JudikaturVwGH

Ra 2023/21/0188 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
21. März 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des A S, vertreten durch Rast Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2023, I415 1268184 4/13E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 1984 geborene Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im Oktober 2005 nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich im Mai 2008 rechtskräftig abgewiesen wurde. Nach seiner Ausreise im November 2009 kehrte er bereits im Mai 2011 wieder nach Österreich zurück. Seit seiner Eheschließung mit einer polnischen Staatsangehörigen im Mai 2014 hält er sich durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet auf. Der Ehe entstammt eine im Jänner 2016 geborene Tochter, die als polnische Staatsangehörige ebenso wie ihre Mutter über eine Anmeldebescheinigung verfügt. Seit der Scheidung der Ehe im Dezember 2019 kommt der Mutter die alleinige Obsorge über die gemeinsame Tochter zu. Im Bundesgebiet wohnt überdies der ältere Bruder des Revisionswerbers und ein weiterer Bruder in Deutschland, wogegen im Kosovo seine Mutter und seine Schwester leben.

2 Nachdem der Revisionswerber, dem eine von Dezember 2014 bis Dezember 2019 gültige Aufenthaltskarte als Angehöriger einer EWR Bürgerin ausgestellt worden war, neuerlich die Ausstellung einer Aufenthaltskarte beantragt hatte, wurde ihm in weiterer Folge ein Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“ mit einer Gültigkeit von Oktober 2021 bis Oktober 2022 erteilt. Im April 2023 stellte er dazu einen Verlängerungsantrag.

3 Bereits mit Urteil vom 13. Dezember 2019 hatte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Revisionswerber wegen des teils versuchten, teils vollendeten Verbrechens des gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 2 zweiter Fall (iVm Abs. 1 erster Fall); 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten (davon zwölf Monate bedingt) rechtskräftig verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im September und Oktober 2019 in Wien gewerbsmäßig in 29 Fällen (überwiegend) Bargeld und auch Mobiltelefone in einem 5.000, Euro nicht übersteigenden Gesamtwert durch Einbruch in verschiedene Geschäfte gestohlen oder zu stehlen versucht.

4 Ein daraufhin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 25. März 2020 erlassenes, auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 13. Juli 2020 in Stattgebung einer dagegen erhobenen Beschwerde, wobei die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen wurde. Schließlich stellte das BFA das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein, nachdem es den Revisionswerber mit dem Hinweis, dass er bei einem weiteren Fehlverhalten mit der (neuerlichen) Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu rechnen habe, ermahnt hatte.

5 In der Folge verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien mit rechtskräftigem Urteil vom 18. Februar 2021 wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs. 1 und 2 Z 2 StGB über den Revisionswerber eine Geldstrafe, weil er im Zeitraum von August 2020 bis Dezember 2020 seine geschiedene Ehefrau in einer Weise, die geeignet gewesen sei, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, widerrechtlich beharrlich verfolgt habe, indem er sie täglich bis zu 50 Mal, teilweise auch nachts, fernmündlich kontaktiert und ihr jeden Tag bis zu 20 WhatsApp- bzw. SMS Nachrichten geschrieben habe.

6 Kurz darauf verurteilte das Bezirksgericht Leopoldstadt den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil vom 10. Mai 2021 in Abwesenheit wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten, weil er am 9. März 2021 ein Mobiltelefon im Wert von € 1.149, zu stehlen versucht habe.

7 Zuletzt verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil vom 8. Februar 2022 wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen, teils räuberischen Diebstahls (teils durch Einbruch) nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 2 zweiter Fall (iVm Abs. 1 erster Fall), 131 erster Fall; 15 StGB, der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB sowie wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren. Ferner wurde die mit Urteil vom 13. Dezember 2019 gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe sich im März 2021 und im Zeitraum von September 2021 bis zu seiner Festnahme im Oktober 2021 in 29 Fällen durch Einschlagen von Fensterscheiben, Aufbrechen von Eingangstüren oder Fenstern mit einem Brecheisen sowie durch Einsteigen unter nicht unwesentlicher Veränderung seiner Körperhaltung Zutritt in Geschäftslokale verschafft und Bargeld, Mobiltelefone oder sonstige Gegenstände im Gesamtwert von mehr als € 28.000, gestohlen oder zu stehlen versucht, wobei er bei einem Diebstahl auf frischer Tat betreten worden sei und dem Ladendetektiv mit beiden Händen einen heftigen Stoß gegen die Brust versetzt habe, um sich die weggenommenen Sachen zu erhalten. Weiters habe er im Februar und März 2021 in vier Fällen die Unterschrift seines Bruders auf Auszahlungsverfügungen gefälscht und Mitarbeitern einer Bank vorgelegt sowie den Reisepass seines Bruders an sich genommen und für sich verwendet.

