BundesrechtInternationale VerträgeInternationales Übereinkommen gegen Geiselnahme

Internationales Übereinkommen gegen Geiselnahme

In Kraft seit 23. Dezember 2014
Up-to-date

Artikel 1

Art. 1

(1) Wer eine andere Person (im folgenden als „Geisel“ bezeichnet) in seine Gewalt bringt oder in seiner Gewalt hält und mit dem Tod, mit Körperverletzung oder mit der Fortdauer der Freiheitsentziehung für diese Person droht, um einen Dritten, nämlich einen Staat, eine internationale zwischenstaatliche Organisation, eine natürliche oder juristische Person oder eine Gruppe von Personen zu einer Handlung oder Unterlassung als ausdrückliche oder stillschweigende Voraussetzung für die Freigabe der Geisel zu nötigen, begeht die Straftat der Geiselnahme im Sinne dieses Übereinkommens.

(2) Wer

a) eine Geiselnahme zu begehen versucht oder

b) sich an einer Geiselnahme, die ein anderer begeht oder zu begehen versucht, beteiligt,

begeht gleichfalls eine Straftat für die Zwecke dieses Übereinkommens.

Artikel 2

Art. 2

Jeder Vertragsstaat bedroht die in Artikel 1 genannten Straftaten mit angemessenen Strafen, welche die Schwere der Tat berücksichtigen.

Artikel 3

Art. 3

(1) Der Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Täter die Geisel in seiner Gewalt hält, trifft alle ihm geeignet erscheinenden Maßnahmen, um das Los der Geisel zu erleichtern, insbesondere um ihre Befreiung sicherzustellen und um ihr, falls erforderlich, nach ihrer Befreiung die Ausreise zu erleichtern.

(2) Gelangt ein Gegenstand, den der Täter durch die Geiselnahme erlangt hat, in den Gewahrsam eines Vertragsstaats, so gibt ihn dieser so bald wie möglich der Geisel bzw. dem in Artikel 1 bezeichneten Dritten oder dessen zuständigen Behörden zurück.

Artikel 4

Art. 4

Die Vertragsstaaten arbeiten bei der Verhütung der in Artikel 1 genannten Straftaten zusammen, indem sie insbesondere

a) alle durchführbaren Maßnahmen treffen, um in ihren jeweiligen Hoheitsgebieten Vorbereitungen für die Begehung dieser Straftaten innerhalb oder außerhalb ihrer Hoheitsgebiete zu verhindern, einschließlich Maßnahmen, um in ihren Hoheitsgebieten illegale Tätigkeiten von Personen, Gruppen und Organisationen zu verbieten, welche die Begehung von Geiselnahmen fördern, anstiften, organisieren oder durchführen;

b) Informationen austauschen sowie Verwaltungs- und andere Maßnahmen miteinander abstimmen, die geeignet sind, die Begehung dieser Straftaten zu verhindern.

Artikel 5

Art. 5

(1) Jeder Vertragsstaat trifft die notwendigen Maßnahmen, um seine Gerichtsbarkeit über die in Artikel 1 genannten Straftaten zu begründen, die begangen werden

a) in seinem Hoheitsgebiet oder an Bord eines in diesem Staat eingetragenen Schiffes oder Luftfahrzeugs;

b) von seinen Staatsangehörigen oder, sofern dieser Staat es für angebracht hält, von Staatenlosen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet haben;

c) um diesen Staat zu einer Handlung oder Unterlassung zu nötigen oder

d) in bezug auf eine Geisel, die Angehörige dieses Staates ist, sofern dieser Staat es für angebracht hält.

(2) Ebenso trifft jeder Vertragsstaat die notwendigen Maßnahmen, um seine Gerichtsbarkeit über die in Artikel 1 genannten Straftaten für den Fall zu begründen, daß der Verdächtige sich in seinem Hoheitsgebiet befindet und er ihn nicht an einen der in Absatz 1 dieses Artikels bezeichneten Staaten ausliefert.

