JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0233 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des A M, vertreten durch Mag. Jakob Mahringer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 22/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2023, L508 2270004 1/11E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein jordanischer Staatsangehöriger palästinensischer Herkunft, stellte am 3. November 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Verlauf des Verfahrens im Wesentlichen damit begründete, er befürchte in seinem Herkunftsstaat Verfolgung, da er sich vor seiner Ausreise gemeinsam mit mehreren Personen im Rahmen einer Kampagne in den sozialen Medien dafür eingesetzt habe, einem kranken palästinensischen Studenten eine adäquate medizinische Behandlung zu ermöglichen, die staatlicherseits verweigert worden sei.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 7. März 2023 zur Gänze bezüglich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten unter Hinweis auf § 6 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) iVm Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit der Maßgabe, dass die Abschiebung des Revisionswerbers „nach Jordanien“ zulässig sei, als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten zusammengefasst aus, der Revisionswerber sei (wie seine Familienangehörigen) beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East UNRWA) in Jordanien registriert und habe vor seiner Flucht Leistungen von UNRWA bezogen. Diese Organisation sei nach wie vor in Jordanien tätig und dieser Schutz sei nicht weggefallen. Ebenso wenig seien unmittelbare Auswirkungen des Israel/Gaza Krieges auf die Einrichtungen von UNRWA in Jordanien evident. Daraus sei abzuleiten, dass dem Revisionswerber im Fall einer Rückkehr in die Herkunftsregion (neuerlich) bei Bedarf der Beistand dieser Organisation zukomme. Damit stehe fest, dass der Revisionswerber grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 1 Abschnitt D GFK bzw. des Art. 12 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) falle. Der Revisionswerber sei daher im Sinne der (näher zitierten) Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen. Es könne unter Beachtung der Länderberichte auch weder festgestellt werden, dass dem Revisionswerber dieser Schutz aus irgendeinem Grund nicht oder nicht länger gewährt werde, noch habe das Verfahren ergeben, dass der Wegzug des Revisionswerbers durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt gewesen sei, weshalb die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes „ipso facto“ nicht zum Tragen komme.

5 Zur Nichtgewährung des subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr nach Jordanien eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK drohe. Der Revisionswerber könne in Jordanien auch seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse befriedigen, ohne in eine existenzbedrohende oder lebensgefährliche Situation zu geraten.

6 Eine Gesamtschau der individuellen Umstände ergebe schließlich, dass die privaten Interessen des im Entscheidungszeitpunkt des BVwG rund zwei Jahre in Österreich aufhältigen Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung nicht überwiegen würden.

7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 12. März 2024, E 363/2024 5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

8 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht, die nicht zulässig ist.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Die Revision rügt in ihrer Zulässigkeitsbegründung, das BVwG habe es unterlassen, Ermittlungen zu den konkreten Straftatbeständen durchzuführen, die der Revisionswerber laut den Länderberichten aufgrund seiner regierungskritischen Äußerungen erfüllt habe. Darin liege auch ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot. Ferner habe das BVwG es verabsäumt, sich einen vom Revisionswerber in der Verhandlung erwähnten USB Stick, auf dem sich maßgebliche Unterlagen über die Tätigkeiten des Revisionswerbers in den sozialen Medien befunden hätten, vorlegen zu lassen.

13 Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, begründet nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern stellt eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 31.10.2022, Ra 2022/18/0191, mwN). Dass dem BVwG, das den Revisionswerber im Rahmen der Verhandlung eingehend zu seinem Fluchtvorbringen befragte, bei dieser Beurteilung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen wäre und ihm unter Berücksichtigung der vorliegenden Beweisergebnisse weitere amtswegige Ermittlungen „erforderlich“ im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 erscheinen hätten müssen, vermag die Revision nicht darzutun.

