JudikaturVwGH

Ra 2024/02/0190 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
06. Oktober 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der P in T, vertreten durch die Schärmer + Partner Rechtsanwälte GmbH in 1230 Wien, Dr. Neumann Gasse 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 24. Juni 2024, LVwG S 2232/004 2023, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Revisionswerberin als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der P GmbH in ihrer Funktion als handelsrechtliche Geschäftsführerin schuldig erachtet, sie habe eine Übertretung des § 3 Abs. 2 (iVm § 9 Abs. 2 Z 1 erster Fall) Verordnung Persönliche Schutzausrüstung (PSA V) zu verantworten, da ein bestimmter Arbeitnehmer auf einer bestimmten Baustelle im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit (Ladetätigkeiten mit Kran) ohne Kopf- und Nackenschutz beschäftigt worden sei, obwohl die mechanische Gefahr durch herabfallende Gegenstände bestanden habe. Über die Revisionswerberin wurde gemäß § 130 Abs. 1 Z 26 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

2 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

3 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

4 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung deren Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Erfüllung des objektiven Tatbestands angenommen, weil § 9 Abs. 2 Z 1 erster Fall PSA V verlange, dass der Arbeitgeber rechtswidrig Kopf- und Nackenschutz dem Arbeitnehmer nicht zur Verfügung stelle und zudem dies voraussetze, dass der Arbeitnehmer für eine Tätigkeit eingesetzt werde, bei der eine Gefahr iSd 2. Abschnitts der PSA-V bestehe. Das Verwaltungsgericht habe aber sich nicht damit auseinandergesetzt, ob dem Arbeitnehmer die Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt wurde und ob er gegen den Willen und ohne ein der Revisionswerberin zurechenbares Verschulden die Schutzausrüstung nicht getragen habe.

6 Mit diesem Vorbringen entfernt sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt, weshalb keine Zulässigkeit der Revision aufgezeigt werden kann, da die Lösung der Revision nicht von dieser Frage abhängt: Nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts war nämlich der verunfallte Arbeitnehmer für die Revisionswerberin auf einer bestimmten Baustelle im Zuge des Teilabbruchs und Aufstockung eines Wohnhauses mit einer Ladetätigkeit mit einem Kran beschäftigt und hat dabei zum Tatzeitpunkt keinen Helm bzw. „Kopf- und Nackenschutz“ getragen; es wurden dort auch keine regelmäßigen persönlichen Kontrollen der Arbeitnehmer durchgeführt. Ausgehend von dem festgestellten Sachverhalt war der objektive Tatbestand der spruchgemäß herangezogenen Bestimmung des § 3 Abs. 2 PSA V, demzufolge eine Beschäftigung des Arbeitnehmers mit Tätigkeiten, bei denen eine der im 2. Abschnitt angeführten Gefahren (fallbezogen: mechanische Gefahren durch herabfallende Gegenstände) besteht oder auftreten kann, nur bei Verwendung geeigneter persönlicher Schutzausrüstung iSd § 9 Abs. 2 Z 1 PSA V zulässig ist, erfüllt.

7 Die Sichtweise der Revisionswerberin, es komme darauf an, ob sie den Arbeitnehmer willentlich für eine gefährliche Tätigkeit ohne entsprechende Schutzausrüstung eingesetzt habe, greift zu kurz: Zum einen musste der Revisionswerberin angesichts der Aufgabenstellung an den Arbeitnehmer bekannt sein, dass er einer Gefahrensituation im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 1 erster Fall PSA V unterliegen konnte. Zum anderen setzte die Beschäftigung eines Arbeitnehmers in einer solchen Gefahrensituation nicht nur voraus, dass ihm eine Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt wird, sondern dass er im Sinne des § 3 Abs. 2 PSA V nur bei Verwendung der Schutzausrüstung tätig wird, was wiederum entsprechende Kontrollen durch die Arbeitgeberin vorausgesetzt hätte, die hier nicht vorgenommen wurden.

8 Die Revision legt nicht dar, von welcher Rechtsprechung das Verwaltungsgericht inwiefern abgewichen sein soll. Ebenso wenig führt die ferner aufgestellte Behauptung in der Revision, es fehle „an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den §§ 3, 9 PSA V sowie § 130 Abs 1 Z 26 ASchG und insbesondere zur Gefahr, die für die Anwendung der §§ 3, 9 PSA V verwirklicht sein muss“ zur Zulässigkeit der Revision, weil es sich dabei um abstrakte Rechtsfragen ohne Bezug zum konkreten Sachverhalt handelt, zu deren Beantwortung der Verwaltungsgerichtshof nicht gehalten ist (vgl. VwGH 17.2.2021, Ra 2021/02/0026, mwN).

9 Soweit die Revision die subjektive Zurechenbarkeit des Verstoßes in Abrede stellt, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Arbeitgeber im Bereich des Arbeitnehmerschutzes für die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems zu sorgen hat, wobei dieses Kontrollsystem gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen hat. Die Einrichtung eines entsprechenden Kontrollsystems ist für die Befreiung von der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften entscheidend (vgl. etwa VwGH 19.6.2024, Ra 2024/02/0103, mwN).

10 Schlichtes „Vertrauen“ darauf, dass sich ein Arbeitnehmer weisungskonform verhalte, entlastet den Arbeitgeber nicht. Das entsprechende Kontrollsystem hat auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen. Im Rahmen eines funktionierenden Kontrollsystems kann es kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten (vgl. VwGH 18.3.2024, Ra 2024/02/0052, mwN).

11 Nach der Rechtsprechung unterliegen betriebliche Kontrollsysteme einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgte und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis führte (vgl. erneut VwGH 18.3.2024, Ra 2024/02/0052, mwN).

12 Das Verwaltungsgericht hat in seinem angefochtenen Erkenntnis nachvollziehbar dargelegt, dass der Revisionswerber im Verfahren kein den genannten Anforderungen entsprechendes wirksames Kontrollsystem dargetan hat. Die Revision zeigt nicht auf, dass die fallbezogene Beurteilung des Kontrollsystems durch das Verwaltungsgericht unvertretbar gewesen wäre.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 6. Oktober 2024

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