JudikaturVwGhRo 2024/09/0001

Ro 2024/09/0001 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die Revision des Disziplinaranwalts beim Bundesministerium für Inneres in 1010 Wien, Herrengasse 7, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2023, W170 2279786 1/11E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einem Disziplinarverfahren nach dem Beamten Dienstrechtsgesetz 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesdisziplinarbehörde; weitere Partei: Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport; mitbeteiligte Partei: A B in C, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rabensteig 8/3a), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

1 Mit Disziplinarerkenntnis der Bundesdisziplinarbehörde (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) vom 20. September 2023 wurde der Mitbeteiligte einer Dienstpflichtverletzung für schuldig erkannt und über ihn als Disziplinarstrafe eine Geldstrafe verhängt.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde des stellvertretenden Disziplinaranwalts beim Bundesministerium für Inneres wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem durch einen Einzelrichter gefassten angefochtenen Beschluss „gemäß §§ 28 Abs. 2, 31 VwGVG, 103 Abs. 4 Z 1 BDG“ zurück.

Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig erklärt.

3 Auf Tatsachenebene ging das Bundesverwaltungsgericht in der Begründung seines Beschlusses zusammengefasst davon aus, dass im gegenständlichen Verfahren der (namentlich bezeichnete) stellvertretende Disziplinaranwalt beim Bundesministerium für Inneres eingeschritten sei. Dem Beschwerdeschriftsatz mit dem Kopf „Bundesministerium für Inneres, Disziplinaranwaltschaft, Disziplinaranwalt: StV [...]“, wonach „die Disziplinaranwaltschaft beim Bundesministerium für Inneres, [...], vertreten durch den stellvertretenden Disziplinaranwalt“ Beschwerde erhebe, sei kein Nachweis einer Bevollmächtigung des stellvertretenden Disziplinaranwalts durch den Disziplinaranwalt beigelegen. Er enthalte keine Ausführungen zu dessen Verhinderung.

4 Mit Mängelbehebungsauftrag sei der stellvertretende Disziplinaranwalt aufgefordert worden, die Bevollmächtigung seiner Person oder die Verhinderung des Disziplinaranwalts sowie die Bestellung seiner Person zum stellvertretenden Disziplinaranwalt nachzuweisen. Er sei darauf hingewiesen worden, dass das Beamten Dienstrechtsgesetz 1979 den Begriff der Disziplinaranwaltschaft nicht kenne.

5 Der Disziplinaranwalt habe mit Schreiben vom 13. November 2023 die Bevollmächtigung seines Stellvertreters zur Einbringung der Beschwerde sowie mit seiner Vertretung als Partei vor dem Bundesverwaltungsgericht angezeigt.

6 Rechtlich beurteilte das Verwaltungsgericht den Sachverhalt im Wesentlichen dahingehend, dass eine Bevollmächtigung des stellvertretenden Disziplinaranwalts durch den Disziplinaranwalt bestanden habe.

7 Gemäß § 103 Abs. 4 Z 1 BDG 1979 werde lediglich der Disziplinaranwältin oder dem Disziplinaranwalt das Recht eingeräumt, gegen Bescheide der Bundesdisziplinarbehörde gemäß Art. 132 Abs. 4 B VG Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben. So habe der Verwaltungsgerichtshof (Hinweis auf VwGH 17.12.1998, 98/09/0249) in einem (damaligen) Beschwerdeverfahren ausgesprochen, dass die Beschwerde des Disziplinaranwalts mit dessen Unterschrift zu versehen sei. Bei einer Verhinderung sei diese darzulegen, und inwieweit diese das Einschreiten des Stellvertreters erforderlich mache. Eine allfällige Bevollmächtigung oder deren Nachweis sei in dieser Entscheidung nicht thematisiert worden.

8 Im gegenständlichen Verfahren sei trotz Mängelbehebungsauftrags die Verhinderung des Disziplinaranwalts zur Unterfertigung der Beschwerde nicht behauptet worden.

