JudikaturVwGhRa 2024/01/0083

Ra 2024/01/0083 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der Salzburger Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 8. Jänner 2024, Zl. 405 11/393/1/76 2024, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Parteien: 1. M K, 2. B K und 3. S K, alle in S),

I. zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen, soweit sie sich gegen die Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf die Zweitmitbeteiligte richtet.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

1 Mit Bescheid der Salzburger Landesregierung (in der Folge: Amtsrevisionswerberin) vom 25. April 2022 wurde der Antrag der Erstmitbeteiligten, einer afghanischen Staatsangehörigen, vom 12. Oktober 2020, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft „mit Erstreckung“ auf ihre Kinder, die Zweitmitbeteiligte und den Drittmitbeteiligten, gemäß § 39 iVm § 11a Abs. 7, § 17 Abs. 1 Z 1, § 18 sowie iVm § 5 Abs. 3, § 4 zweiter Satz und § 19 Abs. 2 erster Satz Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 „idgF“ (StbG) abgewiesen.

2 Dagegen erhoben die mitbeteiligten Parteien Beschwerde.

3 Mit Beschluss vom 19. Oktober 2022 hob das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) diesen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 [zweiter Satz] VwGVG auf, verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Amtsrevisionswerberin zurück und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, die Amtsrevisionswerberin habe „keinerlei Ermittlungsschritte“ zur Frage der Feststellung der Identität der Erstmitbeteiligten mittels Identitätszeugen und mittels der Anordnung der Abnahme der Papillarlinienabdrücke der Finger gesetzt.

5 Infolge der dagegen von der Amtsrevisionswerberin erhobenen außerordentlichen Revision hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Beschluss mit Erkenntnis vom 29. Juni 2023, Ra 2022/01/0372, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

6 Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf sein Erkenntnis vom selben Tag, Ra 2022/01/0371, aus, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die unterbliebene Einvernahme von Identitätszeugen den Bescheid der Amtsrevisionswerberin mit einem zur Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG führenden Mangel belaste, unzutreffend sei. Der Umstand, dass im vorliegenden Fall das Verwaltungsgericht den angefochtenen Beschluss zudem mit der von der Amtsrevisionswerberin nicht durchgeführten Abnahme der Papillarlinienabdrücke der Finger der Erstmitbeteiligten begründet habe, vermöge daran nichts zu ändern, zumal der Amtsrevisionswerberin auch im vorliegenden Fall nicht vorgeworfen werden könne, sie habe generell jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen bzw. völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt, und die Aufhebung und Zurückverweisung auch im vorliegenden Fall mit der Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung nicht in Einklang zu bringen sei.

7 Im erwähnten Erkenntnis Ra 2022/01/0371 hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 2. April 2021, Ro 2021/01/0010, insbesondere (neuerlich) klargestellt, dass der Feststellung der Identität nach § 5 Abs. 3 StbG (auch) die direkte oder indirekte Identifizierung durch Identitätszeugen dient und dass in Verbindung mit den Angaben von Identitätszeugen auch amtliche Dokumente, die als solche für den gemäß § 5 Abs. 3 StbG vorgesehenen Nachweis der Identität des Fremden nicht genügen, als Beweismittel herangezogen werden können. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof auch unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. März 2023, E 3480/2022 15 neuerlich betont, dass sich im Hinblick auf den nach § 5 Abs. 3 StbG geforderten Identitätsnachweis von Fremden eine allzu strenge Sichtweise verbietet.

8 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gegen den Bescheid vom 25. April 2022 Folge, verlieh der Erstmitbeteiligten gemäß § 11a Abs. 7 StbG mit Wirkung vom 9. Jänner 2024 die österreichische Staatsbürgerschaft (I.), erstreckte diese Verleihung gemäß § 17 Abs. 1 StbG auf die Zweitmitbeteiligte und den Drittmitbeteiligten (II.) und verpflichtete die mitbeteiligten Parteien zur Entrichtung einer Verwaltungsabgabe (III.). Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig (IV.).

9 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Identitäten der mitbeteiligten Parteien stünden aus der Gesamtschau der vorgelegten Beweismittel in Verbindung mit den glaubwürdigen Aussagen der Erst und der Zweitmitbeteiligten sowie der Zeugenaussagen der Schwester und des Ehegatten der Erstmitbeteiligten (deren Identitäten ihrerseits feststünden) fest. Die mitbeteiligten Parteien hätten im Verfahren umfassend mitgewirkt; zur Abnahme von Fingerabdrücken sei die Erstmitbeteiligte anstandslos bereit gewesen.

10 In Bezug auf die (asylberechtigte) Erstmitbeteiligte lägen die Verleihungsvoraussetzungen des § 11a Abs. 7 StbG vor; Verleihungshindernisse seien nicht hervorgekommen. Die für das Ausscheiden aus dem afghanischen Staatsverband erforderlichen Handlungen seien den mitbeteiligten Parteien nicht zumutbar.

11 Der Erstmitbeteiligten sei somit die Staatsbürgerschaft zu verleihen und die Staatsbürgerschaft auf die „zum Antragszeitpunkt minderjährigen“ Kinder der Erstmitbeteiligten, die Zweitmitbeteiligte und den Drittmitbeteiligten zu erstrecken.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zu I.