(3) Dieses Übereinkommen schließt eine Strafgerichtsbarkeit, die nach innerstaatlichem Recht ausgeübt wird, nicht aus.

Artikel 6

Art. 6

(1) Hält der Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Verdächtige befindet, es in Anbetracht der Umstände für gerechtfertigt, so nimmt er ihn nach seinem Recht in Haft oder trifft andere Maßnahmen, um seine Anwesenheit für die Zeit sicherzustellen, die zur Einleitung eines Straf- oder Auslieferungsverfahrens benötigt wird. Der Vertragsstaat führt umgehend eine vorläufige Untersuchung zur Feststellung des Sachverhalts durch.

(2) Die Haft oder die anderen Maßnahmen nach Absatz 1 sind unverzüglich unmittelbar oder über den Generalsekretär der Vereinten Nationen zu notifizieren

a) dem Staat, in dem die Straftat begangen wurde;

b) dem Staat, der genötigt oder dessen Nötigung versucht worden ist;

c) dem Staat, dem die natürliche oder juristische Person angehört, die genötigt oder deren Nötigung versucht worden ist;

d) dem Staat, dem die Geisel angehört oder in dessen Hoheitsgebiet sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat;

e) dem Staat, dem der Verdächtige angehört oder, wenn er staatenlos ist, in dessen Hoheitsgebiet er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat;

f) der internationalen zwischenstaatlichen Organisation, die genötigt oder deren Nötigung versucht worden ist;

g) allen anderen betroffenen Staaten.

(3) Jeder, gegen den die in Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen getroffen werden, ist berechtigt,

a) unverzüglich mit dem nächsten zuständigen Vertreter des Staates, dessen Angehöriger er ist oder der anderweitig zur Herstellung einer solchen Verbindung berechtigt ist, oder, wenn der Betreffende staatenlos ist, des Staates, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, in Verbindung zu treten;

b) den Besuch eines Vertreters dieses Staates zu empfangen.

(4) Die in Absatz 3 bezeichneten Rechte werden in Übereinstimmung mit den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des Staates ausgeübt, in dessen Hoheitsgebiet sich der Verdächtige befindet, wobei jedoch diese Gesetze und sonstigen Vorschriften die volle Verwirklichung der Zwecke gestatten müssen, für welche die Rechte nach Absatz 3 gewährt werden.

(5) Die Absätze 3 und 4 lassen das Recht jedes Vertragsstaats, der nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b einen Anspruch auf Gerichtsbarkeit hat, unberührt, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz einzuladen, mit dem Verdächtigen Verbindung aufzunehmen und ihn zu besuchen.

(6) Der Staat, der die vorläufige Untersuchung nach Absatz 1 durchführt, unterrichtet die in Absatz 2 bezeichneten Staaten oder Organisationen umgehend über das Ergebnis der Untersuchung und teilt ihnen mit, ob er seine Gerichtsbarkeit auszuüben beabsichtigt.

Artikel 7

Art. 7

Der Vertragsstaat, in dem der Verdächtige strafrechtlich verfolgt wird, teilt nach seinem Recht den Ausgang des Verfahrens dem Generalsekretär der Vereinten Nationen mit, der diese Information an die anderen betroffenen Staaten und die betroffenen internationalen zwischenstaatlichen Organisationen weiterleitet.

Artikel 8

Art. 8

(1) Der Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verdächtige aufgefunden wird, ist, wenn er ihn nicht ausliefert, verpflichtet, den Fall ohne irgendeine Ausnahme und unabhängig davon, ob die Tat in seinem Hoheitsgebiet begangen wurde, seinen zuständigen Behörden zum Zweck der Strafverfolgung in einem Verfahren nach seinem Recht zu unterbreiten. Diese Behörden treffen ihre Entscheidung in der gleichen Weise wie im Fall einer gemeinrechtlichen Straftat schwerer Art nach dem Recht dieses Staates.

(2) Jedem, gegen den ein Verfahren wegen einer der in Artikel 1 genannten Straftaten durchgeführt wird, ist während des gesamten Verfahrens eine gerechte Behandlung zu gewährleisten, die den Genuß aller Rechte und Garantien einschließt, die das Recht des Staates vorsieht, in dessen Hoheitsgebiet er sich befindet.

