Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2024, I405 2283964 1/8E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: M E), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 9. Mai 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass er zum syrischen Militär einberufen worden sei. Er wolle keine Waffen tragen, niemanden töten und nicht getötet werden. Es gebe in Syrien keine Sicherheit für ihn.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 5. Dezember 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte dem Mitbeteiligte den Status des Asylberechtigten zu und stellte seine Flüchtlingseigenschaft fest. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen sei hinsichtlich der Rekrutierungsversuche zwar unglaubwürdig, jedoch drohe dem Mitbeteiligten, der aus einem unter der Kontrolle von Regimetruppen stehenden Ort stamme, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einberufung zum Wehrdienst bei der syrischen Armee, weil er diesen noch nicht abgeleistet habe und nicht davon befreit sei. Es sei glaubhaft, dass der Mitbeteiligte den Militärdienst, im Zuge dessen er völkerrechtswidrige Militäraktionen und Menschenrechtsverletzungen durchführen müsste, nicht ableisten wolle. Er habe sich durch die Ausreise der Wehrpflicht entzogen, was vom syrischen Regime als Ausdruck von politischem Dissens gewertet werde. Im Falle seiner Rückkehr würden ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Inhaftierung und Folter erwarten. Aufgrund seiner - zumindest unterstellten - politischen Gesinnung drohe ihm Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK).
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache zusammengefasst geltend macht, das BVwG sei von der für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen bestehenden Begründungspflicht abgewichen und stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur oppositionellen Gesinnung (Hinweis auf VwGH 26.3.2024, Ra 2024/20/0003; 28.2.2024, Ra 2023/20/0619). Obwohl es das Vorbringen des Mitbeteiligten hinsichtlich der Rekrutierungsversuche für unglaubwürdig gehalten habe, habe das BVwG dennoch auf Basis der allgemeinen Länderinformationen aus welchen sich gerade ergebe, dass nicht jedem Wehrdienstverweigerer vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde den Asylstatus gewährt. Damit habe das BVwG es verabsäumt, die erforderlichen Feststellungen in Bezug auf den Einzelfall zu treffen. Es gebe im angefochtenen Erkenntnis keine schlüssige Begründung, warum dem Mitbeteiligten konkret eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden sollte.
6 Der Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Vorab wird darauf hingewiesen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 1.6.2022, Ra 2021/18/0391, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.
9 Die Asylgewährung an Wehrdienstverweigerer erfordert neben der Prüfung, ob die schutzsuchende Person bei Rückkehr in den Herkunftsstaat tatsächlich „Verfolgung“ im asylrechtlichen Sinne zu gewärtigen hätte, auch den Konnex dieser Verfolgungshandlung mit einem der fünf in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Konventionsgründe („Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“), die in Art. 10 Statusrichtlinie näher umschrieben werden. In den Worten des Art. 9 Abs. 3 Statusrichtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 genannten Gründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen (VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108, mwN).
10 Die Verweigerung des Militärdienstes ist in vielen Fällen Ausdruck politischer Überzeugungen (sei es, dass sie in der Ablehnung jeglicher Anwendung militärischer Gewalt oder in der Opposition zur Politik oder den Methoden der Behörden des Herkunftslandes bestehen), religiöser Überzeugungen oder sie hat ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. In diesen Konstellationen können die Verfolgungshandlungen aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes den einschlägigen Verfolgungsgründen zugeordnet werden. Die Verweigerung des Militärdienstes kann allerdings auch aus Gründen erfolgen, die in den Verfolgungsgründen von Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. Art. 10 Statusrichtlinie keine Deckung finden. Sie kann u.a. durch die Furcht begründet sein, sich den Gefahren auszusetzen, die die Ableistung des Militärdienstes im Kontext eines bewaffneten Konflikts mit sich bringt. Ginge man davon aus, dass die Verweigerung des Militärdienstes in jedem Fall mit einem der von der GFK vorgesehenen Verfolgungsgründe verknüpft ist, würde dies somit in Wirklichkeit darauf hinauslaufen, diesen Gründen weitere Verfolgungsgründe hinzuzufügen, was weder mit der GFK noch mit der Statusrichtlinie in Einklang stünde (vgl. erneut VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108, mwN).
11 Im vorliegenden Fall ging das BVwG davon aus, dass dem Mitbeteiligten vom syrischen Regime wegen der Wehrdienstverweigerung und der Ausreise aus Syrien eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Die ihm drohende Inhaftierung und Folter aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes sei daher eine Verfolgung im Sinne der GFK.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur auch im Revisionsfall maßgeblichen Berichtslage festgehalten, dass sich aus den Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde (vgl. VwGH 21.12.2023, Ra 2023/18/0077). Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits ausgeführt, nach dieser Berichtslage lasse sich gerade kein Automatismus dahingehend als gegeben annehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde (vgl. VwGH 8.11.2023, Ra 2023/20/0520; in diesem Sinn auch VwGH 21.12.2023, Ra 2023/20/0173).
13 Mit seiner Begründung, dem Mitbeteiligten drohe im Falle der Rückkehr asylrelevante Verfolgung, da ihm vom syrischen Regime aufgrund der Wehrdienstverweigerung und der Ausreise aus Syrien eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde, hat sich das BVwG über diese Vorgaben der hg. Judikatur hinweggesetzt. Anstatt unter Einbeziehung der konkreten Umstände des Einzelfalls etwa der gerade als nicht für glaubhaft gewerteten, vom Mitbeteiligten vorgebrachten Rekrutierungsversuche darzulegen, warum dem Mitbeteiligten wegen der Wehrdienstverweigerung aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten Verfolgung drohe, hat das BVwG aus den Länderberichten generell ableitet, „dass die syrische Regierung eine Wehrdienstverweigerung in vielen Fällen als illoyal und Ausdruck politischen Dissens betrachtet“, weswegen „dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstverweigerung eine oppositionelle Gesinnung (zumindest) unterstellt wird“. Diese entfernte und die Umstände des Einzelfalls außer Acht lassende Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht für die Gewährung von Asyl (vgl. VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN).
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 6. März 2025