Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des G S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert Sattler Gasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juni 2024, I415 2174688 3/3E, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung bzw. Verkürzung eines Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein tunesischer Staatsangehöriger, stellte am 13. Jänner 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 12. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte (von Amts wegen) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 und erließ gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ferner stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Tunesien fest, erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab und erließ gegen den Revisionswerber wegen dessen Straffälligkeit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem am 24. Juli 2018 mündlich verkündeten und mit 10. August 2018 gekürzt ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab, wobei es die Dauer des Einreiseverbots auf zehn Jahre erhöhte.
3 Am 5. Mai 2019 wurde der Revisionswerber nach Tunesien abgeschoben.
4 Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2023 beantragte der Revisionswerber die „Aufhebung“ des Einreiseverbotes im Wesentlichen mit der Begründung, im September 2021 in Tunesien eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und mit ihr eine im März 2021 (nach der Aktenlage: im September 2019) geborene gemeinsame Tochter zu haben. Die anhaltende Trennung von seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen gefährde insbesondere das Kindeswohl. Da seine Ehefrau Eigentümerin eines Hauses sei und aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit auch über ein regelmäßiges Einkommen verfüge, würde der Aufenthalt des Revisionswerbers zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Die Aufrechterhaltung des Einreiseverbotes sei daher im Hinblick auf Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.
5 Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 14. Dezember 2023 in erster Linie mit der Begründung ab, dass für eine Verkürzung des Einreiseverbotes gemäß § 60 Abs. 2 FPG die diesbezüglichen Voraussetzungen nicht vorlägen, weil der Revisionswerber bislang nicht mehr als die Hälfte der Dauer des Einreiseverbotes im Ausland verbracht habe.
6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. Juni 2024 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag des Revisionswerbers vom 23. Oktober 2023 auf „Aufhebung“ des Einreiseverbotes gemäß § 60 Abs. 2 FPG zurückgewiesen werde. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 In seiner Begründung verwies das BVwG soweit hier relevant darauf, dass der Revisionswerber der Aktenlage zufolge aufgrund seines Verhaltens und seiner Äußerungen als „flugunwillig“ gegolten und damals angegeben habe, dass er „auf keinen Fall freiwillig“ nach Tunesien fliegen werde. Die Voraussetzung für eine (im gegenständlichen Fall allein in Betracht kommende) Verkürzung des Einreiseverbotes gemäß § 60 Abs. 2 FPG, nämlich die fristgerechte und damit freiwillige Ausreise des Drittstaatsangehörigen, liege schon deshalb nicht vor, weil der Revisionswerber seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben und seine Außerlandesbringung (nur) im Wege einer „begleiteten Problemabschiebung“ erfolgt sei. Da es sohin „schon formell an den Voraussetzungen für eine inhaltliche Prüfung“ des Antrags fehle, sei er spruchgemäß zurückzuweisen und nicht wie vom BFA vorgenommen abzuweisen gewesen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Außerdem sei der Antrag des Revisionswerbers zurückzuweisen gewesen, sodass eine mündliche Verhandlung auch gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG habe unterbleiben können.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende nach Ablehnung der Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 17.9.2024, E 2855/2024 5) fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11 In dieser Hinsicht macht die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung unter Hinweis auf das Erkenntnis VwGH 25.9.2024, Ra 2022/17/0094, eine Verletzung der Verhandlungspflicht und das Unterbleiben einer Einvernahme der Ehefrau des Revisionswerbers geltend. Von ihrer Befragung habe das BVwG ohne jegliche Begründung abgesehen, obwohl ihre Aussage insbesondere zum Beweis für das „tatsächliche Familienleben“ sowie dazu gedient hätte, dass vom Revisionswerber keine Gefahr mehr ausgehe und er finanziell abgesichert sei.
12 Dieses Vorbringen geht jedoch deshalb ins Leere, weil das BVwG eine (entgegen dessen Auffassung: materielle) Voraussetzung für die Verkürzung eines nach § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 FPG erlassenen Einreiseverbotes, nämlich die fristgerechte Ausreise des Revisionswerbers aus dem Bundesgebiet, als nicht erfüllt angesehen hat. Bereits dieser Umstand stand nach dem klaren Wortlaut des § 60 Abs. 2 FPG der Verkürzung des im vorliegenden Fall auf § 53 Abs. 3 Z 2 FPG gestützten Einreiseverbotes entgegen (vgl. zu einer Konstellation, in der wie hier keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt wurde und daher eine entgegen der Verpflichtung zur unverzüglichen Ausreise gemäß § 52 Abs. 8 erster Satz FPG verspätet oder gar nicht erfolgte Ausreise nicht als „fristgerecht“ iSd § 60 Abs. 2 FPG anzusehen ist, des Näheren VwGH 25.10.2023, Ra 2023/21/0121, Rn. 16 iVm Rn. 11/12, mwN). Durch die vom BVwG vorgenommene Zurückweisung des gegenständlichen Antrags richtig wäre eine vom BFA ohnehin ausgesprochene Antragsabweisung gewesen ist der Revisionswerber aber für sich genommen nicht in Rechten verletzt (vgl. dazu etwa VwGH 18.1.2024, Ra 2022/21/0173, Rn. 15, mwN).
13 Der Annahme des BVwG, dass der Revisionswerber trotz der bestehenden Ausreiseverpflichtung im Bundesgebiet geblieben und nicht freiwillig ausgereist sei, tritt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht entgegen. Eine diesbezügliche Fehlbeurteilung durch das BVwG ist aber auch nicht ersichtlich. Angesichts dessen ist überdies nicht zu erkennen, dass das (auch) auf § 21 Abs. 7 BFA VG gestützte Unterbleiben der in der Beschwerde beantragten Verhandlung rechtswidrig gewesen wäre. Der Hinweis in der Revision auf das Erkenntnis VwGH 25.9.2024, Ra 2022/17/0094, schlägt schon deshalb fehl, weil in der dort beurteilten Konstellation das Vorbringen in Bezug auf das Kindeswohl und das Familienleben bei der gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 vorgenommenen Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels anders als gegenständlich entscheidungswesentlich war.
14 Im Übrigen ist hinsichtlich der Revisionsausführungen unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK auf die auch schon vom BVwG erwähnte Möglichkeit eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 hinzuweisen, der im Übrigen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im gegebenen Zusammenhang auch im Ausland gestellt werden kann (siehe dazu etwa VwGH 22.2.2024, Ra 2022/21/0154, Rn. 13, mwN).
15 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 27. Februar 2025