JudikaturVwGH

Ra 2023/18/0417 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. Januar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. in Gröger als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, in der Revisionssache der revisionswerbenden Parteien 1. N G, und 2. M G, beide vertreten durch Dr. Harry Fretska, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 22/5, gegen das am 17. Juli 2023 mündlich verkündete und am 13. September 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, 1. L518 2272330 1/11E und 2. L518 2272326 1/16E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die revisionswerbenden Parteien, Staatsangehörige Georgiens, sind Ehegatten.

2 Mit Bescheiden jeweils vom 19. April 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der revisionswerbenden Parteien sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei, und legte jeweils eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die revisionswerbenden Parteien erhoben dagegen zunächst vollumfänglich Beschwerde, zogen diese in weiterer Folge jedoch hinsichtlich der Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten zurück.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde im verbliebenen Anfechtungsumfang der revisionswerbenden Parteien als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

5 In seiner Begründung ging das BVwG davon aus, die Zweitrevisionswerberin sei im Oktober 2022 in Georgien nach einer Darmkrebs Diagnose notoperiert worden. Im November 2022 seien sie und der Erstrevisionswerber nach Österreich geflogen, wo auch ihre beiden volljährigen Kinder leben würden. Derzeit liege ein ausgezeichneter Allgemeinzustand unter oraler palliativer Chemotherapie vor. Strahlen- und Chemotherapien und die dafür erforderliche Medikation seien in Georgien erhältlich. Aufgrund des Krankheitsbildes sei nicht ableitbar, dass eine Überstellung nach Georgien zu einer massiven Beeinträchtigung des gesundheitlichen Zustandes der Zweitrevisionswerberin führen würde; eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohe nicht.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 6.11.2023, Ra 2023/18/0261, mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende außerordentliche Revision nicht gerecht, indem sie zu ihrer Zulässigkeit lediglich ausführt:

„Die vorliegende Revision ist von den Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung abhängig, da einerseits das revisionsgegenständliche Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht (Näheres siehe Punkt 5.1.1.1. bis 5.1.1.3. unten) und andererseits die Rechtsprechung zu den hier wesentlichen Fragen, wie weit sich man um die fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat informieren muss (Näheres siehe Punkt 5.1.1.1.) und ob das durch die Blutsverwandtschaft begründete Familienleben bei der Kernfamilie verbunden mit einer schweren Krankheit eines Familienmitglieds das Interesse an einer Abschiebung überwiegt (Näheres siehe Punkt 5.1.1.5.), fehlt.“

11 Der bloße Verweis der Zulassungsbegründung auf die folgenden Revisionsgründe genügt nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls nicht (vgl. VwGH 17.8.2021, Ra 2021/18/0226, mwN).

12 Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. etwa VwGH 5.7.2023, Ra 2022/18/0328, mwN, und EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien ).

13 Der EGMR hat überdies betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen (vgl. wiederum VwGH 5.7.2023, Ra 2022/18/0328, mwN, und EGMR 7.12.2021, Nr. 57467/15, Savran/Dänemark ).

14 Das BVwG hat sich im angefochtenen Erkenntnis mit der gesundheitlichen Situation und den Zugangsmöglichkeiten der Zweitrevisionswerberin zu den für sie erforderlichen Behandlungen und Medikamenten auseinandergesetzt und ist zum Ergebnis gekommen, dass eine adäquate medizinische Versorgung in Georgien gegeben sei und bis zu 80 % der Kosten für Chemotherapie und Medikamente vom Staat übernommen würden. Neben den Möglichkeiten, Sozialleistungen zu beziehen, stehe den revisionswerbenden Parteien auch ein Netz von näher bezeichneten Verwandten zur Verfügung, welche zur Finanzierung der etwaig teilweise kostenpflichtigen Behandlung beitragen könnten. Die Revision bezweifelt all dies in den Revisionsgründen, legt aber nicht hinreichend dar, dass die gegenteiligen Tatsachenfeststellungen des BVwG auf einer unvertretbaren Beweiswürdigung beruhen würden. Insoweit zeigt sie auch deshalb keine revisible Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung auf.

15 Zu den Rückkehrentscheidungen ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG ist (vgl. VwGH 26.9.2022, Ra 2022/18/0223, mwN). Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN). Die Revision legt nicht dar, dass das BVwG bei seiner Abwägung den ihm nach der dargestellten Rechtsprechung eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hätte.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Jänner 2024

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