Vorwort
Artikel 1
Art. 1
Dieses Abkommen ist auf die von den Gerichten der Hohen Vertragschließenden Teile auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechtes gefällten Entscheidungen anzuwenden, mit Ausnahme jener im Konkursverfahren, im Ausgleichsverfahren und im Verfahren des Zahlungsaufschubes.
Artikel 2
Art. 2
Im Sinne dieses Abkommens sind zu verstehen:
1. unter „Entscheidung“ jede im streitigen Verfahren oder im Verfahren außer Streitsachen gefällte Entscheidung, wie sie auch bezeichnet sein mag, und auch, wenn sie von einem Strafgericht erlassen worden ist;
2. unter „Titelgericht“ das Gericht, das die Entscheidung gefällt hat, deren Anerkennung oder Vollstreckung beantragt wird;
3. unter „Entscheidungsstaat“ der Staat, in dessen Gebiet das Titelgericht seinen Sitz hat;
4. unter „ersuchtes Gericht“ in Luxemburg das Gericht, bei dem die Vollstreckbarerklärung, in Österreich das Gericht, bei dem die Vollstreckung beantragt wird;
5. unter „ersuchter Staat“ der Staat, in dessen Gebiet die Anerkennung oder die Vollstreckung beantragt wird.
Artikel 3
Art. 3
(1) Die von einem Gericht eines der Hohen Vertragschließenden Teile gefällten Entscheidungen werden in dem Gebiet des anderen anerkannt, wenn das Titelgericht gemäß den Artikeln 6 bis 11 dieses Abkommens zuständig war und die Entscheidung nach dem Recht des Entscheidungsstaates rechtskräftig ist.
(2) Im Fall einer Versäumnisentscheidung muß der Beklagte ordnungsgemäß geladen worden sein. Im Fall eines Zahlungsbefehles oder eines Zahlungsauftrages muß die Entscheidung dem Schuldner ordnungsgemäß zugestellt worden sein.
Artikel 4
Art. 4
Die Anerkennung ist in folgenden Fällen zu versagen:
1. wenn sie der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates widerspricht;
2. wenn ein gleicher, auf denselben Rechtsanspruch gestützter Antrag zwischen denselben Parteien schon Gegenstand einer rechtskräftigen Entscheidung in der Sache selbst war, die in dem ersuchten Staat gefällt worden oder die in einem dritten Staat gefällt worden und in dem ersuchten Staat anerkannt ist;
3. wenn zwischen denselben Parteien ein gleicher, auf denselben Rechtsanspruch gestützter Antrag vor einem Gericht des ersuchten Staates anhängig und dieses Gericht vor dem Titelgericht mit der Sache befaßt worden ist;
4. wenn, im Fall einer Versäumnisentscheidung, die säumige Partei von dem Verfahren nicht zeitgerecht Kenntnis erhalten hat, um sich zu verteidigen, oder, wenn es sich um einen Zahlungsbefehl oder einen Zahlungsauftrag handelt, der Schuldner nicht in der Lage gewesen ist, zeitgerecht Widerspruch (Einwendungen) zu erheben.
Artikel 5
Art. 5
(1) Die Anerkennung darf nicht deswegen versagt werden, weil das Titelgericht ein anderes Recht angewendet hat, als nach den Regeln des internationalen Privatrechts des ersuchten Staates anzuwenden gewesen wäre, außer es handelt sich um den Personenstand oder die Handlungsfähigkeit natürlicher Personen, das eheliche Güterrecht, letztwillige Verfügungen oder erbrechtliche Verhältnisse. Selbst in diesen Fällen darf die Anerkennung nicht versagt werden, wenn die Anwendung der genannten Regeln zu dem gleichen Ergebnis geführt hätte.
(2) Die Anerkennung ist zu versagen, wenn Vorschriften des Rechtes des ersuchten Staates über die Vertretung nicht oder nicht voll handlungsfähiger Personen verletzt wurden.
Artikel 6
Art. 6
Dieses Abkommen berührt nicht die Vorschriften über die Zuständigkeit der Gerichte der Hohen Vertragschließenden Teile. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 sind Entscheidungen jedoch nur anzuerkennen, wenn das Titelgericht im Sinne der Artikel 7 bis 11 zuständig gewesen ist.
Artikel 7
Art. 7
(1) Die Gerichte des Entscheidungsstaates sind für Verfahren betreffend den Personenstand und die Handlungsfähigkeit zuständig, wenn zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens eine der Personen, deren Personenstand oder Handlungsfähigkeit betroffen wird, Angehöriger dieses Staates ist. Solchen Personen sind Staatenlose gleichgestellt, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Entscheidungsstaates haben.