9 Eine Bevollmächtigung des stellvertretenden Disziplinaranwalts durch den Disziplinaranwalt, obwohl dieser nicht verhindert sei, sei jedoch nicht zulässig und ohne Rechtswirkung, weil sich der Disziplinaranwalt vom stellvertretenden Disziplinaranwalt ausschließlich im Fall seiner Verhinderung, die nachgewiesen werden müsse, vertreten lassen könne. Nur im Fall seiner Verhinderung könne anstelle des Disziplinaranwalts der stellvertretende Disziplinaranwalt einschreiten; eine Bevollmächtigung des stellvertretenden Disziplinaranwalts durch den Disziplinaranwalt bleibe hingegen wirkungslos und ermächtige diesen nicht, Beschwerde für den oder im Namen des Disziplinaranwalts zu erheben. Schon aus diesem Grund sei die Beschwerde des stellvertretenden Disziplinaranwalts zurückzuweisen gewesen selbst für den Fall, dass sie für den Disziplinaranwalt ergriffen worden wäre.

10 Den Ausführungen in der Beschwerde zufolge habe der stellvertretende Disziplinaranwalt die Beschwerde auch nicht im Namen des Disziplinaranwalts sondern im Namen der „Disziplinaranwaltschaft“ erhoben. Eine Disziplinaranwaltschaft kenne das Beamten Dienstrechtsgesetz 1979 nicht. Zur Vertretung der dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren seien gemäß § 103 Abs. 1 BDG 1979 lediglich die Disziplinaranwältinnen und Disziplinaranwälte sowie bei deren Verhinderung die Stellvertreterinnen und Stellvertreter berufen. Es liege daher eine falsche Bezeichnung der beschwerdeergreifenden Partei vor bzw. habe eine Nichtpartei Beschwerde ergriffen. Die Beschwerde einer Nichtpartei sei zurückzuweisen. Eine Berichtigung der Parteienbezeichnung scheide aus, weil sich der stellvertretende Disziplinaranwalt mehrmals auf die Disziplinaranwaltschaft, nicht jedoch auf den Disziplinaranwalt berufen habe und nicht „in Vertretung“, sondern im eigenen Namen gezeichnet habe. Auch aus diesem Grund sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil sie keinem beschwerdelegitimierten Organ und nicht einmal einer existierenden juristischen Person zuzurechnen sei.

11 Da von einer unzulässigen Beschwerde des stellvertretenden Disziplinaranwalts ausgegangen werde, und damit keine Beschwerde des Disziplinaranwalts vorliege, sei die Sache von einem Einzelrichter zu entscheiden gewesen.

12 Die Zulässigkeit einer Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Fragen, ob sich der Disziplinaranwalt von einem stellvertretenden Disziplinaranwalt auch bei Nichtvorliegen einer Verhinderung zur Beschwerdeerhebung vertreten lassen könne und ob die Fehlbezeichnung des beschwerdeführenden Disziplinaranwalts als Disziplinaranwaltschaft berichtigungsfähig sei.

13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision des Disziplinaranwalts beim Bundesministerium für Inneres; der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

15 Die maßgeblichen Bestimmungen des Beamten Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333/1979, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 6/2023, lauten (auszugsweise):

„Disziplinaranwältin und Disziplinaranwalt

§ 103. (1) Zur Vertretung der dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren sind von den Leiterinnen und Leitern der Zentralstellen geeignete Bedienstete zu Disziplinaranwältinnen und Disziplinaranwälten sowie die erforderliche Anzahl von Stellvertreterinnen und Stellvertretern auf die Dauer von fünf Jahren zu bestellen. Sie haben ihrer Bestellung Folge zu leisten.

(2) Auf die Disziplinaranwältin oder den Disziplinaranwalt ist § 100 Abs. 5 bis 9 sinngemäß anzuwenden, wobei die Enthebung durch die jeweiligen Leiterinnen und Leiter der Zentralstellen zu erfolgen hat.

(3) Die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt hat rechtskundig zu sein.

