Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätin Dr. in Oswald als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, über die Revisionen der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg 1. gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 17. August 2023, Zl. LVwG AV 2116/001 2023, betreffend Zurückweisung einer Vorstellung i.A. Entziehung einer Lenkberechtigung nach dem FSG (mitbeteiligte Partei: M W in D), und 2. gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 6. September 2023, Zl. LVwG AV 2365/001 2023, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.A. Entziehung einer Lenkberechtigung nach dem FSG (mitbeteiligte Partei: M W in D), zu Recht erkannt:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
1 1.1. Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 17. März 2023 wurde dem Mitbeteiligten die Lenkberechtigung für die Dauer von 12 Monaten und zwei Wochen entzogen und es wurden begleitende Maßnahmen angeordnet. Auf der ersten Seite dieses Mandatsbescheids wurde eingerahmt neben u.a. einer Fax- sowie einer Telefonnummer der belangten Behörde die E Mail Adresse verkehr.bhko@noel.gv.at angeführt. Der Mandatsbescheid wurde dem Mitbeteiligten am 22. März 2023 zugestellt.
2 1.2. Dagegen erhob der Mitbeteiligte Vorstellung und übermittelte diese am 27. März 2023 per E Mail an die E-Mail Adresse verkehr.bhko@noel.gv.at .
3 1.3. Die belangte Behörde leitete daraufhin das Ermittlungsverfahren ein und führte auf an den Mitbeteiligten adressierten Schriftstücken erneut die E Mail Adresse verkehr.bhko@noel.gv.at an. Der Mitbeteiligte erstattete im Verfahren mehrere Stellungnahmen, die er an diese E Mail Adresse übermittelte.
4 1.4. In weiterer Folge erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 9. Juni 2023, mit dem die Entziehung der Lenkberechtigung und die angeordneten begleitenden Maßnahmen bestätigt wurden. Auf der ersten Seite des Bescheids wurde neuerlich in einer Umrahmung die E Mail Adresse verkehr.bhko@noel.gv.at angeführt.
5 1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte mit Schreiben vom 7. Juli 2023 Beschwerde, die er wiederum ebenfalls per E Mail an die Adresse verkehr.bhko@noel.gv.at übermittelte. Die belangte Behörde legte die Beschwerde mit Schreiben vom selben Tag dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
6 1.6. Mit verfahrensleitendem Beschluss vom 12. Juli 2023 leitete das Verwaltungsgericht die vom Mitbeteiligten gegen den Mandatsbescheid vom 17. März 2023 erhobene Vorstellung gestützt auf § 17 VwGVG iVm § 6 AVG an die belangte Behörde weiter. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Vorstellung des Mitbeteiligten sei an eine E Mail Adresse geschickt worden, die zufolge der näher bezeichneten Kundmachung der Behörde nicht für die Einbringung von Anbringen bestimmt sei, weshalb die Vorstellung bislang nicht wirksam eingebracht sei.
7 1.7. Diese Rechtsauffassung hielt das Verwaltungsgericht auch dem Mitbeteiligten mit verfahrensleitendem Beschluss vom 12. Juli 2023 vor. Da die Vorstellung erst im Wege der Weiterleitung gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG durch das Verwaltungsgericht am 12. Juli 2023 bei der Behörde eingelangt sei, erweise sie sich als verspätet.
8 1.8. Mit Schreiben vom 13. Juli 2023 stellte der Mitbeteiligte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (erkennbar wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Vorstellung gegen den Mandatsbescheid vom 17. März 2023), in dem er vorbrachte, während des gesamten Verfahrensverlaufes nicht darauf hingewiesen worden zu sein, eine falsche E Mail Adresse zu verwenden.
9 1.9. Die belangte Behörde wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Bescheid vom 2. August 2023 als unzulässig zurück. Dies begründete die Behörde damit, dass keine Fristversäumnis vorliege, zumal die Behörde über die Vorstellung bereits entschieden und den Bescheid vom 9. Juni 2023 erlassen habe. Auch auf diesem Bescheid wurde auf der ersten Seite in einer Umrahmung die E-Mail Adresse verkehr.bhko@noel.gv.at angeführt.
10 1.10. Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte mit Schreiben vom 24. August 2023 Beschwerde, die er wiederum per E-Mail an die Adresse verkehr.bhko@noel.gv.at übermittelte. Am selben Tag wurde die Beschwerde behördenintern an die E Mail Adresse post.bhko@noel.gv.at weitergeleitet und in der Folge dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
11 2.1. Mit dem erstangefochtenen Erkenntnis vom 17. August 2023 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde gegen den Bescheid vom 9. Juni 2023 (betreffend Entziehung der Lenkberechtigung) dahingehend statt, dass die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid vom 17. März 2023 gemäß § 57 Abs. 2 AVG als verspätet zurückgewiesen werde. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
12 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, nicht nur aus dem Internetauftritt der belangten Behörde ergebe sich, dass deren „offizielle E Mail Adresse“ post.bhko@noel.gv.at laute. Vielmehr sei auf der Website der belangten Behörde unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 13 Abs. 2 und 5 AVG die genannte E-Mail Adresse kundgemacht. Lange ein Anbringen an einer nicht kundgemachten Adresse der Behörde ein, so sei es nach den organisationsrechtlichen Vorschriften an eine kundgemachte Adresse weiterzuleiten. Erst mit dem Einlangen an eine solche Adresse gelte das Anbringen als eingebracht. Da die Vorstellung zwar noch innerhalb der offenen Frist an die E Mail Adresse des Fachbereiches Verkehr der belangten Behörde übermittelt, letztlich aber erst am 12. Juli 2023 an die kundgemachte E Mail Adresse weitergeleitet worden sei, erweise sich die Vorstellung als verspätet und sei zurückzuweisen.
