Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des A W in E, vertreten durch Mag. a Dr. in Jasmine Senk, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Marienstraße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juni 2024, L517 2292155 1/6E, betreffend Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in einer Angelegenheit nach dem AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Eferding), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid vom 22. April 2024 sprach die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) aus, dass der Bezug der Notstandshilfe des Revisionswerbers mangels Arbeitswilligkeit eingestellt werde. Dagegen erhob der Revisionswerber am 28. April 2024 Beschwerde.
2 Mit Bescheid vom 6. Mai 2024 schloss das AMS die aufschiebende Wirkung der Beschwerde aus. Der Umstand der Langzeitarbeitslosigkeit in Verbindung mit der der Einstellung der Notstandshilfe zugrunde liegenden Vereitelungshandlung, den erfolglosen Vermittlungsversuchen und den bereits verhängten Ausschlussfristen lasse eine Gewährung der aufschiebenden Wirkung nicht zu. Auch sei die Einbringlichkeit des Überbezugs gefährdet, da aktuell kein regelmäßiges Einkommen vorliege und beim AMS Forderungen aus Exekutionen in Höhe von € 328,50 eingelangt seien.
3 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er bestritt das Vorliegen von Gefahr im Verzug, da das AMS im Fall eines negativen Ausgangs des Verfahrens Exekution führen könne. Außerdem brachte er vor, dass er für ein minderjähriges Kind unterhaltspflichtig sei, weshalb ihn der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung besonders hart treffe.
4 Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2024 setzte der Revisionswerber das Bundesverwaltungsgericht davon in Kenntnis, dass er am 10. Juni 2024 ein Beschäftigungsverhältnis im Ausmaß von 35 Wochenstunden bei einem näher bezeichneten Dienstgeber begonnen habe.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom 6. Mai 2024 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Unter diesem Gesichtspunkt bringt der Revisionswerber vor, das Bundesverwaltungsgericht habe übergangen, dass er am 10. Juni 2024 zu arbeiten begonnen habe, was er dem Gericht am 13. Juni 2024 mitgeteilt habe. Selbst wenn keine Mitteilung erfolgt wäre, hätte ein aktueller Sozialversicherungsdatenauszug eingeholt und der Entscheidung zugrunde gelegt werden müssen. Hätte das Gericht die Arbeitsaufnahme berücksichtigt, wäre es zum Ergebnis gekommen, dass Gefahr im Verzug nicht vorliege und infolge des Arbeitseinkommens Exekution geführt werden könne.
10 Nach § 13 Abs. 1 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B VG aufschiebende Wirkung. Diese kann jedoch gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG von der Behörde mit Bescheid ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bringt das Tatbestandsmerkmal „Gefahr im Verzug“ zum Ausdruck, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll.
12 Um die vom Gesetzgeber nach § 13 Abs. 2 VwGVG außerdem geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, hat ein Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfebezieher insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren Umstände, die sein Interesse an einer Weitergewährung untermauern, sowie die in seiner Sphäre liegenden Umstände, die entgegen entsprechender Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG) seiner Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen, zumal das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden hat.
13 Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen. Wirkt der Notstandshilfebezieher allerdings nicht in der oben beschriebenen Weise an den Feststellungen über die Prognose der Einbringlichkeit mit, kann von einer Gefährdung derselben ausgegangen werden.
14 Diese Leitlinien gelten grundsätzlich auch für den vorliegenden Fall einer gänzlichen Einstellung der Notstandshilfe (vgl. zum Ganzen VwGH 27.4.2020, Ra 2020/08/0030, mwN).
15 Ausgehend davon war die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung aber zumindest nicht unvertretbar. Zwar hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung an Hand der im Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebenen Sach und Rechtslage zu treffen. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Vorliegen von Gefahr im Verzug nicht an Hand hypothetischer, in der Vergangenheit vorgelegener Umstände, sondern nur unter Berücksichtigung der aktuell gegebenen Verhältnisse beurteilt werden kann. Auch § 22 Abs. 3 VwGVG, der für den Fall der Änderung der maßgeblichen Verhältnisse die Möglichkeit der Abänderung einer bereits getroffenen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung vorsieht, deckt diese Annahme. Es wäre systemwidrig anzunehmen, das Verwaltungsgericht müsse sich zuerst an einem (nicht mehr aktuellen) Sachverhalt orientieren und die aktuelle Situation könne erst in einem zweiten Schritt eben durch ein Vorgehen nach § 22 Abs. 3 VwGVG berücksichtigt werden. Insoweit ist daher anders als das Bundesverwaltungsgericht in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses meint die Rechtsprechung zu § 64 Abs. 2 AVG nicht auf Beschwerden gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 13 Abs. 2 VwGVG zu übertragen (vgl. etwa VwGH 24.5.2016, Ra 2016/07/0039, mit Hinweis auf VwGH 1.9.2014, Ra 2014/03/0028).
16 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber aber nicht konkret dargelegt, dass ihn der Vollzug des Bescheides über die Einstellung der Notstandshilfe unverhältnismäßig hart treffen würde. Die bloße Behauptung von Unterhaltspflichten ohne nähere Schilderung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse reichte dafür nicht aus.
17 Was die am 10. Juni 2024 erfolgte Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses betrifft, so ist die Mitteilung darüber erst nach der Beschlussfassung durch den erkennenden Senat am 12. Juni 2024 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts etwa VwGH 12.6.2023, Ra 2023/06/0074, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit auch keine amtswegigen Ermittlungspflichten verletzt, zumal es am 27. Mai 2024 ohnedies die Sozialversicherungsdaten des Revisionswerbers abgefragt hatte. Die Beschäftigungsaufnahme unmittelbar vor der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht hätte die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auch nicht als unverhältnismäßig erscheinen lassen müssen, weil durch das gerade erst begonnene Arbeitsverhältnis weder die Einbringlichkeit der Rückforderung als sichergestellt gelten konnte noch ein weiter bestehendes öffentliches Interesse an der disziplinierenden Wirkung der Einstellung im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung zu verneinen war.
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 29. August 2024