Spruch
W153 2266558-1/12E
Schriftliche Ausfertigung des am 10.03.2025 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2022, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2025, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) reiste im November 2021 illegal nach Österreich ein, wo er am 21.11.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
In seiner am 22.11.2021 erfolgten Erstbefragung gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass in Syrien überall Krieg herrsche und er in Sicherheit leben wolle. Bei einer allfälligen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat könne es sein, dass er von den syrischen Behörden verhaftet werde.
Am 11.11.2022 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Er führte zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen aus, dass er von der Freien Syrischen Armee (FSA) am Wohnsitz aufgegriffen und gefangen genommen worden wäre. Während der Haft seien sie auch geschlagen worden. Die FSA-Milizen hätten gewusst, dass sie nach Europa ausreisen wollten. Die Haft habe zwei Tage gedauert. Sie hätten ganze Familien inhaftiert, sein Onkel sei auch inhaftiert gewesen. Am dritten Tag seien sie enthaftet worden. Wenn sie nochmals das FSA-Gebiet betreten würden, könnten sie erneut gefangen genommen und dauerhaft eingesperrt werden. Zudem hätte er sich im Alter von 11 Jahren in seinem Heimatdorf an regimekritischen Demonstrationen beteiligt, indem er aus seinem Wohnhaus heraus mitgeschrien habe. Die Milizen hätten außerdem Kinder rekrutiert. In drei Jahren wäre er auch der Wehrpflicht zur syrischen Armee unterlegen. In ihrem Gebiet sei es auch zu Kriegsverhandlungen zwischen dem syrischen Regime und seinen Gegnern gekommen. Sie seien dann umgezogen und im neuen Wohngebiet hätte das syrische Regime die Möglichkeit gehabt, dieses wieder zurück zu erobern. Dann wäre sein Leben in Gefahr gewesen, weshalb sein Vater beschlossen hätte, dass er ausreisen solle.
Mit Bescheid vom 20.12.2022 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das BFA zusammengefasst und soweit verfahrensrelevant aus, dass der BF minderjährig und nicht im wehrdienstfähigen Alter sei. Daher könne in diesem Zusammenhang eine Verfolgung durch die syrischen Behörden vor der Ausreise ausgeschlossen werden. Sonstige persönliche Verfolgungsszenarien durch die syrischen Behörden seien nicht dargelegt worden. Eine Verfolgung der Person des BF aufgrund seiner mutmaßlichen Demonstrationsteilnahme könne aus seinen hierzu getätigten Angaben nicht abgeleitet werden. Seine Aussage betreffend die Inhaftierung durch die Freie Syrische Armee relativiere sich insofern, als dass er und seine Familienangehörigen wieder frei gelassen worden seien und niemandem etwas passiert sei. Darüber hinaus habe der BF selbst angegeben, dass die Freie Syrische Armee aktuell nicht nach ihm suche. Probleme aufgrund der Ethnie, Glaubensrichtung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Gesinnung wären nicht dargelegt worden. Aufgrund der Minderjährigkeit des BF unterläge er im Falle der Rückkehr keiner Militärpflicht und wäre somit von keiner Verfolgung durch das syrische Regime bedroht. Eine Generalmobilmachung fände derzeit nicht statt. Seine Ausführungen zu den iranischen Milizen beziehe sich auf die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat, stelle jedoch kein Indiz dafür dar, dass er von diesen persönlich verfolgt oder inhaftiert werden würde.
Gegen den Spruchpunkt I. des verfahrensgegenständlichen Bescheides erhob der BF im Wege seiner Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 13.01.2023 Beschwerde.
Inhaltlich wurde zusammengefasst vorgebracht, dass Kinder in Syrien von verschiedenen Formen der Ausbeutung und Gewalt betroffen seien, wovon die Rekrutierung zum direkten Einsatz in Kampfhandlungen umfasst sei. Zwangsrekrutierungen beschränkten sich nicht auf die aktive Teilnahme an Kämpfen, sondern würden auch verschiedene Hilfstätigkeiten für die Bürgerkriegsparteien, wie Transportdienste, Reinigung, Befestigungs- und Bewachungstätigkeiten inkludieren. Gerade in der Herkunftsregion des BF sei Kinderarbeit besonders weit verbreitet. Menschen, die in ehemals oppositionell besetzten Gebieten leben würden, seien einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt, weil ihnen vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Auch Rückkehrern werde – insbesondere nach der Asylantragstellung im Ausland – eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Bereits an den Grenzübergängen oder am Flughafen von Damaskus wären Rückkehrer der Gefahr willkürlicher Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt und würden überhaupt daran gehindert in ihr Heimatgebiet zurückzukehren. Die reelle Gefahr von Folter oder unmenschlicher Behandlung bestehe grundsätzlich für alle Personen, die nach Syrien zurückkehren. Auch Angehörige von Wehrdienstverweigerern sähen sich mit Verfolgungshandlungen konfrontiert. Kinder würden überdies von UNHCR ausdrücklich als soziale Gruppe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) angesehen.
