JudikaturVwGH

Ra 2025/20/0015 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Februar 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in den Rechtssachen der Revisionen 1. des S A, 2. der C A, 3. der Ö A, 4. der A A, 5. des M A, 6. der B A, und 7. des M A, alle vertreten durch Mag. Wissam Barbar, Rechtsanwalt in 1110 Wien, Simmeringer Hauptstraße 24/210b, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 27. November 2024, 1. L529 2273731 1/55E, 2. L529 2273722 1/27E, 3. L529 2273729 1/30E, 4. L529 2273719 1/42E, 5. L529 2273724 1/30E, 6. L529 2273720 1/16E und 7. L529 2273726 1/17E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

1 Der Erstrevisionswerberin und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der volljährigen Dritt- und Viertrevisionswerberin sowie der minderjährigen Fünft- bis Siebtrevisionswerber. Alle revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der Türkei und gehören der kurdischen Volksgruppe an.

2 Der Erstrevisionswerber stellte am 25. November 2021 nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er damit begründete, dass er aufgrund seiner HDP Mitgliedschaft Probleme mit den türkischen Behörden gehabt habe und auch sechs Monate in Haft genommen worden sei. Seine HDP Mitgliedschaft scheine auch im „e Devlet“ auf. Die Zweit- bis Siebtrevisionswerber beantragten nach ihrer unberechtigten Einreise in das Bundesgebiet am 29. August 2022 ebenfalls internationalen Schutz und gaben an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben.

3 Mit Bescheiden jeweils vom 19. Mai 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der revisionswerbenden Parteien sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I und II), erteilte ihnen jeweils keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III), erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), stellte fest, dass die Abschiebung in die Türkei jeweils zulässig sei (Spruchpunkt V), und legte jeweils eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI).

4 Mit den angefochtenen Erkenntnissen je vom 27. November 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer vier Tagsatzungen umfassenden Verhandlung die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I bis III der angefochtenen Bescheide als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Im Übrigen wurde den Beschwerden stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung von Rückkehrentscheidungen bis zum Abschluss der Bestrahlung der residuellen Tumorläsionen der Viertrevisionswerberin, jedenfalls aber bis zum 31. März 2025 vorübergehend unzulässig sei (Spruchpunkt A.II.). Weiters erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG jeweils für nicht zulässig.

5 In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht soweit hier für das Revisionsverfahren von Bedeutung davon aus, dass das Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbersaufgrund von massiven Widersprüchen und vagen Ausführungen hinsichtlich seiner HDP Mitgliedschaft und der dadurch bedingten Verfolgung durch türkische Behörden nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Viertrevisionswerberin sei lebensbedrohlich, unter anderem an der Krankheit Ewing Sarkom, erkrankt. Im Rahmen der palliativen Behandlung in Österreich erhalte die Viertrevisionswerberin eine Chemotherapie. Der letzte Zyklus sei für November 2024 geplant. Anschließend sei eine Bestrahlung der residuellen Tumorläsionen, gefolgt von oraler Chemoerhaltungstherapie, vorgesehen. Eine Behandlung der Viertrevisionswerberin in der Türkei sei möglich und unter Inanspruchnahme von Anstrengungen des näheren familiären Umfelds leistbar. Die benötigten Wirkstoffe seien dort verfügbar. Damit die Kontinuität der aktuell laufenden Behandlung der Viertrevisionswerberin gewährleistet werden könne, werde den revisionswerbenden Parteien ein ausreichender zeitlicher Rahmen zur Planung der Fortführung der Behandlung der Viertrevisionswerberin in der Türkei eingeräumt. Die Abschiebung sämtlicher revisionswerbender Parteien sei daher vorübergehend unzulässig.

6 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die sich ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt A.I. der genannten Entscheidungen, somit gegen die Abweisung der Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Spruchpunkte I bis III, wenden.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

10 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach dem Vorbringen, der Erstrevisionswerber sei im Herkunftsstaat aufgrund seiner Mitgliedschaft zur HDP diversen Verfolgungshandlungen seitens türkischer Behörden ausgesetzt, kein Glauben geschenkt wurde.

11 Der Verwaltungsgerichtshof ist nach ständiger Rechtsprechung als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 4.9.2024, Ra 2024/20/0508, mwN).