13 2.2. Mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis vom 6. September 2023 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde gegen den Bescheid vom 2. August 2023 (betreffend Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages) statt und behob den angefochtenen Bescheid ersatzlos. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
14 In der Begründung dieses Erkenntnisses ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Wiedereinsetzungsantrag eine versäumte Frist sei. Der Rechtsauffassung der belangten Behörde, wonach die Vorstellung fristgerecht eingelangt sei, sei nicht zu folgen, weil die Vorstellung zwar noch innerhalb der offenen Frist an die E-Mail Adresse des Fachbereiches Verkehr der belangten Behörde übermittelt, letztlich aber erst am 12. Juli 2023 an die in der Kundmachung gemäß § 13 Abs. 2 und 5 AVG genannte E Mail Adresse weitergeleitet worden sei. Die Vorstellung sei daher verspätet, weshalb die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag mangels sonstiger ihm anhaftender prozessualer Mängel nicht hätte zurückweisen dürfen.
15 3. Die belangte Behörde erhob die zu Ra. 2023/11/0136 protokollierte außerordentliche Revision gegen das erstangefochtene Erkenntnis und die zu Ra 2023/11/0137 protokollierte außerordentliche Revision gegen das zweitangefochtene Erkenntnis. Im vom Verwaltungsgerichtshof jeweils durchgeführten Vorverfahren wurde jeweils keine Revisionsbeantwortung erstattet.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges verbundenen Revisionen in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
17 3.1. Zur Zulässigkeit der Revision wird unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 61 Abs. 4 AVG jeweils vorgebracht, dass diese Bestimmung auch auf Fälle anzuwenden sei, in denen in der Rechtsmittelbelehrung eine bestimmte Adresse genannt werde. Auch die Anführung einer E Mail Adresse auf der ersten Seite eines Bescheids sei als Bestandteil der Rechtsmittelbelehrung anzusehen. Das Verwaltungsgericht sei daher in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Unrecht von einer Fristversäumnis ausgegangen.
18 Die Revisionen sind zulässig, weil die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes von der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, welche E Mail Adresse in Konstellationen wie der vorliegenden für die Einbringung von Anbringen maßgeblich ist, abweicht (vgl. VwGH 30.4.2024, Ra 2024/02/0031, Rn. 14, mwN).
19 3.2. Die Revisionen sind auch begründet.
20 3.2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 18. April 2024, Ra 2024/02/0049, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass es einer Behörde, die organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs nach § 13 Abs. 2 AVG verfügt hat, nicht verwehrt ist, die elektronischen Einbringungsmöglichkeiten unter Aufrechterhaltung der allgemeinen Beschränkungen im Einzelfall gegenüber einer bestimmten Person zu erweitern, wobei die Bekanntgabe einer solchen Erweiterung der Einbringungsmöglichkeiten gegenüber einem einzelnen Betroffenen in einer solchen Art und Weise zu erfolgen hat, dass dieser mit Grund annehmen kann, dass Eingaben an die genannte Adresse in diesem Verfahren zulässig und fristwahrend sind. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Behörde einer Verfahrenspartei eine weitere E-Mail-Adresse auf ihren behördlichen Schriftstücken im Vordruck bekannt gibt. Diese Rechtsprechung wurde in der Folge auch auf die Erhebung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung übertragen (vgl. erneut VwGH 30.4.2024, Ra 2024/02/0031 ).
21 3.2.2. Ausgehend von dieser, auch für die vorliegende Konstellation einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid vom 17. März 2023, die am 27. März 2023 per E Mail an die im Mandatsbescheid (und im Übrigen im gesamten weiteren behördlichen Verfahren auf behördlichen Schriftstücken) angeführte E Mail Adresse verkehr.bhko@noel.gv.at übermittelt wurde, als rechtswirksam bei der belangten Behörde eingebracht und somit als rechtzeitig.
22 3.2.3. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und die Vorstellung mit dem erstangefochtenen Erkenntnis als verspätet zurückwies und mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis unter der Prämisse, es liege eine Versäumung der Vorstellungsfrist vor die Zurückweisung des vom Mitbeteiligten gestellten Wiedereinsetzungsantrages behob, belastete es beide angefochtenen Erkenntnisse mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
23 3.3. Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 4. Oktober 2024
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