IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Sonja Stradner in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom 26. Juli 2023 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 24. April 2023 betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2022, Steuernummer ***Bf-StNr***,
I. zu Recht erkannt:
Die Beschwerdevorentscheidung betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2022 vom 27.10.2023 wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
II. beschlossen:
Der Vorlageantrag vom 18.11.2023 betreffend Einkommensteuer 2022 wird gemäß § 260 Abs. 1 lit. a iVm § 264 Abs. 4 lit. e BAO als unzulässig (geworden) zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht wird eingestellt.
III. Gegen dieses Erkenntnis und den Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin (Bf.) reichte am 20.01.2023 das händisch ausgefüllte Formular zur Arbeitnehmererklärung für das Jahr 2022 direkt beim Finanzamt ein, wobei sie einen Arbeitgeber für das Jahr 2022 anführte.
Am 21.02.2023 erließ das Finanzamt antragsgemäß den Einkommensteuerbescheid 2022. Dieser wurde noch am selben Tag durch die Verfügbarmachung in der Databox der Bf. in FinanzOnline zugestellt. Das sich ergebende Guthaben iHv 1.523,00 € wurde auf das Konto der Bf. überwiesen.
Mit Bescheid vom 24.04.2023 hat das Finanzamt das Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2022 gemäß § 303 Abs. 1 BAO wiederaufgenommen, da für das Jahr 2022 ein zusätzlicher neuer Lohnzettel eines weiteren Arbeitgebers übermittelt worden war. Zeitgleich wurde ein neuer Einkommensteuerbescheid 2022 erlassen. Beide Bescheide wurden noch am selben Tag (24.04.2023) durch die Verfügbarmachung in der Databox der Bf. in FinanzOnline zugestellt. Ein Informationsmail über die Zustellung der Bescheide erhielt die Bf. nach eigenen Angaben nicht.
Mitte Juli 2023 erhielt die Bf. eine Mahnung per Post betreffend die Zahlung der Einkommensteuernachforderung aufgrund des neuen Einkommensteuerbescheides vom 24.04.2023.
In weiterer Folge brachte die Bf. am 26.07.2023 Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid vom 24.04.2023 ein und führte aus, dass aufgrund nicht erfolgter Mail-Benachrichtigung über Eingänge in die Databox ein Zustellmangel vorliege. Zeitgleich ersuchte sie um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da sie aufgrund des abgeschlossenen Einkommensteuerverfahrens keine Veranlassung gehabt habe, die Databox regelmäßig abzurufen. Inhaltlich brachte die Bf. vor, dass sie im Jahr 2022 neun Monate geringfügig und drei Monate Vollzeit gearbeitet habe. In den Vorjahren seien niemals AMS-Bezüge für die Berechnung der Steuer herangezogen worden.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 27.10.2023 wies das Finanzamt die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid vom 24.04.2023 als nicht fristgerecht eingebracht zurück.
Die Bf. beantragte daraufhin am 18.11.2023 die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht, verwies nochmals auf die fehlenden Mail-Benachrichtigungen über die Zustellung der Bescheide in die Databox und führte aus, warum sie keine Veranlassung zum Aufruf der Databox gehabt habe.
Mit Vorhalt vom 08.11.2024 ersuchte das Finanzamt die Bf. um Stellungnahme zum Fristenlauf, Anzahl der Arbeitgeber und Wirksamkeit der Zustellung. Als Frist zur Beantwortung wurde der 29.11.2024 vorgemerkt.
Das Finanzamt legte den Akt schließlich am 14.01.2025 dem Bundesfinanzgericht vor. Eine Beantwortung des Vorhaltes durch die Bf. ist bis dato nicht erfolgt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Bf. wurde mit Bescheid vom 21.02.2023 antragsgemäß zur Einkommensteuer 2022 veranlagt. Die Zustellung des Bescheides erfolgte elektronisch mittels FinanzOnline in die Databox der Bf..
Dem Finanzamt wurden zwei Lohnzettel eines weiteren Arbeitgebers betreffend die Bf. für das Jahr 2022 neu übermittelt. Mit Bescheid vom 24.04.2023 wurde das Verfahren betreffend Einkommensteuer 2022 gemäß § 303 Abs. 1 BAO wiederaufgenommen. Zeitgleich wurde ein neuer Sachbescheid erlassen, der die neuen Lohnzettel berücksichtigte.
Beide Bescheide wurden der Bf. am 24.04.2023 durch die Verfügbarmachung in der Databox in FinanzOnline zugestellt. Eine Mail-Benachrichtigung über die Zustellung der Bescheide in die Databox ist nach Angaben der Bf. nicht erfolgt.
Die Bf. ist Teilnehmerin an FinanzOnline und hat auf die elektronische Zustellung in die Databox nicht verzichtet. Die Bf. hat eine gültige Mail-Adresse als Kommunikationsmittel hinterlegt. Dass die Bf. keinen Zugang zur Databox hatte, konnte nicht festgestellt werden bzw. wurde von der Bf. auch nicht behauptet.