Am 10.03.2025 fand am Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA entschuldigte sich mit Schreiben vom 03.03.2025 für den Verhandlungstermin.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist syrischer Staatsbürger und reiste im November 2021 illegal in das Bundesgebiet ein. Der BF stellte gemeinsam einem Onkel am 21.11.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid vom 20.12.2022 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Der BF stammt aus XXXX , ist Angehöriger der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Richtung des Islam. Seine Identität steht aufgrund des Fehlens von unbedenklichen Originaldokumenten nicht fest.
Der BF hat in Syrien nur ein Jahr die Grundschule besucht und dann in einem Gemüsegeschäft gearbeitet.
Der BF lebte bis Sommer 2020 in Syrien. Er verbrachte dann rund ein Jahr in der Türkei und reiste dann illegal in die europäische Union ein.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts Perg vom 14.09.2022 wurde einem Onkel des BF die alleinige Obsorge über den damals mj. BF übertragen. Der Obsorgeberechtigte hat in Österreich subsidiären Schutz. Seine Beschwerde gegen die Abweisung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 14.11.2024 ( XXXX ) rechtskräftig abgewiesen.
Seit XXXX ist der BF nunmehr volljährig.
Der BF lebt mit dem damals Obsorgeberechtigten und einem Cousin in einem gemeinsamen Haushalt. Er erhält staatliche Unterstützung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der BF hat den Pflichtschulabschluss und ist derzeit auf Arbeitssuche.
In Syrien leben die Eltern sowie sämtliche Geschwister. Ein älterer Bruder des BF lebt in Saudi-Arabien. Zu sämtlichen Familienmitgliedern besteht Kontakt.
Festgestellt wird, dass die Angabe, der BF habe seit ca. einer Woche mit niemandem aus seiner Familie Kontakt, unglaubwürdig ist und als Steigerung seines Fluchtvorbringens gewertet wird.
Es wird festgestellt, dass der BF eine individuelle Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat Syrien nicht glaubhaft machen konnte bzw. individuelle Verfolgungsgründe nicht plausibel behauptet hat. Er konnte nicht glaubwürdig darlegen, dass er aktuell in das Blickfeld der syrischen Regierung oder anderer Konfliktparteien geraten ist.
Der BF wurde im Jänner 2025 18 Jahre alt. Derzeit gibt es keine Hinweise auf eine allgemeine Wehrpflicht oder eine Zwangsrekrutierung. Sein vorgebrachter Fluchtgrund den Wehrdienst in der syrischen Armee des Assad-Regimes leisten zu müssen ist aufgrund des Regimewechsels somit obsolet. Der erst in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Fluchtgrund, er würde nunmehr von seinem Stamm zwangsrekrutiert werden und es sei in Moscheen der „Djihad“ ausgerufen worden, ist in keiner Weise substantiiert und wird als reine Steigerung seines Fluchtvorbingens gewertet. Außerdem wird festgestellt, dass eine Wehrdienstpflicht per se kein asylrelevanter Grund ist.
Der BF hat 2020, im Alter von 13 Jahren, Syrien verlassen. Die Heimatregion des BF steht nunmehr unter der Herrschaft der neuen syrischen Regierung. Der BF hat keine offen oppositionelle Einstellung gegenüber der neuen Regierung dargelegt.
Dem BF droht somit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch den syrischen Staat oder durch Mitglieder regierungsfeindlicher oder –freundlicher (bewaffneter) Gruppierungen.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen durch die Kurzinformation der Staatendokumentation zu Syrien vom 10.12.2024 zur Sicherheitslage und zur politischen Lage in Syrien wiedergegeben:
1. Zusammenfassung der Ereignisse
Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von
Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der einzelnen Akteure am 26.11.2024 vor Beginn der Großoffensive:
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).
Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij
ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).
Die untere Karte zeigt die Gebietskontrolle der Akteure mit Stand 10.12.2024:
Der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).
In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).
Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).
2. Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).
Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).
Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassenwurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).
Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).
Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).
Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).