Artikel 9

Art. 9

(1) Einem auf Grund dieses Übereinkommens gestellten Ersuchen um Auslieferung eines Verdächtigen wird nicht stattgegeben, wenn der ersuchte Vertragsstaat ernstliche Gründe für die Annahme hat,

a) daß das Auslieferungsersuchen wegen einer in Artikel 1 genannten Straftat gestellt worden ist, um eine Person wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Anschauungen zu verfolgen oder zu bestrafen, oder

b) daß die Lage dieser Person

i) aus einem der unter Buchstabe a genannten Gründe oder

ii) aus dem Grund, daß die zuständigen Behörden des zur Ausübung von Schutzrechten berechtigten Staates keine Verbindung mit ihr aufnehmen können,

erschwert werden könnte.

(2) Hinsichtlich der in diesem Übereinkommen definierten Straftaten werden die Bestimmungen aller zwischen Vertragsstaaten anwendbaren Auslieferungsverträge und -vereinbarungen im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten geändert, soweit sie mit dem vorliegenden Übereinkommen unvereinbar sind.

Artikel 10

Art. 10

(1) Die in Artikel 1 genannten Straftaten gelten als in jeden zwischen Vertragsstaaten bestehenden Auslieferungsvertrag einbezogene, der Auslieferung unterliegende Straftaten. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, diese Straftaten als der Auslieferung unterliegende Straftaten in jeden künftig zwischen ihnen zu schließenden Auslieferungsvertrag aufzunehmen.

(2) Erhält ein Vertragsstaat, der die Auslieferung vom Bestehen eines Vertrags abhängig macht, ein Auslieferungsersuchen von einem anderen Vertragsstaat, mit dem er keinen Auslieferungsvertrag hat, so steht es dem ersuchten Staat frei, dieses Übereinkommen als Rechtsgrundlage für die Auslieferung in bezug auf die in Artikel 1 genannten Straftaten anzusehen. Die Auslieferung unterliegt im übrigen den im Recht des ersuchten Staates vorgesehenen Bedingungen.

(3) Vertragsstaaten, welche die Auslieferung nicht vom Bestehen eines Vertrags abhängig machen, erkennen untereinander die in Artikel 1 genannten Straftaten vorbehaltlich der im Recht des ersuchten Staates vorgesehenen Bedingungen als der Auslieferung unterliegende Straftaten an.

(4) Die in Artikel 1 genannten Straftaten werden für die Zwecke der Auslieferung zwischen Vertragsstaaten so behandelt, als seien sie nicht nur an dem Ort, an dem sie sich ereignet haben, sondern auch in den Hoheitsgebieten der Staaten begangen worden, die verpflichtet sind, ihre Gerichtsbarkeit nach Artikel 5 Absatz 1 zu begründen.

Artikel 11

Art. 11

(1) Die Vertragsstaaten gewähren einander die weitestgehende Hilfe im Zusammenhang mit Verfahren, die in bezug auf die in Artikel 1 genannten Straftaten eingeleitet werden, einschließlich der Überlassung aller ihnen zur Verfügung stehenden und für das Verfahren erforderlichen Beweismittel.

(2) Absatz 1 läßt Verpflichtungen über die gegenseitige Rechtshilfe unberührt, die in anderen Verträgen enthalten sind.

Artikel 12

Art. 12

Soweit die Genfer Abkommen von 1949 zum Schutze von Kriegsopfern oder die Zusatzprotokolle zu jenen Abkommen auf eine bestimmte Geiselnahme Anwendung finden und soweit Vertragsstaaten dieses Übereinkommens nach jenen Abkommen zur strafrechtlichen Verfolgung oder zur Auslieferung des Geiselnehmers verpflichtet sind, findet dieses Übereinkommen keine Anwendung auf eine Geiselnahme, die im Verlauf von bewaffneten Konflikten im Sinne der Genfer Abkommen von 1949 und der dazugehörigen Protokolle einschließlich der in Artikel 1 Absatz 4 des Zusatzprotokolls von 1977 genannten bewaffneten Konflikte begangen wird, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen, wie es in der Satzung der Vereinten Nationen und in der Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegt ist.

