Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Mödling als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 16. Februar 2024, Zl. LVwG AV 1557/001 2021, betreffend Untersagung der Gewerbeausübung (mitbeteiligte Partei: R eGen in E), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 1. Mit Bescheid vom 16. Juli 2021 stellte die Bezirkshauptmannschaft Mödling (belangte Behörde, Amtsrevisionswerberin) fest, „dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des [von der mitbeteiligten Partei] am 04.06.2021 angemeldeten Gewerbes Versicherungsvermittlung in der Form Versicherungsagent in Nebentätigkeit (Haupttätigkeit: KFZ Handel), eingeschränkt auf die Versicherungszweige Landfahrzeug Kasko (ohne Schienenfahrzeuge) (VZ03) und Haftpflicht für Landfahrzeuge mit eigenem Antrieb (VZ10)“ an einem näher genannten Standort nicht vorlägen, und untersagte die Ausübung dieses Gewerbes gemäß § 339 Abs. 3 in Verbindung mit § 340 GewO 1994. Die belangte Behörde führte begründend (ua.) aus, es seien keine Nachweise hinsichtlich der Befähigung des Leitungsorganes gemäß § 137b Abs. 1 GewO 1994 vorgelegt worden.
2 Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde.
3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16. Februar 2024 gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde Folge, hob den bekämpften Bescheid auf und sprach aus, die belangte Behörde habe die entsprechende Eintragung im Gewerbeinformationssystem Austria vorzunehmen. Unter einem erklärte das Verwaltungsgericht die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig.
4 Das Verwaltungsgericht stellte zusammengefasst fest, der Vorstand der mitbeteiligten Partei bestehe aus mehreren (näher bezeichneten) Personen, von denen keine über den Befähigungsnachweis für das gegenständliche Gewerbe verfüge. Ferner wirke keine dieser Personen im Betrieb bei der Versicherungsvermittlung mit. Am 23. April 2021 habe die mitbeteiligte Partei das (näher umschriebene) Gewerbe der Versicherungsvermittlung angemeldet; zum gewerberechtlichen Geschäftsführer sei B bestellt worden. Dieser erfülle die für die Ausübung des Gewerbes erforderlichen Voraussetzungen, sei „Vollzeit im Betrieb beschäftigt“ und habe die erforderliche Befähigungsprüfung abgelegt. Abgesehen von ihm wirkten keine weiteren Personen im Betrieb bei der Versicherungsvermittlung mit.
5 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, die mitbeteiligte Partei sei eine juristische Person, die gemäß § 9 Abs. 1 GewO 1994 zur Ausübung des Gewerbes einen Geschäftsführer gemäß § 39 GewO 1994 bestellen müsse. Gemäß § 137 Abs. 3 letzter Satz GewO 1994 gälten soweit in der GewO 1994 nicht anderes bestimmt sei die Bestimmungen über Versicherungsvermittlung auch für Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit.
Der Begriff „Leitungsorgan“ gemäß § 137b Abs. 1 GewO 1994 sei weit zu verstehen. Damit gemeint seien all jene Personen in einer Gesellschaft, die für die Versicherungsvermittlung maßgeblich verantwortlich seien. Es sollten allerdings nur jene Personen, die direkt an der Versicherungsvertriebstätigkeit beteiligt seien, über ein angemessenes Maß an entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten verfügen müssen. Dafür spreche auch Erwägungsgrund 32 der Richtlinie (EU) 2016/97 (Versicherungsvertriebsrichtlinie), demzufolge die Mitgliedstaaten diejenigen Manager oder Angestellten nicht als maßgebliche Personen betrachten sollten, die nicht direkt an dem Vertrieb von Versicherungs- oder Rückversicherungsprodukten beteiligt sind. Den Erläuterungen zur Versicherungsvermittlungsnovelle 2018, BGBl. I Nr. 112 (RV 371 BlgNR 26. GP), sei überdies zu entnehmen, dass bei Gesellschaften nun alle für die Versicherungsvermittlung maßgeblich verantwortlichen Personen (bisher ein Drittel der Mitglieder des Leitungsorgans) die fachlichen Mindestkenntnisse zu besitzen hätten. Es seien somit nur die für die Versicherungsvermittlung maßgeblichen verantwortlichen Personen verpflichtet, den entsprechenden Befähigungsnachweis zu erbringen. Im Ergebnis seien handelsrechtliche Geschäftsführer einer Gesellschaft nur dann verpflichtet, eine entsprechende fachliche Eignung nachzuweisen, wenn sie für die Versicherungsvermittlung maßgeblich verantwortlich seien. Sofern keiner der handelsrechtlichen Geschäftsführer einer Gesellschaft für die Versicherungsvermittlung maßgeblich verantwortlich sei, sei der gewerberechtliche Geschäftsführer als maßgeblich verantwortliche Person im Leitungsorgan des Unternehmens zu qualifizieren.