National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).
Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).
Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).
Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).
Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).
Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).
Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).
3. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).
Sozio-Ökonomische Lage
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnenwerde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).
Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).
[…]
Zusätzlich wird noch auszugsweise das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 11 vom 27.03.2024, wiedergegeben:
Sicherheitslage
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
...
Kontaminierung mit Minen und nicht-detonierten Sprengmitteln
Neben der Bedrohung durch aktive Kampfhandlungen besteht in weiten Teilen des Landes eine dauerhafte und anhaltende Bedrohung durch Kampfmittel. So zählt die CoI in ihrem jüngsten Bericht 12.350 Vorfälle mit Blindgängern oder Landminen im Zeitraum 2019 bis April 2022. Die Gesamtzahl der durch Landminen (bekannten) getöteten Opfer im Jahr 2023 beträgt 101, darunter 25 Kinder und acht Frauen. Laut dem Humanitarian Needs Overiew der VN für 2022 ist jede dritte Gemeinde in Syrien kontaminiert, besonders betroffen sind demnach die Gebiete in und um die Städte Aleppo, Idlib, Raqqa, Deir ez-Zor, Quneitra, Dara‘a und die ländliche Umgebung von Damaskus. Erhebliche Teile dieser Städte sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar. Bei einem Drittel der besonders betroffenen Gebiete handelt es sich um landwirtschaftliche Flächen. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die nicht nur die Nahrungs-, sondern auch die Lebensgrundlage für die in den ländlichen Teilen Syriens lebenden Menschen darstellt. Im Juli 2018 wurde ein Memorandum of Understanding zwischen der zuständigen United Nations Mine Action Service (UNMAS) und Syrien unterzeichnet. Dennoch behindert das Regime durch Restriktionen, Nicht-Erteilung notwendiger Visa und Vorgaben weiterhin die Arbeit von UNMAS sowie zahlreicher, auf Minenaufklärung und - Räumung spezialisierter internationaler NGOs in unter seiner Kontrolle befindlichen Gebieten (AA 2.2.2024)
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Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet
Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) war es nach Kämpfen mit der Nusra-Front und gegnerischen arabischen Stämmen im Juli 2014 gelungen, die Provinz Deir ez-Zor fast vollständig einzunehmen. 2017 führte die syrische Armee mit Unterstützung Russlands und Irans größere Militäroperationen durch, die zur Rückeroberung der Stadt Deir ez-Zor führten. Bis Ende 2017 verlor der IS den größten Teil seines Territoriums auf der Westseite des Euphrat. Auf der östlichen Seite des Flusses waren die Syrian Democratic Forces (SDF) bis Anfang 2019 in heftige Kämpfe mit dem IS verwickelt. Der IS kontrollierte damals noch ein kleines Stück Land nahe der syrisch-irakischen Grenze (EASO 5.2020). Im März 2019 wurde das letzte vom IS gehaltene Gebiet, das Dorf Baghouz, von den SDF eingenommen (EASO 5.2020; vgl. DZ 24.3.2019) [Anm.: zum Lager al-Hol siehe Unterkapitel Kinder sowie zu den Sicherheitsaspekten siehe auch Unterkapitel Nordost-Syrien im Kapitel Sicherheitslage].
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Das Gouvernement Deir ez-Zor ist grob in zwei Kontrollbereiche unterteilt. Der westliche Teil des Gouvernements - d.h. vor allem die Gebiete westlich des Euphrat - wird von der syrischen Regierung und ihren iranischen und russischen Verbündeten kontrolliert. Dieses Gebiet umfasst die wichtigsten Städte (Deir Ez-Zor, Mayadin und Al-Bukamal) und die logistische Route, die die von der Regierung kontrollierten Gebiete mit der syrisch-irakischen Grenze verbindet. Der östliche Teil des Gouvernements - die meisten Gebiete östlich des Euphrat - wird von den kurdisch dominierten SDF und ihren Verbündeten in der US-geführten Koalition kontrolliert (EUAA 9.2022; vgl. JfS 12.1.2021). Da die SDF ihre Einflusssphären in der Region von der östlichen Seite her bis zum Euphrat ausdehnten, ist das al-Omar-Feld nun als die größte US-Militärbasis in Syrien bekannt. Das Feld im Osten von Deir ez-Zor ist das größte Ölfeld in Syrien (Enab 23.9.2022; vgl. EUAA 9.2022). Der Euphrat markierte bisher die Grenze zwischen dem russischen und dem US-Einflussgebiet im Bürgerkriegsland Syrien. Westlich des Flusses besitzt Russland die Lufthoheit und unterstützt mit seinen Kampfjets die eigenen Truppen in Syrien und die Armee von Machthaber Bashar al-Assad. Östlich des Stroms herrschten bisher die USA und ihre kurdischen Partner. Doch diese Abmachung bröckelt, weil Russland den militärischen Druck auf die USA in Syrien erhöht, um die Amerikaner aus dem Land zu drängen. Washington schickte aus diesem Grund Mitte 2023 zusätzliche Kampfflugzeuge (Die Presse 22.6.2023).