(4) Der Disziplinaranwältin oder dem Disziplinaranwalt wird das Recht eingeräumt,

1. gegen Bescheide der Bundesdisziplinarbehörde gemäß Art. 132 Abs. 4 B VG Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und

2. gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß Art. 133 Abs. 8 B VG Revision an den Verwaltungsgerichtshof

zu erheben.

(5) Stehen der Leiterin oder dem Leiter der Zentralstelle zu wenige geeignete Bedienstete ihres oder seines Ressorts für die Bestellung zur Disziplinaranwältin oder zum Disziplinaranwalt zur Verfügung, können geeignete Bedienstete eines anderen Ressorts bestellt werden, die in dieser Eigenschaft an ihre oder seine Weisungen gebunden sind. Vor der Bestellung von Bediensteten anderer Ressorts ist das Einvernehmen mit den Leiterinnen oder Leitern der betreffenden Ressorts schriftlich herzustellen.

...

Parteien

§ 106. Parteien im Disziplinarverfahren sind der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt. Die Stellung als Partei kommt ihnen mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Disziplinaranzeige zu.

...

9. Abschnitt

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Senatsentscheidungen

§ 135a. ...

(3) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat weiters durch einen Senat zu erfolgen, wenn

1. gegen ein Erkenntnis, mit dem der Verlust aller aus dem Dienstverhältnis fließenden Rechte und Ansprüche verhängt wurde, Beschwerde erhoben wurde oder

2. die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt gegen ein Erkenntnis der Bundesdisziplinarbehörde Beschwerde erhoben hat,

a) in dem eine strengere Strafe als eine Geldbuße ausgesprochen wurde oder

b) in dem eine Geldbuße ausgesprochen wurde und der Einzelrichter nach Prüfung der Angelegenheit zu der Auffassung gelangt, dass die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt werden könnte.

...

§ 243. ...

(3) Die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt, die oder der von der Bundesministerin oder vom Bundesminister für Inneres zu bestellen ist, muss nicht rechtskundig sein.

...“

16 Es sind somit von den Leiterinnen und Leitern der Zentralstellen zur Vertretung der dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren geeignete Bedienstete zu Disziplinaranwältinnen und Disziplinaranwälten sowie die erforderliche Anzahl von Stellvertreterinnen und Stellvertretern auf die Dauer von fünf Jahren zu bestellen (§ 103 Abs. 1 BDG 1979).

17 Diese haben nach Abs. 3 leg. cit. rechtskundig zu sein, was gemäß § 243 Abs. 3 BDG 1979 nicht für die von der Bundesministerin oder dem Bundesminister für Inneres zu bestellenden Bediensteten gilt. Auch wenn in diesen Bestimmungen ausschließlich Disziplinaranwältinnen und Disziplinaranwälte (und nicht abermals auch Stellvertreterinnen und Stellvertreter) genannt werden, bezieht sich diese Anforderung zweifelsfrei auch auf diese, sind sie doch für eine Vertretung des Disziplinaranwalts bestimmt. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb für die Stellvertreter in diesem Fall andere Anforderungen gelten sollten.

18 In den Gesetzesmaterialien wurde festgehalten, dass „[ä]hnlich wie die Staatsanwälte im strafgerichtlichen Verfahren berufen sind, den Strafanspruch des Staates zu vertreten, so sollen die Disziplinaranwälte im Disziplinarverfahren die dienstlichen Interessen vertreten“ (ErläutRV 500 BlgNR 14. GP 86). Eine der Staatsanwaltschaft vergleichbare Behördenstruktur (vgl. §§ 2 ff Staatsanwaltschaftsgesetz) wurde im Dienstrecht der Bundesbeamten aber nicht geschaffen.

19 Die Disziplinaranwälte sind jedoch den Leitern der obersten Dienstbehörde weisungsgebunden (explizit zu Bediensteten eines anderen Ressorts: § 103 Abs. 5 BDG 1979; ausdrücklich etwa in § 19 Abs. 2 Heeresdisziplinargesetz 2014; siehe auch Müller in Reissner/Neumayr [Hrsg], Zeller Kommentar zum Öffentlichen Dienstrecht [2022] § 103 Rz 10 aus dem Fehlen einer dem § 102 Abs. 3 BDG 1979 entsprechenden Regelung schließend), sodass es bei mehreren in Betracht kommenden Disziplinaranwälten jenen obliegt, durch individuelle Weisung oder eine allgemeine Regelung einen zu bestimmen (so bereits Walter , Die Stellung des Disziplinaranwalts nach dem Beamten Dienstrechtsgesetz, FS Melichar [1983] 419 f).

