Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, Hofrat Dr. Doblinger sowie Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gegen die Entscheidung (Erkenntnis und Beschluss) des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 22. Mai 2023, LVwG 2023/38/1208 1, betreffend Ansprüche nach dem Epidemiegesetz 1950 (mitbeteiligte Partei: A GmbH Co KG in B, vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtene Entscheidung wird wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.
1 Die mitbeteiligte Partei betreibt in B einen Beherbergungsbetrieb, einen Gastronomiebetrieb sowie eine Seilbahnanlage.
2 Mit dem mit Schreiben vom 30. April 2020, vom 11. Mai 2020, vom 3. März 2021, vom 5. Mai 2022 sowie vom 10. Mai 2022 ergänzten - Antrag vom 3. April 2020 begehrte die mitbeteiligte Partei u.a. eine Vergütung für den ihr im Zeitraum vom 16. März 2020 bis 29. März 2020 durch die Schließung von Beherbergungs sowie Gastronomiebetrieben bzw. die Beeinträchtigung dieser Betriebe durch verkehrsbeschränkende Maßnahmen eingetretenen Verdienstentgang nach § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG).
3 Mit Spruchpunkt I. des (Teil )Bescheides der amtsrevisionswerbenden Behörde vom 8. Juni 2022 wurde der mitbeteiligten Partei aufgrund der Schließung ihres Beherbergungsbetriebes für den Zeitraum vom 17. März 2020 bis 25. März 2020 eine Vergütung in näher genannter Höhe zuerkannt. Im Hinblick auf den Gastronomiebetrieb wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Vergütung des Verdienstentganges für den 16. März 2020 (Spruchpunkt II. 1.), für den Zeitraum vom 17. März 2020 bis 25. März 2020 (Spruchpunkt II. 2.) und für den Zeitraum vom 26. März 2020 bis 29. März 2020 (Spruchpunkt II. 3.) abgewiesen.
4 Gegen Spruchpunkt II. dieses Bescheides erhob die mitbeteiligte Partei mit E Mail vom 1. August 2022 Beschwerde.
5 Das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) gab der Beschwerde mit Spruchpunkt I. 1. der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich Spruchpunkt II. 2. des Bescheides Folge, behob den Bescheid in diesem Umfang und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zurück. Mit Spruchpunkt II. 1. wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. 1. und 3. des Bescheides als unbegründet ab. Eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für nicht zulässig (Spruchpunkte I. 2. und II. 2.).
6 Ausführungen zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde lassen sich der angefochtenen Entscheidung nur insoweit entnehmen, als das Verwaltungsgericht in der Darstellung des bisherigen Verfahrensganges die „fristgerecht eingebrachte[...] Beschwerde“ anführt.
7 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision mit den Anträgen, „in der Sache selbst zu entscheiden und die angefochtene Entscheidung vollumfänglich aufzuheben“, in eventu „die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften [...] aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an das Landesverwaltungsgericht Tirol zurückzuverweisen“, sowie der revisionswerbenden Partei Aufwandersatz zuzuerkennen.
8 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision unter Zuspruch von Aufwandersatz. Es sei keine Verständigung von der Zustellung des Bescheides vom 8. Juni 2022 an die im Teilnehmerverzeichnis hinterlegte elektronische Adresse der mitbeteiligten Partei ergangen. Der Bescheid sei der mitbeteiligten Partei erst am 4. Juli 2022 auf postalischem Wege zugestellt worden, weshalb die Beschwerde gegen den Bescheid der Amtsrevisionswerberin rechtzeitig erhoben worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, die angefochtene Entscheidung weiche von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Prüfung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde ab, als zulässig. Sie ist auch begründet:
10 Gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde wegen Rechtswidrigkeit vier Wochen und beginnt gemäß § 7 Abs. 4 Z 1 VwGVG in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Z 1 B VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung zu laufen.
11 Nach § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Beschwerde handelt es sich um eine Rechtsfrage gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, die, wenn Anhaltspunkte für die Verspätung eines Rechtsmittels vorliegen, von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl. VwGH 24.3.2015, Ra 2015/09/0011). Das Verwaltungsgericht hat dazu nach amtswegigen Erhebungen Tatsachen festzustellen (vgl. VwGH 17.8.2023, Ra 2023/02/0100, mwN).
12 Dies gilt auch im Hinblick auf die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG normierte Zurückverweisungsmöglichkeit, die als Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte (vgl. VwGH 1.9.2022, Ra 2021/09/0130, mwN) ebenso die fristgerechte Einbringung der Beschwerde voraussetzt (vgl. VwGH 16.8.2017, Ra 2017/11/0205).