(2) Dasselbe gilt, wenn alle Personen, deren Personenstand oder Handlungsfähigkeit betroffen wird, zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Entscheidungsstaates haben und dem ersuchten Staat angehören.
Artikel 8
Art. 8
Die Gerichte des Entscheidungsstaates sind für Verfahren zuständig, die ein dingliches Recht an einer in diesem Staat gelegenen Liegenschaft zum Gegenstand haben. Die Zuständigkeit umfaßt auch die Nachlaßangelegenheiten betreffend ein solches dingliches Recht.
Artikel 9
Art. 9
Die Gerichte des Entscheidungsstaates sind für Nachlaßangelegenheiten betreffend bewegliches Vermögen zuständig, wenn der Erblasser Angehöriger dieses Staates war oder auf dessen Gebiet seinen letzten Wohnsitz hatte.
Artikel 10
Art. 10
In den Angelegenheiten, die nicht in den Artikeln 7 bis 9 angeführt sind, sind die Gerichte des Entscheidungsstaates zuständig:
1. wenn der Beklagte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet dieses Staates hat;
2. wenn der Beklagte im Gebiet dieses Staates eine kaufmännische, gewerbliche oder sonstige Niederlassung oder Zweigniederlassung hat oder hatte und er dort wegen einer den Betrieb dieser Niederlassung oder Zweigniederlassung betreffenden Streitigkeit belangt wird;
3. wenn das Verfahren Schadenersatzansprüche aus einer außervertraglichen Haftung zum Gegenstand hat und die schädigende Handlung im Gebiet dieses Staates begangen wurde;
4. wenn der Beklagte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens im Gebiet dieses Staates Vermögen besitzt und er im Gebiet des anderen Staates weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Artikel 11
Art. 11
In den Angelegenheiten, die nicht in den Artikeln 7 bis 9 angeführt sind, ist das Titelgericht zuständig:
1. wenn sich der Beklagte der Zuständigkeit dieses Gerichtes ausdrücklich unterworfen hat, vorausgesetzt, daß das Recht des ersuchten Staates dem nicht in Anbetracht des Streitgegenstandes entgegensteht;
2. wenn sich der Beklagte in die Sache selbst eingelassen hat, ohne die Zuständigkeit des Titelgerichts bestritten oder erklärt zu haben, daß er sich dieser Zuständigkeit nur hinsichtlich des im Entscheidungsstaate gelegenen Vermögens unterwirft;
3. wenn es sich um eine Widerklage handelt und das Titelgericht gemäß den Bestimmungen des Artikels 10 oder dieses Artikels zur Entscheidung über die Hauptklage zuständig war.
Artikel 12
Art. 12
Das Gericht, vor dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ist an Feststellungen von Tatsachen gebunden, die in der Entscheidung enthalten sind und die der Begründung der Zuständigkeit des Titelgerichts dienen.
Artikel 13
Art. 13
Die Partei, welche die Anerkennung geltend macht, hat vorzulegen:
1. eine vollständige Ausfertigung der Entscheidung, welche die für ihre Echtheit erforderlichen Voraussetzungen erfüllt;
2. a) wenn die Entscheidung in Österreich gefällt wurde, eine Bestätigung des Gerichtes, das in erster Instanz entschieden hat, darüber, daß die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist;
b) wenn die Entscheidung in Luxemburg gefällt wurde, einen urkundlichen Nachweis über den Zeitpunkt der Zustellung, eine Bestätigung des Leiters der Gerichtskanzlei, daß gegen diese Entscheidung weder Widerspruch noch Berufung offensteht, und in den Fällen, in denen die Kassationsbeschwerde die Vollstreckung hemmt, eine Bestätigung, daß keine Kassationsbeschwerde erhoben wurde;
3. im Fall einer Versäumnisentscheidung eine mit der Bestätigung der Richtigkeit versehene Abschrift der Ladung oder ein anderes zur Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung des Beklagten geeignetes Schriftstück;
4. im Fall eines Zahlungsbefehles oder eines Zahlungsauftrages ein zur Feststellung der ordnungsgemäßen Zustellung der Entscheidung an den Schuldner geeignetes Schriftstück.
Artikel 14
Art. 14
(1) Die Gerichte jedes der Hohen Vertragschließenden Teile haben, je nach den Vorschriften ihres innerstaatlichen Rechts, einen Antrag entweder zurückzuweisen oder die Entscheidung aufzuschieben, wenn ein gleicher, auf denselben Rechtsanspruch gestützter Antrag zwischen denselben Parteien schon vor einem Gericht des anderen Staates anhängig ist und darüber eine gemäß diesem Abkommen anzuerkennende Entscheidung gefällt werden kann.