20 Ein Stellvertreter hat grundsätzlich erst bei Verhinderung des zunächst berufenen Disziplinaranwalts einzuschreiten. Bei dessen Verhinderung handelt er jedoch in der Parteistellung des Disziplinaranwalts im Disziplinarverfahren (vgl. auch Kucsko Stadlmayer , Das Disziplinarrecht der Beamten 4 [2010] 448).

21 Liegt daher der Vertretungsfall vor, schreitet der Stellvertreter oder die Stellvertreterin im Disziplinarverfahren als Organpartei Disziplinaranwalt im Sinn des § 106 BDG 1979 ein. Der Stellvertreter oder die Stellvertreterin hat Parteistellung im Disziplinarverfahren und die in § 103 Abs. 4 BDG 1979 eingeräumten Rechtsmittelrechte (siehe bereits VwGH 10.9.2015, Ro 2015/09/0002, zu § 141 Ärztegesetz 1998, wonach der Disziplinaranwalt Stellvertreter mit den Befugnissen des Disziplinaranwalts tätig wird).

22 Mit anderen Worten: Auch der im Vertretungsfall einschreitende Stellvertreter ist im Disziplinarverfahren die Formalpartei Disziplinaranwalt; auch seine Unterschrift auf einer Eingabe ist der Organpartei Disziplinaranwalt zuzurechnen.

23 Eine gewillkürte Vertretung des Disziplinaranwalts durch den Stellvertreter (Bevollmächtigung) sieht das Gesetz hingegen nicht vor. Aus diesem Grund wurde auch in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1998, 98/09/0249, nicht auf das Vorliegen einer Bevollmächtigung abgestellt.

24 Damit ist aber noch nichts über die Wirksamkeit der Handlungen eines Stellvertreters gegenüber der Disziplinarbehörde oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gesagt, der ohne das Vorliegen eines Vertretungsfalls in einem Disziplinarverfahren als Disziplinaranwalt auftritt.

25 Der Verwaltungsgerichtshof hat zum vergleichbaren Einschreiten eines Stellvertreters eines Bürgermeisters in einem Bauverfahren bereits ausgeführt, dass ein solcher Bescheid, der in dem dort vorliegenden Fall vom Vizebürgermeister als grundsätzlich approbationsbefugtes Organ erlassen wurde, selbst bei Vorliegen von Mängeln aufgrund der innerorganisatorischen Vorschriften (weil kein Vertretungsfall vorgelegen wäre), nach außen dem Bürgermeister zuzurechnen ist (vgl. VwGH 2.7.1998, 97/06/0068).

26 Nichts Anderes gilt für das Einschreiten des vom Leiter der Zentralstelle wirksam zum Stellvertreter im Sinn des § 103 Abs. 1 BDG 1979 bestellten Bediensteten. Sein Handeln im Disziplinarverfahren als Disziplinaranwalt ist wirksam.

27 Auch mit den im angefochtenen Beschluss zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes lässt sich Gegenteiliges nicht begründen, war es doch in diesen entweder gerade nicht zum Einschreiten des jeweiligen (unmittelbaren) Stellvertreters gekommen (VwGH 7.4.2016, Ra 2015/08/0216 Insolvenzverwalter; 17.12.2007, 2007/12/0022 Bürgermeister), oder es war die Zusammensetzung von Spruchkörpern zu beurteilen (VwGH 1.7.2005, 2001/03/0453, VwSlg. 16671 A Jagdausschuss; 25.10.2001, 99/15/0060 Berufungssenat). Letzteres ist wegen der Stellung des Disziplinaranwalts als (bloße) Formalpartei des Disziplinarverfahrens, die nicht dem Spruchkörper angehört, nicht vergleichbar.