Fallgegenständlich sei nicht vorgesehen, dass Mitglieder des Vorstandes der mitbeteiligten Partei für das Gewerbe der Versicherungsvermittlung maßgeblich verantwortlich sein sollten. Vielmehr sei ausschließlich der dafür als gewerberechtlicher Geschäftsführer bestellte B maßgeblich für die Versicherungsvermittlung in Nebentätigkeit verantwortlich. B sei diesbezüglich sohin als Leitungsorgan anzusehen, weshalb die Voraussetzungen für die gegenständliche Gewerbeanmeldung vorlägen.
6 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass im gegenständlichen Verfahren die Rechtsfrage zu lösen sei, ob § 137b Abs. 1 GewO 1994 so zu verstehen sei, dass alle Mitglieder des Vorstandes den Befähigungsnachweis zu erbringen hätten, oder ob der Nachweis der Befähigung durch die im Unternehmen maßgeblich verantwortlichen Personen ausreichend sei. Zu dieser Rechtsfrage fehle es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung.
7 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der belangten Behörde.
8 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 4. Die Amtsrevisionswerberin verweist zur Zulässigkeit ihrer Revision auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes.
10 Die Revision ist aus nachstehenden Gründen zulässig und begründet.
11 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 1. Februar 2024, Ro 2021/04/0021, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen werden kann, mit näherer Begründung ausgesprochen, dass das (nationale) Gesellschaftsrecht unter einem Leitungsorgan jenes Organ einer Gesellschaft versteht, das die Geschäfte führt und die Gesellschaft nach außen vertritt (zB der bzw. die Geschäftsführer einer GmbH oder der Vorstand einer Aktiengesellschaft); als dem Leitungsorgan im Sinn des § 137b Abs. 1 GewO 1994 angehörige Personen sind sohin die organschaftlichen Vertreter der juristischen Person, die „Versicherungsvermittler in Nebentätigkeit“ ist, zu verstehen (Rn. 20 bis 22).
12 Nichts Anderes gilt für die hier verfahrensgegenständliche Genossenschaft, deren Geschäftsführung und Vertretung dem Vorstand obliegt (vgl. dazu Artmann/Rüffler , Gesellschaftsrecht 3 [2024], Rn. 1397, sowie Haberer/Krejci , Gesellschaftsrecht Allgemeiner Teil und Rechtsformvergleich 2 [2024], Rn. 474 f), der damit als Leitungsorgan im Sinn des § 137b Abs. 1 GewO 1994 anzusehen ist.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters mit näherer Begründung festgehalten, dass ein gewerberechtlicher Geschäftsführer als solcher nicht als eine dem Leitungsorgan einer Gesellschaft zuzurechnende Person im Sinn des § 137b Abs. 1 zweiter Satz GewO 1994 anzusehen ist. § 137b Abs. 1 GewO 1994 bestimmt, dass alle jene Personen des Leitungsorgans die dort genannten Anforderungen zu erfüllen haben, die für die Versicherungsvermittlung maßgeblich verantwortlich sind. § 137b Abs. 1 GewO 1994 verlangt somit nicht, dass in jedem Fall alle dem Leitungsorgan angehörigen Personen dh. alle organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person die in dieser Bestimmung geforderte fachliche Eignung erfüllen müssen. Es steht dem kollegialen Leitungsorgan im Hinblick auf die beruflichen Anforderungen gemäß § 137b Abs. 1 GewO 1994 nämlich grundsätzlich frei, die Verantwortung für die Versicherungsvermittlung im Rahmen einer internen Geschäftsverteilung bzw. Ressortaufteilung einem oder mehreren Organwalter(n) zuzuweisen. Trifft das kollegiale Leitungsorgan keine derartige Ressortaufteilung, sind jedoch alle Organwalter des kollegialen Leitungsorgans als für die Versicherungsvermittlung maßgeblich verantwortliche Personen im Sinn des § 137b Abs. 1 GewO 1994 anzusehen (vgl. zu all dem erneut VwGH 1.2.2024, Ro 2021/04/0021, Rn. 23 bis 28).
14 Das Verwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass keines der Mitglieder des Vorstandes der mitbeteiligten Partei über den Befähigungsnachweis für das gegenständliche Gewerbe verfüge und kein Mitglied für die Versicherungsvermittlung maßgeblich verantwortlich sei. Die Rechtsansicht, dass der als gewerberechtlicher Geschäftsführer bestellte B für die Versicherungsvermittlung in Nebentätigkeit maßgeblich verantwortlich sein solle und damit als Leitungsorgan anzusehen sei, erweist sich vor dem Hintergrund des oben Gesagten als unzutreffend. Ausgehend davon ist das Verwaltungsgericht (auch im vorliegenden Fall) zum rechtswidrigen Ergebnis gelangt, dass die gesetzlichen Anforderungen für die gegenständliche Gewerbeanmeldung (hier: wegen der aufrechten Bestellung des B zum gewerberechtlichen Geschäftsführer) vorlägen.
15 6. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 20. Dezember 2024