14 So legte das BVwG auf der Grundlage seiner Ermittlungen in einer ausführlichen Beweiswürdigung dar, dass es dem Revisionswerber zwar gelungen sei, sein Engagement für den kranken Studenten glaubhaft zu machen (dies bestätigt die Revision auch), er seine deswegen behauptete Verfolgungsgefahr aber nicht glaubhaft habe machen können. Es stützte sich bei seiner Würdigung auf zahlreiche detailliert aufgelistete Widersprüchlichkeiten in den Angaben des Revisionswerbers selbst und führte zur mangelnden Glaubwürdigkeit der befürchteten staatlichen Verfolgung zusammengefasst aus, dass sich die weiteren an der Kampagne für den Studenten beteiligten Personen nach wie vor in Jordanien aufhalten würden, der Revisionswerber legal ausreisen habe können und auch bei der Ausstellung seines Reisedokuments keine Probleme gehabt habe.

15 Gegen diese Beurteilung, die im Übrigen nicht als unvertretbar zu erkennen ist (vgl. zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung z.B. VwGH 23.4.2024, Ra 2024/18/0134, mwN), wendet sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht. Sie lässt zum Vorwurf der Verletzung der Ermittlungspflicht bezüglich des USB Sticks auch außer Acht, dass das BVwG in der Verhandlung ohnedies eine Nachschau in näher angeführten Medien vornahm und seine Feststellungen, dass es eine Kampagne für den kranken Studenten unter Mitwirkung des Revisionswerbers gegeben habe, darauf stützte.

16 Was den behaupteten Verstoß gegen das Überraschungsverbot betrifft, ist anzumerken, dass darunter das Verbot zu verstehen ist, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt festgehalten, dass sich das zum Überraschungsverbot in Beziehung gesetzte Parteiengehör nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, nicht aber auf die von der Behörde vorzunehmende rechtliche Beurteilung erstreckt (vgl. VwGH 1.6.2022, Ra 2022/18/0075, mwN). Dass das BVwG dem Revisionswerber nicht bekannte Sachverhaltselemente in seine rechtliche Würdigung miteinbezog, behauptet die Revision nicht, weshalb schon deswegen kein Verstoß gegen das Überraschungsverbot vorliegen kann.

17 Das BVwG hat somit zusammenfassend zwar das Engagement des Revisionswerbers für die medizinische Behandlung eines kranken palästinensischen Studenten als erwiesen angesehen, nicht aber die vom Revisionswerber behaupteten darauf erfolgten Reaktionen des jordanischen Staates. Die Revision entfernt sich in ihren Überlegungen ohne nachvollziehbare Begründung von diesem Sachverhalt und vermag nicht darzutun, weshalb sie abweichend von der vertretbaren Beweiswürdigung des BVwG von einem drohenden Strafverfahren gegen den Revisionswerber auszugehen scheint, sie ebenfalls abweichend vom BVwG annimmt, UNRWA könne dem Revisionswerber keinen Schutz mehr bieten, und behauptet, dem Revisionswerber hätte wegen drohender Inhaftierung durch jordanische Sicherheitsbehörden zumindest subsidiärer Schutz gewährt werden müssen.

18 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung schließlich gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFA VG und führt ins Treffen, dass beim Revisionswerber eine außergewöhnliche Integration vorliege.

19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 3.7.2023, Ra 2022/18/0207, mwN).

20 Das BVwG hat in der angefochtenen Entscheidung eine Gesamtabwägung der für und gegen einen Verbleib des Revisionswerbers in Österreich sprechenden Umstände im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFA VG vorgenommen. Es hat dabei insbesondere auf die strafrechtliche Unbescholtenheit des Revisionswerbers, dessen in Österreich erworbenen Pflichtschulabschluss, seine alltagstauglichen Deutschkenntnisse und seine Berufstätigkeit Bedacht genommen, dem jedoch die „relativ kurze Aufenthaltsdauer“ im Bundesgebiet von „knapp 25 Monaten“, das Nichtvorliegen familiärer oder enger privater Bindungen zu Österreich und die Verbindungen zu seinem Heimatland, in dem er studiert habe, sozialisiert worden sei und zu dem er familiäre Anknüpfungspunkte habe, gegenübergestellt. Weiters wurde berücksichtigt, dass der Revisionswerber sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein habe müssen und nicht darauf vertrauen habe dürfen, in Österreich verbleiben zu können. Dass sich das BVwG bei dieser Abwägung insgesamt von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entfernt hätte, vermag die Revision, nicht aufzuzeigen.

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 18. September 2024

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