt ein zusätzliches Risikoprofil und somit einen veränderten Sachverhalt dar, so dass eine inhaltliche Prüfung des Vorbringens vorzunehmen war. Auch wenn eine Abwendung vom Islam zu keiner direkten staatlichen Verfolgung führen mag, verstärkt dies jedenfalls die Gefahr für die Beschwerdeführerin, Opfer von Gewalt zu werden.
Bei einer Gesamtbetrachtung des vorliegenden individuellen Falles besteht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Marokko schwerwiegenden Eingriffen in ihre zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre, und zwar aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen und ihres Abfalls vom islamischen Glauben. Es ist davon auszugehen, dass sie von ihren Familienmitgliedern verfolgt würde bzw. von anderen Teilen der Zivilgesellschaft und hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung auch von den Behörden Marokkos.
In Anbetracht des Umstandes, dass Homosexualität in Marokko bereits per Gesetz unter Strafe gestellt ist, gibt es auch keinerlei Gebiete, in denen die Beschwerdeführerin vor einer Verfolgung aufgrund ihrer Homosexualität sicher wäre. Somit steht ihr fallgegenständlich auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
Asylausschluss- oder Endigungsgründe liegen nicht vor und war der Beschwerdeführerin im Ergebnis gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war mit dieser Entscheidung, mit der der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, mit der Feststellung zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Vollständigkeit halber ist auch noch darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.