Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des E Ö, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Dezember 2023, L524 2272336 1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 18. August 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, dass er wegen seines Konfessionswechsels zum Christentum Probleme mit seiner Familie gehabt habe, insbesondere sei er von seiner Familie geschlagen und verbal attackiert sowie mit dem Tode bedroht worden. Auch sei er von Familien türkischer Freunde öffentlich beschimpft und geschlagen worden, da diese geglaubt haben, er habe „die Söhne bekehrt“.
2 Mit Bescheid vom 30. März 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
5 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das BVwG habe entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht trotz Antrages keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Der Revisionswerber habe in der Beschwerde auf sein Vorbringen während der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA bezüglich missionarischer Tätigkeiten verwiesen, welches das BFA nicht festgestellt habe; das BVwG habe sich mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt.
6 Die Revision ist aus diesem Grund zulässig und auch berechtigt.
7 Das BVwG begründete das Absehen von der Durchführung einer Verhandlung damit, dass das BFA ein umfassendes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Der erhobene Sachverhalt sei im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG aktuell gewesen. Weiters sei in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt behauptet worden. Der Revisionswerber habe sein Vorbringen im Wesentlichen bloß wiederholt.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet worden sein, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 13.12.2022, Ra 2021/19/0431, mwN).
9 Diese Voraussetzungen lagen fallbezogen schon deshalb nicht vor, weil der Revisionswerber in der Beschwerde darauf hingewiesen hat, in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA Aussagen über seine missionarischen Tätigkeiten getätigt zu haben. Das BFA traf diesbezüglich jedoch wie vom Revisionswerber geltend gemacht keine Feststellungen oder beurteilte, ob der Revisionswerber deswegen in der Türkei von einer asylrelevanten Verfolgung betroffen sei. Das BVwG das selbst ausführt, dass Missionieren in der Türkei als risikoreich angesehen werde, hat sich insbesondere nicht mit diesen Aussagen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und führt dazu lediglich aus, dass der Revisionswerber zu einer missionarischen Tätigkeit kein substantiiertes Vorbringen erstattet habe.
10 Demnach lagen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des (wie hier gegeben) Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 29.6.2023, Ra 2023/19/0027, mwN).
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
12 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 8. August 2024