Artikel 13

Art. 13

Diese Übereinkommen ist nicht anwendbar, wenn die Tat innerhalb eines einzigen Staates begangen wird, die Geisel und der Verdächtige Angehörige dieses Staates sind und der Verdächtige im Hoheitsgebiet dieses Staates aufgefunden wird.

Artikel 14

Art. 14

Keine Bestimmung dieses Übereinkommens darf als Rechtfertigung für die Verletzung der territorialen Unversehrtheit oder politischen Unabhängigkeit eines Staates entgegen der Satzung der Vereinten Nationen ausgelegt werden.

Artikel 15

Art. 15

Dieses Übereinkommen läßt die Anwendung der im Zeitpunkt seiner Annahme geltenden Asylverträge zwischen den Vertragsstaaten dieser Verträge unberührt; jedoch kann sich ein Vertragsstaat dieses Übereinkommens gegenüber einem anderen Vertragsstaat, der nicht Vertragsstaat jener Verträge ist, nicht auf diese berufen.

Artikel 16

Art. 16

(1) Jede Streitigkeit zwischen zwei oder mehr Vertragsstaaten über die Auslegung oder Anwendung dieses Übereinkommens, die nicht durch Verhandlungen beigelegt wird, ist auf Verlangen eines dieser Staaten einem Schiedsverfahren zu unterwerfen. Können sich die Parteien binnen sechs Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem das Schiedsverfahren verlangt worden ist, über seine Ausgestaltung nicht einigen, so kann jede dieser Parteien die Streitigkeit dem Internationalen Gerichtshof unterbreiten, indem sie einen seinem Statut entsprechenden Antrag stellt.

(2) Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder der Ratifikation dieses Übereinkommens oder dem Beitritt zu diesem erklären, daß er sich durch Absatz 1 nicht als gebunden betrachtet. Die anderen Vertragsstaaten sind gegenüber einem Vertragsstaat, der einen solchen Vorbehalt gemacht hat, durch Absatz 1 nicht gebunden.

(3) Ein Vertragsstaat, der einen Vorbehalt nach Absatz 2 gemacht hat, kann diesen Vorbehalt jederzeit durch eine an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gerichtete Notifikation zurückziehen.

Artikel 17

Art. 17

(1) Dieses Übereinkommen liegt bis zum 31. Dezember 1980 am Sitz der Vereinten Nationen in New York für alle Staaten zur Unterzeichnung auf.

(2) Dieses Übereinkommen bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt.

(3) Dieses Übereinkommen steht allen Staaten zum Beitritt offen. Die Beitrittsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt.

Artikel 18

Art. 18

(1) Dieses Übereinkommen tritt am dreißigsten Tag nach Hinterlegung der zweiundzwanzigsten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen in Kraft.

(2) Für jeden Staat, der das Übereinkommen nach Hinterlegung der zweiundzwanzigsten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde ratifiziert oder ihm beitritt, tritt es am dreißigsten Tag nach Hinterlegung der Ratifikations- oder Beitrittsurkunde durch diesen Staat in Kraft.

Artikel 19

Art. 19

(1) Jeder Vertragsstaat kann dieses Übereinkommen durch eine an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gerichtete schriftliche Notifikation kündigen.

(2) Die Kündigung wird ein Jahr nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär der Vereinten Nationen wirksam.

Artikel 20

Art. 20

Die Urschrift dieses Übereinkommens, dessen arabischer, chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Wortlaut gleichermaßen authentisch ist, wird beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt; dieser übermittelt allen Staaten beglaubigte Abschriften.

Zu Urkund dessen haben die von ihren Regierungen hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen, das am 18. Dezember 1979 in New York zur Unterzeichnung aufgelegt wurde, unterschrieben.