12 Im Hinblick auf die Erstreckung der Staatsbürgerschaft auf die Zweitmitbeteiligte bringt die Amtsrevision zur Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Erstreckung der Verleihung nach § 17 Abs. 1 StbG auf Personen möglich sei, die im Antragszeitpunkt noch minderjährig gewesen, im Zuge des Verleihungsverfahrens jedoch volljährig geworden seien.

13 Die Revision ist in diesem Punkt zulässig; sie ist aber nicht begründet.

14 Gemäß § 17 Abs. 1 StbG ist die Verleihung der Staatsbürgerschaft unter den dort genannten Voraussetzungen auf die Kinder des Fremden zu erstrecken, sofern die Kinder u.a. minderjährig sind.

15 Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem auch in der Amtsrevision erwähnten Erkenntnis vom 1. Juli 2022, E 3398/2021 10 = VfSlg. 20.560, mit näherer Begründung ausgesprochen, dass § 12 Abs. 1 Z 3 iVm § 17 Abs. 1 StbG bei verfassungskonformer Interpretation dahin zu verstehen ist, dass für die spezifische Voraussetzung der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung bei der Staatsbürgerschaftsbehörde abzustellen ist.

16 Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Für die Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 StbG ist sohin die Minderjährigkeit des Erstreckungswerbers im Zeitpunkt der Stellung des Erstreckungsantrags maßgeblich; auf eine im Laufe des Verleihungs bzw. Erstreckungsverfahrens eintretende Volljährigkeit kommt es nicht an.

17 Die (im Jahr 2005 geborene) Zweitmitbeteiligte war im Antragszeitpunkt (12. Oktober 2020) noch minderjährig; die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits eingetretene Volljährigkeit stand der Anwendung des § 17 Abs. 1 StbG daher nicht entgegen.

18 Die Revision erweist sich insofern als unbegründet, weshalb sie in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat ohne weiteres Verfahren in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 35 Abs. 1 leg. cit. abzuweisen war.

Zu II:

19 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

20 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

21 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

22 Soweit sich die Amtsrevision in weitwendigen Ausführungen im Ergebnis gegen die vom Verwaltungsgericht festgestellten Identitäten der mitbeteiligten Parteien bzw. die diesbezügliche Beweiswürdigung wendet, wird damit keine vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt:

23 Das Verwaltungsgericht hat im fortgesetzten Verfahren nach Durchführung eines umfassenden Ermittlungsverfahrens bzw. auf der Grundlage einer eingehenden Beweiswürdigung die Identitäten der mitbeteiligten Parteien festgestellt und sich dabei beweiswürdigend insbesondere auf die von ihnen zum Nachweis ihrer Identität vorgelegten Beweismittel (Konventionsreisepässe, Geburtsurkunden, Heiratsurkunde, kriminaltechnisch untersuchte afghanische Identitätsnachweise der Erst und der Zweitmitbeteiligten u.a.), auf die eingeholten Papillarlinienabdrücke der Finger der Erstmitbeteiligten sowie insbesondere auf die Angaben des in zwei mündlichen Verhandlungen als Identitätszeugen einvernommenen Ehemannes und der Schwester der Erstmitbeteiligten gestützt.

24 Das Verwaltungsgericht hat mit dieser Vorgangsweise der ihm durch das Vorerkenntnis Ra 2022/01/0372 überbundenen Rechtsanschauung entsprochen; es ist auch von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zur Identitätsfeststellung nach § 5 Abs. 3 StbG (vgl. VwGH Ro 2021/01/0010; Ra 2022/01/0371) nicht abgewichen.

25 Dass die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts zur Identitätsfeststellung der mitbeteiligten Parteien unvertretbar bzw. krass fehlerhaft wäre, wird von der Revision nicht aufgezeigt.

26 Der genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass wie die Amtsrevisionswerberin im Hinblick auf die Zweitmitbeteiligte und den Drittmitbeteiligten in der Zulässigkeitsbegründung vorbringt die „Registrierung“ eines Verleihungs- bzw. Erstreckungswerbers im Herkunftsland eine „Grundvoraussetzung für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft“ wäre.

27 Durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist weiters geklärt, dass bei Asylberechtigten regelmäßig von der Unzumutbarkeit der Vornahme von Handlungen für das Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband auszugehen ist (vgl. jüngst VwGH 19.10.2023, Ra 2023/01/0274, mwN). Das Verwaltungsgericht ist von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen. Auf die Frage, ob die Asylgewährung an den Fremden aufgrund einer festgestellten Verfolgung durch den Staat oder durch Private erfolgte, kommt es demnach nicht an, weshalb das Zulässigkeitsvorbringen der Revision auch in diesem Punkt ins Leere geht.

28 Abschließend sei die Amtsrevisionswerberin im gegebenen Zusammenhang daran erinnert, dass dem Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell eine Leitfunktion zukommt. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. etwa VwGH 24.3.2021, Ra 2020/01/0471; 24.7.2023, Ra 2023/01/0074, jeweils mwN; vgl. im Übrigen abermals VwGH Ra 2023/01/0274, betreffend die Zurückweisung einer Revision der Amtsrevisionswerberin i.A. einer Identitätsfeststellung nach § 5 Abs. 3 StbG).

29 Die Revision war daher im genannten Umfang zurückzuweisen.

Wien, am 4. April 2024

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