JudikaturVwGH

Ra 2025/19/0109 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des M K, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, LL.M., Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. April 2025, W603 2206852 2/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Zur Vorgeschichte wird auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 2019, Ra 2019/18/0396, verwiesen. Mit diesem Beschluss wurde die Revision gegen die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 9. August 2019 im Beschwerdeweg ergangene Abweisung des dritten Antrags des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zurückgewiesen.

2 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 20. Februar 2023 einen (vierten) Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit dem Ukrainekrieg begründete. Er habe einen Einberufungsbefehl erhalten und werde bei dessen Nichtbefolgung zwangsweise vorgeführt. Der Revisionswerber sei aus Angst um sein Leben aus Tschetschenien geflohen und wolle nun bei seinen Kindern in Österreich leben.

3 Mit Bescheid vom 13. Jänner 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das BVwG soweit gegenständlich von Relevanz im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft darlegen können. Insbesondere drohe ihm nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Einberufung durch die Streitkräfte der Russischen Föderation oder eine Zwangsrekrutierung durch diese. Zudem weise der Revisionswerber nicht eine derartig außergewöhnliche Integration auf, dass seine privaten Interessen an einem Aufenthalt die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe gegen das Amtswegigkeitsprinzip verstoßen, weil es aufgrund der menschenrechtlich bedenklichen Situation in der Russischen Föderation keine aktuelleren Länderberichte eingeholt habe. Zudem habe das BVwG keine näher genannten eigenen Ermittlungsschritte gesetzt.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2021/19/0163, mwN).

12 Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 26.2.2025, Ra 2023/19/0006, mwN).

13 Mit dem bloßen Vorbringen, das BVwG sei seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, indem es aufgrund der „menschenrechtlich bedenklichen Situation in der Russischen Föderation“ keine aktuellen Länderberichte eingeholt und es darüber hinaus keine „eigenen Ermittlungsschritte“ gesetzt habe, gelingt es der Revision nicht, eine grob fehlerhafte Beurteilung durch das BVwG aufzuzeigen.

14 Soweit die Revision des Weiteren vorbringt, das BVwG habe sich im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Verfolgungsgefahr unter diversen Gesichtspunkten einer „Scheinbegründung“ bedient, richtet sie sich der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des BVwG.

15 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 13.5.2024, Ra 2024/19/0074, mwN).

16 Das BVwG stützte seine Beurteilung, dass dem Revisionswerber keine Verfolgung iSd GFK drohe, auf die nicht glaubhaften und gesteigerten Angaben des Revisionswerbers bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und bezog die getroffenen Länderfeststellungen in seine Würdigung mit ein. Die Revision zeigt mit ihren allgemein gehaltenen Ausführungen zur Plausibilität der Aussagen des Revisionswerbers nicht auf, dass die Beweiswürdigung des BVwG einen vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel aufweist.

17 Soweit erstmals eine Verfolgung aufgrund einer festgestellten strafrechtlichen Verfolgung des Vaters des Revisionswebers in der Russischen Föderation wegen seiner Wehrdienstverweigerung geltend gemacht wird, entfernt sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt. Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG kann nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das wie hier unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. VwGH 12.9.2023, Ra 2023/19/0236, mwN).

18 Schließlich richtet sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA VG. Sie bringt vor, das BVwG habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Revisionswerber mehrere Kinder in Österreich habe und aufgrund seiner Aufenthaltsdauer sehr gut integriert sei. Darüber hinaus sei seine Zukunftsprognose aufgrund eines dem Revisionswerber in Aussicht gestellten Anstellungsverhältnisses als absolut positiv zu bewerten.

19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein relevanter Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 18.9.2024, Ra 2024/19/0393, mwN).

20 Die Revision zeigt mit ihrem pauschalen Vorbringen nicht auf, dass die Interessenabwägung des BVwG unvertretbar wäre. Die geltend gemachten Aspekte wurden vom BVwG ohnedies berücksichtigt.

21 Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die vorliegende außerordentliche Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen mehrfach ein Abweichen von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs behauptet, ohne dies jedoch mit konkreter Judikatur samt Belegzitaten zu untermauern (vgl. zu den diesbezüglichen Voraussetzungen etwa VwGH 29.11.2023, Ra 2023/14/0337, mwN). Auch deshalb erweist sich die Revision als unzulässig.

22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 4. Juli 2025

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