JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0401 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
02. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter und die Hofrätinnen Dr. in Gröger sowie Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der P T in P, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg Pirka, Haushamer Straße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Februar 2024, W212 2283533 1/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, stellte am 7. Juli 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

2 Eine „VIS-Abfrage“ ergab, dass die Revisionswerberin im Besitz eines italienischen Schengen-Visums sei. Dieses wurde am 7. Juni 2023 mit einer Gültigkeit vom 28. Juni 2023 bis zum 18. Juli 2023 ausgestellt.

3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete daraufhin am 21. Juli 2023 ein auf Art. 12 Abs. 2 oder 3 Dublin III Verordnung (Dublin III VO) gestütztes Aufnahmegesuch an Italien. Die zuständige italienische Behörde stimmte nach einem Remonstrationsschreiben des BFA vom 27. September 2023 mit Schreiben vom 28. September 2023 der Aufnahme der Revisionswerberin auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 2 Dublin III VO ausdrücklich zu.

4 Mit Bescheid vom 11. Dezember 2023 wies das BFA den Antrag der Revisionswerberin gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurück, stellte die Zuständigkeit Italiens gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO fest, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung der Revisionswerberin an und stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

6 Begründend führte das BVwG aus, die Verpflichtung Italiens zur Wiederaufnahme der Revisionswerberin basiere auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III VO, da die Revisionswerberin im Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich im Besitz eines gültigen italienischen Visums gewesen sei. Italien habe einer Aufnahme der Revisionswerberin ausdrücklich gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III VO zugestimmt. Es könne auch nicht erkannt werden, dass die Überstellung der Revisionswerberin nach Italien eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK darstelle. Zudem lägen keine konkreten, in der Person der Revisionswerberin gelegenen Gründe für die Annahme fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Italien vor. Ebenso wenig verstoße die Außerlandesbringung der Revisionswerberin gegen ihre durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte.

7 Dagegen erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 10. Juni 2024, E 1268/2024 5, ablehnte und diese an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

8 In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht, die zu ihrer Zulässigkeit geltend macht, das BVwG habe keine amtswegige Überprüfung der Identität der Revisionswerberin vorgenommen, weshalb ein Verfahrensmangel vorliege. Das gegenständliche Visum betreffe nämlich einen „anderen schlepperunterstützten Flüchtling“ und habe „der Schlepper offensichtlich die Fotos vertauscht“. Des Weiteren führe das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung - unter Hinweis auf (näher angeführte) Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - u.a. zu einer mit Willkür behafteten Entscheidung. Es seien die Rechte der Revisionswerberin auf Parteiengehör und Akteneinsicht verletzt worden. Es sei weder eine Prüfung gemäß Art. 8 EMRK hinsichtlich des Eingriffes in das Privatleben der Revisionswerberin erfolgt, noch sei aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung durch das BVwG schlüssig argumentiert worden, warum gegenständlich die Zuständigkeit Italiens vorliege, gebe es doch keinen „gesicherten Hinweis“ dafür, dass sich die Revisionswerberin jemals in Italien aufgehalten habe. Schließlich sei zu beachten, dass die Revisionswerberin Diabetikerin sei und auf für sie abgestimmte Medikamente angewiesen sei.

9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 Dem Vorwurf, das BVwG habe keine amtswegige Überprüfung der Identität der Revisionswerberin vorgenommen, ist zu entgegnen, dass die Feststellungen zu deren Identität auf den Angaben der Revisionswerberin im Verfahren beruhen. Aus welchen Gründen daran nunmehr zu zweifeln sei und welche Ermittlungen des BVwG dazu konkret erforderlich gewesen wären, legt die Revision nicht dar, zumal die in der Revision hervorgehobenen „tatsächlichen“ Identitätsdaten (Vorname, Nachname, Geburtsdatum und Herkunftsland der Revisionswerberin) jenen entsprechen, die im Schreiben der italienischen Behörde vom 28. September 2023, mit dem der Aufnahme der Revisionswerberin auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 2 Dublin III VO ausdrücklich zugestimmt wurde, angeführt werden. Die Revision zeigt daher mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf.

14 Wenn die Revision eine Verletzung der Verhandlungspflicht ins Treffen führt, übersieht sie, dass die Verhandlungspflicht im wie hier Zulassungsverfahren besonderen Verfahrensvorschriften, nämlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA VG, folgt. Dass das BVwG von den in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren abgewichen wäre, zeigt die Revision nicht auf (vgl. dazu grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072).

15 Zudem ist - zur behaupteten Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte - darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der zuvor erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin abgelehnt hat. Die Zulässigkeit der Revision kann damit nicht begründet werden (vgl. z.B. VwGH 21.10.2022, Ra 2022/18/0260, mwN).

