JudikaturVwGhRa 2023/18/0336

Ra 2023/18/0336 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Februar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed, die Hofräte Dr. Sutter und Mag. Tolar sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des L T, vertreten durch Mag. a Margit Sagel, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 60/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juli 2022, W280 2241113 1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 4. Oktober 2003 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 1997. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass der erste tschetschenische Präsident Dudajew sein Onkel gewesen sei und er aufgrund dieses verwandtschaftlichen Verhältnisses von den russischen Behörden verfolgt werde. Er rechne im Falle einer Rückkehr mit seiner Ermordung durch die russischen Behörden aufgrund von Sippenhaftung.

2 Mit in Rechtkraft erwachsenem Bescheid des damals zuständigen Bundesasylamts vom 16. Juli 2004 wurde dem Revisionswerber gemäß § 7 Asylgesetz 1997 Asyl gewährt und gemäß § 12 Asylgesetz 1997 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

3 Am 13. Jänner 2021 teilte die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit, dass dem Revisionswerber gemäß § 45 Abs. 8 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ mit 13. Jänner 2021 rechtskräftig erteilt worden sei.

4 Am 9. Februar 2021 leitete das BFA von Amts wegen ein Aberkennungs-verfahren ein.

5 Mit Bescheid vom 1. März 2021 erkannte das BFA dem Revisionswerber gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) den Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der Umstände, die zur Zuerkennung von Asyl geführt hätten, ab, stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde soweit hier maßgeblich als unbegründet ab. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

7 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber sei von der zuständigen Behörde von Amts wegen der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ gemäß § 45 Abs. 8 NAG mit näher genannter Gültigkeitsdauer rechtskräftig zuerkannt worden. Die Voraussetzungen der Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) lägen vor, da sich die Umstände im Herkunftsstaat des Revisionswerbers maßgeblich und nachhaltig verändert hätten und er auch nicht ablehnen könne, sich dem Schutz seines Herkunftsstaates zu unterstellen. Eine dem Revisionswerber in der Russischen Föderation unverändert drohende asylrelevante Gefahr habe nicht festgestellt werden können. Vor dem Hintergrund der Länderberichte erscheine es nicht naheliegend, dass er im Fall einer Rückkehr einer Strafverfolgung oder einer sonstigen Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre. Nach Ende des zweiten Tschetschenienkrieges sei eine Änderung der Situation im Herkunftsstaat eingetreten, die auch nicht nur vorübergehend sei. Der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK sei erfüllt.

8 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 13. Juni 2023, E 2383/2022 6, abgelehnt und sie über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers mit Beschluss vom 17. Juli 2023, E 2383/2022 8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

9 Die nunmehr vorliegende außerordentliche Revision macht zusammengefasst geltend, es stelle eine Verkennung der Beweislastverteilung (bei Aberkennung des Asylstatus wegen geänderter Umstände) dar, wenn das BVwG dem Revisionswerber vorhalte, er habe nicht glaubhaft darlegen können, dass die Gründe, die im Jahr 2004 zur Zuerkennung von Asyl geführt hätten, aktuell noch immer vorlägen. Der Revisionswerber habe im Rahmen seiner Möglichkeiten ein entsprechendes Vorbringen erstattet. Die Begründung für die Abweisung seines Antrags, einen landeskundigen Sachverständigen beizuziehen, sei unverständlich, weil sich die Lage in Tschetschenien für ihn nicht nachhaltig und dauerhaft verbessert habe.

10 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet.

12 Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist einem Fremden von Amts wegen der Status des Asylberechtigten abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

13 Gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 kann das Bundesamt einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status des Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt wenn auch nicht rechtskräftig nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat.

14 Teilt die nach dem NAG zuständige Aufenthaltsbehörde dem Bundesamt allerdings mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden gemäß § 7 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

15 Eine solche Vorgangsweise ist nach dem klaren Gesetzeswortlaut aber nur dann möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Asylstatus gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C (hier) Z 5 GFK vorliegen, was daher auch im gegenständlichen Fall zu prüfen war.

16 Nach Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK ist das Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr anzuwenden, wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

17 Ob eine die Anwendung des Endigungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK rechtfertigende relevante Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat eingetreten ist, hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht von Amts wegen zu ermitteln und unter Berücksichtigung der Fluchtgeschichte bzw. der Fluchtgründe eines Asylwerbers zu prüfen, ob diese noch immer einen asylrechtlich relevanten Aspekt haben könnten (vgl. VwGH 29.6.2020, Ro 2019/01/0014, mit Hinweis auf VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0121 bis 0126, mwN).

18 Das BVwG legte der gegenständlichen Entscheidung zugrunde, dass dem Revisionswerber im Jahr 2004 Asyl gewährt worden sei, weil sein Onkel der erste tschetschenische Präsident Dschochar Dudajew gewesen sei und davon auszugehen gewesen sei, dass er aufgrund dieses verwandtschaftlichen Verhältnisses von den russischen Behörden verfolgt werden würde (Sippenhaftung). Diese Verfolgungsgefahr sei nach Auffassung des BVwG nun nicht mehr gegeben. Zur Begründung dieser Einschätzung stützte sich das BVwG darauf, dass nach den aktuellen Länderfeststellungen eine generelle Verfolgung von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe sowie eine Verfolgung wegen verwandtschaftlicher Verhältnisse zu in Tschetschenien lebenden Politikern nicht mehr existiere. Selbst von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges allein auf Grund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen sei heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Anhaltspunkte, wonach der Revisionswerber wegen seines Onkels (des ehemaligen Präsidenten Dudajew), der im Jahr 1996 getötet worden sei, heute noch verfolgt werden würde, hätten sich nicht ergeben.

