JudikaturVwGH

Ra 2023/18/0297 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. August 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr. in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des J S, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2023, I422 2273690 1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Tunesiens, stellte am 6. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass er seine Heimat aufgrund von Arbeitslosigkeit verlassen habe und in Österreich arbeiten wolle. Die Frage nach weiteren Gründen, warum er seine Heimat verlassen habe, verneinte er.

2 Mit Bescheid vom 15. Mai 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab. Es erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig sei, legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest, erkannte einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung ab und erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe ab, dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 auf 18 Monate herabgesetzt werde und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das BVwG soweit für das gegenständliche Verfahren relevant aus, der Revisionswerber habe Tunesien aus rein wirtschaftlichen Motiven verlassen, bei einer Rückkehr sei er keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt. Sofern der Revisionswerber erstmals in der Beschwerde vorgebracht habe, er sei aufgrund seiner Tätigkeit als Tätowierer in Tunesien einer Bedrohung durch radikale Islamisten ausgesetzt gewesen und erfahre keinen Schutz durch den Staat, unterliege dieses Vorbringen dem Neuerungsverbot nach § 20 BFA VG. Dies stützte das BVwG darauf, dass der Revisionswerber vor dem BFA lediglich seine Arbeitslosigkeit angegeben und weitere Fluchtgründe wie auch Probleme mit Privatpersonen dezidiert verneint habe. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb ein Schutzsuchender in einem Land, in dem er sich in Sicherheit wähne, mit der Erstattung von Fluchtvorbringen zuwarte; für den Revisionswerber hätte bereits im Administrativverfahren die Möglichkeit bestanden, einen ihm bekannten Fluchtgrund vollumfänglich darzulegen. Da der Revisionswerber nach der Durchreise durch andere sichere Drittstaaten erst in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, liege der Schluss nahe, dass er dadurch seine wirtschaftliche Situation verbessern und seinen Aufenthalt zumindest temporär legalisieren und prolongieren habe wollen. Unter Beachtung der Aussagen des Revisionswerbers vor dem BFA, dem Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes und dem zeitlichen Umstand des Vorbringens schloss das BVwG, dass der Revisionswerber eine rechtsmissbräuchliche Verlängerung seines Asylverfahrens herbeizuführen bezweckt habe.

5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit geltend macht, das BVwG habe seine amtswegige Ermittlungspflicht zur Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner Tätigkeit als Tätowierer verletzt und zudem gegen die Verhandlungspflicht verstoßen, weil das BVwG das in der Beschwerde neu erstattete Vorbringen einer Beweiswürdigung unterzogen und als nicht glaubhaft gewertet habe.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Neues Vorbringen in der Beschwerde führt nach der hg. Rechtsprechung grundsätzlich dazu, dass von einem „geklärten Sachverhalt“ im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG, der ein Absehen von der Verhandlung erlaubt, nicht ausgegangen werden darf. Ausgenommen davon ist der Fall, dass das neue Vorbringen dem Neuerungsverbot gemäß § 20 Abs. 1 und 2 BFA VG unterliegt (vgl. VwGH 31.5.2022, Ra 2022/14/0053, mit Verweis auf grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018).

11 Für die Annahme eines Neuerungsverbotes bedarf es nach der Rechtsprechung der Auseinandersetzung mit der für die Annahme eines Neuerungsverbotes erforderlichen Voraussetzung der missbräuchlichen Verlängerung des Asylverfahrens (vgl. erneut VwGH 31.5.2022, Ra 2022/14/0053, mwN).

12 Die Revision übersieht in ihren Ausführungen zur Zulässigkeit, dass sich das BVwG mit dem erstmals in der Beschwerde erhobenen Vorbringen einer Bedrohung des Revisionswerbers aufgrund seiner Tätigkeit als Tätowierer auch insofern näher befasst hat, als es dieses wegen der angenommenen Missbrauchsabsicht als gegen das Neuerungsverbot verstoßend wertete.

13 Dem tritt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht entgegen und vermag daher auch nicht darzulegen, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts zum angenommenen Neuerungsverbot in unvertretbarer Weise erfolgt wäre.

14 Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision auch nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Abstandnahme von einer Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG abgewichen wäre (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie jüngst etwa VwGH 22.6.2023, Ra 2023/18/0196, mwN).

15 Ebensowenig zeigt die Revision eine Verletzung von Ermittlungspflichten auf. Das Vorbringen dazu („Änderungen von der Situation bzw. Fluchtgrund“, Leib und Leben im Falle einer Rückkehr „bei den Änderungen in Gefahr“, Verfolgung wegen „Tätigkeit als Tätowierer“) ist einerseits unsubstantiiert und bezieht sich andererseits auf jenen nachträglich geltend gemachten Fluchtgrund, der vom BVwG vertretbar als in Missbrauchsabsicht gegen das Neuerungsverbot verstoßend gewertet wurde.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. August 2023

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