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Im August 2023 brachen gewaltsame Konflikte zwischen den kurdisch geführten SDF und arabischen Stämmen in Deir ez-Zor aus (AJ 30.8.2023). Auslöser war die Verhaftung eines arabischen Stammesführers durch die SDF und sind Ausdruck von jahrelangem Unmut gegenüber dem System der SDF (MEI 1.9.2023). Nicht alle Stämme beteiligten sich an den Kampfhandlungen, einige stellten sich auf die Seite der SDF (MEI 30.8.2023). Berichte über willkürliche Gewalt der SDF und steigende zivile Opferzahlen führten zur erhöhten Mobilisierung von Stammeskämpfern (MEI 1.9.2023). Zeitweise war es den Aufständischen gelungen, die Kontrolle über Ortschaften entlang des Euphrats zu erlangen (AA 2.2.2024). Mitte September 2023 wurden die Todesopfer mit 96 Toten und 106 Verletzten sowie ca. 6.500 vertriebenen Familien beziffert (OCHA 14.9.2023). Ende September erreichten die gewaltsamen Zusammenstöße erneut einen Höhepunkt durch mehrere Angriffe durch die arabischen Stämme (Etana 9.2023). Den SDF gelang es, alle Räume zurückzuerobern, die von den arabischen Stämmen erobert worden waren. Letztere führten im Oktober weiterhin Angriffe auf Stellungen der SDF aus (Etana 10.2023). Diese Angriffe dauerten auch im November 2023 weiter an (Etana 11.2023). Mit Dezember 2023 flauten die Auseinandersetzungen zunehmend ab, die Stämme führten aber weiterhin kleinere Angriffe durch (Etana 12.2023). Im Jänner 2024 führten die Stammeskämpfer weiterhin Angriffe gegen die SDF durch, es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, Ausgangssperren und Verhaftungswellen (SO 4.1.2024).
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Die Kampfhandlungen in Deir ez-Zor veranlassten auch Stämme, die der von der Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) nahe stehen, in Manbij in der Provinz Aleppo gegen die SDF zu kämpfen und es gelang ihnen mehrere militärische Stellungen unter ihre Kontrolle zu bringen. Durch russische Luftangriffe und Artilleriebeschuss durch die syrische Armee und die SDF zwangen diese Stammeskämpfer allerdings wieder zum Rückzug (CC 13.12.2023).
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)
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Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer „regulären Armee“ zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten „HTS-Wehrpflicht“ in ldlib liebäugelte, damit dem „Staatsvolk“ von ldlib eine „staatliche“ Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).
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Syrische Rückkehrende aus Europa
Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann laut deutschem Auswärtigen Amt für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden. Auch UNHCR und andere Menschenrechtsorganisationen haben keinen freien und ungehinderten Zugang zu Rückkehrenden in Syrien, sodass eine Nachverfolgung und Überwachung des Rückkehrprozesses sowie des Schicksals der Rückkehrenden nicht möglich ist. UNHCR kann unverändert weder ein umfassendes Monitoring zur Lage von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherstellen, noch einen Schutz ihrer Rechte gewährleisten. Dennoch bemüht sich UNHCR, Beispiele von Rechtsbrüchen zu sammeln, nachzuverfolgen und gegenüber dem Regime zu kommunizieren (AA 2.2.2024).
Die verfügbaren Informationen über SyrerInnen, die aus Europa nach Syrien zurückkehren, sind begrenzt (Rechtsexperte 14.9.2022, DIS 5.2022). Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es auch aufgrund deren geringer Zahl keine Angaben (ÖB Damaskus 12.2022): Im Jahr 2020 kehrten 137 syrische Flüchtlinge freiwillig und mit Unterstützung der dänischen Behörden aus Dänemark nach Syrien zurück. Im selben Jahr suchten zehn SyrerInnen bei den niederländischen Behörden um Hilfe für eine Rückkehr nach Syrien an. In Dänemark leben rund 35.000 Syrer und Syrerinnen, in den Niederlanden ca. 77.000 (EASO 6.2021). Nach Angaben des deutschen Innenministeriums kehrten von 2017 bis Juni 2020 über 1.000 SyrerInnen mit finanzieller Unterstützung Deutschlands aus Deutschland nach Syrien zurück (Daily Sabah 15.6.2020). Die meisten syrischen Flüchtlinge in der EU erwägen nicht, in (naher) Zukunft nach Syrien zurückzukehren, wie Umfragen aus verschiedenen europäischen Staaten illustrieren. Diejenigen, die nicht nach Syrien zurückkehren wollten, wiesen auf verschiedene Hindernisse für eine Rückkehr hin, darunter das Fehlen grundlegender Dienstleistungen (wie Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheit) und die derzeitige syrische Regierung, die an der Macht geblieben ist (Rechtsexperte 14.9.2022).
Die meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Europäische Union selbst sowie der UN High Commissioner for Refugees (UNHCR), bleiben bei ihrer Einschätzung, dass Syrien nicht sicher für eine Rückkehr von Flüchtlingen ist. Im Juli 2022 entschied das Netherlands Council of State, dass syrische Asylsuchende nicht automatisch nach Dänemark transferiert werden dürften angesichts der dortigen Entscheidung, Teile Syriens für 'sicher' zu erklären (HRW 12.1.2023). Auch die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) kommt zum Schluss, dass die Bedingungen für eine sichere Rückkehr in Würde nicht gegeben sind, auch angesichts von Fällen von Rückkehrverweigerungen, willkürlichen Verhaftungen und der Verhinderung der Rückkehr zu ihren Heimen in Regierungsgebieten (UNCOI 7.2.2023). Das deutsche Auswärtige Amt weist darauf hin, dass UNHCR, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) und die International Organization for Migration (IOM) unverändert die Auffassung vertreten, dass die Bedingungen für eine freiwillige Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien in Sicherheit und Würde angesichts der unverändert bestehenden, signifikanten Sicherheitsrisiken in ganz Syrien nicht erfüllt sind. UNHCR bekräftigte, dass sich seine Position und Politik nicht geändert hätten. Im Einklang mit dieser Einschätzung führt laut deutschem Auswärtigem Amt weiterhin kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union Rückführungen nach Syrien durch (AA 2.2.2024). Auch der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sieht nicht die menschenrechtlichen Voraussetzungen für Abschiebungen nach Syrien gegeben (Die Presse 5.6.2023).
2. Beweiswürdigung:
Die Staatsbürgerschaft des BF wurde aufgrund seiner gleichlautenden Angaben im in der Erstbefragung, vor dem BFA und dem BVwG festgestellt (AS 11, 71; Verhandlungsprotokoll vom 10.03.2025 = VP S. 4).
Die Feststellungen zu seiner Einreise und der Asylantragstellung in Österreich ergeben sich aus dem Erstbefragungsprotokoll (AS 13).
Aus dem im Akt aufliegenden Bescheid geht hervor, dass der BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt bekommen hat (AS 81 ff).
Mangels Vorlage identitätsbezeugender Dokumente im Original kommt dem BF Verfahrensidentität zu (VP S. 6; AS 71).
Die Feststellungen zur Schulbildung und Erwerbstätigkeit stützen sich auf seine diesbezüglichen Angaben in der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA (AS 13, 72).
Vor dem BVwG führte der BF an, mit dem ehemals Obsorgeberechtigten und seinem Cousin zusammen zu leben, staatliche Sozialleistungen zu beziehen, einen österreichischen Pflichtschulabschluss zu haben und derzeit auf Arbeitssuche zu sein (VP S. 4f).
Der Verbleib der Familienangehörigen des BF wurde aufgrund seiner hierzu getätigten Angaben in der Erstbefragung und vor dem BFA festgestellt (AS 15, 70). In der Beschwerdeverhandlung sind diesbzezüglich keine widersprechenden Fakten hervorgekommen.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich in der mündlichen Verhandlung persönlich davon überzeugen, dass der BF keiner asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr in seinem Heimatstaat ausgesetzt ist.
