Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des Ö S in W, vertreten durch Mag. Julian A. Motamedi, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Baumannstraße 9/12A, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 15. Juni 2023, Zl. VGW 152/104/12877/2022 26, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis stellte das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Sache gemäß § 39 und § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) fest, dass der Revisionswerber durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit Wirkung vom 30. April 2018 die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG verloren habe und nicht mehr im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sei. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG wurde für unzulässig erklärt.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, mit Bescheid der belangten Behörde vom 28. Februar 2003 sei dem Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Mit Überreichung der Entlassungsurkunde am 28. März 2003 durch die türkischen Behörden sei der Revisionswerber aus dem türkischen Staatsverband ausgeschieden.
3 Nach Wiedergabe der maßgeblichen türkischen gesetzlichen Bestimmungen stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die türkische Staatsangehörigkeit Voraussetzung für die Eintragung in das türkische Auslandswählerregister und die Wahlberechtigung zu türkischen Wahlen sei. Der Revisionswerber sei für die türkische Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 24. Juni 2018 im türkischen Auslandswählerregister mit seinem Namen und der näher genannten „KIMLIK Nummer“ als wahlberechtigt eingetragen gewesen. Er sei sohin am Stichtag für die Berechtigung zur Teilnahme an der türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahl, dem 30. April 2018, im Besitz der türkischen Staatsbürgerschaft gewesen. Der Wiedererwerb der türkischen Staatsbürgerschaft sei auf Antrag des Revisionswerbers erfolgt.
4 Die Feststellungen zur Wahlberechtigung und zur wieder angenommenen Staatsbürgerschaft würden sich aus der im Behördenakt befindlichen Dokumentation und dem entsprechenden Aktenvermerk über die von der belangten Behörde getätigte Abfrage auf der offiziellen Homepage der Hohen Wahlkommission der Türkei ergeben, die am 21. Juni 2018 von der belangten Behörde unter Heranziehung der Daten des Revisionswerbers getätigt worden sei. Aus dem vorgelegten und in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wiederholten Auszug aus dem „E-Devlet“ sei eindeutig ersichtlich, dass die „KIMLIK Nummer“ jene des Revisionswerbers sei. Auch die von der belangten Behörde unter Berufung auf den Personalausweis genannte Provinz und Reihennummer stimmten überein. Für das Verwaltungsgericht ergebe sich daraus die Authentizität des Datensatzes und es sei damit ausgeschlossen, dass es sich um eine andere Person als den Revisionswerber handle. Bei der von der belangten Behörde durchgeführten Abfrage der von der Hohen Wahlkommission der Türkei zur Verfügung gestellten Wählerevidenz handle es sich nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung um ein taugliches Beweismittel. Seit dem Ausscheiden des Revisionswerbers aus dem türkischen Staatsverband im Jahr 2003 könne nach der türkischen Rechtslage ein Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nur auf Antrag der betroffenen Person erfolgen. Einen Antrag auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft habe der Revisionswerber nicht gestellt. Demnach seien die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG für den Verlust der Staatsbürgerschaft infolge Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit erfüllt. Entsprechend näher dargelegter Erwägungen bringe der Verlust der Unionsbürgerschaft für den Revisionswerber keinen derart unverhältnismäßigen Nachteil mit sich, dass von der Feststellung des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise abzusehen wäre.
5 Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) lehnte mit Beschluss vom 18. September 2023, E 2387/2023 7, die Behandlung der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
6 Begründend führte der VfGH unter anderem aus, dass spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Verwaltungsgericht die Feststellung, dass der Revisionswerber die türkische Staatsangehörigkeit wiedererworben habe, zu Recht auf das von der Hohen Wahlkommission der Türkei online zur Verfügung gestellte Ausländerwählerverzeichnis stütze, nicht anzustellen seien.
7 In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Soweit die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen zunächst geltend macht, das Verwaltungsgericht habe keinerlei Feststellungen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Entzugs der österreichischen Staatsbürgerschaft mit Blick auf den damit einhergehenden Verlust der „Unionsstaatsbürgerschaft“ getroffen, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt und zeigt schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (vgl. etwa VwGH 27.9.2023, Ra 2023/01/0184; 10.1.2024, Ra 2023/19/0463, jeweils mwN). Das Verwaltungsgericht traf durchaus detaillierte Feststellungen zu den privaten und familiären Lebensumständen des Revisionswerbers und damit auch zu den Folgen des Verlustes der Unionsbürgerschaft für den Revisionswerber, auf die es in seinen rechtlichen Erwägungen im Rahmen der unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. dazu etwa VwGH 18.2.2020, Ra 2020/01/0022, mwN) fallbezogen auch näher einging.
12 In ihren Zulässigkeitsausführungen macht die Revision weiters geltend, das Verwaltungsgericht habe das Nichtvorliegen einer „Mavi Kart“ als Grund dafür genannt, dass zu Lasten des Revisionswerbers zu entscheiden gewesen wäre. In einem anderen, jedoch vergleichbaren Fall habe das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer „Mavi Kart“ hingegen als letztlich unzulässigen Beweis für die Nichtannahme der türkischen Staatsbürgerschaft gewertet. Das Verwaltungsgericht entscheide offenbar willkürlich. Es sei auch unzutreffend, dass der Revisionswerber die Staatenlosigkeit selbst verursacht hätte, da er keine Handlungen zur Wiedererlangung der türkischen Staatsbürgerschaft gesetzt habe. Überdies würden im vom Revisionswerber generierten Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister keine staatsbürgerschaftlichen Anmerkungen, wie etwa der Austritt des Revisionswerbers aus dem türkischen Staatsverband oder ein allfälliger neuerlicher Eintritt in den türkischen Staatsverband, aufscheinen. Das Verwaltungsgericht habe all diese Gegenbeweise des Revisionswerbers zur behaupteten Wiedererlangung der türkischen Staatsbürgerschaft und insbesondere Gegenbeweise zur tatsächlichen Nichtabgabe irgendwelcher Zustimmungen und/oder Willenserklärungen in keiner Weise gewürdigt und deren Beweiskraft ignoriert. Dazu existiere keinerlei Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
13 Mit diesem Vorbringen wendet sich die Revision der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. zu § 27 StbG etwa VwGH 21.3.2022, Ra 2022/01/0065; 14.11.2023, Ra 2023/01/0295, jeweils mwN).
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verlangt § 27 Abs. 1 StbG nicht eine „hundertprozentige Sicherheit“ für die Feststellung des (Wieder )Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit auf Grund des Antrages, der Erklärung oder der ausdrücklichen Zustimmung des Betroffenen. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht im Feststellungsverfahren nach § 27 Abs. 1 StbG verpflichtet, den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. In diesem Zusammenhang ist auf den mit § 45 Abs. 2 AVG normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung hinzuweisen, wonach die Behörde bzw. iVm § 17 VwGVG das Verwaltungsgericht bei der Beweiswürdigung nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommenen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt zu beurteilen hat (vgl. VwGH 19.7.2023, Ra 2023/01/0177, mwN).
16 Dass die vom Verwaltungsgericht angestellten, einzelfallbezogen und damit allein auf die Umstände des Revisionsfalls Bedacht nehmenden Erwägungen mit vom Verwaltungsgerichtshof infolge Unvertretbarkeit aufzugreifenden Mängeln behaftet wären, zeigt die Revision nicht auf.
17 Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt ist, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 8.3.2024, Ra 2023/01/0365 bis 0367, mwN).
18 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 10. Mai 2024