12 Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Verhandlung durchgeführt, in der sich der die Entscheidung treffende Richter einen persönlichen Eindruck von den Revisionswerbern verschaffen konnte. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich ausführlich mit dem erstatteten Fluchtvorbringen der Revisionswerber auseinander und erachtete ihre Aussagen aufgrund von in den Erkenntnissen näher dargestellten zahlreichen widersprüchlichen und gesteigerten Angaben in vertretbarer Weise als unglaubwürdig. Entgegen dem im Vorbringen in den Revisionen erhobenen Vorwurf stützte sich das Bundesverwaltungsgericht nicht nur auf den vom Erstrevisionswerber nicht vorgelegten Ausdruck aus dem „e Devlet Konto“, sondern wertete auch die Angaben zu den mit der behaupteten Mitgliedschaft im Zusammenhang stehenden Verfolgungshandlungen (wie Haft, polizeiliche Kontrollen, etc.) mit eingehender Begründung als unglaubwürdig. Den Argumenten des Bundesverwaltungsgerichtes setzen die revisionswerbenden Parteien im Zulässigkeitsvorbringen jedoch nichts entgegen. Mit dem pauschalen und ohne auf die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes eingehenden Vorbringen zeigen die Revisionen somit keinen vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel auf.

13 Das Vorbringen und die dazu erstmals in den Revisionen erfolgte Vorlage eines (nicht übersetzten) Dokuments in türkischer Sprache, wonach es sich behaupteter Maßen um eine Ladung des türkischen Strafgerichts handeln soll, verstößt gegen das Neuerungsverbot gemäß § 41 VwGG (vgl. VwGH 10.12.2024, Ra 2024/20/0364, Rn. 12, mit Verweis auf 25.3.2024, Ra 2024/20/0090, Rn. 22, wonach das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht mit einem Vorbringen begründet werden kann, dass unter das nach § 41 VwGG im Revisionsverfahren geltende Neuerungsverbot fällt).

14 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich zudem gegen die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend die Versagung von subsidiärem Schutz, obwohl das Verwaltungsgericht die lebensbedrohliche Erkrankung der Viertrevisionswerberin festgestellt habe.

15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

16 Soweit es Erkrankungen betrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. zum Ganzen VwGH 16.5.2023, Ra 2023/20/0139, mwN).

17 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich insbesondere auf Grundlage der vorgelegten ärztlichen Unterlagen und der Länderinformationen, im Besonderen aufgrund einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29. Juli 2024 zur Behandlungsmöglichkeit der Krebserkrankung in der Türkei eingehend mit dem Gesundheitszustand der Viertrevisionswerberin befasst und detaillierte Feststellungen zu den Erkrankungen, der in Österreich erfolgten Behandlungen und der Behandlungsmöglichkeiten in der Türkei getroffen. Es kam zum Ergebnis, dass die Viertrevisionswerberin lebensbedrohlich erkrankt sei, die weitere Behandlung in der Türkei möglich sei, unter Inanspruchnahme von Anstrengungen des näheren familiären Umfeldes auch leistbar und die von ihr benötigten Wirkstoffe verfügbar seien. Damit sei eine adäquate Behandlung der Viertrevisionswerberin im Herkunftsstaat möglich. Die Abschiebung sowohl der Viertrevisionswerberin als auch sämtlicher anderer Revisionswerber in ihren Herkunftsstaat bringe somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich. Um die Kontinuität der aktuell laufenden Behandlung der Viertrevisionswerberin zu gewährleisten und die Planung der Fortführung der Behandlung in der Türkei zu ermöglichen, erklärte das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf Art. 8 EMRK die Erlassung von Rückkehrentscheidungen für vorübergehend unzulässig.

18 Dieser Beurteilung vermögen die revisionswerbenden Parteien mit ihrem lediglich pauschalen Zulässigkeitsvorbringen, laut Report des behandelnden Krankenhauses sei die Viertrevisionswerberin in Österreich zu behandeln und sie leide an einer lebensbedrohlichen Krankheit, nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen. Das Vorbringen, im Fall einer Abschiebung würde es zu einer Verringerung der Lebenserwartung der Viertrevisionswerberin kommen, stellt sich wiederum als bloß kursorische Behauptung dar.

19 In den Revisionen wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 10. Februar 2025

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