Bei der Befragung vor dem BFA am 11.11.2022 führte der BF aus, er sei im Herkunftsstaat von der Freien Syrischen Armee gefangen genommen worden, weil diese gewusst habe, dass er nach Europa reisen wollte; er und auch der Onkel seien geschlagen worden (AS 74). Gegen den BF liege aber kein Haftbefehl vor, es könne aber sein, dass sie nach ihm suchen, weil sein Onkel desertiert sei (AS 72). Das syrische Regime suche ihn auch, weil er an Demonstrationen teilgenommen habe (AS 73). Auch die iranischen Milizen könnten nach ihm suchen, weil es in seinem Gebiet zu solchen Situationen gekommen sei (AS 74). Die Freie Syrische Armee suche nicht nach ihm. Der BF habe sich nie politisch betätigt; genau wisse er nicht, wann er an Demonstrationen teilgenommen habe. Er sei elf Jahre alt gewesen, als die Leute in seinem Heimatdorf gegen die Regierung auf die Straße gegangen seien. Der BF sei nicht mitgegangen, sondern habe vor seinem Haus mitgeschrien. Unter Berücksichtigung des jungen Alters des BF zu diesem Zeitpunkt und der Tatsache, dass er nicht aktiv an den Protesten beteiligt war, sondern im Haus verblieb, ergibt sich, dass er von keiner der Konfliktparteien in Syrien als politischer Gegner wahrgenommen wurde.
Der BF habe Syrien verlassen, weil die Milizen ihn verfolgt hätten. Sie hätten Kinder rekrutiert; in drei Jahren hätte er auch das militärfähige Alter erreicht und wäre vom syrischen Regime rekrutiert worden. In seinem Gebiet hätten Kriegsverhandlungen zwischen den Regimegegnern und dem Regime stattgefunden, die Familie sei dann umgezogen; in dem neuen Gebiet hätte das Regime die Möglichkeit gehabt, dieses wieder zurückzuerobern, weshalb der Vater beschlossen habe, dass er ausreisen solle. Der minderjährige BF sei nicht persönlich durch die Milizen verfolgt worden, diese hätten alle Kinder verfolgt. Es habe die Gefahr bestanden, dass sie ihn erwischen und einer Gehirnwäsche unterziehen (AS 73 f).
Zur erwähnten Inhaftierung durch die Freie Syrische Armee gab der minderjährige BF1 an, sie hätten die gesamte Familie, auch seinen anwesenden Onkel, inhaftiert. Sie seien in XXXX verhaftet worden, hätten sich zwei Tage in Haft befunden und seien am dritten Tag enthaftet worden; wenn sie nochmals in das Gebiet kämen, würden sie wieder verhaftet und nicht mehr freigelassen werden. Bei einer Rückkehr würde ihn das Regime aufgrund seiner illegalen Reise nach Österreich inhaftieren und nach drei Jahren rekrutieren. Er habe auch vor den iranischen Milizen Angst, die ihr Gebiet kontrollieren und ihn im Fall einer Rückkehr inhaftieren würden (AS 74).
Der ehemals Obsorge berechtigte Onkel gab an, dass der BF alles richtig und ehrlich angegeben habe; ein Großteil der Familie werde verfolgt, weil sie vom Militärdienst desertiert seien (AS 74).
Das BFA hat im Wesentlichen festgestellt, dass die BF keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vorgebracht oder glaubhaft gemacht haben. Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der aus Deir ez-Zor, XXXX , stammende BF vor seiner Ausreise jeweils keiner persönlichen Verfolgung durch das syrische Regime oder durch regierungsfeindliche Gruppen ausgesetzt gewesen seien. Es bestehe kein Grund zur Annahme, dass er in Syrien einer Verfolgung durch staatliche Organe unterliegen oder zum Militärdienst einberufen werden würde. Der BF befände sich nicht im wehrdienstfähigen Alter, eine Generalmobilmachung finde derzeit nicht statt. Eine Verfolgung des BF aufgrund einer Demonstrationsteilnahme sei nicht anzunehmen, zumal er selbst dargelegt habe, zum damaligen Zeitpunkt erst elf Jahre alt und sich der Teilnahme nicht bewusst gewesen zu sein. Seine Ausführungen hinsichtlich einer Festnahme durch die Freie Syrische Armee relativiere sich insofern, als sich aus seinen Angaben ergebe, dass seine Familie unversehrt wieder freigelassen worden sei. Zudem habe er selbst festgehalten, dass die Freie Syrische Armee nicht nach ihm suche. Die Ausführungen des BF hinsichtlich iranischer Milizen beziehe sich auf die allgemeine Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, zeige jedoch keine persönliche Verfolgung auf. Ebenso wenig würden die Ausführungen betreffend Desertionen von Onkeln keine persönliche Bedrohung aufzeigen.