28 Aus den dargelegten Gründen hält der Verwaltungsgerichtshof aber auch nicht an der Rechtsmeinung, die aus seiner, vom Verwaltungsgericht herangezogenen vereinzelt gebliebenen Entscheidung (VwGH 17.12.1998, 98/09/0249) herausgelesen werden kann, fest. Weder in der bis dahin gepflegten Rechtsprechung noch in den nachfolgenden Judikaten des Verwaltungsgerichtshofes war soweit überblickbar die in diesem Beschluss implizit zum Ausdruck gebrachte Ansicht, dass der einschreitende Stellvertreter für die Wirksamkeit seiner Handlungen die Verhinderung des Disziplinaranwalts explizit zu behaupten und nachzuweisen hätte, vertreten worden. Da wie oben ausgeführt ungeachtet dessen, dass der Stellvertreter nur bei einer Verhinderung des Disziplinaranwalts einzuschreiten hat, auch der ohne Vorliegen eines Vertretungsfalls einschreitende Stellvertreter im Disziplinarverfahren wirksame Verfahrenshandlungen als Disziplinaranwalt vornehmen kann, stellt auch das Fehlen des Vertretungsfalls keinen zur Zurückweisung der vom Stellvertreter gesetzten Verfahrenshandlungen führenden Mangel dar.

29 Nach § 135a Abs. 3 Z 2 lit. a BDG 1979 hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen, wenn die Disziplinaranwältin oder der Disziplinaranwalt gegen ein Erkenntnis der Bundesdisziplinarbehörde Beschwerde erhoben hat, in dem eine strengere Strafe als eine Geldbuße ausgesprochen wurde.

30 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrmals festgehalten, dass der Gesetzgeber aufgrund des Legalitätsprinzips im Sinn des Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 83 Abs. 2 B VG insbesondere in Bezug auf die Behörden- und Gerichtszuständigkeit zu einer präzisen, strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden Regelung verpflichtet ist und eine Zuständigkeitsfestlegung klar und unmissverständlich sein muss (siehe etwa VwGH 25.4.2019, Ro 2018/09/0010, mwN; vgl. auch VwGH 26.2.2020, Ra 2019/09/0154, Rn. 10). § 9 Abs. 1 BVwGG betrifft hingegen nur die der Entscheidung in der Hauptsache vorangehenden Beschlüsse.

31 Unstrittig wurde über den Mitbeteiligten eine strengere Disziplinarstrafe als eine Geldbuße verhängt und auch das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer vom Innenminister bestellter Stellvertreter des Disziplinaranwalts nach § 103 Abs. 1 BDG 1979 ist. Damit lag aber eine Beschwerde der Organpartei Disziplinaranwalt vor. Eine Entscheidung über diese war daher dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat vorbehalten. Für die Ansicht, dass eine Zurückweisung der Beschwerde aufgrund formeller Mängel durch einen Einzelrichter zu erfolgen hätte, besteht hingegen keine gesetzliche Grundlage.

32 Die Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG von Amts wegen aufzugreifen, wenn sich die Revision wie hier als zulässig erweist (vgl. u.a. abermals VwGH 25.4.2019, Ro 2018/09/0010). Der angefochtene Beschluss erwies sich nach dem Gesagten daher bereits infolge Unzuständigkeit des entscheidenden Einzelrichters als rechtswidrig.

33 Darüber hinaus ist jedoch bereits an dieser Stelle zu der in der Beschwerde verwendeten und vom Verwaltungsgericht zur weiteren Begründung der Zurückweisung herangezogenen Bezeichnung „Disziplinaranwaltschaft“ festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann, wenn nicht eindeutig klar ist, wem ein Rechtsmittel zuzurechnen ist, verpflichtet ist, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer Rechtsmittelwerber ist (vgl. bereits VwGH 24.1.1995, 94/04/0149, noch zum behördlichen Rechtsmittelverfahren).