8 Wegen dieser Straftaten erließ das BFA gegen den Revisionswerber mit dem im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom 5. Juli 2023 in Bindung an die vom BVwG im ersten Rechtsgang vertretene Rechtsansicht gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von acht Jahren, erteilte ihm in Anwendung des letzten Halbsatzes des § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.

9 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. Oktober 2023 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung insofern statt, als es die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf sechs Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Unter einem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

10 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit dem Beschluss VfGH 13.12.2023, E 3692/2023, ablehnte und sie unter einem dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

11 Die in der Folge ausgeführte außerordentliche Revision erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig.

12 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

14 In der diesbezüglichen Begründung wendet sich die Revision, in der der herangezogene Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nicht in Frage gestellt wird, nur gegen die Interessenabwägung des BVwG und verweist auf seinen zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis insbesondere auf VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243) besonderes Gewicht zukomme. Das BVwG habe missachtet, dass der Revisionswerber seinen gesamten Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet habe und mittlerweile bestens integriert sei. Da er ein gutes Verhältnis zu seiner minderjährigen Tochter habe, sei die Annahme des BVwG, sein Verhältnis zur Tochter sei als „relativiert“ zu betrachten, unrichtig. Überdies widerspreche das angefochtene Erkenntnis der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Kindeswohl, zumal das BVwG eine eigenständige Kindeswohlprüfung „vernachlässigt“ habe.

15 Dazu ist vorauszuschicken, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage beruht und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt ist nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B VG ist (vgl. etwa VwGH 30.11.2023, Ra 2022/21/0170, Rn. 21, mwN).

16 Das ist hier der Fall. Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht nahm das BVwG auf die Auswirkungen der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme für den Revisionswerber und sein Kind ausreichend Bedacht. Der Revisionswerber beging jedoch selbst nach ausdrücklicher Androhung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Falle eines nochmaligen Fehlverhaltens im raschen Rückfall einschlägige Straftaten wiederholt gewerbsmäßig und in gesteigerter Form. Auf Basis der nach mündlicher Verhandlung getroffenen Annahmen durfte das BVwG daher vertretbar davon ausgehen, dass das große öffentliche Interesse an der Unterbindung von Delikten der vorliegenden Art das private und familiäre Interesse des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich überwiege und deshalb die mit der durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Trennung von seiner minderjährigen Tochter verbundenen Konsequenzen wegen dieses öffentlichen Interesses hinzunehmen seien. Das BVwG bezog in diesem Zusammenhang auch die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich ausreichend in die Interessenabwägung ein, durfte aber im Ergebnis zu Recht davon ausgehen, dass deren Gewicht in Anbetracht der erheblichen Straffälligkeit des Revisionswerbers maßgeblich zu relativieren sei. Vor diesem Hintergrund erweisen sich auch die in der Revision kritisierten Ausführungen des BVwG, dass angesichts der Begründung des Scheidungsurteils, wonach sich der Revisionswerber wenig um seine Tochter gekümmert habe, sein Familienleben mit seiner Tochter als relativiert zu betrachten sei, als nicht tragend. Die Bindungen des Revisionswerbers zu seiner Tochter wurden ferner bei der Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots angemessen berücksichtigt.

17 Im Übrigen ist die in der Revision angesprochene Judikaturlinie zu einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt nur für die Frage maßgeblich, ob einem unrechtmäßig aufhältigen Fremden ein aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zuzugestehen ist, und sie ist daher in Fällen wie dem vorliegenden, in dem es um eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen einen aufgrund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen dessen Straffälligkeit geht, schon von vornherein nicht einschlägig. Außerdem käme diese Judikaturlinie, die sich in der Regel nur auf strafrechtlich unbescholtene Fremde bezieht, im vorliegenden Fall auch wegen der gravierenden Straffälligkeit des Revisionswerbers nicht zum Tragen (vgl. dazu VwGH 16.8.2022, Ra 2022/21/0084, Rn. 14, mwN). Aus diesem Grund unterscheidet sich der gegenständliche Fall auch von jenem, der dem in der Revision zum Beleg ihres Rechtsstandpunktes herangezogenen Erkenntnis VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243, zugrunde lag.

18 Auch ist entgegen dem Vorbringen in der Revision nicht ersichtlich, dass das BVwG eine antizipierende Beweiswürdigung, die auch vom Revisionswerber nicht näher inhaltlich konkretisiert wird, vorgenommen hätte.

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 21. März 2024

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