19 Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Beiziehung eines landeskundlichen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass der Revisionswerber auch derzeit einer Verfolgung aufgrund seiner Familienzugehörigkeit zur Familie Dudajew ausgesetzt sei, kam das BVwG mit der Begründung nicht nach, dass aus dem Antrag nicht hervorgehe, welche konkreten Tatsachen durch die Beauftragung des landeskundigen Sachverständigen unter Beweis gestellt werden sollten. Der Revisionswerber habe auch in keiner Weise dargestellt, welche fachkundigen Schlussfolgerungen erforderlich wären, die nur ein Sachverständiger zu ziehen in der Lage wäre, zumal dem Erkenntnis aktuelle Berichte zur Lage in der Russischen Föderation zugrunde gelegt worden seien.

20 Diese Begründung für die unterlassenen weiteren Ermittlungen greift schon angesichts der oben dargestellten Rechtsprechung zur amtswegigen Ermittlungspflicht und dem besonderen Risikoprofil des Revisionswerbers zu kurz:

21 Dem Revisionswerber wurde unbestritten Asyl zuerkannt, weil er ein Verwandter des ehemaligen Präsidenten der einseitig ausgerufenen „Tschetschenischen Republik Itschkerien“ Dschochar Dudajew ist, der im folgenden Bürgerkrieg ein entschiedener Gegner der russischen Regierung war, und im Jahr 1996 wie das BVwG richtig feststellte den Tod fand. Die Asylbehörde ging bei Zuerkennung des Asylstatus davon aus, dass dem Revisionswerber aufgrund dieses verwandtschaftlichen Verhältnisses die Ermordung durch der Russischen Föderation zurechenbare Kräfte drohen könnte (Sippenhaftung).

22 Trotz dieses besonderen Risikoprofils des Revisionswerbers begnügte sich das BVwG im Aberkennungsverfahren wegen der angenommenen verbesserten Lage im Herkunftsstaat mit der Einsichtnahme in die allgemeinen Länderberichte, denen nach Auffassung des BVwG zu entnehmen sei, dass im Allgemeinen keine Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges mehr erfolge.

23 Dabei blieb zum einen unberücksichtigt, dass die tschetschenische Führung nach den getroffenen Länderfeststellungen „weiterhin rücksichtslos jede Form von Dissens“ unterdrückt und „[g]egen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen Kritiker und Journalisten ... rigoros“ vorgeht (Erkenntnis S. 34). Die Länderfeststellungen geben auch Beispiele wieder, wonach der aktuelle tschetschenische Machthaber Kadyrow gegen bekannte Kritiker, die manchmal auch der „Tschetschenischen Republik Itschkerien“ zuzurechnen seien, sogar im Ausland vorgehe (Erkenntnis S. 36).

24 Zum anderen lässt sich allein aus dem Umstand, dass „im Allgemeinen“ gegen ehemalige Bürgerkriegsteilnehmer nicht mehr vorgegangen wird, nicht ableiten, dass dem Revisionswerber als Angehörigem eines der prominentesten Regimegegner der Vergangenheit heute keine Verfolgungsgefahr mehr drohen sollte.

25 Um diese Frage abschließend beantworten zu können, bedürfte es einer näheren Auseinandersetzung damit, wie der ehemalige Präsident Dudajew heute in der Russischen Föderation und in Tschetschenien gesehen wird, ob seine Person und seine Ideen ungeachtet seiner Ermordung im Jahr 1996 noch immer als Gefahr angesehen werden, und welche Auswirkungen dies für einen Angehörigen wie den Revisionswerber haben kann.

26 Zutreffend macht die Revision geltend, dass die Beweislast für den Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung von Asyl geführt haben, bei der Asylbehörde bzw. dem nachprüfenden Verwaltungsgericht liegt (vgl. dazu auch Art. 14 Abs. 2 Statusrichtlinie, wonach unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, der Mitgliedstaat, der ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, in jedem Einzelfall nachzuweisen hat, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist).

27 Dementsprechend ist, wie die Revision ebenfalls richtig anführt, nicht nachvollziehbar, dass das BVwG im gegenständlichen Fall weitere länderkundliche Ermittlungen (sei es durch Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens, sei es durch Befassung der Staatendokumentation) zur Frage, ob der Revisionswerber weiterhin einer Verfolgungsgefahr aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Familie Dudajew ausgesetzt wäre, für entbehrlich erachtete.

28 Das Verfahren vor dem BVwG sowie die Begründung der angefochtenen Entscheidung erweisen sich daher als mangelhaft. Das angefochtene Erkenntnis war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

29 Der Zuspruch der geltend gemachten Kosten beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. Februar 2024

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