Insbesondere im Hinblick auf eine Verfolgungsgefahr wegen der Desertion von Angehörigen ist anzumerken, dass bereits das diesbezügliche Fluchtvorbringen des Onkels des BF als nicht glaubwürdig angesehen wurde. Es wurde Erkenntnis des BVwG vom 14.11.2024 ( XXXX ) festgestellt, dass eine Verfolgung des syrischen Regimes aufgrund politischer Aktivitäten in Syrien und in Österreich nicht maßgeblich wahrscheinlich sei. Ebenso wurde die Möglichkeit einer Verfolgung wegen der Desertion von Familienangehörigen verneint. Das Verfahren wurde in weiterer Folge rechtskräftig abgeschlossen; dem Onkel des BF kommt weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigen zu, eine individuelle Verfolgung wurde nicht erkannt. In der Einvernahme vor dem BFA im gegenständlichen Verfahren führte er wiederum an, dass ein Großteil der Familie verfolgt werde, weil sie vom Militärdienst desertiert wären. Angesichts des Sturzes des Assad-Regimes kommt dieser Angabe umso weniger Aussagekraft hinsichtlich einer asylrelevanten Verfolgung des BF zu.
In der Beschwerde wurden im Wesentlichen die vom BF vorgebrachten Fluchtgründe wiederholt moniert. Der BF sei aus Angst, verschleppt, entführt und zwangsrekrutiert zu werden, im Jahr 2021 Richtung Österreich geflohen. Zur Situation und möglichen Zwangsrekrutierung von Kindern in Syrien wurde auf Anfragebeantwortungen von ACCORD zu Syrien: Zwangsrekrutierung Minderjähriger [a-11806] vom 31.01.2022 sowie zur Lage von Kindern allgemein, die Rolle von Kindern im Bürgerkrieg, die Situation von Mädchen, Kinderarbeit, Bildung, Kinder ohne familiären Anschluss, unbegleitet rückkehrende Kinder, Waisenhäuser [a11561] vom 27.04.2021 verwiesen. Die belangte Behörde habe es unterlassen, aktuelle Länderberichte zur Lage von Kindern in Syrien, insbesondere in der Herkunftsregion Deir Ez-Zor, einzuholen. Bei Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Gefährdungslage in Syrien sowie Berücksichtigung der Empfehlungen von EASO und UNHCR hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass dem BF asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder in Syrien drohe. Er wäre als Kind dem realen Risiko verschiedener Ausbeutungshandlungen (Rekrutierung, Zwangsarbeit und Menschenhandel) ausgesetzt. Auch die Herkunft aus einem ehemals oppositionell besetzten Gebiet sowie die Ausreise und Asylantragstellung in Österreich könnten dazu führen, dass dem BF im Fall einer Rückkehr nach Syrien eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde. Zudem sei dem Umstand, dass der minderjährige BF mit Wehrdienstverweigerern verwandt sei, die ins Ausland geflüchtet seien, besondere Bedeutung beizumessen. Da mehrere Verwandte ihrer Militärpflicht nicht nachgekommen seien und Syrien unerlaubterweise verlassen hätten und der BF selbst einen Asylantrag im Ausland gestellt hätte, sei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das syrische Regime die gesamte Familie den Oppositionellen zuordnen werde.
In der mündlichen Verhandlung wurde erstmals vorgebracht, es gäbe in Deir ez-Zor Probleme zwischen den arabischen Stämmen und den Kurden. Laut der Stammesregel müsse jeder mit seinem Stamm zusammen kämpfen und wer das nicht tue, werde dafür inhaftiert und bestraft. Wenn man sie zwingen würde mit ihnen mitzukämpfen und am Djihad teilzunehmen würden sie das tun. Der jetzige Staat habe in den Moscheen den Djihad ausgerufen. Sie, alle, würden zum Stamm Al-Agidat gehören. Die Stammeshäuptlinge seien momentan XXXX und XXXX . Vor zwei Tagen hätten diese die allgemeine Alarmbereitschaft in seiner Region in XXXX ausgerufen. Seine Familie sei vor zwei Tagen in Deir ez-Zor gewesen und nach dem Ausruf zur Alarmbereitschaft seien sie wo andershin übersiedelt, aber er wisse jedoch nicht an welchem Ort (VP S. 5 f). Der BF machte jedoch überhaupt keine substantiierten Angaben, dass er nunmehr zwangsrekrutiert werde. Er berief sich nur vage auf eine Stammespflicht. Der Onkel des BF und Obsorgeberechtigte des mitverhandelten minderjährigen Cousins führte dazu aus, es sie alle vorher vom Regime gesucht worden seien. Momentan hätten die Stämme im Heimatgebiet das Sagen. Jeder hielte sich jetzt für einen Präsidenten und wolle die Leute zwingen mit mitzukämpfen und wer das nicht tue, werde entweder ausgegrenzt oder getötet (VP S. 7).