(2) Bei Dringlichkeit können jedoch bei den Gerichten jedes der Hohen Vertragschließenden Teile vorläufige oder sichernde Maßnahmen begehrt werden, gleich welches Gericht mit der Sache selbst befaßt ist.
Artikel 15
Art. 15
(1) Jede von einem luxemburgischen Gericht gefällte Entscheidung ist in Österreich vollstreckbar, wenn sie in Luxemburg vollstreckbar ist und die Voraussetzungen für ihre Anerkennung erfüllt sind.
(2) Jede von einem österreichischen Gericht gefällte Entscheidung ist in Luxemburg für vollstreckbar zu erklären, wenn sie in Österreich vollstreckbar ist und die Voraussetzungen für ihre Anerkennung erfüllt sind. Die Vollstreckbarerklärung kann nicht mit der „opposition“ angefochten werden.
Artikel 16
Art. 16
Die Partei, welche die Vollstreckung einer in Luxemburg gefällten Entscheidung in Österreich oder die Vollstreckbarerklärung einer in Österreich gefällten Entscheidung in Luxemburg begehrt, hat außer den in Artikel 13 angeführten Urkunden die erforderlichen Unterlagen zum Nachweis dafür vorzulegen, daß die Entscheidung im Gebiet des Entscheidungsstaates vollstreckbar ist.
Artikel 17
Art. 17
(1) Die in Luxemburg errichteten und dort vollstreckbaren öffentlichen Urkunden sind in Österreich vollstreckbar. Die in Österreich errichteten und dort vollstreckbaren Urkunden werden in Luxemburg für vollstreckbar erklärt; die Vollstreckbarerklärung kann nicht mit der „opposition“ angefochten werden.
(2) In jedem der beiden Staaten hat sich das Gericht auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urkunde die erforderlichen Voraussetzungen für ihre Echtheit erfüllt und ob die Vollstreckung nicht der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates widerspricht.
(3) Die Bestimmungen dieses Artikels sind auch auf die vor Gerichten in Zivil- oder Handelssachen geschlossenen vollstreckbaren Vergleiche und auf die vor österreichischen Behörden als Trägern der Amtsvormundschaft geschlossenen vollstreckbaren Vergleiche in Unterhaltssachen anzuwenden.
Artikel 18
Art. 18
(1) Die gemäß diesem Abkommen vorzulegenden Urkunden sind von Beglaubigungen befreit.
(2) Die in Luxemburg vorzulegenden Urkunden müssen in französischer oder in deutscher Sprache abgefaßt oder mit einer Übersetzung in eine dieser Sprachen versehen sein. Die in Österreich vorzulegenden Urkunden müssen in deutscher Sprache abgefaßt oder mit einer Übersetzung in diese Sprache versehen sein. Die Richtigkeit der Übersetzung muß von einer hiezu in einem der beiden Staaten befugten Person bestätigt sein.
Artikel 19
Art. 19
(1) Das vorliegende Abkommen berührt nicht die Bestimmungen anderer Abkommen oder Vereinbarungen, denen die beiden Staaten angehören und die die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen oder öffentlichen Urkunden regeln.
(2) Das vorliegende Abkommen ist nur auf die nach dem Tage seines Inkrafttretens gefällten gerichtlichen Entscheidungen anzuwenden. Es ist auf öffentliche Urkunden anzuwenden, selbst wenn sie vor diesem Tage errichtet worden sind.
Artikel 20
Art. 20
(1) Dieses Abkommen ist zu ratifizieren und die Ratifikationsurkunden sind in Wien auszutauschen.
(2) Es wird am sechzigsten Tage nach dem Tag, an dem der Austausch der Ratifikationsurkunden stattfinden wird, in Kraft treten.
Artikel 21
Art. 21
Jeder der Hohen Vertragschließenden Teile kann dieses Abkommen durch an den anderen Hohen Vertragschließenden Teil gerichtete schriftliche Notifikation kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate nach dem Tag dieser Notifikation wirksam werden.
Artikel 22
Art. 22
Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Auslegung oder der Anwendung dieses Abkommens, die zwischen den Hohen Vertragschließenden Teilen entstehen könnten, sind auf diplomatischem Wege zu bereinigen.
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen mit ihrer Unterschrift versehen.
Geschehen zu Luxemburg, am 29. Juli 1971, in zwei Urschriften in deutscher und französischer Sprache, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind.