JudikaturVwGH

Ra 2024/21/0019 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Schartner, Bakk., als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2023, W291 2268960 1/15E, betreffend Unterbindung eines Rechtsvertreterbesuchs während der Verwaltungsverwahrungshaft (mitbeteiligte Partei: M M, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Bruno Marek Allee 5/8), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

1 Der 1986 geborene Mitbeteiligte, ein iranischer Staatsangehöriger, hatte einen erfolglos gebliebenen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und wurde am 7. Februar 2023 um 20:45 Uhr aufgrund eines auf § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG gestützten Festnahmeauftrages gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA VG zum Zwecke der Abschiebung festgenommen. Anschließend wurde er in das Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel (im Folgenden: PAZ) gebracht.

2 Am Tag darauf stellte der Revisionswerber (nach dem Akteninhalt:) um 16:00 Uhr einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Über Kontaktaufnahme durch seine Lebensgefährtin und die BBU GmbH begab sich eine Rechtsberaterin der Unabhängigen Beratung Diakonie Flüchtlingsdienst (Frau Z.) am selben Tag in das PAZ. In der Folge wohnte sie von 17:45 Uhr bis 18:45 Uhr der wegen des Folgeantrags durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Mitbeteiligten am 8. Februar 2023 bei. Gemäß dem Protokoll zur Erstbefragung gab der Mitbeteiligte auf entsprechende Nachfrage an, dass die anwesende Rechtsberaterin sein „rechtsfreundlicher Vertreter“ sei.

3 Das im Anschluss an die Erstbefragung geäußerte Ersuchen der Rechtsberaterin um ein Rechtsberatungsgespräch mit dem Mitbeteiligten wurde vom diensthabenden Beamten im PAZ unter Verweis auf „generelle Besuchszeiten“ abgelehnt. Ein Besuch außerhalb der Besuchszeiten sei nur Rechtsanwälten, die sich auf eine Vollmacht berufen könnten, und anderen Personen, soweit sie eine Vollmacht vorwiesen, gestattet. Sonst sei ein Besuch nur innerhalb der Besuchszeiten erlaubt. Da die Abschiebung des Mitbeteiligten für den darauf folgenden Tag um die Mittagszeit geplant sei, bestehe so der diensthabende Beamte gegenüber der Rechtsberaterin noch am Vormittag die Möglichkeit für ein Beratungsgespräch. Aufgrund der Aggressivität einer gerade in das PAZ gebrachten Person wurde dann das Gespräch mit der Rechtsberaterin im Hinblick auf die Haussicherheit beendet. Noch am selben Abend um 21:35 Uhr wurde der Mitbeteiligte wegen „Wegfalls des Anhaltegrundes“ aus der Verwaltungsverwahrungshaft entlassen. Das Verfahren über den Folgeantrag des Mitbeteiligten wurde in der Folge von der zuständigen Behörde zugelassen.

4Einer vom Mitbeteiligten mit Schriftsatz vom 21. März 2023 erhobenen Maßnahmenbeschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Dezember 2023 statt, erklärte „die Verwehrung der Inanspruchnahme bzw. des Empfanges des Besuchs des Rechtsbeistandes“ des Mitbeteiligten im PAZ am 8. Februar 2023 für rechtswidrig, verpflichtete den Bund zum Aufwandersatz an den Mitbeteiligten und wies den Antrag der belangten Behörde (Landespolizeidirektion Wien) auf Kostenersatz ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5In seiner Begründung ging das BVwG davon aus, dass der Mitbeteiligte im Zuge der Erstbefragung der Rechtsberaterin Frau Z. mündlich Vollmacht erteilt habe und dies im Protokoll aktenkundig gemacht worden sei. Die Rechtsberaterin sei daher (bevollmächtigte) Rechtsvertreterin des Mitbeteiligten iSd § 10 AVG gewesen. Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung am nächsten Tag zur Mittagszeit habe Dringlichkeit in Bezug auf das Rechtsberatungsgespräch zur Erwägung weiterer rechtlicher Schritte, insbesondere der Erhebung eines Rechtsmittels, bestanden. Außergewöhnliche Umstände, wie die Aggressivität eines anderen Häftlings im PAZ, könnten zwar eine gewisse Verzögerung der Inanspruchnahme eines Rechtsberatungsgesprächs rechtfertigen, nicht aber dessen völlige Verweigerung, insbesondere nicht vor dem Hintergrund der Dringlichkeit des Gesprächs. Demnach hätte der Mitbeteiligte den Besuch der mündlich bevollmächtigten Rechtsberaterin auch außerhalb der Amtsstunden empfangen dürfen. Die Unterbindung des Empfangs des Besuches seines Rechtsbeistandes in den Räumlichkeiten des PAZ am 8. Februar 2023 sei somit für rechtswidrig zu erklären gewesen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Landespolizeidirektion Wien, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig erweist (vgl. dazu Rn. 13/14); sie ist jedoch nicht berechtigt.

7Zur Zulässigkeit behauptet die Amtsrevision nur deshalb ein Abweichen des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weil die Bevollmächtigung der Rechtsberaterin durch den Mitbeteiligten bei dessen Erstbefragung im Rahmen des Asylverfahrens erfolgt sei und daher nicht für das fremdenrechtliche Verfahren gelte, in dem ein zur Anhaltung im PAZ führender Festnahmeauftrag ergangen und dessen Gegenstand die „Veranlassung der Anhaltung“ und der Vollzug „einer solchen Maßnahme“ sei. Die Rechtsberaterin habe nach den Ausführungen in der Maßnahmenbeschwerde den Mitbeteiligten (vielmehr erst) zwecks Unterfertigung ihrer Vollmacht sprechen wollen und gegenüber dem diensthabenden Beamten des PAZ auch nicht unmissverständlich und deutlich darauf hingewiesen, dass die in der Niederschrift erteilte Vollmacht im Asylverfahren auch für das weitere Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung, wozu das Rechtsberatungsgespräch geführt werden sollte, gelte. Der erwähnte Beamte habe daher davon ausgehen müssen, dass in diesem Verfahren keine Bevollmächtigung der Rechtsberaterin vorlag. Daraus hätte das BVwG folgern müssen, dass Frau Z. nicht als Rechtsvertreterin iSd § 21 Abs. 3 Z 1 AnhO, sondern lediglich als Besucherin zu werten gewesen und sie deshalb zu Recht auf die allgemeinen Besuchszeiten verwiesen worden sei.

8 Die hier maßgebliche Bestimmung des § 21 Abs. 3 der Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Anhaltung von Menschen durch die Sicherheitsbehörden und Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (AnhalteordnungAnhO), BGBl. II Nr. 128/1999 idF BGBl. II Nr. 439/2005, lautet auszugsweise folgendermaßen:

„Besuche

§ 21.

(3) Besuche

1. von Rechtsvertretern, ... oder

2. ...

dürfen jederzeit im erforderlichen Ausmaß empfangen werden; nach Möglichkeit sind sie während der Amtsstunden abzuwickeln.“

9Der Amtsrevision liegt die Prämisse zugrunde, der Angehaltene müsse den Rechtsvertreter, dessen Besuch er iSd § 21 Abs. 3 AnhO grundsätzlich „jederzeit im erforderlichen Ausmaß“ empfangen dürfe, bereits davor zur Vertretung in einem bestimmten Verfahren hier: betreffend Festnahme, Anhaltung und Abschiebung bevollmächtigt haben. Das trifft nicht zu:

