Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision 1. des M G, 2. der G G, 3. der R G, 4. des R G, 5. der H G, und 6. der G G, alle vertreten durch Dr. Peter Zawodsky, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 71/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2025, 1. L532 2287658 1/11E, 2. L532 2287656 1/11E, 3. L532 2287661 1/8E, 4. L532 2287660 1/8E, 5. L532 2287657 1/8E und 6. L532 2287654 1/24E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen dritt bis sechstrevisionswerbenden Parteien. Alle sind Staatsangehörige der Türkei und Angehörige der kurdischen Volksgruppe.
2 Die revisionswerbenden Parteien stellten jeweils am 27. Dezember 2022 Anträge auf internationalen Schutz, die sie im Wesentlichen damit begründeten, dass der Erstrevisionswerber mehrmals von der türkischen Polizei festgenommen und gefoltert worden sei, wobei man von ihm verlangt habe, seinen in Österreich seit dem Jahr 2003 aufhältigen und seit dem Jahr 2009 asylberechtigten Bruder, der in der Türkei weiterhin wegen seines politischen Eintretens für die Kurden verfolgt werde, zur Rückkehr zu bewegen.
3 Mit Bescheiden vom 15., 18. und 23. Jänner 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge zur Gänze ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.
5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, eine asylrelevante Verfolgung der revisionswerbenden Parteien im Falle einer Rückkehr in die Türkei sei insbesondere angesichts der gehäuften Widersprüche in den Aussagen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin zu den behaupteten Verfolgungshandlungen vor der Ausreise nicht glaubhaft gemacht worden. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass eine Rückkehr der revisionswerbenden Parteien in die Türkei eine reale Gefahr der Verletzung ihrer durch Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte mit sich brächte, weshalb subsidiärer Schutz nicht zuzuerkennen gewesen sei; die Sechstrevisionswerberin leide an einer näher bezeichneten seltenen Hormonerkrankung, die nicht lebensbedrohlich sei, werde derzeit medikamentös behandelt und könne grundsätzlich auch in der Türkei weiter behandelt werden. Die Rückkehrentscheidungen begründete das BVwG mit dem Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer Beendigung des Aufenthalts der revisionswerbenden Parteien in Österreich gegenüber ihren privaten Interessen an einem Verbleib.
6 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Soweit die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorbringt, die für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen (aktuellen) Feststellungen zur Lage in der Türkei würden gänzlich fehlen, weshalb das BVwG gegen die Begründungspflicht verstoßen habe, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht, ist dieser nicht nur zu präzisieren, sondern auch seine Relevanz für den Verfahrensausgang darzulegen, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die revisionswerbenden Parteien günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können (vgl. etwa VwGH 17.6.2024, Ra 2024/18/0028, mwN). Mit ihren pauschalen Ausführungen, die den Umstand übergehen, dass das BVwG auf über 100 Seiten höchst umfangreiche Feststellungen zur Lage in der Türkei getroffen hat, und keineswegs konkret erkennen lassen, welche (abweichenden oder zusätzlichen) Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in der Türkei aufgrund welchen (neueren) Länderberichts zu treffen gewesen wären, wird die Revision diesen Anforderungen nicht einmal ansatzweise gerecht.
11 Dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision, das BVwG habe eine fehlerhafte Beweiswürdigung vorgenommen, weil es zwei Dokumente, die behauptetermaßen gegen den in Österreich asylberechtigten Bruder des Erstrevisionswerbers von der türkischen Justiz geführte Strafverfahren betreffen, bloß mit der Begründung, sie seien in Kopie (und nicht im Original) vorgelegt worden, nicht ausreichend berücksichtigt habe, ist zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 13.8.2024, Ra 2024/18/0390, mwN). Das BVwG hat sich ausführlich mit dem Vorbringen zur behaupteten Verfolgung des Erstrevisionswerbers durch die türkische Polizei auseinandergesetzt und dieses insbesondere aufgrund der zahlreichen Widersprüche in den Angaben des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin unter Berücksichtigung der einschlägigen Länderberichte und zwar selbst für den Fall der Echtheit der in Kopie vorgelegten Dokumente als nicht glaubhaft befunden. Die Revision wendet sich somit lediglich gegen einen Teilaspekt der vom BVwG vorgenommenen Beweiswürdigung; es gelingt ihr nicht, aufzuzeigen, dass die beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG gemessen am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes insgesamt als unschlüssig und daher als unvertretbar zu qualifizieren wären (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung etwa VwGH 23.2.2018, Ra 2018/18/0067, mwN).
12 Sofern die Revision anführt, es sei eine „kinderspezifische“ Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation der minderjährigen revisionswerbenden Parteien und insbesondere mit der Erkrankung der Sechstrevisionswerberin, deren adäquate Behandlung auf fachgerechtem Niveau in der Türkei nicht gesichert sei, unterblieben, dürfte sie sich der Sache nach gegen die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz wenden. Sie macht abermals einen Verfahrensfehler geltend, ohne diesen zu präzisieren und ohne konkret seine Relevanz aufzuzeigen (vgl. erneut VwGH 17.6.2024, Ra 2024/18/0028, mwN). Zudem hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK (vgl. in diesem Sinne z.B. VwGH 19.1.2024, Ra 2023/18/0417, mwN). Vor dem Hintergrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG, wonach die Sechstrevisionswerberin an einer seltenen Hormonerkrankung leide, die nicht lebensbedrohlich sei und deren medikamentöse Behandlung grundsätzlich in der Türkei weitergeführt werden könne, zeigt die Revision eine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von den dargestellten Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf.
13 Auf weiteres Vorbringen, das sich allein in den Revisionsgründen findet, ist schon zufolge § 34 Abs. 1a und § 28 Abs. 3 VwGG bei der Beurteilung, ob sich eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig darstellt, nicht weiter einzugehen (vgl. VwGH 29.2.2024, Ra 2024/18/0017, mwN).
14 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 27. Mai 2025