13 Die Außerachtlassung der verspäteten Einbringung eines Rechtmittels betrifft tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes und die Rechtssicherheit, weil eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung der inhaltlichen Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde nach § 28 VwGVG entgegensteht (vgl. zu einer Entscheidung in der Sache: VwGH 6.7.2023, Ra 2023/02/0068; sowie zu einer Beschlussfassung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG: VwGH 16.8.2017, Ra 2017/11/0205).
14 Nach einem im Verwaltungsakt erliegenden Zustellnachweis wurde der mitbeteiligten Partei der Bescheid vom 8. Juni 2022 erstmals elektronisch übermittelt und in ihrem elektronischen Postfach im Unternehmensserviceportal zur Abholung bereitgehalten, wobei die erste Verständigung über die Bereithaltung zur Abholung am Donnerstag, dem 9. Juni 2022, und die zweite Verständigung zwei Tage später an die von der mitbeteiligten Partei im Verwaltungsverfahren verwendete und nach ihrem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung im Teilnehmerverzeichnis hinterlegte E Mail Adresse erging. Als Ende der Abholfrist wurde der 23. Juni 2022 angegeben. Das Schriftstück wurde nach dem Zustellnachweis von der mitbeteiligten Partei nicht abgeholt. Nach § 35 Abs. 6 ZustG gilt die Zustellung grundsätzlich als am ersten Werktag nach der Versendung der ersten elektronischen Verständigung bewirkt. Die vierwöchige Beschwerdefrist endete - die ordnungsgemäße Zustellung vorausgesetzt - demnach mit Ablauf des 8. Juli 2022, sodass sich die am 1. August 2022 von der mitbeteiligten Partei per E Mail eingebrachte Beschwerde als verspätet erwiese.
15 Weiters findet sich im Verwaltungsakt eine Hinterlegungsverständigung, wonach der Bescheid vom 8. Juni 2022 der mitbeteiligten Partei auch postalisch übermittelt wurde, wobei dieser nach einem erfolglosen Zustellversuch am 1. Juli 2022 bei einer näher genannten Post Geschäftsstelle hinterlegt und eine Verständigung über die Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung der mitbeteiligten Partei eingelegt wurde. Als Beginn der Abholfrist wurde der 4. Juli 2022 festgelegt und das Schriftstück noch am selben Tag behoben. Ausgehend von diesem Zeitpunkt wäre die Einbringung der Beschwerde am 1. August 2022 zwar rechtzeitig erfolgt, jedoch ist gemäß § 6 ZustG die erste Zustellung maßgebend, wenn das gleiche Schriftstück mehrmals gültig zugestellt wird. Einer neuerlichen Zustellung kommt keine rechtliche Bedeutung mehr zu (vgl. VwGH 5.12.1996, 94/09/0129; 16.5.2001, 2001/09/0083, jeweils mwN).
16 Schließlich kann dem Verwaltungsakt ein an das Verwaltungsgericht gerichtetes Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 18. April 2023 entnommen werden, in dem darauf hingewiesen wurde, dass „die Zustellung des rechtmäßig unterfertigten Bescheides elektronisch am 09.06.2022 durchgeführt wurde, was ein Ende der Rechtsmittelfrist mit Ablauf des 08.07.2022 zur Folge gehabt hätte“ und die „zu behandelnde Beschwerde [...] erst am 01.08.2022 bei der ha. Behörde ein[ging]“.
17 Das Verwaltungsgericht hätte aufgrund dieser Indizien Zweifel an der Rechtzeitigkeit der Beschwerde hegen und von Amts wegen ein näheres Ermittlungsverfahren durchführen müssen, in dem der mitbeteiligten Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben gewesen wäre (vgl. erneut VwGH 17.8.2023, Ra 2023/02/0100, mwN).
18 Indem das Verwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage trotz offenkundiger Hinweise auf eine mögliche Verspätung kein Verfahren zur Prüfung der Rechtzeitigkeit durchführte und nähere Feststellungen zur Rechtzeitigkeit traf, sondern einen Beschluss nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG fasste bzw. in merito entschied, belastete es die angefochtene Entscheidung mit einem sekundären Verfahrensmangel und daher mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes, weshalb diese gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Ob die von der mitbeteiligten Partei in der Revisionsbeantwortung vorgebrachten Zustellmängel bei der ersten Zustellung vorgelegen sind, ist vom Verwaltungsgericht bei seiner Prüfung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde zu beurteilen.
19 Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Aufwandersatz war abzuweisen, weil sie im Fall einer nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B VG erhobenen Revision gemäß § 47 Abs. 4 VwGG keinen Anspruch auf Aufwandersatz hat (vgl. VwGH 21.4.2020, Ra 2019/09/0099).
Wien, am 20. September 2023