10Richtig ist zwar, dass § 10 Abs. 1 AVG unter der Überschrift „Vertreter“ bei einer Vertretung (unter anderem) durch eine natürliche Person grundsätzlich verlangt, dass sich Bevollmächtigte durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben, wobei jedoch vor der Behörde eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden kann und es bei berufsmäßigen Parteienvertretern genügt, dass sie sich auf die erteilte Vollmacht berufen. Entgegen der Meinung des BVwG im angefochtenen Erkenntnis und der Landespolizeidirektion Wien in der Amtsrevision ist der Begriff „Rechtsvertreter“ in § 21 Abs. 3 Z 1 AnhO nicht in diesem eingeschränkten Sinn zu verstehen, sondern ist teleologisch so auszulegen, dass er auch (potenzielle) Rechtsvertreter des Angehaltenen erfasst, denen noch keine Vollmacht erteilt wurde. Nur ein solches Verständnis wird dem Zweck der Vorschrift gerecht (zum umfassenden Verständnis des Begriffs „Rechtsvertreter“ vgl. auch Andre/Vogl , Anhalteordnung [2007] § 20 Anm. 3).

11 Art. 6 PersFrG gewährt nämlich für alle in Betracht kommenden Fälle des Freiheitsentzuges, somit auch für den hier vorliegenden, einen verfassungsgesetzlichen Anspruch auf Prüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme. Entscheidend ist dabei, dass dem Betroffenen ein wirksames und tatsächlich zugängliches Recht auf Überprüfung zukommt. Damit in Zusammenhang steht Art. 4 Abs. 7 PersFrG, der jedem Festgenommenen das Recht einräumt, dass auf sein Verlangen ohne unnötigen Aufschub und nach seiner Wahl (unter anderem) ein Rechtsbeistand von der Festnahme verständigt wird. Zweck dieser Regelung ist offenkundig, dass der Festgenommene die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges mittels Inanspruchnahme eines Rechtsbeistandes überprüfen lassen kann, wobei die Verständigung in erster Linie der Aufnahme bzw. Aufrechterhaltung der Kommunikation zwischen dem Angehaltenen und seinem Rechtsvertreter dient. Dieses in Art. 6 iVm Art. 4 Abs. 7 PersFrG verankerte Recht setzt die Möglichkeit zur wirkungsvollen Inanspruchnahme eines Rechtsbeistandes voraus. Damit notwendig verbunden sind die Gewährleistung der ungehinderten Kommunikation des Inhaftierten mit seinem Rechtsbeistand sowie die Sicherstellung der Vertraulichkeit dieser Kommunikation (so schon VfGH 13.3.2008, B 1065/07, VfSlg. 18.418, Punkt III.1. der Entscheidungsgründe).

12Der verfassungsrechtlich zustehenden wirkungsvollen Inanspruchnahme eines Rechtsbeistandes dient auch § 21 Abs. 3 AnhO, der grundsätzlich den „jederzeitigen“ Empfang des Rechtvertreters „im erforderlichen Ausmaß“ ermöglicht, und zwar nach der erwähnten Zielsetzung auch zur Aufnahme der Kommunikation des Angehaltenen mit seinem Rechtsvertreter. Dieses (vertrauliche) Gespräch wird in der Regel erst der Abklärung dienen, ob und welche Schritte vom Rechtsbeistand unternommen werden sollen und ob er dazu vom Angehaltenen bevollmächtigt wird. Das Verlangen nach dem Vorliegen einer Bevollmächtigung vor der Führung dieses Gesprächs läuft dem dargestellten Zweck zuwider und ist überdies praxisfern, weil eine Festnahme in der Regel überraschend erfolgt und eine davor (auch) für dieses Verfahren vorgenommene Erteilung einer Vertretungsvollmacht die seltene Ausnahme bilden wird.

13Auf die in der Amtsrevision vertretene Meinung, dass sich die vom Mitbeteiligten im Verfahren über den Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz mündlich erteilte Vollmacht für die Rechtsberaterin mangels ausreichenden Verfahrenszusammenhangs (siehe zur diesbezüglichen Rechtsprechung etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2018/21/0188, Rn. 13) nicht auch auf das fremdenpolizeiliche Verfahren erstreckt, kommt es demnach nicht an. Die hier maßgebliche Vorfrage, ob ein Rechtsvertreter für den Besuch des Angehaltenen überhaupt einer bereits zuvor erteilten Vollmacht bedarf, erforderte jedoch klarstellende Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs.

14Die Amtsrevision war daher nicht gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen, sondern gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2024