JudikaturVwGH

Ra 2023/19/0325 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
12. September 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, in der Revisionssache des C T, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Kärntner Straße 7B/2. OG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 2022, G315 2223360 1/84E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 11. März 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass er Mitglied der kurdischen Partei HDP sei und Wahlwerbung für diese Partei betrieben habe. Deshalb sei er festgenommen und beschuldigt worden, Mitglied einer terroristischen Organisation zu sein. Er sei zwar freigelassen, das Verfahren sei jedoch fortgesetzt worden. Nach Erlassung eines Haftbefehls gegen ihn im April 2018 habe er die Türkei verlassen.

2 Mit Bescheid vom 7. August 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit Beschluss vom 7. Dezember 2021 erklärte das Landesgericht Ried im Innkreis die Auslieferung des Revisionswerbers an die Republik Türkei zur Vollstreckung der im Auslieferungsersuchen der Leitenden Staatsanwaltschaft von Denizli vom 4. Februar 2021 angeführten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten für unzulässig. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Revisionswerber aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der HDP in der Haft Gewalt erlitten habe und zu befürchten sei, dass die in der Türkei gegen den Revisionswerber verhängte Freiheitsstrafe in einer nicht dem Art. 3 EMRK entsprechenden Weise vollzogen werden würde. Diese Entscheidung erwuchs nach Abweisung einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft Linz durch das Oberlandesgericht Linz in Rechtskraft.

4 Mit Erkenntnis vom 7. März 2022 gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Beschwerdeweg dem Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte statt und stellte ihm gemäß § 54 Abs. 1 NAG eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren aus.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 4. November 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den Bescheid des BFA vom 7. August 2019 erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und die Nicht Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet ab, behob aber den Ausspruch über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber, den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung und über die Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise ersatzlos. Unter einem sprach das BVwG ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 13. Juni 2023, E 683/2023 5, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie in weiterer Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7 Schließlich erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 In ihrer Zulässigkeitsbegründung macht die Revision unter Verweis auf die Revisionsgründe eine unvertretbare und die Rechtssicherheit beeinträchtigende Beweiswürdigung des BVwG geltend. Überdies sei das BVwG der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 10.4.2019, Ro 2018/18/0005) bestehenden Verpflichtung, bei der Zulässigkeit einer Abschiebung auf allfällige auslieferungsgerichtliche Entscheidungen Bedacht zu nehmen, nicht nachgekommen.

12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. zuletzt etwa VwGH 29.6.2023, Ra 2023/19/0147, mwN).

13 Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte, mit dessen Fluchtvorbringen befasst und mit ausführlicher Begründung dargelegt, weshalb es weder die behauptete Mitgliedschaft des Revisionswerbers in der HDP noch seine vorgebrachte politische Verfolgung vor der Ausreise aus der Türkei und seine Rückkehrbefürchtungen den Feststellungen zugrunde legen konnte. Dabei bezog das BVwG auch aktuelle Länderberichte mit ein, setzte sich mit den vom Revisionswerber vorgelegten Beweismitteln, wie etwa eine vom Onkel des Revisionswerbers ausgestellte Bestätigung der Parteimitgliedschaft, auseinander und verwies auf verschiedene Aussagen des Revisionswerbers im Laufe des Verfahrens, die das BVwG als (teilweise massiv) widersprüchlich, unplausibel und vage wertete. Schließlich ging das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber, der den Umstand seiner Verurteilung in der Türkei wegen eines Drogendelikts zu verschweigen versucht habe, lediglich eine untergeordnete Rolle bei der Wahlwerbung für die HDP gespielt habe und nicht Parteimitglied gewesen sei.

14 Eine Unvertretbarkeit dieser Beweiswürdigung vermochte die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung mit ihrem pauschalen Vorbringen nicht aufzuzeigen.

15 Was die Entscheidung des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 7. Dezember 2021 (laut Rn. 3) anbelangt, sind nach dem auch in der Revision zitierten Erkenntnis VwGH 10.4.2019, Ro 2018/18/0005, die Asyl- und Fremdenbehörden nach Abschluss des Auslieferungsverfahrens in der Beurteilung der Abschiebemöglichkeit eines Fremden an die Entscheidung des Auslieferungsgerichts nicht gebunden. Sie haben jedoch bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Abschiebung auf die Entscheidung des Auslieferungsgerichts Bedacht zu nehmen, und zwar insbesondere dann, wenn das Auslieferungsgericht dasselbe Prüfkalkül (etwa eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK) angewandt hat. In diesen Fällen müssten die Asylbehörden unter Einbeziehung der Erwägungen des Auslieferungsgerichts nachvollziehbar darlegen, weshalb dem Betroffenen eine von den Asylbehörden wahrzunehmende Missachtung von Menschenrechten im Falle der Abschiebung nicht droht (vgl. ferner VwGH 19.4.2023, Ra 2023/14/0051, unter Hinweis auf VwGH 10.4.2019, Ro 2018/18/0005).

16 Entgegen dem Revisionsvorbringen setzte sich das BVwG mit den Erwägungen des Auslieferungsgerichts auseinander und begründete ausführlich, weshalb es diesen Erwägungen nicht folgte. Dabei führte das BVwG ins Treffen, dass das Landesgericht Ried im Innkreis von einer Parteimitgliedschaft des Revisionswerbers bei der HDP, das BVwG jedoch nur von einer untergeordneten Unterstützungstätigkeit ausgegangen sei. Zudem habe der Revisionswerber die Geschehnisse vor der Ausreise aus der Türkei im Verfahren vor dem Landesgericht Ried im Innkreis anders dargestellt. Die behaupteten Folterungen hätten sich im Asylverfahren wegen gravierender Widersprüche und Inkonsistenzen in den Angaben des Revisionswerbers jedenfalls als unglaubwürdig erwiesen.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

18 Von einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 12. September 2023

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