Die Beschwerde datiert mit 26.07.2023 und richtet sich gegen den Wiederaufnahmebescheid betreffend Einkommensteuer 2022 vom 24.04.2023. Inhaltlich wird nicht nur ein Zustellmangel moniert, sondern auch die Berechnung der Einkommensteuer an sich. Die Beschwerde beinhaltet auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid 2022 vom 24.04.2023 hat das Finanzamt noch nicht entschieden.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 27.10.2023 wurde die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2022 vom 24.04.2023 wegen bereits abgelaufener Rechtsmittelfrist zurückgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich der Vorlageantrag vom 18.11.2023, in dem die Bf. wiederum auf den Zustellmangel wegen fehlender Mail-Benachrichtigung verweist.
Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Finanzamt noch nicht entschieden.
Der Vorhalt vom 08.11.2024 blieb bis dato unbeantwortet. Um Fristverlängerung wurde nicht angesucht.
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt und dem Abgabeninformationssystem der Finanzverwaltung. Der Zustellzeitpunkt der Bescheide ist aus dem elektronischen Veranlagungsakt ersichtlich. Es bestehen gegen die Richtigkeit dieser Angaben keine Bedenken und wurden diesbezüglich auch keine Zweifel seitens der Parteien vorgebracht.
Dass sich die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid vom 24.04.2023 richtet, ist deutlich aus der Betreff-Zeile bzw. dem ersten Absatz der Beschwerde ersichtlich. Aufgrund des inhaltlichen Beschwerdebegehrens geht auch das Gericht (wie bereits schon das Finanzamt) davon aus, dass auch Beschwerde gegen den Sachbescheid erhoben werden sollte. Das Ersuchen um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als Antrag gewertet und unterliegt daher der Entscheidungspflicht des Finanzamtes.
Dass die Beschwerdevorentscheidung vom 27.10.2023 nur über die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2022, nicht jedoch gegen den Wiederaufnahmebescheid abspricht, ist direkt dem Bescheid vom 27.10.2023 zu entnehmen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. und II.
§ 307 BAO lautet:
"(1) Mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.
(2) (aufgehoben)
(3) Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat."
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Sachentscheidung haben jeweils für sich Bescheidqualität und jeder dieser Bescheide ist für sich einer Beschwerde zugänglich und für sich rechtskraftfähig (VwGH 17.11.2004, 2000/14/0142; 18.12.2008, 2006/15/0367; 24.06.2009, 2007/15/0041). Sind beide Bescheide mit Beschwerde angefochten, so ist zunächst über die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden (VwGH 22.5.1990, 87/14/0038; 22.12.2005, 2001/15/0004; 28.2.2012, 2009/15/0170; 11.12.2019, Ra 2019/13/0091). Wurde aber das Rechtsmittel gegen den Wiederaufnahmebescheid unerledigt gelassen und vorerst nur über die Beschwerde gegen den neuen Sachbescheid abgesprochen, so ist die Entscheidung inhaltlich rechtswidrig (VwGH 08.11.1988, 88/14/0135; 02.09.2009, 2005/15/0031; 22.11.2012, 2012/15/0193; Ritz, BAO7, § 307 Tz 7).
Im gegenständlichen Fall wurde die Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid unerledigt gelassen und nur über die Beschwerde gegen den Sachbescheid abgesprochen. Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des VwGH erweist sich die Beschwerdevorentscheidung vom 27.10.2023 betreffend den Einkommensteuerbescheid 2022 als inhaltlich rechtswidrig.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichts ist es geboten, diesen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen, der durch die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung betreffend den Sachbescheid entstanden ist, ohne dass vorher über das Rechtsmittel gegen den zugrundeliegenden Wiederaufnahmebescheid entschieden wurde. Dies ist nur durch Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung über den Sachbescheid möglich.
Daraus ergibt sich aber auch die Unzulässigkeit des Vorlageantrages. Die Befugnis zur Stellung eines Vorlageantrags setzt eine Beschwerdevorentscheidung voraus (VwGH 28.10.1997, 93/14/0146; VwGH 08.02.2007, 2006/15/0373). Wird bei einer wirksam eingebrachten Bescheidbeschwerde die Beschwerdevorentscheidung aufgehoben, fällt diese Befugnis weg.
Der Vorlageantrag vom 15.11.2023 ist daher gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO iVm § 264 Abs. 4 lit. e BAO als unzulässig (geworden) zurückzuweisen. Das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht ist einzustellen und das Finanzamt hat über sämtliche Beschwerden neuerlich zu entscheiden.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt III. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Aufhebung der inhaltlich rechtswidrigen Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid, da die Beschwerde gegen den ebenso angefochtenen Wiederaufnahmebescheid vom Finanzamt unerledigt gelassen wurde, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs. Die Zurückweisung des Vorlageantrages ergibt sich wiederum eindeutig aus dem Gesetzestext. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist demnach nicht zulässig.
Wien, am 12. Februar 2025