JudikaturVwGH

Ra 2024/14/0297 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
03. Juni 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr. in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, in der Revisionssache des S S, vertreten durch Mag. Kurt Jelinek, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2024, W280 2250531 2/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und aus Tschetschenien stammend, stellte am 30. September 2021 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 1. Dezember 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers vollinhaltlich ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit Erkenntnis vom 2. Juni 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als „unzulässig“ (gemeint wohl: unbegründet) ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Die dagegen erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 1. August 2022, Ra 2022/19/0178, zurück.

5 Am 20. Oktober 2022 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen zweiten Antrag auf Zuerkennung von internationalem Schutz, den er nunmehr damit begründete, dass die Russische Föderation die Ukraine überfallen habe, es zu einer Teilmobilmachung gekommen sei und er einen Einberufungsbefehl erhalten habe. Für den Fall der Rückkehr befürchte er, dass er in den Krieg ziehen müsste.

6 Mit Bescheid vom 23. Februar 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch diesen Antrag des Revisionswerbers vollinhaltlich ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

7 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt A.) und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

8 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Soweit die Revision ihre Zulässigkeitsbegründung unter der Prämisse, dass es sich bei einer Militärdienstverweigerung an sich bereits um einen Asylgrund handle, auf eine Abweichung von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützt, übersieht sie, dass nach eben dieser die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen könnte (vgl. VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN; oder auch 21.5.2021, Ro 2020/19/0001, mwN). Dass dies hier der Fall wäre, ist der Revision im Hinblick auf das zur behaupteten Abweichung von der Rechtsprechung erstattete Vorbringen jedoch nicht zu entnehmen.

13 Wenn die Revision sich sodann gegen die Beweiswürdigung zur Einberufung des Revisionswerbers wendet, ist festzuhalten, dass im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 2.5.2023, Ra 2023/14/0118, mwN).

14 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte mit der individuellen Situation des Revisionswerbers in Bezug auf den Herkunftsstaat befasst und anhand der dazu getroffenen Feststellungen, im Speziellen basierend auf näher genannten Länderberichten zur Frage der Einberufung zum Wehrdienst in der Russischen Föderation, insbesondere auch zur Rekrutierung von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, das Vorliegen einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des Revisionswerbers in einer den konkreten Einzelfall betreffenden Beurteilung in vertretbarer Weise verneint. Die Revision nimmt mit ihrem Vorbringen mit keinem Wort auf die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug, hält dieser nichts Stichhaltiges entgegen und vermag schon deshalb nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre.

15 Soweit sich der Revisionswerber gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung im Hinblick auf die Beziehung zu seiner kranken Mutter wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel ist (vgl. VwGH 29.11.2023, Ra 2023/14/0420 bis 0423, mwN).

16 Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 19.1.2023, Ra 2022/19/0323, mwN; 26.5.2021, Ra 2021/01/0174, mwN).

17 Ein Eingriff in das Recht auf Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK kann auch vorliegen, wenn nicht der hier aufhältige pflegebedürftige Fremde selbst außer Landes geschafft wird, sondern dessen weitere Pflege durch die Verhinderung des Verbleibs des die Pflege übernehmenden Angehörigen unmöglich gemacht wird (vgl. VwGH 1.8.2022, Ra 2022/19/0178, mwN).

18 Das Bundesverwaltungsgericht traf Feststellungen zum Privat und Familienleben des Revisionswerbers in Österreich und in der Russischen Föderation sowie zum Zustand der Mutter des Revisionswerbers. Diese verfüge über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“, sei psychisch und physisch krank und bedürfe einer Betreuung. Bei einer Rückführung des Revisionswerbers in die Russische Föderation sei eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Mutter möglich, jedoch leide sie an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Die Mutter wohne in einer ihr zugewiesenen Sozialwohnung und beziehe Sozialgeld. Der Revisionswerber helfe seiner Mutter im Haushalt und unterstütze sie im Alltag.

19 Das Bundesverwaltungsgericht hat somit bei seiner Beurteilung fallbezogen alle relevanten Umstände näher beleuchtet und ausreichend berücksichtigt. Entgegen den Revisionsausführungen hat sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Begründung mit den familiären Beziehungen des Revisionswerbers zu seiner kranken Mutter auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig sei.

20 Der Revisionswerber zeigt mit seinem pauschalen Vorbringen zu den ohnehin vom Verwaltungsgericht berücksichtigten familiären Umständen und dem Verweis auf den Gesundheitszustand der Mutter nicht auf, dass dem Bundesverwaltungsgericht bei der Interessenabwägung im Licht der genannten Leitlinien ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler unterlaufen wäre.

21 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang vorbringt, es seien beantragte Zeugen nicht einvernommen worden, macht sie Verfahrensmängel geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es zur Dartuung der Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 12.12.2023, Ra 2023/14/0449 bis 0450, mwN). Eine solche Relevanzdarlegung enthält die Revision im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens jedoch nicht.

22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß §34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 3. Juni 2024

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