Der Länderinformation ist diesbezüglich zu entnehmen, dass seit August 2023 gewaltsame Konflikte zwischen den kurdisch geführten Syrian Democratic Forces (SDF) und arabischen Stämmen in Deir Ez-Zor bestünden. Berichte über willkürliche Gewalt der SDF und steigende zivile Opferzahlen führten zu einer erhöhten Mobilisierung von Stammeskämpfern. Auch im November 2023 wird von weiter anhaltenden Kämpfen zwischen den SDF und den arabischen Stämmen berichtet. Mit Dezember 2023 flauten die Auseinandersetzungen laut den angegebenen Quellen ab, im Jänner 2024 kam es jedoch wiederum zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, Ausgangssperren und Verhaftungswellen. Hingegen ist der Länderinformation nicht zu entnehmen, dass es vonseiten der arabischen Stämme zu zwangsweisen Rekrutierungen in der Bevölkerung gekommen wäre.
Es gibt daher weder Indizien noch Hinweise, dass der BF konkret mit der neuen syrischen Regierung bzw. mit seinem Stamm Probleme habe. Die vagen allgemeinen Angaben zeigen die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens und sind daher lediglich als bewusste Steigerung des Fluchtvorbringens zu werten.
Eine konkrete Verfolgung ist zudem auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit deshalb auszuschließen, da der BF Syrien, als 13-jähriger, 2020 verlassen hat und keinerlei oppositionelle Tätigkeiten gegen die nunmehrige politische Kraft entfaltet haben kann.
Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Syrien basieren aufgrund der gravierenden politischen Änderungen insbesondere auf Informationen der BFA-Staatendokumentation, des UNHCR und ACCORD über die aktuelle Lage in Syrien. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass die alte syrische Armee aufgelöst wurde und die Verfassung, die die Wehrpflicht beinhaltet außer Kraft gesetzt wurde und somit derzeit de facto keine Wehrpflicht besteht. Überdies geht aus dem Bericht der Staatendokumentation vom 10.12.2024 hervor, dass alle Wehrpflichtigen, die bei der syrischen Armee gedient haben, von der Generalamnestie der Oppositionskräfte erfasst sind. Ausgenommen davon sind nur Soldaten, die sich für einen freiwilligen Eintritt in das syrische Heer entschieden haben. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass sich Personen, die aufgrund der gesetzlichen Wehrpflicht aus Syrien ausgereist sind, keinerlei Repressionen zu erleiden haben.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.
Aus Medienberichten geht zudem hervor, dass die neue Regierung die Flüchtlinge dezidiert zur Rückkehr eingeladen hat.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die derzeitige Lage noch unübersichtlich und volatil ist. Doch im konkreten Fall ist jedenfalls festzustellen, dass sich keine Hinweise ergeben haben, dass beim BF asylrelevante Gründe vorliegen.
Es ist dem BF daher insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien sowie des Fehlens von aktuellen Fluchtgründen kann daher nicht erkannt werden, dass dem BF im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).
Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).
"Glaubhaftmachung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH vom 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH vom 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein. Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (vgl. zu alldem zuletzt VwGH 31.10.2023, Ro 2023/19/0002, mwN).
Fehlt dem Vorbringen zur drohenden Einziehung zum Wehrdienst der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund im oben beschriebenen Sinn, so ist damit auch dem - auf der Prämisse des Vorliegens eines Verfolgungsgrundes des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK aufbauenden - Revisionsvorbringen zur Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Revisionswerbers der Boden entzogen (vgl. dazu nochmals VwGH Ro 2023/19/0002).
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, unbegründet ist.
Im vorliegenden Fall sind somit die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, nicht gegeben. Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte erlaubt es nicht anzunehmen, dass sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen. Sohin kann nicht erkannt werden, dass dem BF im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
Das Vorbringen des BF – insbesondere die allgemein schlechte Lage in Syrien aufgrund des Krieges und das damit verbundene Risiko willkürlicher Gewalt – betrifft nicht speziell den BF, sondern die gesamte syrische Bevölkerung in gleicher Weise, und ist daher nicht asylrelevant. Dieser Gefahrenlage wurde mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Rechnung getragen.
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.