34 Hier wies das Bundesverwaltungsgericht in seinem Mängelbehebungsauftrag zwar (zutreffend) darauf hin, dass das Beamten Dienstrechtsgesetz 1979 keine „Disziplinaranwaltschaft“ kenne. Einen Verbesserungsauftrag verknüpfte es damit jedoch nicht. Vielmehr richtete es seinen Auftrag an den stellvertretenden Disziplinaranwalt als Beschwerdeführer („Sie haben [...] Beschwerde erhoben.“) und ging offenbar selbst davon aus, dass dieser im Beschwerdeverfahren als bzw. für den Disziplinaranwalt einschritt. Dementsprechend bezog sich sein Verbesserungsauftrag auf eine vom Disziplinaranwalt erfolgte Bevollmächtigung.

35 Zudem ist auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wegen des gemäß § 17 VwGVG zu berücksichtigenden Amtswegigkeitsprinzips des § 39 Abs. 2 AVG als auch des Grundsatzes der Einräumung von Parteiengehör im Sinn des § 45 Abs. 3 AVG das sogenannte „Überraschungsverbot“ zu beachten (vgl. etwa VwGH 31.5.2023, Ra 2019/22/0048, mwN). Sollte die Identität der beschwerdeführenden Partei daher tatsächlich als unklar beurteilt (und nicht von einer offenbar auf einem Versehen beruhenden Unrichtigkeit ausgegangen siehe zu der in diesem Fall bestehenden Möglichkeit des berichtigenden Lesens etwa VwGH 21.12.2020, Ra 2020/12/0071, mwN) werden, wäre diese in einem (weiteren) Mängelbehebungsverfahren zu klären gewesen. Ohne ein solches durfte eine Zurückweisung der Beschwerde jedenfalls nach dem zunächst gewählten Vorgehen nicht auf diesen Grund gestützt werden.

36 Überdies forderte das Verwaltungsgericht in seinem Mängelbehebungsauftrag den stellvertretenden Disziplinaranwalt auf, „entweder die Bevollmächtigung Ihrer Person oder [die] Verhinderung des Disziplinaranwalts [...] nachzuweisen“. Die Zurückweisung der Beschwerde begründete es jedoch sodann damit, dass eine Bevollmächtigung zwar vorliege, eine Verhinderung des Disziplinaranwalts aber nicht nachgewiesen worden sei, und eine Bevollmächtigung ohne Verhinderung nicht wirksam erfolgen könne. Auch insoweit liegt abgesehen von den obigen Ausführungen ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot vor, weil im Mängelbehebungsauftrag zur Abwendung der andernfalls in den Raum gestellten Zurückweisung des Rechtsmittels alternativ der Nachweis der einen oder der anderen Voraussetzung gefordert, die Zurückweisung aber mit der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens beider Voraussetzungen begründet wurde.

37 Der in der Revisionsbeantwortung enthaltenen Anregung, zur grundsätzlichen Zulässigkeit des konkreten Disziplinarverfahrens Stellung zu beziehen, weil die Kündigung des provisorischen Dienstverhältnisses des Mitbeteiligten durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. April 2023 als unzulässig ersatzlos behoben wurde, war schon wegen der auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Beschwerde eingeschränkten Sache des Revisionsverfahrens (siehe dazu etwa VwGH 21.10.2022, Ra 2022/09/0042, Rn. 39, zu einer Antragszurückweisung) nicht näherzutreten.

38 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frage der Kündigung eines provisorischen Beamtendienstverhältnisses wegen pflichtwidrigen Verhaltens im Sinn des § 10 Abs. 4 Z 4 BDG 1979 jedoch losgelöst von der in einem allfälligen Disziplinarverfahren verhängten Disziplinarstrafe zu beurteilen (VwGH 22.6.2016, Ra 2015/12/0034, mwN). Einer Einstellung des Disziplinarverfahrens nach § 118 Abs. 2 BDG 1979 steht das nach wie vor bestehende öffentlich rechtliche Dienstverhältnis des Mitbeteiligten zum Bund entgegen.

39 Das angefochtene Erkenntnis war somit nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.

Wien, am 4. April 2024

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