16 Was die Geltendmachung von Verfahrensmängeln konkret bemängelt die Revision, die Rechte der Revisionswerberin auf Parteiengehör und Akteneinsicht seien verletzt worden betrifft, legt die Revision die dazu im Wesentlichen den Inhalt dieser Rechte beschreibt nicht hinreichend dar, dass selbst unter der Annahme, dass diese Verfahrensmängel gegeben wären, ein anderes Verfahrensergebnis möglich gewesen wäre. Somit fehlt es aber an der zur Geltendmachung einer Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung geforderten Darlegung der Relevanz eines allfälligen Verfahrensmangels (vgl. z.B. VwGH 19.3.2024, Ra 2022/18/0228).

17 Auch zur Frage der Achtung des Privat- und Familienlebens der Revisionswerberin nach Art. 8 EMRK vermag die Revision ihre Zulässigkeit nicht darzutun, wobei vorweg darauf hinzuweisen ist, dass der in der Revision erhobene Vorwurf, das BVwG habe keine Prüfung hinsichtlich des Eingriffes in das Privatleben der Revisionswerberin gemäß Art. 8 EMRK durchgeführt, nicht zutrifft.

18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 3.7.2023, Ra 2022/18/0207, mwN).

19 Im konkreten Fall ging das BVwG von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung gegenüber den privaten Interessen der Revisionswerberin am Verbleib in Österreich aus und stützte seine Beurteilung im Wesentlichen darauf, dass die Revisionswerberin in Österreich keine verwandtschaftlichen, beruflichen oder sozialen Anknüpfungspunkte habe und sich „erst seit sieben Monaten“ im Bundesgebiet aufhalte. Auf dem Boden der Revision, die diese Aspekte nicht bestreitet, ist nicht ersichtlich, dass die verwaltungsgerichtliche Interessenabwägung in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre.

20 Soweit die Revision des Weiteren die Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich der Zuständigkeit Italiens sowie zur Lage von Asylwerbern in Italien bemängelt, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 29.2.2024, Ra 2023/18/0298, mwN).

21 Das BVwG legte zunächst in vertretbarer Weise dar, eine „VIS-Abfrage“ habe ergeben, dass die Revisionswerberin - im Zeitpunkt der Stellung ihres Antrages auf internationalen Schutz über ein gültiges italienisches Visum verfügt habe und Italien der Aufnahme der Revisionswerberin auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 2 Dublin III VO ausdrücklich zugestimmt habe. Schon deswegen da es für die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz nach dieser Bestimmung nicht auf den Aufenthaltsort einer Person, sondern darauf ankommt, welcher Mitgliedstaat das Visum erteilt hat - geht der Einwand der Revision, es gebe keinen „gesicherten Hinweis“ dafür, dass sich die Revisionswerberin jemals in Italien aufgehalten habe, ins Leere.

22 Ebenso setzte das BVwG sich mit dem Vorbringen, es sei keine schlüssige Zuordnung der im Visum aufscheinenden Person erfolgt, auseinander, und entgegnete diesem in nicht zu beanstandender Weise, dass das Visum zwar unter einer „Aliasidentität“ ausgestellt worden sei, dieses der Revisionswerberin aber aufgrund ihrer Fingerabdrücke und ihres Fotos eindeutig zuordenbar sei.

23 Das BVwG nahm weiters auf die Kritik am italienischen Asylwesen Bezug und kam dabei zum Ergebnis, dass sich aus dem Vorbringen weder eine der Revisionswerberin in Italien drohende systemische, noch eine individuelle Gefahr ergebe, welche für die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK sprechen würde. Deshalb komme die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 zur Anwendung, wonach ein Asylwerber im zuständigen Mitgliedstaat Schutz vor Verfolgung finde. Dass insoweit eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen wurde, zeigt die Revision nicht auf.

24 Zur medizinischen Versorgung in Italien legte das BVwG seiner Beurteilung zugrunde, dass die Revisionswerberin angegeben habe, Diabetikerin zu sein, aber keine medizinischen Unterlagen dazu vorgelegt und in dieser Hinsicht kein Vorbringen erstattet habe, das geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren. Es bezog sich dabei (u.a.) auf unstrittige Länderfeststellungen, wonach Asylsuchende in Italien „jedenfalls Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung“ hätten. Weshalb die Revision trotzdem davon ausgeht, dass die Revisionswerberin bei einer Überstellung nach Italien wegen ihrer Erkrankung in eine „besonders gefährliche“ Lage käme, legt sie nicht nachvollziehbar dar.

25 In der Revision werden aus alledem keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2024

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